Titel: | Die Technischen Hochschulen und ihre wissenschaftlichen Bestrebungen. |
Fundstelle: | Band 313, Jahrgang 1899, S. 77 |
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Die Technischen Hochschulen und ihre
wissenschaftlichen Bestrebungen.Rede zum Antritt des
Rektorates der königl. Technischen Hochschule zu Berlin, gehalten in der Aula am
1. Juli 1899.
Von A.
Riedler.
Die Technischen Hochschulen und ihre wissenschaftlichen
Bestrebungen.
Wir rüsten uns zur Jahrhundertfeier unserer Hochschule. Sie wird uns kein Anlass
sein, froh des Errungenen stillzustehen, sondern ein neuer Ansporn zu immer weiterem
Vorwärtsschreiten. Denn auf unseren Arbeitsgebieten gibt es keinen Stillstand. Wir
werden dankbar die vielhundertjährige wissenschaftliche Vergangenheit würdigen, auf
die wir unsere Arbeit aufbauen konnten, wir werden die auf allen Gebieten geleistete
wissenschaftliche Arbeit aller Zeiten aufs höchste anerkennen, die auch uns zu gute
kommt.
Wir werden aber auch mit berechtigtem Selbstbewusstsein unsere eigene Thätigkeit und
die Bedeutung unseres Arbeitsgebietes zur Geltung bringen. Diese Bedeutung zeigt
sich schon äusserlich durch den mächtig ansteigenden Besuch der technischen
Hochschulen.
Nach der Gesamtzahl der Hörer im letzten Winterhalbjahr ist unsere Hochschule die
zweitgrösste Preussens (Universität Berlin 6929, Technische Hochschule Berlin 3428)
und die viertgrösste des Reiches (Universität München 4104, Leipzig 3751).
Wichtiger jedoch als der Umfang ist für die Bedeutung der technischen Hochschulen:
die Vollwertigkeit unserer Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, auch mit dem
Massstabe der überlieferten gelehrten Studien gemessen.
In dieser Hinsicht herrschen viele Vorurteile und unrichtige Auffassungen.
In Universitätskreisen wurde hier öffentlich und an hervorragendster Stelle der
grundsätzliche Unterschied aufgestellt, dass der Universität die wissenschaftliche
Forschung gebühre, den technischen Hochschulen aber die Rolle von aufblühenden
Fachschulen zufalle. Ich halte mich für verpflichtet, auf diese Auffassung näher
einzugehen; wenn sie zutrifft, so werde ich der erste sein, der die damit
ausgesprochene Kritik unserer Hochschulen dankbar anerkennt, und ich werde das Wort
dafür erheben, dass wir uns aus dieser Rolle emporarbeiten; trifft sie aber nicht
zu, so muss sie richtiggestellt und abgewehrt werden.
Der Begriff einer Fachschule ist nicht feststehend. Jedenfalls müssten sich ihre
Kennzeichen äusserlich bemerkbar machen durch das Ueberwiegen von Fachgegenständen
zum Schaden der allgemein bildenden und innerlich durch die Art des
Wissenschaftsbetriebes.
Zunächst die Aussenseite: da bieten Vorlesungsverzeichnisse und Prüfungsgegenstände
Anhaltspunkte für die Einschätzung.
Danach wäre die am engsten begrenzte Fachschule die für Rechtsgelahrtheit an den
Universitäten. Sie umfasst keine allgemein bildende Disziplin, pflegt nichts von
mathematischer und naturwissenschaftlicher Bildung, sondern umfasst und verlangt nur
Fachgegenstände.
Aber auch die uns am nächsten stehende vielseitigere Fakultät für Heilkunde ist eine
Fachschule strengster Art. Selbst die Naturwissenschaften sind auf das unmittelbar
Fachliche gerichtet. Unter den Lehrgegenständen fehlt z.B. die Mechanik, ohne welche
volles Verständnis von Natur Vorgängen, auch der physiologischen unmöglich ist; es
fehlen graphische und analytische Mathematik, sowie jede Disziplin zur Uebung der
Raumvorstellung und im zeichnerischen Ausdruck hierfür, und überall herrscht die
Beschränkung auf das besondere Fach.
Nicht das blosse Vorhandensein einer Vorlesung entscheidet, sondern die Thatsache, ob
und wie von ihr Gebrauch gemacht wird. Deshalb muss noch besonders erwähnt werden,
dass auch die vielseitige philosophische Fakultät im wesentlichen nur eine
Spezialfachschule für Lehrerausbildung ist, dass das Sonderstudium dort nach
Fachrichtungen vollständig getrennt ist, dass die philologische Richtung mit der
naturwissenschaftlichen oder mathematischen in keinem Zusammenhange steht.
