Titel: | Altägyptische Weberei. |
Autor: | Aug. Braulik |
Fundstelle: | Band 311, Jahrgang 1899, S. 175 |
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Altägyptische Weberei.
Eine Studie von Ingenieur Aug. Braulik.
(Fortsetzung des Berichtes S. 42 d.
Bd.)
Altägyptische Weberei.
Zweiter Teil.
Altägyptische
Webvorrichtungen.
Bevor ich über die verschiedenen Webvorrichtungen eine Ansicht ausspreche, will
ich ganz kurz einzelne Beitreibungen solcher Vorrichtungen geben, die an alten
Wandgemälden dargestellt sind, welche Beschreibungen aber aus verschiedenen
Quellen entstammen. Bemerken will ich noch, dass die Webstühle nach diesen
Darstellungen nicht nur sehr einfach, oft sogar sehr primitiv genannt werden
müssen.
DeminDie
Wirk- und Webekunst von Aug. Demin.
Wiesbaden, Rud. Bechtold und Comp. beschreibt ein
Gemälde von Beni-Hassan: Aegyptischer wagerechter Flecht-, Wirk- oder Webrahmen, wo der
Arbeiter, auf dem noch nicht durchzogenen Kettenteile sitzend, Fingerweberei
treibt, d.h. mit den Händen flechtartig wirkt (!), wenn nicht einfach flechtet
oder knüpft (!)Um den Leser vor
ähnlichen Unsicherheiten zu schützen, will ich auf Folgendes aufmerksam
machen: Beim Weben erfolgt das
rechtwinklige Verkreuzen zweier Fadensysteme (Kette und Schuss) nach
einer gewissen Ordnung mittels einer Webe- oder Fadenaushebevorrichtung.
Erfolgt das Ausheben der Kettenfäden und das Einführen des Schusses mit
der Hand, so nenne ich dies eine Fingerweberei. Werden biegsame stabartige Körper unter einem
beliebigen Winkel verkreuzt, so ist dies das Flechten. Wird ein Stoff durch Maschenbildung aus einem
Fadensysteme erzeugt, so nennt man diese Arbeit mittels eines Häkchens
entweder Stricken, Wirken oder Netzen. Wenn in die Zwischenräume eines
Gewebes oder Flechtwerkes mittels Nadel Fäden auf die Oberfläche
befestigt werden, so nennt man dies Sticken
oder Ausnähen. Wenn in eine gespannte Kette
nebst Grundschuss (mit Webevorrichtung) nach einer bestimmten Ordnung
die Kettenfäden mit kurzen Faden Stückchen umschlungen werden, so erhält
man ein geknüpftes Gewebe. Werden dagegen
in die gespannte Kette nebst Grundschuss (mit Webevorrichtung) mittels
Nadeln Fäden nach bestimmter Angabe um Kettenfaden geschlungen, also die
Methode nach Fig. 28 und 29, so würde ich für solche Gewebe das
Wort „Nadelmalerei“
vorschlagen..
MasperoG. Maspero, Aegyptische
Kunstgeschichte, deutsch von Steindorff. W. Engelmann 1889. gibt die
Zeichnung höchst wahrscheinlich nach derselben Abbildung wie Demin etwas anders wieder: Rechts und links sind je
zwei Pflöcke in die Erde geschlagen und an diese Stöcke angebunden, zwischen
denen die Kettenfäden etwas über der Erde ausgespannt sind. Der Arbeiter hockt
auf der linken Hälfte, die ein Damenbrettmuster zeigt, und zwar mit seinen
Füssen beim rechten Gewebebaum, und macht, zur Mitte gelangend, den letzten
Querstreifen des Gewebes, das die rechte Hälfte der Kettenlänge beanspruchte,
fertig. Hier sind zwei Gewebe fertig, die je die Hälfte der Kettenlänge
ausmachen. Zuerst erzeugte der Arbeiter (Fingerweberei?) von links nach rechts
bis zur Mitte das eine Gewebe, dann von rechts zur Mitte nach links gehend, das
andere Muster. Die Stellung des Arbeiters ist hier viel wahrscheinlicher als bei
Demin, indem man doch unmöglich ein halbwegs
brauchbares Gewebe erzeugen kann, wenn man auf der Kette sitzen würde.
