Titel: | Eine neue Schnellzugslocomotive. |
Fundstelle: | Band 310, Jahrgang 1898, S. 156 |
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Eine neue Schnellzugslocomotive.
Mit Abbildungen.
Eine neue Schnellzugslocomotive.
In einer Sitzung der ehemaligen Schüler der École centrale des Arts et Manufactures
der ägyptischen Gruppe in Alexandrien besprach Ingenieur M.
Thuile die modernen Mittel, um die Geschwindigkeit von Schnellzügen zu
erhöhen, und legte der Versammlung ein der Originalität nicht entbehrendes Project
zu einer Locomotive vor, welche anhaltend eine Geschwindigkeit von 120 km in der
Stunde zu leisten vermag, wobei er feststellte, dass Frankreich, was die
Geschwindigkeit der Schnellzüge anbetrifft, erst die vierte Stelle hinter Amerika,
England und Deutschland einnimmt.Le génie civil, welchem wir den Aufsatz
entnehmen, stellt dem gegenüber fest, dass der schnellste Zug in Europa in
Frankreich Winters auf der Strecke Paris-Amiens verkehrt, und zwar mit der
theoretischen Geschwindigkeit von 92 km pro Stunde, welche jedoch häufig
noch überschritten werde. Nachdem Thuile ausgeführt, dass die Geschwindigkeit der Züge von der Stabilität
und der Zugkraft der Locomotive abhängig ist, wandte er sich gegen die in Frankreich
bestehende Bestimmung, dass eine Geschwindigkeit von 120 km nicht überschritten
werden darf. Seiner Ueberzeugung nach sei eine solche Geschwindigkeit nicht allein
auf ebener Strecke, sondern auch bei Steigungen gefahrlos; schon die alten
Locomotiven Crampton hätten vor 40 Jahren diese Geschwindigkeit bei verschiedenen
Gefällen erreicht, obgleich damals die Schienen nicht so schwer und von der
vorzüglichen Qualität wie heute waren, das Blocksystem und die vollkommenen
Bremseinrichtungen noch nicht vorhanden und auch damals die Weichen nicht so gut und
sicher construirt waren, wie heute; mit einem Wort, das verfügbare Material war
damals erst im Entstehen begriffen. Allerdings kann eine grosse Geschwindigkeit die
störenden Bewegungen bei den Locomotiven vermehren; dem muss jedoch durch Erhöhung
der Stabilität entgegengewirkt werden, die Triebräder sind so weit wie möglich nach
hinten zu verlegen, und muss schliesslich auf die Ausbalancirung der sich bewegenden
Theile die grösste Sorgfalt verwendet werden.
Ist auf die Art die Stabilitätsfrage gelöst, so wäre noch diejenige zu erörtern, der
Locomotive eine entsprechende Zugkraft zu verleihen, um einem schweren Personenzug
auf einer Steigung von 5 pro mille, wie solche auf grossen Strecken vorkommen, eine
Geschwindigkeit von 120 km zu ertheilen. Es fragt sich dabei, ob die Locomotive bei
der Lösung einer solchen Aufgabe noch verwendbar sei, oder ob man zu anderen
Motorengreifen
müsse. Jedenfalls müsste die Dampferzeugung durch Vergrösserung der Rost- und
Heizfläche und auch durch Verwendung von flüssigem Brennmaterial erhöht werden. Der
Nutzeffect der Maschine müsste durch Vervollkommnung in der Dampfvertheilung, also
durch das Verbundsystem, durch Erhöhung des Dampfdruckes und Beseitigung von
Gegendrücken, endlich auch durch Verwendung von überhitztem Dampf erhöht werden.
Textabbildung Bd. 310, S. 156
Schnellzugslocomotive von Thuile.
Textabbildung Bd. 310, S. 156
Schnellzugslocomotive von Thuile.
