Titel: | Allgemeine Fragen der Technik. |
Autor: | P. K. von Engelmeyer |
Fundstelle: | Band 313, Jahrgang 1899, S. 18 |
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Allgemeine Fragen der Technik.
Von Ingenieur P. K. von
Engelmeyer, Moskau.
(Fortsetzung von Bd. 312 S. 145.)
Allgemeine Fragen der Technik.
Dreiakt als Grundlage des Unterrichts.
Um mit Erfolg eine Thätigkeit zu lehren, verfährt man folgendermassen: man zerlegt
diese Thätigkeit in ihre Bestandteile und lehrt jedes Element einzeln. Will man z.B.
schwimmen lehren, so fängt man mit den koordinierten Bewegungen der Arme und Beine
an. Lehrt man fechten, so fängt man an mit der Position, der Auslage und den
elementaren Bewegungen der Waffe.
Was das Maschinenentwerfen anbetrifft, so fängt der Unterricht auch hier mit den
Elementen an: erst lehrt man Linearzeichnen, Mathematik, Physik, Chemie, Mechanik
u.s.w., dann die Konstruktion der allgemein angenommenen Details und endlich die
ganze Maschine; die Schule kann sich mit Recht rühmen, durch den Unterricht grosse
Resultate erzielt zu haben – weitklingende Namen von Ingenieuren und Konstrukteuren
bestätigen dies. Die Schule kann sich jedoch nicht rühmen, das Höchste erreicht zu
haben; sie kann nicht behaupten, dass der Unterricht des Maschinenentwerfens nicht
vervollkommnungsfähig wäre, dass sie aus der Menge der Schüler nicht noch eine
grössere Zahl guter Konstrukteure heranbilden könne, dass sie mit gewissen Fächern
nicht zu viel Zeit verliere, dass sie nichts Notwendiges unterlasse, dass die
Unterrichtsmethoden schon die allerzweckmässigsten seien, dass sie gerade die
richtigen Fähigkeiten ausbilde und auf die beste Weise übe, dass die entlassenen
Schüler gerade das richtige Wissen und Können und im erforderlichen Masse
besitzen.
Um wenigstens eine Gewissheit zu haben, dass nichts Wesentliches unterlassen worden,
um mit Sicherheit den Unterricht in den verschiedenen erforderlichen Zweigen
festzustellen, ist die psychologische Analyse des Prozesses, den wir
„Maschinenentwerfen“ nennen, unbedingt notwendig. Wenn diese Analyse
gemacht ist und wenn sie Resultate liefert, die für alle überzeugend, zweifellos und
deshalb notwendig sind, erst dann verhält sich der Unterricht zu der Aufgabe nicht
mehr tastend, sondern bewusst; erst dann lässt sich beim Unterricht mit Recht sagen:
diese Fächer sind nötig und jene sind unnötig.
Ich habe den Versuch einer solchen Analyse gemacht (D. p.
J. 1899 312 146). Es erweist sich, dass der
ganze Prozess des Maschinenentwerfens in drei einzelne Akte zerfällt. Diese
Einteilung erleichtert beträchtlich die weitere Analyse der einfachsten
psychologischen Elemente. Jetzt will ich noch kurz angeben, wie man den Dreiakt zu
einer eingehenden Analyse und zur Lösung einzelner Fragen benutzen kann. Hierzu
halte ich es für nötig, das schon früher Gesagte zu rekapitulieren.
Jedes Entwerfen muss immer mit dem Erfinden anfangen und fängt auch wirklich damit
an. Der schöpferische Akt eröffnet den Zug.
Der erste Akt, der Akt des Erfindens, fängt an, sobald sich das reine Schaffen
einstellt, und verläuft ausschliesslich im Kopfe des Erfinders.