Die technischen Hochschulen können niemals solche Beschränkung auf die
Fachwissenschaften anstreben; sie werden trotz der grossen Schwierigkeit und Fülle
der Fachwissenschaften immer eine weitgehende allgemeine Bildung zu vermitteln
suchen. Noch sind unsere Wünsche in dieser Richtung nicht vollständig erfüllt, aber
schon das Vorhandene hebt unsere Abteilungen weit über den Rahmen von Fachschulen
hinaus.
So legen wir besonderen Wert auf die Ausbildung aller unserer Studierenden in den
grundlegenden Naturwissenschaften, insbesondere in Mechanik, Statik und Dynamik,
sowie in höherer Mathematik und den verschiedenen Zweigen der Geometrie, also in
allgemein bildenden Disziplinen, die zu den höchststehenden Bildungsmitteln gehören,
die jedoch im Universitätsbereiche mit Ausnahme der Spezialfächer für die
Lehrerausbildung gar keine Rolle spielen, die somit der überwiegenden Mehrheit der
an den Universitäten Gebildeten völlig fremd bleiben.
Wir verlangen von allen Studierenden gründlichste Uebung im zeichnerischen Ausdruck
für die Raumvorstellung und Beherrschung nicht nur der analytischen, sondern auch
der graphischen Methoden, die für den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb
unentbehrlich sind und wahrscheinlich für das medizinische Studium ebenso grosse
Bedeutung haben wie für uns.
In der Abteilung für Maschineningenieurwesen z.B. sind im ersten Studienjahre 78% der
Vorlesungen allgemein wissenschaftlicher Natur, im zweiten Studienjahre noch 50% und
erst im dritten Jahre überwiegen die Fach Vorlesungen mit 75%. In dieser Abteilung
pflegen wir insbesondere Physik, Mechanik, Wärmemechanik und Elektromechanik, in
grösster Vertiefung, ausserdem Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik,
Finanzwissenschaft, Hygiene und moderne Sprachen, und wir bedauern lebhaft, dass
unsere Kräfte und Mittel in dieser Hinsicht so knapp bemessen sind, dass wir nicht
ausgiebiger von den allgemeinen Bildungsmitteln Gebrauch machen können.
Die äusseren Kennzeichen einer blossen Fachschule sind daher auf unserer Seite nicht
vorhanden.
Untersuchen wir nun den Wissenschaftsbetrieb:
In Universitätskreisen ist das Vorurteil weit verbreitet, wir fänden die Ergebnisse
der Wissenschaft fertig vor und brauchten sie nur mühelos für eine mehr oder weniger
selbstverständliche Anwendung zurecht zu richten. Allerdings finden wir viel
wissenschaftliches Rüstzeug fertig vor, aber die allgemeine wissenschaftliche
Erkenntnis versagt bei der ersten Berührung mit der vielgestaltigen Wirklichkeit, so
dass wir ungeheure Lücken ausfüllen müssen, indem wir selbst wissenschaftliche
Forschung treiben. Die überlieferte Einsicht genügt nicht, weil wir auch in
verwickelten Fällen wissenschaftlich durchdringen müssen, wo uns keine Abstraktionen
gestattet sind, sondern wo wir die Bedingungen so verwickelt hinnehmen müssen, wie
sie gestellt sind. Deshalb müssen wir unsere Studierenden planmässig zu
wissenschaftlicher Forschung anleiten, denn nur auf dem Forschungswege sind
Leistungen in unseren Fachwissenschaften möglich.
Grosse Gebiete der Naturerkenntnis haben auf diesem Forschungswege durch unsere
Fachgenossen neuen Inhalt und neue Grundlagen erhalten: so die ganze Festigkeits-
und Elastizitätslehre, die Hydraulik; andere Gebiete haben durch sie grosse
wissenschaftliche Erweiterung erfahren, wie die Wärmemechanik, Elektromechanik,
Statik und Dynamik. Auf unserem Boden sind wissenschaftliche Methoden ausgebildet
worden, wovon u.a. wichtige Zweige der Geometrie und die graphischen Methoden
Zeugnis ablegen.