Aus der hockenden Stellung ist ersichtlich, dass
diese Vorrichtung horizontal ist, wenn auch die
Schussfäden vertikal gezeichnet erscheinen.
Ein anderes und wahrscheinlich ein und dasselbe Gemälde von Beni-Hassan wird verschiedenartig beschrieben, so
von:
DeminSiehe dortselbst.: Aegyptischer senkrechter Webstuhl, wo zwei Arbeiterinnen statt
des Schiffchens noch vermittelst einer an beiden Enden mit Metallhaken
versehenen Leiste (dem römischen Radius!) weben oder wirken.
MasperoSiehe dortselbst. Daher die ausgespannte Kettenlänge 1,5 m, die
Gewebebreite höchstens 0,8 m.: Der Webstuhl erinnert
trotz seiner Einfachheit an den noch jetzt bei den Webern von Achmim
gebräuchlichen. Er ist wagerecht! und besteht aus
zwei Cylindern oder vielmehr Stöcken, die 1,5 m auseinander stehen und von denen
jeder in zwei Zapfen steckt, die in einem Zwischenraume von ungefähr 80 cm im
Boden befestigt sind. Die Fäden der Kette wurden fest angeheftet und dann um den
oberen (?) Cylinder gewickelt, bis sie die
gewünschte Spannung hatten. Man fing die Arbeit unten (?) an, wie noch heutzutage bei den Gobelins. Mit einem groben
Kamm wurde das Gewebe ausgeglichen und auf den unteren (?) Cylinder aufgerolltEinmal ist der Stuhl als wagerecht
besprochen, und dann gibt es wieder „obere“ und „untere“ Bäume. Die (?) rühren vom Verfasser
her..
ErmanSiehe Adolf Erman, Aegypten und
ägyptisches Leben im Altertum. Tübingen, H. Laupp.: Das
Verfahren des Webens ist im mittleren Reiche noch ein sehr einfaches. Die Kette
des Gewebes wird zwischen den beiden Webebäumen, die an Pflöcken auf dem Boden
befestigt sind, horizontal aufgespannt, so dass der
Webende auf der Erde hocken muss. Zwei zwischen die Fäden der Kette geschobene
Stäbe dienten dazu, sie auseinander zu halten, der Einschlagfaden wird
mittels eines gekrümmten Holzes durchgeführt und festgedrückt.
G. BirdivoodMonographie in „Teppicherzeugung im Orient.“ k. k.
österr. Handelsmuseum in Wien 1895.: In Beni-Hassan,
den prächtigen grottenartigen Gräbern mit den protodorischen Säulen aus der Zeit
der Pharaonen des mittleren oder ersten thebanischen Reiches (3100 bis 1700 v.
Chr.), zeigt eines der Wandgemälde eine Gruppe von ägyptischen Weibern, die
augenscheinlich von einem Manne beaufsichtigt sind; sie versehen den Rocken mit
Baumwolle (?) oder Flachs, drehen diesen mit
der Spindel zu Garn, färben das GarnDortselbst. Eher ist in dem Topfe heisses Wasser, eine Art Nass-Spinnen wie dargestellt, und nicht
Färberei. und weben es auf einem einfachen aufrechten Stuhle (tela jugalis) ohne Webbaum. Man
sieht hier, wie sie die Fäden der Kette mittels einer Scheideschnur (arundo)
trennen, uni so das Fach zu erhalten, durch welches die Fäden des Einschlages
passieren und angeschlagen werden, und zwar dies nicht etwa mit Hilfe des
eigentlichen Webeschiffchens und des Schlägers oder Kammes, sondern mittels des
sogen. Radius.
Im Werke Perrot'sGeorges Perrot und Charles Chipiez, Aegypten, deutsch von
Rich. Pietschmann. Leipzig
1884. ist die Tafel 381 aus Champollion wiedergegeben, ein sehr deutliches Bild der Frauen am
Webstuhl aus einem Grabesgemälde in Beni-Hassan. Dieses Bild ist auffallend ähnlich mit denjenigen Abbildungen, auf
die sich die oben angeführten Beschreibungen beziehen und höchst wahrscheinlich
dasselbe. Nach allen den früheren Beschreibungen kann man immer noch kein Gewebe erzeugen, denn wozu würde man mit den
Fingern eine Scheideschnur nehmen, die nur das eine Leinwandfach bilden könnte,
oder Stäbe zur Trennung benutzen, durch die keine Bindung erzeugt werden
kann?