Das Gedächtnis und die konstruierende Einbildungskraft sind die Faktoren des ersten
Aktes. Fachkenntnisse, technologisches Wissen sind hier nur im Allgemeinen nötig: im
Sinne des wahren Verständnisses der Natur, der möglichen Arbeitsprozesse, nur als
Schutzmittel, um nicht in mechanische Irrtümer zu verfallen. Zeichnen können
leistet aber schon im ersten Akte wichtige Dienste. Obgleich der ganze Akt in der
Einbildungskraft vor sich geht, obgleich Papier und Bleistift eher hindern als
helfen, so muss und soll der Erfinder seine Maschine doch zeichnen, sobald er nur
ihre Hauptteile klar unterscheidet. Dies ist noch kein Risszeichnen, sondern nur
einfaches Skizzieren. Sind erst die zeitlichen Vorgänge der Maschine und einige
körperliche Teile derselben so weit klar geworden, dass sie auf dem Papier
dargestellt werden können, so beginnt der zweite Akt.
Der zweite Akt, der wissenschaftliche Akt, hat die Aufgabe, das ganze Schema der
Maschine auszuarbeiten. Dies geschieht dadurch, dass die Aufgabe der Bewegungen
gelöst wird. Die Aufmerksamkeit des Konstrukteurs richtet sich hier nicht so sehr
auf die Form der künftigen Maschine als auf ihre Bewegungen. Das Gelingen des
zweiten Aktes hängt davon ab, inwieweit die Einbildungskraft des Konstrukteurs die
Bewegungen im allgemeinen reproduziert und über welchen Vorrat von verschiedenen
Bewegungsformen er verfügt. Das Gelingen hängt also von der Stärke der
Einbildungskraft, vom Gedächtnis, von der kinematischen Schulung und dem Vorrat an
faktischen Kenntnissen ab. Wenn wir eine Maschine im Auge behalten, so sehen wir,
dass hier vorzugsweise „kinematische“ Kenntnisse erforderlich sind. Dehnen
wir jedoch den Fall des Entwerfens weiter aus, so sehen wir, dass im zweiten Akt
möglicherweise die Technologie und Naturkunde in ihrem ganzen Umfange nötig sind,
ebenso wie die mathematischen Wissenschaften. Wo lässt sich hier die Grenze des
Unterrichts ziehen? Die Lösung dieser Frage hängt in jedem einzelnen Falle davon ab,
welche Arten Entwerfen wir lehren wollen: das Entwerfen von Maschinen, chemischen
Apparaten, Brücken, Gebäuden oder Schiffen u.s.w., sowie auch davon, ob wir die
Möglichkeit bieten wollen, irgend etwas Originelles hervorzubringen, neue Typen
hervorzurufen, oder im Gegenteil bei dem schon Bestehenden zu beharren. Diese
Forderungen bestimmen die Einteilung der Schulen in höhere, mittlere oder niedere,
ebenso wie auch den Umfang der Lehrfächer.
Nur eine Wissenschaft, und zwar die Theorie der
Mechanismen oder die „Kinematik“, wie Reuleaux
sie nennt, ist für den zweiten Akt gerade wie geschaffen. Die Aufgabe dieser
Wissenschaft besteht nach der Definition von Reuleaux
darin, die Möglichkeit zu bieten, von den gegebenen Bewegungen zu den Mechanismen
überzugehen. Man kann leider nicht behaupten, dass diese Wissenschaft im
zeitgenössischen Unterrichte schon ausreichend berücksichtigt werde.
Und wenn wir zur Rechtfertigung hierfür auf ihren noch unfertigen Zustand verweisen,
so liegt das Unrecht doch nur darin, dass man ihr nicht die Bedeutung beilegt, die
sie für das Entwerfen hat, und man sich deshalb noch zu wenig mit ihr befasst. Das
ist sehr zu bedauern, denn je mehr sie ausgearbeitet wird, desto weniger Mathematik
wird in den Schulen verlangt werden. Selbstverständlich habe ich das Entwerfen von
Maschinen im Auge. In der That wird die Kinematik, je mehr sie vom induktiven (beschreibenden oder
klassifizierenden) Stadium zum deduktiven übergeht, das Auffinden der Mechanismen
nach gegebenen Bewegungen erleichtern. Dieses Auffinden wird viel leichter und
einfacher sein als mit Hilfe der Mathematik (denn wozu diente denn sonst die ganze
Kinematik?).
Von anderen Fächern, welche den zweiten Akt erleichtern, ist einfaches Zeichnen und
Risszeichnen zu erwähnen. Ihre Bedeutung ist dieselbe wie für den ersten Akt, mit
dem Unterschiede, dass ihre Rolle hier viel bedeutender ist, weil der zweite Akt auf
dem Papiere ausgeführt wird, obgleich dies auch viel mehr einfaches Zeichnen als
Risszeichnen ist.