Auf technischen Gebieten lässt sich nur das, was auf der Oberfläche liegt, mit den
überlieferten wissenschaftlichen Hilfsmitteln ohne weiteres ermitteln und
beherrschen; das ist aber längst abgebaut. Wer bei der jetzigen Entwickelung der
Technik irgend Nennenswertes leisten will, muss in die Tiefe steigen, mit dem ganzen
wissenschaftlichen Rüstzeug arbeiten, die Natur wissenschaftlich befragen und ihre
Antworten richtig verstehen, muss die gewonnene wissenschaftliche Einsicht richtig
anwenden, das heisst: in richtige Beziehung zur vielgestaltigen Wirklichkeit
bringen; dann erst ist wissenschaftliche Beherrschung erreicht, die allein zum
Können und verantwortlich richtigen Schaffen befähigt. Unsere Arbeit bedarf der
strengen Wissenschaftlichkeit, und sie muss immer verantwortlich geleistet werden,
weil die Natur selbst sie unfehlbar richtet.
Diese Notwendigkeit der wissenschaftlichen Forschungsarbeit für unsere ganze
Thätigkeit hat dazu geführt, dass beispielsweise die Abteilung für
Maschineningenieurwesen eine grosse Erweiterung ihrer Laboratorien erfahren hat. Sie
muss, um in Materialienkunde, Maschinenlehre, Wärmemechanik und Elektromechanik
überhaupt wissenschaftliches Verständnis zu ermöglichen, durch Laboratoriumsübungen
richtige Beobachtung und Schlussfolgerung und wissenschaftliche Forschung
lehren.
Um die Bedeutung unserer wissenschaftlichen Thätigkeit gegenüber der abstrakt
wissenschaftlich arbeitenden Richtung zu kennzeichnen, mögen einige Thatsachen
berührt werden.
Seit mehr als zwei Jahrtausenden sind die Eigenschaften des Wasserdampfes bekannt,
seit zwei Jahrhunderten sind sie in der Hauptsache, seit einem Jahrhundert nach
abstrakter Auffassung in allen Einzelheiten wissenschaftlich festgelegt, aber erst
seit einigen Jahrzehnten verstehen wir sie in vollkommenen Dampfmaschinen richtig
auszunutzen. Erreicht wurde dies durch eine gewaltige Ingenieurarbeit, welche neue
wissenschaftliche Einsicht schaffen musste und darauf fussend die vollkommene
Anwendung zustande brachte. Aehnlich liegt es auf dem ganzen Gebiete der Umsetzung
der Energie.
Ein Beispiel, das auch in Universitätskreisen gewürdigt werden dürfte, ist die
Nernst-Lampe. Wissenschaftlich lag alles klar, als Nernst an die Ausführung seiner Idee ging. Da aber begannen die
Schwierigkeiten, und viele Mitarbeiter standen entmutigt von der Lösung der Aufgabe
ab, bis sie endlich einer hervorragenden Mitarbeiterschaft gelang. Nernst selbst hat dies voll anerkannt und es hier in
einem Vortrage vor Fachleuten ausgesprochen, er sei erstaunt gewesen, zu sehen,
welche Geistesarbeit die Ausbildung der ursprünglichen Idee erforderte. Welche
Arbeit auf solchem Wege, selbst nur bis zu einer brauchbaren Gestaltung liegt, kann
nur der ermessen, der ihn wenigstens einmal selbst gegangen ist. Dieser mühevolle
Weg ist bei allen unseren technischen Aufgaben die Regel. Die Ausgestaltung des
wissenschaftlichen Gedankens, zunächst zur lebensfähigen, brauchbaren Form und dann
zu immer grösserer technischer Vollkommenheit ist unsere laufende Aufgabe, die aber
nur durch wissenschaftliche Arbeit gelöst werden kann.
Es ist ferner ein Irrtum, anzunehmen, dass unserem Wissenschaftsbetriebe irgend eine
der Universitätseinrichtungen, etwa die Seminare, fremd geblieben sei. Der
Unterricht an den technischen Hochschulen war nie ein anderer als ein
seminaristischer und kann gar kein anderer sein. Dieser seminaristische Unterricht
wird bei uns in den Uebungen in einem Umfang betrieben, der der Universität
unbekannt ist. Die juristische Fakultät beginnt erst jetzt, vor der Einführung des
bürgerlichen Gesetzbuches, infolge Anregung von aussen her, Uebungen einzuführen.
Mit der blossen wissenschaftlichen Einsicht, mit dem Verständnis allein ist auf
unseren Gebieten nichts gethan, das Können ist entscheidend. Das kann nur durch
Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie sie in unseren seminaristischen
Uebungen gelehrt wird, erlangt werden. Deshalb findet der Einpauker, trotz der
bestehenden Prüfungseinrichtungen, bei uns keinen Boden.