Textabbildung Bd. 311, S. 176
Fig. 40. Abbildung aus Champollion.
Untersucht man das Bild in Champollion ganz genau, so wird man finden, dass die
Kettenfäden zwischen Kett- und Brustbaum eingespannt sind, das fertige Gewebe
links Fransen hat und in der Nähe des Kettenbaumes die Gangschnur deutlich
gezeichnet ist. Fig. 40 zeigt die vereinfachte Darstellung dieser Abbildung aus
Champollion.
Die rechts hockende Frau drückt mittels einer Leiste, die links griffartig
abgebogen ist, den eingetragenen Schuss mit der rechten Hand an den Warenrand,
während sie mit der linken Hand die Leiste am rechten hakenförmig abgebogenen
Ende festhält.
Die links hockende Arbeiterin hält mit der einen Hand eines der beiden
Querstäbchen a, während die andere Hand die
Holzleiste andrückt oder am Fransenrand etwas zu ordnen scheint.
Die zwei durch die Kettenfäden gesteckten Stäbchen a
und b sind aber verschiedenartig dargestellt.
Das dem Geweberande näher liegende b scheint glatt
durch den Faden zu gehen, das andere a wird von der
Arbeiterin gehalten und besitzt über die Gewebebreite unter 45 ° geneigte
Striche, genau wie in Fig. 40. Dieser Stab wurde für den eben
eingetragenen Schuss benutzt oder gelangt soeben zur Benutzung beim nächsten
Fach, das andere Stäbchen b diente zur Bildung des
anderen Caches. Doch mit den zwei Stäbchen allein
ist die Bildung der zwei Leinwandfächer nicht
möglich. Es deuten die geneigten Striche am Stabe a
einen Faden oder eine Schnur an, welche ganz
bestimmte Kettenfäden mit diesem Stabe verbindet. Diese Verbindung konnte aber
nur so oder höchst ähnlich durchgeführt werden,
wie in Fig. 41 dargestellt ist.
Textabbildung Bd. 311, S. 177
Fig. 41.
Mit jedem Querstäbchen, die auf der Kette im Ruhestände liegen, ist eine Schnur
oder ein Faden (je nach Feinheit der Kette und Dichte) verbunden. Dieser Faden
umschlingt (wie eine halbe Litze) bestimmte Kettenfäden, und zwar z.B. der Stab
a die ungeraden und der Stab b die geraden Kettenfäden. Zieht man den einen Stab
in die Höhe (oder zu sich bei vertikaler Anordnung), so erhält man das eine
Leinwandfach, zieht man das andere Stäbchen an, so erhält man das zweite
Leinwandfach.
Durch diese VorrichtungIn einem
Berichte vom Jahre 1888 an das k. k. österr. Unterrichtsministerium
konnte ich das Kopieren der Textilfunde aus den Pfahlbauten der
Schweizer Seen mit einer sehr ähnlichen Vorrichtung erklären und
desgleichen in meinem Berichte über die Pariser Ausstellung 1889 in der
Abteilung „Geschichte der Arbeit“ nach einem unvollständigen
Modelle die Erzeugung der nahtlosen Kleider bei den Hebräern
beschreiben. Im vorigen Jahre habe ich mit Befriedigung in einem Werke
von Dr. Paul Rieger, Versuch einer
Technologie und Terminologie der Handwerke in der Mišnâh, Berlin
1894, meine früher gehabte Ansicht bestätigt gefunden. kann
ein Prinzip aufgestellt werden, welches für die Erzeugung der Gewebe in der
Sammlung Anwendung findet: „Diejenigen Kettenfäden, die bei einem Schusse
über dem Schussfaden liegen sollen, werden auf einen Stab gereiht.“
Allgemein braucht man daher für jeden Schuss des Schussrapportes einen Stab
oder SchaftIn der
modernen Weberei kommen dagegen diejenigen Kettenfäden auf einen
Schaft, die im Bindungsrapporte gleich ausheben. Ihre Anzahl ist
daher von der Anzahl der verschieden aushebenden Fäden im
Bindungsrapport abhängig..
