Titel: | Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin 1899. |
Fundstelle: | Band 314, Jahrgang 1899, S. 34 |
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Die Internationale Motorwagenausstellung zu
Berlin 1899.
Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin
1899.
Für die junge, rasch aufstrebende Automobilindustrie kann die Berliner
Motorwagenausstellung als ein recht bedeutender Erfolg bezeichnet werden.
Der eigentliche Veranstalter der Ausstellung ist der im Jahre 1897 in Berlin
gegründete Mitteleuropäische Motorwagenverein, der vor 12 Monaten den Plan fasste,
im darauf folgenden Jahre eine Automobilausstellung zu veranstalten. Diese für den
damaligen niederen Stand des Automobilismus bei uns immerhin gewagte Anregung fand
in beteiligten Kreisen, sowie seitens der Militärbehörden, der Reichspost und des
Polizeipräsidiums zu Berlin sofort lebhafte und thatkräftige Unterstützung, so dass
das geplante Unternehmen in kurzer Zeit als vollständig gesichert betrachtet werden
konnte. Die langgestreckte Ausstellungshalle ist gut besetzt worden, weit besser als
je erwartet wurde. Rings um die Halle ziehen sich die einzelnen Stände hin, während
rechts vom Mitteleingang sich die französische und belgische Abteilung, links sich
die deutsche Hauptabteilung befindet. Auf dem Kasernenhof fanden für das Publikum
gegen Entgelt täglich zahlreiche Rundfahrten statt, und zwar in Motorwagen, welche
von den grösseren Fabriken gestellt wurden. Hierdurch gelang es, wie auch ganz
richtig vorausgesetzt wurde, das Interesse in den breiteren Volkskreisen für die
neue Beförderungsart wachzurufen und zu pflegen.
Nach der Ausstellungsordnung umfasste die Ausstellung folgende sieben Klassen:
A. Motorwagen und Motorfahrzeuge aller Art für den Personentransport.
B. Motorfahrzeuge zur Beförderung von Lasten, Gütern, Waren u.s.w.
C. Motorfahrräder und Anhängewagen.
D. Motoren und Akkumulatoren für Motorwagenzwecke.
E. Gestelle und Räder für Motorfahrzeuge.
F. Sonstige noch nicht genannte Bestandteile für Motorfahrzeuge; desgleichen
Ausrüstungen für Motorwagen und Wahrer, Werkzeuge u.s.w.
G. Litteratur, Zeichnungen, Karten, Modelle u.s.w.
Alle Abteilungen waren so gut beschickt, dass es zu weit führen würde, wollten wir
das Gebotene im einzelnen schildern. Wir müssen uns darauf beschränken, unseren
Lesern die ausgestellten Fabrikate der bedeutenderen Fabriken, sowie die zahlreichen
hervorragenden Neuerungen vorzuführen.
Von den deutschen Ausstellern ist an erster Stelle die
Aachener Firma Cudell und Co. wegen ihrer sehr
reichhaltigen Auswahl zu erwähnen. Die genannte Firma brachte zahlreiche Muster und
Neuerungen in den vier ersten Klassen (A, B, C und D), welche übersichtlich und mit
fachmännischem Verständnis geordnet, dem Beschauer ein klares Bild von ihrer
Leistungsfähigkeit darboten. Wir haben bereits in D. p.
J. 1899 311 * 141 Fig. 65 und 66, sowie 1899 313 * 105 Fig. 28 und 29 Gelegenheit gehabt, die Cudell'schen Fabrikate eingehend zu beschreiben.
Der dabei verwendete sehr praktische Motor kann ausser zum Betrieb von Automobilwagen
zu zahlreichen anderen Zwecken benutzt werden, namentlich wo es auf hohe Tourenzahl
und geringe Dimensionen ankommt, so bei Ventilatoren, Waschmaschinen,
Dynamomaschinen, transportablen Bohrmaschinen u.s.w.