Weil wir wissenschaftliche Wege gehen, haben wir es erlebt, dass alles
Unwissenschaftliche, Empirische bei uns ausgestorben ist, dass aber auch alles
einseitig Doktrinäre, alles, was sich von der Vielheit gegebener Bedingungen und den
Schwierigkeiten der Wirklichkeit loslöst, auf dem absterbenden Aste sitzt, und dass
auch die technisch schaffende Welt, die Praxis selbst, längst wissenschaftlich zu
arbeiten gelernt hat. Dies ist unser Stolz, die Frucht und der Lohn unserer
wissenschaftlichen Bemühungen.
Also auch die Art des Wissenschaftsbetriebes lässt eine Minderwertigkeit unserer
Bestrebungen nicht erkennen. Nirgends ist eine Begründung der Annahme zu finden,
dass die wissenschaftliche Forschung der Universität vorbehalten, uns dagegen der
Fachschulcharakter eigen sei. –
Es sind vielmehr vielversprechende Anfänge vorhanden, dass die Universität unsere
Leistungen und unsere Eigenart zu erkennen und damit zu schätzen beginnt.
Von den 2425 Studierenden unserer Hochschule, welche die Universität in ihrer
amtlichen Statistik über das Winterhalbjahr 1898/99 als „Hörberechtigte“
anführt, hören in Wirklichkeit nur 17 Vorlesungen an der Universität, obwohl bei uns
keine Vorrechte zu holen sind. Unsere Hochschule hingegen hat auf 96
Universitätsstudierende Anziehungskraft ausgeübt.
Zwei altberühmte Universitäten haben Ingenieure als Professoren berufen, haben neue,
nämlich unsere Wissenschaftsbetriebe eingeführt, die, wenn richtig gepflegt, alte
Ueberlieferungen auch an den Universitäten verdrängen werden.
Es sind aber nur Teile unseres Wissenschaftsbetriebes, welche so auf die Universität
umgestaltend einwirken. Grosse wissenschaftliche Erfolge wird die Universität mit
solchen Bruchstücken technischer Bildung ohne Zusammenhang mit den übrigen
technischen Wissenschaften nicht erringen können. Es ist aber bezeichnend, dass das
neue Institut Physikalisch-technisches Universitätsinstitut heisst, dass
Wärmetechnik und Elektrotechnik betrieben werden und neuestens auch Technologie,
allerdings nur für Juristen, hinzugekommen ist. Immerhin werden selbst solche
vereinsamte Einzelgebiete unseres Wissenschaftsbetriebes schon manche ehrwürdige,
bisher hochgepriesene Universitätseinrichtung verdrängen und einen Bruch mit den
bisher geheiligten Traditionen der Universitäten herbeiführen müssen.
Indem Nernst die Wissenschaft nicht bloss um ihrer
selbst willen betrieb, sondern an die deutsche Industrie herantrat und mit ihrer
Hilfe seine Idee ausgestaltete, bewies er, dass er die Wissenschaft in ihren
vielfältigen Beziehungen zum Leben richtig erfasst hat und leistete er der
Wissenschaft selbst einen Dienst. Sein grosser Vorgänger Weber liess es beim ersten unvollkommenen Schritte bewenden, und so ist es
gekommen, dass seine Idee, um in brauchbarer Gestalt zu uns zu kommen, den Umweg
über das Ausland machen musste, das nunmehr selbst das deutsche wissenschaftliche
Verdienst bestreitet.
Bei der Enthüllung des Gauss-Weber-Denkmals in Göttingen ist mit Recht darauf
hingewiesen worden, dass die Naturwissenschaften sich nicht mehr allein auf die
reine um ihrer selbst willen betriebene Wissenschaft beschränken dürften, sondern
Anwendung und Verwertung suchen müssten. Das ist ein vollständiger Bruch mit der
Ueberlieferung und das Einlenken in die vielgestaltige wissenschaftliche Thätigkeit,
die unser Arbeitsfeld ist. Wir können diese Richtungsänderung nur mit Genugthuung
begrüssen.
Die Universitäten sind es, die grosse Lücken auszufüllen haben; sie werden anerkennen
müssen, dass die technischen Wissenschaften der kommenden Zeit ihr Gepräge geben
werden, und dass sich Wissenschaft und Forschung nicht enge, überlieferte Grenzen
vorschreiben lassen. –
Der Charakter der Fachschule könnte endlich wohl gar aus der Beschaffenheit unserer
Studierenden vermutet werden, die vielleicht geringer bewertet wird als die der
Universitätsstudierenden.