Indem die Leinwandbindung zwei Schuss im Rapporte hat, die sich immer
wiederholen, sind auch hierfür zwei Stäbe oder Schäfte nötig. Gewebe daher, die
mehrere Schuss im Schussrapporte erhalten, bekommen auch mehrere Schäfte, auf
die die Kettenfäden nach einer ganz bestimmten Ordnung gereiht werden. Wenn
daher ein und derselbe Kettenfaden im Schussrapport mehrmal über dem
Schussfaden liegen soll, so muss dieser Kettenfaden in mehrere Schäfte oder
Stäbe gereiht werden.
Die eben beschriebene Fachvorrichtung gestattet dieselbe Verwendung, ob nun der
Webstuhl horizontal (im alten und mittleren Reiche)
oder aufrecht stehend, wie auf den Darstellungen
des neuen Reiches, gefunden werden kann. Ein Bild des neuen Reiches, in Fig. 42 vereinfacht gegeben, zeigt einen aufrecht stehenden Webstuhl mit einem Rahmen. Er
stammt aus jener Zeit, wo die Juden in Aegypten noch Frondienste leisten
mussten. Auch dieses Originalgemälde ist nicht klar genug, teilweise beschädigt,
daher diese Beschreibungen in verschiedenen Quellen divergierend.
Herodotus berichtet mit Verwunderung, dass die
Aegypter von „unten nach oben“ weben, dagegen die anderen ihm bekannten
Völker von „oben nach unten“ arbeiten. Unser Bild würde diese Behauptung
nur bestätigen.
„Nach Erman scheint der untere Webebaum des
Stuhles befestigt zu sein, der obere hängt nur in Oesen, was das Aufspannen
der Kette erleichtern soll. Auch sieht man Stäbchen, die die Fäden der Kette
auseinander halten, und als Schiff dient ebenfalls ein solches. Ein
grösserer Stab, der in Oesen auf den Seitenbalken des Rahmens läuft,
scheint, wie das Richtblatt unserer Webstühle, zum Anschlagen des
Einschlagfadens zu dienen.“ Ich erkläre mir dieses Bild nach Fig. 42 in folgender Art:
Der Webrahmen ist in einem Sockel aus Nilschlammziegeln eingesteckt und ist auf
diese Weise übertragbar gemacht. Der obere Baum K
(der Kettenbaum) hängt in Oesen, die jedoch eine Art elastische Bremsung
andeuten sollen. Der untere Baum W (der Warenbaum)
dürfte jedoch nicht fest sein, sondern eine Art Anstreckzeug besitzen, denn
sonst müsste der Weber mit dem wachsenden Gewebestreifen aus der sitzenden in
eine knieende, dann eine gebeugte und schliesslich in aufrechtstehende Stellung
kommen.
Textabbildung Bd. 311, S. 177
Fig. 42. Bild des neuen Reiches.
Der oberste Querstab x dient einfach als eine
Kreuzschiene, a und a'
sind die ägyptischen „Schäfte“, mit denen der Weber die Fächer aushebt.
Alle drei Stäbe x, a und a' hängen an Schnüren, die über den Kettenbaum gelegt sind. Am Gemälde
von WilkinsonThe Manners and Customs of the Ancient Egyptians. London
1878. sind ausser diesen drei Quer Stäben zu beiden
Seiten die drei Aufhängeschnüre dick gezeichnet, werden daher am Originale
zweifellos auch sein. Auf der rechten Seite gehen jedoch zwei Schnüre S bis zum Sockel. Man kann annehmen, dass dieselben
mit den beiden Schäften a und a' so verbunden waren, dass ein Ziehen an der einen
oder anderen Schnur S die Schäfte in die
Fachstellung brachte. Sonst hätte der Weber beim Arbeiten sich beständig bewegen
müssen und zwar beim Fachöffnen etwas aufstehen und beim Eintragen des Schusses
eine sehr unangenehme und mit dem praktischen Geiste der alten Aegypter nicht in
Einklang zu bringende Stellung, doch keine sitzende, annehmen. Es ist auch nicht
ausgeschlossen, dass er mit dem linken Fusse, der im Innern des Sockels steckt,
Tritte, die durch Schnüre S mit den Schäften a und a' in Verbindung
stehen, bearbeitet und auf diese Art beide Hände frei bekommt.