Was die Hilfsbücher für den zweiten Akt betrifft, so müssen sie wie das bekannte Buch
von Brown
„507 Bewegungsmechanismen“ beschaffen sein, d. i. die einzelnen Mechanismen
nicht konstruktiv, sondern schematisch darstellen und beschreiben.
Gehen wir zum dritten Akte über! Gegeben sind die Achsen, die Längen und die Kräfte.
Es bleibt also nichts mehr übrig, als danach die Details zu gestalten. Fertige
Modelle der erforderlichen Details in endloser Verschiedenheit findet man in den
zahlreichen Handbüchern der Konstruktionslehre. Genügt uns dies nicht, so geben uns
einfache Berechnungen, worin fast nur Elementarmathematik vorkommt, die Lösung der
Aufgabe. Das Material zur Auswahl ist umfänglich, viel grösser als in den anderen
Akten. Dafür sind aber auch die Bedingungen, welche die Auswahl begrenzen, viel
zahlreicher; denn jetzt treten, wie wir wissen, alle Bedingungen der Praxis in
Kraft. Auch hier kommt die Selbsttätigkeit des Konstrukteurs, d.h. das schaffende Element, ins Spiel, obgleich es sich hier,
gerade beim Entwerfen der Einzelstücke, fast ganz hinter der bewussten Arbeit
versteckt.
An die wissenschaftlichen Kenntnisse stellt der dritte Akt sehr bescheidene
Forderungen: elementare Mathematik, wenig Mechanik, einige Kenntnis der
Festigkeitslehre. Aber dafür muss man in Hilfsbüchern Bescheid wissen; auch kann man
unmöglich Details gut konstruieren, wenn man den Maschinenbau nicht praktisch kennt,
wenn man nicht selbst in Maschinenwerkstätten gearbeitet hat. Hier tritt endlich
auch das Zeichnen in sein volles Recht.
Einzelne Fragen lassen sich mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnis des Dreiaktes leicht
lösen. Es handelt sich z.B. darum, die Beziehungen eines einzelnen Faches, z.B. der
darstellenden Geometrie, zum Maschinenentwerfen zu erklären. Die „darstellende
Geometrie“ bezweckt, um mich kurz auszudrücken, dem Mangel der dritten
Ausdehnung des zu den graphischen Darstellungen verwendeten Papiers abzuhelfen.
Musterrisse, welche nach den Regeln der darstellenden Geometrie entworfen werden,
sind nicht nur einfache Zeichnungen, und zu ihrem Verständnis ist die Beteiligung
der Einbildungskraft unentbehrlich. Da der Raum der drei Ausdehnungen auf dem Papier
durch nicht weniger als zwei Projektionen dargestellt wird, so konstruiert die
Einbildungskraft die Vorstellung des Gegenstandes nach diesen Projektionen. Die
„darstellende Geometrie“ hat also erstens eine Bedeutung im Sinne der
Entwickelung der konstruktiven Einbildungskraft. So soll sie auch hingestellt werden
und nicht nur im Sinne der einfachen Lösung der Aufgaben mit Hilfe von automatisch
erworbenen Regeln. Ausserdem gewährt die „darstellende Geometrie“ das Mittel,
mit Hilfe des Papiers Raumverhältnisse, wirkliche Grössen u.s.w. genau zu bestimmen.
Diese beiden Eigentümlichkeiten der „darstellenden Geometrie“ sind sehr
wertvoll beim Maschinenentwerfen. Die konstruktive Einbildungskraft spielt in allen
drei Akten die Rolle einer inneren Kraft, die alle Teile aneinanderreiht und ein
Ganzes bildet. Da ausserdem jede Maschine schon im Stillstande drei Ausdehnungen und
das Papier nur zwei Ausdehnungen hat, so ist es klar, dass Genauigkeit in der
Darstellung des ganzen Schemas, sowie Genauigkeit der Details der Maschine nur durch
die „darstellende Geometrie“ erzielt werden können. Wir ersehen aus dem
angeführten Beispiele, dass es gar nicht schwer ist, die Beziehungen irgend eines
Unterrichtsfaches zum Maschinenentwerfen klar darzulegen.