Vor der Erörterung dieser Frage möchte ich an Sie, meine Herren Studierenden, die
Erinnerung richten, dass Ihr eigenes Auftreten unter sich und nach aussen
entscheidend ist für die gesellschaftliche Wertschätzung, die den Angehörigen
unserer Hochschule in der Allgemeinheit zu teil wird. Sie müssen mit der Thatsache
rechnen, dass die Welt immer geneigt sein wird, tadelnswertes Auftreten Einzelner
von Ihnen zu verallgemeinern, dass also der Einzelne Ihrer Gesamtheit schweren
Schaden zufügen kann; dass aber dieselbe Welt gegenüber den Universitätsstudierenden
Verstösse gegen Gesetz, Ordnung oder Sitte eher zu entschuldigen geneigt sein wird.
Sie werden also stets eingedenk sein, dass Sie durch das eigene taktvolle Benehmen
Ihrer Gesamtheit nützen und werden durch Pflege eines edlen Korpsgeistes, der weit
verschieden ist vom Kastengeiste, Verstösse im eigenen Kreise wie nach aussen zu
vermeiden wissen. Sie werden auch stets echtdeutsches Wesen zur Geltung zu bringen
wissen gegen alle fremdländische Art, wenn diese auch als modern gelten sollte.
Ein allgemeiner Massstab für die Wertigkeit unserer Studierenden könnte in der
Vorbildung gefunden werden.
Massgebend ist nur der immatrikulierte Studierende, denn nur diejenigen Studierenden
können in Vergleich gestellt werden, die die Forderungen der verschiedenen
Hochschularten an die Vorbildung erfüllen.
Den sonstigen Hörern, denen die normale Vorbildung fehlt, kann keine Hochschule, die
auf Freiheit ihrer Lehre hält, ihre Pforten ganz verschliessen. In einer Zeit, wo
die Universitäten sich mit der Frage des Frauenstudiums befassen müssen und sogar
nach englischem Vorbilde mit „extensions“ in das Volk dringen wollen, werden
wir keine Bestrebung gutheissen, die nur das normale Produkt der staatlich
vorgeschriebenen Ausbildung gelten lassen will; wir können nur wünschen, dass
technische Bildung in möglichst weite Kreise eindringe.
Trotzdem ist an unserer Hochschule die Zahl der regelmässig Studierenden in grosser
Mehrheit. Die Gesamtzahl der Hörer an der Hochschule betrug im Winterhalbjahr 3428.
Werden hiervon die 356 ausserordentlichen Hörer (Studierende der Universität und
anderer Hochschulen, kommandierte Offiziere u.a.) abgezogen, so verbleibt eine
Hörerzahl von 3072, die in 2425 Studierende (79%) und 647 Hospitanten (21%)
zerfallt.
Die Abteilangen für Bauingenieurwesen, für Schiffbau und Maschinenbau, für Chemie und
Hüttenkunde haben 94% bezw. 82% und 88% Studierende.
Nur die Architekturabteilung hat einen grösseren Prozentsatz von Hospitanten (42%),
was in der grösseren Freiheit, die dem künstlerischen Studium gewährt werden muss,
seine Erklärung findet. Werden die Hospitanten dieser Abteilung ausser Betracht
gelassen, dann ergibt sich der Anteil der Studierenden an unserer Hochschule zu 86%,
der der Hospitanten zu nur 14%.
Von unseren 1999 reichsangehörigen Studierenden des Winterhalbjahres 1897/98 besassen
87% das Reifezeugnis einer höheren Lehranstalt, und zwar stammten 54% dieser
Abiturienten von Gymnasien, 39% von Realgymnasien, 7% von Oberrealschulen.
Auch in den einzelnen Abteilungen stellt sich die Zahl der inländischen Abiturienten
und ihre prozentuale Verteilung nach den drei Arten höherer Lehranstalten ähnlich,
in den Abteilungen für Maschinenbau und Schiffbau genau wie im Durchschnitt. –
An der philosophischen Fakultät der Universität Berlin, deren Wissenschaftsbetrieb
und wissenschaftliche Höhe doch vielfach über die anderer Fakultäten, die als
Fachschulen erscheinen mögen, gestellt wird, waren im letzten Winterhalbjahr unter
1503 Studierenden preussischer Staatsangehörigkeit nur 70% im Besitz von
Reifezeugnissen; von ihnen stammten 66% von Gymnasien, 30% von Realgymnasien, 4% von
Oberrealschulen.