Zu dieser Annahme wurde ich durch die Thatsache geführt, dass nach
alten Ueberlieferungen bei den alten Juden eine Trittvorrichtung in Verwendung
stand und dieses wandernde Volk eine solche Vorrichtung eher von den Aegyptern
als diese von den Juden angenommen hat.
In Fig. 42 kann R
leicht ein Bietblatt enthalten, indem eine solche Vorrichtung neben dem Kamme
(pecten) in Aegypten in Verwendung sein musste.
Textabbildung Bd. 311, S. 178
Fig. 43. Schützen bei horizontalen Stühlen des mittleren Reiches.
Bereits Gewebe aus der Zeit der 6. Dynastie (Nr. 2 und Nr. 11 der Sammlung) haben
eine derartig gleichmässige Dichte, dass die Benutzung eines noch so feinen
„Pecten“ und besonders eines solchen, der in Theben gefunden, nun im
Brittish Museum aufbewahrt sind, nahezu ausgeschlossen erscheint. So ein Kamm
musste in der Ware Streifen zurücklassen, die auch durch ein nachfolgendes
Waschen und Bleichen des Zeuges nicht verschwinden. Eine Mumienhülle von König
Mer-en-Rà, also mehr als 4650 Jahre alt, hat
eine so gleichmässige Kettendichte von 60 Faden bei einem Garnmaterial Nr. 80, wie sie mit einem modernen Riete und 2
Fäden per Zahn nicht besser ausfallen kann.
Textabbildung Bd. 311, S. 178
Fig. 44.
Doch findet man auch noch aus der Zeit der 18. Dynastie Gewebe (z.B. Nr. 39), die
infolge der Verwendung eines „Pecten“ zum Zuschlagen des Einschusses ganz
merkliche Kammstreifen zeigen. So besonders eine Leinwand von der Mumie des Thutmes II., und bei gröberen Geweben können wir
diese Kammstreifen bis in die griechische Periode verfolgen. Merkwürdigerweise
haben sich die feinsten Gewebe bis auf unsere Zeiten erhalten, doch ein feines
Biet wurde noch nicht gefunden. Auch die alten Juden benutzten Riete für feinere
Gewebe (aus Glas?) und für gröbere einen Kamm, der mit der linken Hand gehalten
wurde und vor der Arbeit durch einen Glashobel Glätte bekam. Der Schützen in
Fig. 42 scheint ein Stockschützen zu sein,
ähnlich wie derselbe bei den Römern noch in Verwendung gewesen.
Textabbildung Bd. 311, S. 178
Fig. 45. Patrone.
Ein anderer Schützen, wie er bei horizontalen Stühlen des mittleren Reiches
benutzt wurde, hatte eine Gestalt nach Fig.
43In der Pariser
Ausstellung 1889 war eine plastische Gruppe, webende Frauen im alten
Aegypten am horizontalen Stuhle darstellend, in natürlicher Grösse
vorgeführt, und fanden hierbei derartige (Original-)Schützen
Verwendung.. Er war aus Syenitstein gemacht, fein
poliert, die Kanten waren schön abgerundet. Der Schussfaden wurde darauf
mit der Hand aufgewickelt, der volle Schützen durch das Fach geworfen.
Nach diesen bisherigen Betrachtungen will ich die Erzeugungsart der wichtigsten
Gewebe der Graf'schen Sammlung besprechen, will
jedoch gleich bemerken, dass ich nur einige Beispiele anführen werde, indem ich
den beabsichtigten Umfang der vorliegenden Studie nicht vergrössern will.
Textabbildung Bd. 311, S. 178
Fig. 46. Ganze Webvorrichtung.