Zum Schluss verweilen wir noch etwas bei jener inneren schaffenden Kraft, die in
allen drei Akten des Schaffens thätig ist. Im ersten Akte erscheint ganz
unzweifelhaft die schöpferische Kraft im stärksten Masse, im zweiten und dritten
Akte wird ihre Rolle schwächer und durch bewusste geistige Arbeit, durch die
Reflexion maskiert. Mir scheint es, dass wir uns den Täuschungen dieser Maske zu
sehr unterworfen haben; wir erkennen zu sehr diese geistig bewusste Arbeit an, indem
wir das Schaffen ignorieren oder nicht beachten, das sich dahinter versteckt. Wir
haben uns beim Unterricht zu sehr auf die Wissenschaften, besonders die Mathematik,
geworfen, wir verachten zu sehr, was man beim Entwerfen Initiative, Originalität,
Geschmack oder mit einem Worte Erfindungsgeist oder schöpferischen Geist nennt.
Hiermit will ich nicht sagen, dass wir das Schaffen unterschätzen, im Gegenteil ist
es eines grossen Lobes würdig, wenn man Originalität im Projekte wahrnimmt. Aber es
zeigt sich, dass wir uns zu sehr daran gewöhnt haben, das Schöpfungsvermögen als
eine nicht anzutastende Naturgabe zu betrachten. Die psychologische Analyse lehrt
aber, dass dieses Vermögen, wie jedes andere, geübt und geformt werden kann.
Dreiakt in den anderen technischen Leistungen.
Ob der Techniker ein neues körperliches Erzeugnis oder ein Arbeitsverfahren fertigt,
er schreitet dreiaktig vor, um das ihm vorschwebende Ziel zu erreichen. Es werden
zwar Erfindungen, wie Entdeckungen, mitunter auch durch reinen Zufall gemacht (Glas,
Schiesspulver, Porzellan, Saccharin); dies sind aber die seltensten Fälle, wo der
technische Geist, an einer zufälligen Beobachtung stehen bleibend, eine praktische
Verwertung derselben durch Einfall erschaut. Im Durchschnittsfalle aber geht er von
der, letzteren aus. Als Zufall in der Erfindung und Entdeckung bezeichnet man
überhaupt nichts anderes als das unerwartete Zusammentreffen eines schöpferischen
Geistes mit einer Erscheinung, die auf den Geist eine Art Auslösung ausübt.
Allenfalls muss der Neubildung ein technischer Effekt innewohnen, damit sie zu den
Erfindungen zähle. Der erste Akt stellt den Effekt vor den Geist des Erfinders als
eine Idee, die in der Kunst der Intention und in der Wissenschaft der Hypothese
entspricht. Der Unerfahrene glaubt zuweilen: ich habe eine neue Idee, das ist die
Hauptsache, das übrige kommt von selbst. Vor diesem Fehler kann nicht genug gewarnt
werden! Denn der schöpferische Phantasiesprung bringt den Menschen allenfalls nur in
das Reich des Fraglichen und Möglichen, dessen Beweis noch aussteht.
Der zweite Akt bringt die Beweisführung. Das Werk ist noch nicht vollbracht, die
Erfindung noch nicht da, vorläufig ist nur ein Schema vorhanden, ein ausführlicher
Plan, ein Schema, ein Modell. Aber die Ausführbarkeit ist bewiesen, die Erfindung
eindeutig definiert und kann jetzt in der Weise beschrieben werden, dass die
sachliche Ausführung derselben von einem Sachverständigen ohne weitere schöpferische
Thätigkeit, sondern lediglich durch konstruktive Gewandtheit erfolgen kann.
War der erste Akt Sache der schöpferischen Phantasie, der zweite Sache des wissenden
Denkens, so fällt der dritte Akt in den Bereich der Geschicklichkeit, der Routine
und des Gewerbes.
Nunmehr lassen wir eine Reihe Beispiele folgen.
