Titel: | Elektrotechnik.Ueber die Gefahr des Wechselstromes für den Menschen. |
Autor: | Rr. |
Fundstelle: | Band 307, Jahrgang 1898, S. 186 |
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Elektrotechnik.Ueber die Gefahr des Wechselstromes für den
Menschen.
Ueber die Gefahr des Wechselstromes für den Menschen.
Prof. Weber in Zürich hat sich mit der Frage
beschäftigt: „Welche Höhe muss eine Wechselstromspannung haben, damit sie als für
den Menschen gefährlich betrachtet werden darf?“ Diese Frage hat Weber durch Versuche an seiner eigenen Person
beantwortet. In der einen Gruppe der Versuche wurden mit beiden Händen Drähte
verschiedener Spannung fest umfasst und es kam dabei ein Wechselstrom von 50
Perioden zur Anwendung. Die Spannung wurde von 10 zu 10 Volt gesteigert und mit
feuchten Händen und 30 Volt Spannungsdifferenz waren Finger, Hand und Arm wie
gelähmt. Sehr lebhafte Schmerzen traten in diesen Gliedern auf und konnten nur 5 bis
6 Secunden ausgehalten werden. Mit Aufbietung von grosser Willenskraft konnten die
Drähte noch langsam losgelassen werden. Bei feuchten Händen und 50 Volt, bei
trockenen Händen und 90 Volt waren im Momente des Anfassens alle Muskeln an Fingern,
Händen und Armen zeitweilig gelähmt. Die Drähte konnten trotz grösster
Willensenergie nicht mehr losgelassen werden und die Schmerzen waren so gross, dass
der Zustand nur 1 bis 2 Secunden ausgehalten werden konnte. Bei Gleichstromspannung
treten dieselben Erscheinungen ungefähr bei der doppelten Spannung ein.
In einer zweiten Gruppe von Versuchen wurde einhändig eine Wechselstromleitung, die
am anderen Pole mit der Erde verbunden war, umfasst. Die Abstufungen der Spannung
betrugen hierbei 100 Volt. Der Beobachter stand entweder auf Kiesschotter, der durch
Regen angefeuchtet war, oder auf vom Regen durchfeuchteten Lehmboden. Es ist
eigenthümlich und muss als ein Zeichen der vorzüglichen Isolirfähigkeit des
Schuhleders angesehen werden, dass in beiden Fällen die Hochspannungsleitung sich
als ziemlich harmlos erwies. Auf dem Kiesboden spürte Weber bei 2000 Volt beim Anfassen nur sehr starkes Brennen und beim festen
Umfassthalten des Drahtes eine stärkere Erschütterung der Fingermuskeln. Auf
feuchtem Lehmboden setzte er die Versuche nur bis 1300 Volt durch, wobei das Anlegen
der Hand ein Brennen wie vom Feuer verursachte und beim festen Umfassen des Drahtes
Finger und Hand sofort zeitweilig gelähmt wurden und der Draht nicht mehr
losgelassen werden konnte.
Prof. Weber ist somit zu dem Schluss gekommen, dass das
Anfassen zweier Wechselstromleitungen mit beiden Händen von trockener Beschaffenheit
Gefahren mit sich bringt, sobald die Spannungsdifferenz zwischen diesen Leitungen
100 Volt übersteigt. Die Richtigkeit dieses Ausspruches ist leider durch die
praktische Erfahrung bestätigt worden, indem vier Todesfälle in einer chemischen Fabrik innerhalb
einer Dauer von 16 Monaten vorgekommen sind. Diese Anlage ist in vollkommen
fachmännischer Weise ausgeführt worden und auch jetzt noch in Ordnung.
Der erste Todesfall ereignete sich mit einer Bogenlampe, die an einem hölzernen Mast
im Freien aufgehängt war. Die Lampe konnte mittels Drahtseil, Winde und eiserner
Kurbel herabgelassen werden und das Drahtseil war an der Lampe isolirt. Der Wärter
stand barfuss auf dem Erdboden und zog am Unglückstage die Lampe gewaltsam zu hoch
auf, so dass unter Verbiegung einer Stütze die Lampe mit der oberen Aufhängerolle
und dadurch auch mit dem Seil und dem Wärter in Berührung kam.
Im zweiten Fall griff ein Arbeiter muthwillig nach einer vor dem Fenster
vorbeiführenden Drehstromleitung. Da die Leitung ziemlich weit entfernt war, musste
der Arbeiter sich stark hinauslehnen und konnte dann nicht sofort loslassen. Die
Spannung dieses Drahtes gegen Erde kann höchstens 230 Volt betragen haben;
wahrscheinlich waren es nur 115 Volt, da eine angestellte Messung für alle drei
Drähte nahezu die gleiche Spannung gegen Erde zeigte.
Im dritten Fall fand die Berührung nicht mit dem Drahte selbst, sondern mit einem
eisernen Rohr statt, in welches die beiden isolirten Drähte einer Lichtleitung
eingezogen worden waren. Eine der Verschraubungen hatte sich gelöst und durch
Verschiebung an den Rohrenden ist die Isolation des Drahtes durchschnitten worden.
Die dem Rohre auf diese Weise mitgetheilte Spannung erwies sich ebenfalls
tödtlich.
Im vierten Falle fand man den Verunglückten auf dem Rücken liegend, mit der einen
Hand eine verloschene Handlampe haltend, während die Leitungsschnur über seiner
Brust lag. Arbeiter, welche ihm die Schnur zu entreissen suchten, erhielten Schläge.
Auch hier war die Spannung nur 115 Volt.
Bemerkenswerth ist, dass der Betriebsleiter selbst als auch seine Ingenieure die
Leitungen wiederholt berührt haben, ohne Schaden zu nehmen. Es besteht also ein
Unterschied in der physiologischen Wirkung auf die Arbeiter der Fabrik. Dieser
Unterschied erklärt sich wahrscheinlich durch die Art, wie die stromführende Leitung
angefasst und durch die Verschiedenheit in der Bekleidung der Personen. In den drei
ersten Fällen war es unzweifelhaft, dass die Verunglückten fest zugegriffen hatten
und im vierten Falle sehr wahrscheinlich. Der Uebergangswiderstand an der Haut
bildet den grössten Theil des Gesammtwiderstandes des menschlichen Körpers und es
ist denkbar, dass dieser Widerstand durch den Aufenthalt in nassen Räumen und durch
Chemikalien vermindert wird. Dazu kommt noch der Umstand, dass die Arbeiter nicht
trockene Stiefel trugen, sondern barfuss oder in nassen Holzpantoffeln gingen.
Sollte diese Erklärung sich als haltbar erweisen, so würde man die Arbeiter dadurch
schützen, dass man auch Niederspannungsanlagen nach den Sicherheitsregeln für
Hochspannungsanlagen ausführt. (E. Z., 1897 S. 615 und
S. 785.)
Rr.