Von den Fransengeweben nehmen wir z.B. Nr. 36, das
in Fig. 1 schematisch gezeichnet ist. Der
Grundschuss aa bindet durchweg in Leinwand und
erhält hierfür die Kette nach dem früher aufgestellten Prinzipe zwei Schäfte.
Für den Fransenschuss kommt noch ein dritter Schaft hinzu. Die Fig. 44 erklärt das Gesagte. Indem der
Fransenschuss zwischen Fäden 17 bis 18 dann zurück unter allen Kettenfäden bis
Fangfaden geht, ist für diesen Schuss keine weitere Vorrichtung nötig. Wollte
man dieses Fransengewebe mit einer modernen
Webvorrichtung erzeugen, so würde man hierzu die Patrone Fig. 45 benutzen.
Es bedeutet da a den Einzug in die Schäfte (6
Stück), b ist das Gewebebild (schwarz, Kette oben),
d sind die nötigen vier Tritte und c die Schnürung der Schäfte mit den Tritten, f ist der Fangfaden für den Fransenschuss.
In ganz analoger Weise kann man die Patronen von den anderen Fransengeweben für
moderne Stühle anfertigen. Als zweites und letztes Beispiel wäre z.B. das Gewebe
Nr. 67 in Fig. 6
dargestellt.
Textabbildung Bd. 311, S. 178
Fig. 47. Erzeugungsdaten für moderne Stühle.
Es ist in Fig. 46 die ganze Webvorrichtung
gezeichnet. a1 und
a2 bedeuten die
Schäfte für den Grundschuss (gleichnamig), c ist
die Aushebevorrichtung für den Fransenschuss b1
, da b2 unter Faden 1 bis 20 geht, ist für diesen
keine eigene Fachvorrichtung nötig. Die Leiste ist eine zweifädige und
zweischüssige Leinwand, Grund ein einfaches Leinwandgewebe.
In Fig. 47 sind die Erzeugungsdaten für moderne
Stühle angegeben (die Bezeichnungen analog wie in Fig.
45). Um die Gewebe, wie in Fig. 27,
28, 29, 32, 35 und
teilweise 37, zu erzeugen, braucht man für den dicken Schlingfaden keine eigentliche
Vorrichtung. Nehmen wir z.B. Fig. 32, so brauchen
wir für den Grundschuss 2 Schäfte, Nehmen aber einen Kamm (der zugleich als
Rietblatt dienen kann) und zwar für Gewebe Nr. 185
mit 5 Zähnen à 1 cm und geben in jeden Zahn 4 Fäden, wie in Fig. 48 gezeichnet erscheint.
Textabbildung Bd. 311, S. 179
Fig. 48.
Dadurch teilen sich schon die Kettenfäden so, dass man mit der Nadel n den Schlingfaden b
über 8 und unter 4 Fäden zurück u.s.w. leicht führen kann. a1 und a2 sind die Schäfte
für den Grundschuss.
Textabbildung Bd. 311, S. 179
Fig. 49.
Textabbildung Bd. 311, S. 179
Fig. 50.
Der Kamm k kann auch zum Andrücken der Schüsse an
den Warenrand benutzt werden. Eine gleiche Erleichterung kann auch mit Hilfe
einer Schnur erzielt werden, die über 4 und unter
4, dann wieder über 4 Kettenfäden u.s.w. in die Kette gebracht wird. Wenn diese
Schnur gegen die Brust gezogen wird, so teilen sich die Kettenfäden in zwei
Partien à 4 Fäden.
Eines der interessantesten Gewebe ist Nr. 178 der Sammlung, ein nahtlos gewebter Schlauch. Indem ich bereits früher gesagt
habe, dass dieses Gewebe als eine Spezies der nahtlosen Kleiderstoffe angesehen
werden muss, ist es gewiss von hohem Interesse, die Webvorrichtung für dieses
Gewebe festzustellen.
Betrachten wir in Fig. 49 und 50 im Querschnitt den Schlauch gezeichnet, so wie
er sich im Webstuhl befindet. Die Fäden der Oberware sind durch weisse
Doppellinien angedeutet, damit sie sich von der Unterware, die schraffiert
gezeichnet ist, besser abheben. Man kann aus der Daraufsicht in Fig. 50 die beiden Leinwandgewebe untereinander
liegend, gut betrachten. Man sieht, wie ein und derselbe Schussfaden beide
Kettenfädensysteme abbindet, und findet ferner, dass der Schuss V wieder genau
so abbindet wie Schuss I, daher der Schussrapport nach 4 Schuss beendet ist.