Nach Ansicht von Thuile sind die elektrischen
Locomotiven, sei es nun solche mit Accumulatorenbetrieb oder nach dem Heylmann'schen System, nur in ganz besonderen Fällen
brauchbar. Sie bilden wegen ihrer grossen todten Lasten, ihrer sehr geringen
Zugkraft und der grossen Anschaffungs- und Betriebskosten nur eine unvollkommene
Lösung, sobald es sich um Beförderung von Personenzügen mit grosser Geschwindigkeit
handelt. Thuile sucht deshalb der Lösung der gestellten
Aufgabe durch eine in Fig.
1 bis 4
ersichtliche Construction nahe zu kommen.
Der grosse Feuerraum ist durch einen Tenbrink-Quersieder und durch eine
senkrechte Heizfläche, welche dem Durchzug der Heizgase entgegensteht, in drei
Abtheilungen zerlegt.
Die Rostfläche beträgt 5,76 qm und erfordert für die Beschickung zwei Heizer.
Obgleich die senkrechte, von den Heizgasen mehr oder minder rechtwinklig getroffene
Heizfläche jedenfalls eine gute Wirkung verspricht, so ist doch deren Ausführung
eine sehr schwierige und das Schweissen der Wand bei hohem Drucke kaum zu vermeiden.
Auch steht diese Feuerwand wohl der zu einer lebhaften Verbrennung erforderlichen
Zugwirkung hindernd entgegen.
Der Kessel besteht aus vier cylindrischen Körpern, wovon die beiden unter einander
liegenden mit Feuerröhren versehen sind. Der Dampfraum nimmt die Hälfte der beiden
oberen Kessel ein, dürfte jedoch kaum ausreichen, ebenso wenig die
Verdampfungsfläche des Wasserspiegels. Die Feuerrohre sind glatt und haben 55 mm
äusseren Durchmesser bei 5,02 m Länge; bei dieser ungewöhnlichen Länge wären
gerippte oder gewellte Feuerröhren angezeigt. Die Rauchkammer ist in zwei
Abtheilungen getheilt, welche unabhängig von einander sind und je einen Schornstein
besitzen, in welche je ein Abdampfrohr mündet.
Die Treibachsen sind zwischen den beiden unter einander liegenden Kesseln gelagert;
diese Anordnung dürfte beim Abmontiren der Triebräder sich als unbequem erweisen, da
man den unteren Kessel entfernen müsste.
Die beiden Dampfcylinder besitzen feste Expansion bei einem Cylinderdurchmesser von
600 mm und einem Hub von 800 mm. Die unter sich gekuppelten Rahmenhälften befinden
sich ausserhalb der Triebräder. Letztere haben einen Durchmesser von 3 m und
besitzen keine Spurkränze, wodurch das Fahren in Curven erleichtert wird.
Der vordere Theil der Maschine ist als Windschneide ausgebildet; in demselben
befindet sich der Raum für den Führer, sowie sämmtliche Apparate zur Regulirung der
Maschine. Zur Beleuchtung des Zuges ist eine kleine Compounddampfdynamo im
Führerraum aufgestellt. Auf dem Dach der Locomotive befindet sich ein Ventilator,
welcher mit der auf jedem Wagen sich befindenden Leitung in Verbindung gebracht
werden kann. Diese Anordnung dient dazu, in den verschiedenen Jahreszeiten kalte
Luft bezw. durch Kesseldampf erwärmte Luft den Wagen zuzuführen.
Das Gewicht der leeren Locomotive und des Tenders beträgt 119 t, fahrtbereit 159 t,
wovon nur 32 t für Adhäsionsgewicht verwendet werden. Diese Zahlen sind im Vergleich
zu anderen Locomotiven als ziemlich niedrig zu bezeichnen.
Nach neueren Versuchen, welche von den französischen Staatsbahnen gemacht worden
sind, ergab sich zum Bewegen eines Zuges von 200 t Last mit einer Geschwindigkeit
von 120 km bei einer Steigung von 5 pro mille eine Gesammtzugkraft von 4770 k.
Man erhält somit
\frac{4770\,k\,\times\,33,33\mbox{ m}}{75}=2120,
wobei 33,33 m die Geschwindigkeit des Zuges pro Secunde
bedeutet.
Der von Thuile beabsichtigten Ausführung einer
Locomotive nach seinen Plänen dürfte mit Spannung entgegengesehen werden.