Der Vergleich fällt also zu Gunsten der Technischen Hochschule aus. Der
Prozentsatz der Studierenden ohne Reifezeugnis ist bei der philosophischen Fakultät
wesentlich grosser als bei unserer Hochschule (30% gegen 13%). Es ist daher auch vom
Standpunkte der Vorbildung kein Grund zu einer minderen Bewertung unserer
Studierenden abzuleiten.
Dabei handelt es sich um eine Vorbildung, die durch die Universität allein
beeinflusst wird, von ihr allein geschaffen wurde, während uns gar kein Einfluss
darauf zusteht, wie ja auch die Lehrerausbildung ganz ausserhalb unseres Bereiches
liegt. Dass dieser herrschende Zustand der richtige sei, sage ich damit nicht.
Auch die Ausländer sind bei uns nicht so zahlreich, dass sie den herrschenden Geist
erheblich oder gar ungünstig beeinflussen könnten. Wir haben im ganzen rund 300
Ausländer unter den rund 3400 Hörern unserer Hochschule; das sind noch nicht ganz
9%.
Wir gewähren Ausländern Aufnahme nach denselben Grundsätzen wie Inländern und
verlangen von ihnen das Reifezeugnis einer höheren Schule. Völlige Gleichartigkeit
der Vorbildung mit der für unsere Studierenden vorgeschriebenen werden wir wohl nie
vorfinden, aber wir prüfen so gut und so strenge wir vermögen. Es liegt uns fern,
die Ausländer ausschliessen zu wollen, und selbst das zeitweilig wegen Raummangels
erlassene Verbot, sie in die Abteilung für Maschineningenieurwesen aufzunehmen, ist
seit der Schaffung neuer Unterrichtsräume und wegen des beschlossenen grossen
Neubaues für diese Abteilung wieder zurückgezogen.
Weder nach der Art des Unterrichts noch nach der Wertigkeit der Studierenden kann
somit ein Zurückstehen der technischen Hochschulen hinter den Universitäten
behauptet werden. Ich finde nur Gleichartigkeit der Bildungselemente und
Gleichartigkeit in den wissenschaftlichen Bestrebungen, und es kann nur auf
Vorurteile zurückgeführt werden, wenn zwischen beiden Hochschularten ein Unterschied
zu Ungunsten der technischen Hochschulen aufzustellen versucht wird. –
Wohl aber finde ich in anderer Hinsicht vieles, worin wir zurückstehen: in unseren
Hilfsmitteln, im Lehrapparate, der gerade für die technischen Wissenschaften wichtig
ist, und in der laufenden Ausnutzung der Lehrkräfte.
Wir könnten recht ansehnliche Jubiläen der Unveränderlichkeit und Unzulänglichkeit
mancher unserer Hilfsmittel feiern. Unsere meisten Unterrichtssammlungen, unsere
Bibliothek und insbesondere unsere Hilfskräfte haben mit der wachsenden Zahl der
Studierenden zu wenig Veränderung erfahren und zum Teil den Zuschnitt behalten, der
geringem Umfang der Fachwissenschaften und der Frequenz von einigen Hundert
angemessen war.
Das Drückendste ist die Ueberlastung der Lehrkräfte mit laufender Arbeit,
insbesondere des seminaristischen Unterrichts in den Uebungen. Es kostet gewaltige
Anstrengung, diese Arbeit zu leisten, und die Zeit für das eigene schwierige Studium
zu gewinnen, um mit dem raschen Fortschreiten der Technik Schritt halten zu können.
Uns fehlen nicht nur ausreichende Mittel, sondern bei der jetzigen Ueberlastung auch
vielfach die Zeit für wissenschaftliche Arbeit und Forschung. Beides wird der
Universität reichlich gewährt.
Die Fakultät für Rechtsgelahrtheit an der Berliner Universität mit ihrem
ausserordentlich einfachen Unterrichtsbetrieb zählt für 2072 Hörer 26 Lehrkräfte,
davon 13 ordentliche Professoren.
Die Fakultät für Heilkunde, die nach der Art ihres Unterrichts unserer Hochschule am
nächsten steht, zählt für 1238 Hörer 138 Dozenten, darunter 21 ordentliche und 33
ausserordentliche Professoren. Sie verfügt über 33 Institute, an denen ausser den
schon als Dozenten gezählten Leitern und Hilfskräften 75 Assistenten thätig
sind.