Halten wir an dem früher angegebenen Prinzipe fest, dass diejenigen Kettenfäden
an einem Querstabe gereiht werden, die über den Schuss zu liegen kommen, so
erhalten wir eine Webvorrichtung mit 4 Stäben.
In Fig. 51 und 52
sind zwei Arten dieser Web Vorrichtung gezeichnet. In der ersteren Figur ist die Anordnung für den Fall
gezeichnet, wo der Weber sitzend arbeitet, und in der nächsten Figur ist
derjenige Fall vorgesehen, wo der Weber bei der Arbeit um den Stuhl herumgehen
muss.
Textabbildung Bd. 311, S. 179
Fig. 51.
Textabbildung Bd. 311, S. 179
Fig. 52.
Für schmale Hohlgewebe ist der erste Fall passend, für breite Hohlgewebe
(nahtlose Kleider) der zweite Fall, auch bei Juden und Griechen in Benutzung
gewesen. Aus Fig. 51 ist leicht zu finden, dass
die Kettenfäden in folgender Ordnung zu reihen sind.
1. Für den Fall in Fig. 52
gezeichnet:
Stab I: Fäden 1, 5, 9, 13, 17 u.s.w.
Stab II: Fäden 1, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15, 16,
17, 19.
Stab III: Fäden 3, 7, 11, 15, 19 u.s.w.
Stab IV: Fäden 1, 2, 3, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 13, 14, 15,
17, 18 u. 19.
Der Weber zieht für jeden Schuss einen der vier Stäbe nach der Ordnung I bis IV
an sich.
2. Für den Fall in Fig. 53
gezeichnet:
Stab I: die Fäden 1, 5, 9, 13, 17.
Stab II: die Fäden 2, 6, 10, 14, 18.
Stab III: die Fäden 3, 7, 11, 15, 19.
Stab IV: die Fäden 4, 8, 12, 16, 20.
Der Weber zieht für jeden Schuss die Stäbe in der früheren Ordnung I bis IV
nacheinander, muss daher um den Stuhl herumgehen. Für die Erzeugung an modernen
Schaftstühlen gelten die Herstellungsdaten in Fig.
53.
Man sieht aus den vorhergehenden Bildern, dass der ägyptische Webstuhl anders beschaffen war als der antike griechische Stuhl mit sogen. „haute
lisse“-Vorrichtung oder Zugvorrichtung. Bei horizontaler Anordnung und dort, wo ein
Warenbaum vorhanden ist, ist diese Vorrichtung nicht gut anwendbar. Mir
ist auch keine Darstellung in ägyptischen Gräberhallen bekannt, wo beim
aufrechtstehenden Stuhle eine Zug Vorrichtung zu vermuten wäre. Das
charakteristische Spannen der Kettenfäden durch Steine
(ponderes) oder Prismen, auch Kegel aus gebranntem Thone findet man bei altägyptischen Stühlen nicht. Ferner lassen sich
die sehr dichten Gewebe bei sehr feinen Kettenfäden mit dem antiken griechischen
Stuhle überhaupt nicht herstellen, indem ja die gehobenen Fäden auch die
Gewichte unten heben müssen und dadurch eine höhere Beanspruchung der Fäden
besonders nach dem gemachten Schuss und Loslassen der Zugvorrichtung
hervorgebracht wird. Nebenbei will ich noch bemerken, dass alle bildlichen
Darstellungen der altgriechischen Stühle nur auf Erzeugung der Leinwandbindung
schliessen lassen, in Aegypten aber mit der Webevorrichtung wirklich
mehrschäftige Bindungen erzeugt wurden. Hierbei ist jedoch die Beschwerung der
Kettenfäden beim Zugstuhl, falls nicht ein jeder Faden sein eigenes Gewichtchen
hat, nach der Bindung in der Art zu wählen, dass gleich bindende Fäden eine
gemeinschaftliche Belastung erhalten könnenWie dies der Fall bei den Webstühlen der Pfahlbauten in den
Schweizer Seen gewesen sein mag, so auch nach den gefundenen Pyramiden
aus gebranntem Thon in Kertsch..