Bessemer-Verfahren. Henry Bessemer veröffentlichte im
„Engineering“ (1897) die
Entstehungsgeschichte seiner genialen Erfindung. Er stellte sich die Aufgabe,
geschmolzenes Roheisen direkt zu entkohlen, woraus die Absicht entstand, die
Entkohlung durch direktes Hineinblasen von Luft zu erzielen (erster Akt). Damit war
aber keineswegs seine Erfindung gemacht, denn nur die experimentelle Erforschung
konnte entscheiden, ob die Luft den Kohlenstoff entsprechend energischer als das
Eisen oxydieren würde? Ob die Luft nicht vorher vorgewärmt werden sollte? In welcher
Weise die Kontrolle über das Verfahren zu bewerkstelligen sei? Im zweiten Akt wurden
alle Fragen in der allgemein bekannten Weise gelöst und das Bessemer-Verfahren
begründet. Die industriellen Ausführungen sind Ergebnisse des dritten Aktes.
Die Aufgabe, in schwimmendem Gebirge Schächte
abzuteufen, führte mindestens zu zwei Dreiakten: der Idee von Poetsch (D. R. P. Nr. 25025), im Gebirge rings um den
zu führenden Schacht eine Eiswand zu bilden, und der von Wagner (D. R. P. Nr. 34942), eine Betonmauer herzustellen (erster Akt).
Das Poetsch'sche Verfahren verzweigt sich im zweiten
Akte in seine verschiedenen Abänderungen, entsprechend der Anwendung des Verfahrens
zum Vortreiben von Strecken oder Tunnels, zum Fundieren von Pfeilern in stehendem
Wasser u.s.w. Ein jedes dieser Schemata erscheint in der Praxis wieder in
verschiedener Ausführungsform (dritter Akt).
Wasserheben. Dieser Aufgabe entsprechen fünf Ideen
(erste Akte): a) Heben vermittelst direkten Schöpfens, b) vermittelst
Kolbenbewegung, c) vermittelst Zentrifugalkraft und d) vermittelst der Trägheit des
fliessenden Wassers selbst (hydraulischer Widder), e) vermittelst direkten
Dampfdrucks (Pulsometer). Die zweite Idee allein hat sich schon mehrfach verzweigt.
Das einfachste Schema (zweiter Akt), welches ihr entspricht, ist die uralte, einfach
wirkende Pumpe mit zwei Ventilen, von denen eines am Saugerohr, das andere am
Druckrohr angebracht ist. Eine Abänderung (ein anderes Schema) entsteht schon, wenn
das eine Ventil in den Kolben versetzt ist. Sodann: die einfache Verdoppelung gibt
das Schema der Feuerspritze; die Verdoppelung mit Verschmelzung beider Cylinder in
einen mit Stopfbüchse gibt das Schema aller doppeltwirkenden Pumpen. Ausserdem wurde
noch der Kolben als langer massiver Cylinder geformt und die Packung an den Rand des
Stiefels versetzt und endlich die Packung vermittelst einer am Stiefelrand und
Kolben befestigten Membran geformt. Es thut kaum noch der Erwähnung not, dass jedes
dieser Schemata, Erzeugnisse des zweiten Aktes, zu sehr verschiedenen dritten Akten
geführt hat, als zahllose Konstruktionen in Erscheinung tretend.
Kongorot. Die als Farbstoffe so wertvollen
Benzolderivate waren bereits bekannt. Man wusste ferner, dass die
Tetrazodiphenylsalze mit α- oder β-Naphtylamin, auch mit deren Sulfosäuren die Azofarben
geben, welche die Wolle und die Seide ohne Beize, Baumwolle jedoch mit Beize
färbten. Die Aufgabe verfolgend, Baumwolle ohne Beize mit derartigen Stoffen zu
färben, wurde Bötticher veranlasst (erster Akt), die
Azoverbindungen weiter zu untersuchen. Diese Forschung führte ihn zur Entdeckung
jener Verbindung, welche den industriellen Namen „Kongorot“ führt. Diese Entdeckung war zugleich Erfindung, weil sie seine
technische Aufgabe löste (zweiter Akt). Seither bleibt noch ein Feld für den
chemischen Konstrukteur übrig (dritter Akt), da die Auswechselung einiger
Ingredienzien durch ihre Homologen und Isomeren den technischen Effekt (Färben der
Baumwolle ohne Beize in Rot) nicht beeinflusst. Diese Aenderungen bedingen jedoch
nicht mehr neue Erfindungen, keine neuen Farbstoffe.