Demgegenüber zählt z.B. unsere Abteilung für Maschineningenieurwesen mit ihrem
ausserordentlich verwickelten Unterrichtsgange und ihrer hohen Frequenz von 1429
Hörern 21 Lehrkräfte, davon 8 ordentliche Professoren, und 7 ständige
Assistenten.
Wenn so gewaltige Unterschiede in den Arbeitskräften und Mitteln bestehen, dann kann
es nicht fehlen, dass der Heilkunde Ueberlegenheit zugesprochen wird, da sie
menschlichen und öffentlichen Interessen in hohem Masse _ dienen muss. Gewiss werde
ich die hohe Bedeutung der medizinischen Wissenschaften nicht übersehen und stets
wünschen, dass ihnen und damit der leidenden Menschheit noch viel reichlichere
Mittel zufliessen möchten, als jetzt, ich werde aber auch wünschen, dass diese
Wissenschaft nicht um ihrer selbst willen betrieben werde, sondern dass die
Gesundung der Menschheit in dem Masse rascher fortschreite als die Technik, wie die
Staatsmittel für die Heilkunde reichlicher fliessen als für die technischen
Wissenschaften.
Andererseits darf aber doch nicht verkannt werden, dass die technischen
Wissenschaften in den Leistungen zur Erhöhung des Menschenwohls hinter der Heilkunde
nicht zurückstehen und nicht geringere Förderung verdienen als diese.
Unser Schaffen steht mit der Gestaltung der Lebensbedingungen des Einzelnen und aller
menschlichen Gemeinschaften, mit der Erhaltung des physischen, geistigen und
wirtschaftlichen Lebens aller Schichten des Volks im engsten, untrennbaren Zusammenhang.
Unser Anteil an der Erhaltung und Verbesserung des physischen Lebens liegt auf dem
Gebiete der Hygieine, auf dem die Technik durch Wasserleitungen und Kanalisationen
und gesundheitliche Verbesserung aller Wohn- und Arbeitsstätten lange vor den
medizinischen Wissenschaften grosse Erfolge errungen, menschenwürdigere Verhältnisse
in allen Ländern geschaffen hat. Ohne die grossartige Mitarbeit der Technik hätte
die Heilkunde ihre eigenen Erfolge auf diesem Gebiete nicht erringen können.
Als Leiter der organisierten technischen Arbeit stehen wir mitten im Volke und haben
auf sein geistiges Leben mehr Einfluss als etwa die Universität, indem sie durch
volkstümliche Vorlesungen ins Volk zu dringen sucht.
Unser grösstes Arbeitsfeld ist das wirtschaftliche Leben, die Vereinigung von
Wissenschaft und Leben. Den innigen Zusammenhang unserer Arbeit mit dem Schicksal
der Einzelnen, der nationalen Arbeit und den höchsten Aufgaben des Staats und der
Politik verkennen, heisst unsere ganze Zeit und die grossen Aufgaben der Zukunft
verkennen.
Vertrauensvoll wenden wir uns an unsere Unterrichts Verwaltung. Wir danken ihr aus
voller Ueberzeugung für die stets gewährte Anerkennung der Vollwertigkeit unserer
Studien und für die bisherige hohe Anerkennung und Förderung unserer Bestrebungen,
für die grossen Aufwendungen zum Ausbau unserer Hochschule. Wir danken es ihr, dass
in der jüngsten Zeit rascher Fortschritt ermöglicht wurde, dass unser
wissenschaftliches Rüstzeug vervollständigt, und wenigstens dringende Bedürfnisse
befriedigt wurden, dass Lehrmittel und Lehrräume Erweiterungen erfahren haben und
Laboratorien in musterhafter Weise ausgebaut und gegründet wurden, die nunmehr zu
den besten der Welt gehören.
Es ist aber nicht Uebereifer und nicht Ueberhebung, sondern die Erkenntnis des
Notwendigen, wenn wir diese grossen Errungenschaften doch nur als den Beginn
weiteren Ausbaues betrachten; das folgt aus der Natur der technischen
Wissenschaften, ihrer unaufhaltsamen Entwickelung und beständigen Vertiefung.