Textabbildung Bd. 311, S. 180
Fig. 53.
Aus den wenigen Gründen kann doch schon ein jeder Fachmann die Ueberzeugung
gewinnen, dass die ziemlich verbreitete Ansicht, die ganze antike Welt, also
auch Aegypten, hätte dieselben Webstühle wie die alten Griechen (Homeriden)
benutzt, eine ganz falsche ist.
Es sagt Sir George Birdwood in seiner
MonographieIn
„Teppicherzeugung im Orient“, herausgegeben vom österr.
Handelsmuseum.: Wenn wir uns in Europa nur schwer dazu
verstehen, die Geschichte der zivilisierten Welt einzig als eine Folge jener von
Aegypten und im Vergleich mit dieser zu betrachten, so liegt das in der
Hartnäckigkeit, mit der wir an dem ererbten Vorurteile festhalten, die
Zivilisation von dem ersten Aufblühen der Kunst in Griechenland an zu datieren.
Die erste Periode der Grösse Aegyptens unter den Pharaonen, die in Memphis
regierten und die Pyramiden errichteten, war längst verstrichen, so auch die
zweite unter den Herrschern von Theben, welche die Tempel von Luqsor und
Karnak erbauten, lange, ehe Cecrops von Sais gegen
Athen aufbrach, oder Danaus aus Chemmis (Achmim)
sich gegen Argos wandte, oder Cadmus aus Phönizien
nach Theben (Boötien), oder Pelops von Phrygien
nach Elis auswanderte; und lange vor dem sagenhaften Argonautenzuge und dem Zuge
der „Sieben gegen Theben“, vor der Flut des Deukalions, des Sohnes des
Prometheus, des mystischen Schöpfers der
Zivilisation des Westens. Und die dritte Glanzperiode unter den Dynastien des
neuen thebäischen Reiches, auch sie hatte ihren Kulminationspunkt überschritten
und eilte bereits dem Verfalle zu, als sich die Nebelgebilde hoben und in der
Geschichte der Mittelmeerländer zu tagen begann; im homerischen Sonnenglanze
sehen wir die frühesten Anzeichen beginnenden internationalen Lebens vom
geschichtlichen Werte in Südosteuropa....
Den mächtigen Einfluss, den Aegypten durch eine so lange Zeit ausübte, können wir
auch in den textilen Erzeugnissen kennen lernen. So finden wir z.B. auf einer
attischen Vase aus Chiusi im Berliner Antiquarium
die Darstellung eines altgriechischen WirkstuhlesRichtiger ein
Webstuhl, wo ähnlich wie beim Knüpfen gearbeitet wird, indem ja die
Kette deutlich gezeichnet erscheint. Also entweder Knüpfen oder
Nadelmalerei. der Penelope, und
das fertige Stoffstück zeigt ein reiches Muster mit geflügelten Tieren und
Männern, mit Sternen oder Swastika dazwischen und mit einer Bordüre von ägyptischen Ornamenten und Streifen, wie wir sie
auch an alten ägyptischen Wandmalereien finden.
Eine andere Vase aus Cervetri, jetzt im Wiener
Museum, stellt den Besuch des Priamus im Zelte des
Achilles dar, und die Prachtdecken des
Achilleslagers, sowie die Teppichballen, welche vom Priamus angeboten werden, zeigen die ägyptischen Ornamente der Denkmäler von Medinet-abu, Luqsor und
Karnak.
Eine ganze Serie keramischer Malereien zeigt uns, dass die Gewänder, welche die
Griechen und Italioten, Thracier und Lydier vom 6. bis 3. Jahrhundert v. Chr.
trugen, geradezu identisch mit jenen heiteren Gewändern sind, die wir an ägyptischen Monumenten abgebildet finden. Es
entspricht die griechische Tunika der Basoni- und
Schenti-Tracht der ägyptischen Krieger und das
Himation der Calasiris.
(Schluss folgt.)