Cerealien-Entschälen. Eine der diesbezüglichen Ideen
lautet nach D. R. P. Nr. 20825: „Das Verfahren, Cerealien dadurch zu entschälen,
dass man dieselben mit pulverartigen oder körnigen, harten Substanzen vermischt
und einer anhaltenden Durcharbeitung oder Bewegung unterwirft.“ Diesem
ersten Akte entspricht sodann ein zweiter, der die allgemeine Anordnung der
Teile und die Aufeinanderfolge der Manipulationen angibt. Später finden wir aber
eine Vervollkommnung derselben Idee: es stellte sich nämlich der Nachteil heraus,
dass der dem Getreide beigemischte Sand sehr schwer wieder zu entfernen war. Diesen
Uebelstand zu beseitigen, war eine technische Aufgabe für sich, deren Lösung sich in
einem selbständigen Dreiakt entfaltete. Jedoch verhält sich die neue Erfindung zu
der früheren lediglich wie zwei verschiedene zweite Akte zu einem ersten. (Dieses
Verhältnis macht sich besonders geltend in patentrechtlicher Beziehung, davon
später.) So entstand folgendes Verfahren (D. R. P. Nr. 50584): „Verfahren zum
Entschälen von Cerealien in der Weise, dass letztere mit magnetischen Spänen
gemischt und durchgearbeitet werden, worauf die Späne aus dem Gemisch durch
Magnetismus ausgezogen werden.“
Mannesmann-Röhren. Formuliert man die Idee dieses
Verfahrens als „Herstellung von Röhren aus massiven Stäben durch
schraubenförmiges Walzen“, so wird sofort klar, dass die Gebrüder Mannesmann solch eine sonderbare Idee nicht im
Lehnstuhle sitzend empfangen haben konnten, dass dieselbe vielmehr nur in der
Werkstatt ein scharfer, kritischer Blick finden konnte (erster Akt), durch Zufall
geleitet. (Das Element des Zufalls spielt bei jeder Erfindung immer eine und dieselbe Rolle,
nämlich er bringt einen schöpferischen Geist zusammen mit einer entsprechenden
Naturerscheinung.) Jene Idee wurde ausgearbeitet (zweiter und dritter Akt), und
zwar, wie man jetzt allgemein weiss, durch mehrjährige sorgfältige fabrikmässige
Versuche, die ein ganzes Vermögen gekostet haben. Das Verfahren selbst ist zu sehr
bekannt, als dass hier näher darauf eingegangen werden sollte. Auch würden wir hier
nichts anderes als einen Dreiakt entdecken können, wie sich jeder leicht überzeugen
kann.
Stearinkerzen. Goethe hielt es für der Mühe wert, in der
Zeit der Talglichter den Vers niederzuschreiben:
„Wüsste nicht, was sie Besseres erfinden könnten,
Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.“
Er formulierte damit ein technisches Problem, dessen Lösung
nun seit 60 Jahren in den de Milly'schen Stearinkerzen
vorliegt. Die Eigentümlichkeiten der Stearinsäure als Brennmaterial lassen die
Anwendung eines dünnen baumwollenen, dicht geflochtenen, mit Borsäure getränkten
Dochtes zu, welcher sich beim Brennen krümmt und dadurch von selbst abbrennt. Die
Erzielung dieses Resultates verrät aber unzweifelhaft eine lange Reihe eingehender
Laboratorium versuche (erster und zweiter Akt).
Zündspänchen. D. R. P. Nr. 68957. Die schwedischen
Zündhölzer bestanden schon. Da wurde ein neuer technischer Effekt dadurch erzielt,
dass man statt Holz – Holzstoffpappe für die Verfertigung des Zündkörpers
verwendete. Erstens wird dadurch die Möglichkeit erschlossen, Zündzeug aus niederen
Holzsorten zu fertigen; zweitens ist das Tragen in der Tasche erleichtert. Hier
liegt offenbar der Schwerpunkt der ganzen Erfindung gleich im ersten Akte, d.h. in
der Idee selbst der Anwendung von Pappe statt Holz, denn die Möglichkeit dieser
Anwendung war keinem Zweifel unterworfen.
(Fortsetzung folgt.)