Alle unsere Abteilungen werden auf ihren Gebieten viel mehr als bisher durch
Laboratoriumsunterricht zu wirken haben und dadurch wissenschaftliche Einsicht
gewähren, die auf dem Wege der theoretischen Belehrung allein nicht ausreichend
vermittelt werden kann. Viele völlig neue Wissenschaftsgebiete sind zu pflegen, auf
allen unseren Gebieten wächst immer mächtiger empor das Zusammenarbeiten
verschiedener Wissenschaftsrichtungen, die von den Nachbargebieten nicht mehr
getrennt werden können, sondern ein grosses Ganze darstellen. Auf allen Gebieten
sind erweiterte Unterrichtsmittel notwendig.
Unser dringender Wunsch endlich ist es, an unserer Hochschule eine möglichst
vollständige allgemeine Abteilung zu haben, die mehr bietet als das tägliche Brot
der grundlegenden und Hilfswissenschaften. Auch hier bescheiden wir uns zwar mit dem
Unerlässlichen und erhoffen wenigstens solche Ausgestaltung unserer allgemeinen
Abteilung, dass denjenigen Studierenden, welche sich auf den jetzt vertretenen
Gebieten wissenschaftlich vertiefen wollen, ausreichende vertiefte Belehrung
und seminaristische Uebungen geboten werden. Unsere Arbeit führt tief hinein in
Gebiete der Rechtskunde, der Verwaltung und Staatswissenschaften, der Hygieine, in
das ganze Gebiet der Volkswirtschaft, in fast alle Zweige der
Naturwissenschaften.
Auf allen diesen Gebieten sollten unsere Studierenden in der allgemeinen Abteilung
Anregung und Belehrung finden. Selbstverständlich werden wir nicht jedem
Studierenden zumuten, alles das zu studieren. Aber so wenig wir uns verleiten
lassen, in unseren Fachwissenschaften uns auf den Standpunkt zu stellen, den
Studierenden nur das zu bieten, was sie in ihrem Berufe unmittelbar
„brauchen“, sondern stets die breiteste wissenschaftliche Grundlage
festhalten, so bestimmt müssen wir anstreben, dass unseren Studierenden auf den
erwähnten Gebieten das geboten wird, was sie brauchen und so wie sie es brauchen, in
anregender Form und doch wissenschaftlicher Gestaltung. Unsere Studierenden sollen
nicht nur auf den fachwissenschaftlichen Gebieten, unserer Anleitung folgend, mit
klaren Augen das sehen, was wirklich ist, sondern auch auf anderen Gebieten der
Wissenschaft, des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, mit denen sie ihr Beruf
in Berührung bringt, mit wissenschaftlich geschultem Verstande sich zurecht zu
finden wissen.
Dieser so erweiterten allgemeinen Abteilung würde dann auch die Ausbildung der
Lehrkräfte für die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer zuzuweisen
sein. Damit wäre die beste Gewähr gegeben, dass diese Ausbildung in einer Weise
erfolgt, die der Eigenart und den Bedürfnissen des technischen Studiums gerecht wird
und den Zusammenhang mit den Fachwissenschaften beständig im Auge behält.
Unsere Wissenschaften stellen uns vor immer höhere Ziele, zwingen zu immer neuen
Forderungen. Wenn wir aufhören, Bedürfnisse geltend zu machen, wenn wir nicht mehr
vermögen sie überzeugend und sachlich zu begründen, dann mag unsere Unterrichts
Verwaltung daraus mit Sicherheit entnehmen, dass wir aufgehört haben, vorwärts zu
schauen, dass wir anfangen, unsere Pflicht zu vernachlässigen und bedürfnislose
Jubelgreise ge worden sind.
Bei der kommenden Jahrhundertfeier werden wir mit Stolz und hoher Befriedigung auf
unsere Entwickelung, die in der Schulgeschichte ohne Beispiel dasteht, zurückblicken
und uns unserer Erfolge, unserer Förderung durch eine weise Regierung freuen. Wir
werden die uns gebührende Stellung im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und
öffentlichen Leben zu erringen und zu behaupten streben, uns aber auch dieser
Stellung würdig zeigen. Zugleich aber werden wir den Blick vorwärts richten und der
schweren Arbeit gedenken, die unser in der Zukunft harrt.
Möge das kommende Jubeljahr Ehre und Ansehen unserer Hochschule mehren, ihre innere
Kraft stärken, ihre weitere Ausgestaltung fördern; möge es ihr neue Arbeitsgebiete,
neue Mittel erschliessen, möge es ihr gelingen Wissenschaft und Leben auf das
innigste zu verbinden!
Möge es ein Jahr unablässiger Arbeit sein; dann werden unserer Hochschule neue
Erfolge erblühen!