Allgemeines Interesse erregte auf dem Cudell'schen
Stande der neue Patentmotorwagen (Fig. 1), der in
Bezug auf Bequemlichkeit, geringes Gewicht und gefälliges, zierliches Aussehen
seinesgleichen sucht und wohl einer näheren Besprechung wert erscheint.
Das Gestell des Wagens ist aus nahtlosen Stahlrohren hergestellt; an demselben
befindet sich der Mechanismus und durch gute Federn abgefedert der Wagenkasten
befestigt; dieser kann übrigens jede gewünschte Form erhalten. Die Räder sind mit
Pneumatik versehen; die Dimensionen der hinteren Pneumatiks sind 700 × 90, während
die Vorderräder 65 mm stark sind.
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Fig. 1.Cudell's Patentmotorwagen.
Durch zwei halbe C-Federn, welche auf einer wagerechten
Feder ruhen, wird eine gute Federung des Vordergestells erzielt. Die hierzu kommende
einfache und vor allem sichere Steuerungsvorrichtung gewährt eine gute Lenkung des
Gefährtes, sowie auch einen durchaus stossfreien Gang desselben. Die Bedienung der
Steuerungsvorrichtung geschieht durch eine Lenkstange.
Die Dimensionen des Wagens sind wie folgt:
Ganze Länge des Motorwagens
= 2050 mm
Höhe des Wagens über dem Boden
= 1160 mm
Entfernung der beiden Achsen
= 1360 mm
Gewicht des Motorwagens
= 260 kg
Der Motor (Fig. 2) ist ein Benzinmotor mit
elektrischer Zündung, der im Viertakt arbeitet. Die Hauptorgane des Motors sind ganz
ähnlich wie beim bereits besprochenen Motor des Dreirades (D. p. J. 1899 311 141 Fig. 66); ebenso
elektrische Batterie, Zündspule, Zündvorrichtung, Stöpselkontakt und Auspufftopf. Er
entwickelt 3 und hat nur einen Cylinder, der durch eine (durch Pumpe
bethätigte) Wasserkühlung auf niedriger Temperatur erhalten wird. Durch einen
zwischen den Vorderrädern angebrachten Kühlapparat wird dem Wasser jegliche Wärme
entzogen, so dass man nur das Verdampfungswasser, alle 100 km etwa 1 l, zu ersetzen
braucht.
Ein homogenes Betriebsgas wird durch einen neuen Vergaser mit fester
Regulierungsvorrichtung geliefert.
Der hier besprochene Motor unterscheidet sich gegenüber den sonst bei Motorwagen
benutzten Motoren vor allem durch seine Einfachheit. Die kompakte Konstruktion, bei
welcher Schwungräder, Steuerungszahnräder, Kurbeln, Pleuelstangen und Exzenter in
einem einzigen Aluminiumgehäuse eingeschlossen sind, so dass deren Existenz dem
Benutzer des Motorwagens kaum zum Bewusstsein zu kommen braucht, schliesst
Reparaturen so gut wie vollständig aus.
An den Motor schliesst sich ein zweites Aluminiumgehäuse an, in welchem das
Wechselgetriebe enthalten ist. Dasselbe vermittelt die Fest- und Loskuppelung des
Motors mit den Laufrädern und die Schaltung desselben auf grosse oder kleine
Schnelligkeit zum Fahren in der Ebene, oder zum Ueberwinden von Steigungen. Durch
eine im Oelbade arbeitende Reibungskuppelung erfolgt die Fest- und Loskuppelung.
Der Antrieb der Hinterräder geschieht auf eine neue Weise und zwar mittels
Gelenkachsen. Durch dieses neue Konstruktionsorgan sind die unpraktischen Ketten
überflüssig und der Betrieb ein bedeutend sicherer geworden. Die Lenkung vermittelt
eine Lenkstange, auf welcher sich folgende Steuerungsmechanismen befinden: 1. Ein
Rad, welches gleichzeitig zum Einschalten des Motors und zum Einstellen der
verschiedenen Geschwindigkeiten dient. Durch Schaltung nach rechts erhält man die
grössere Geschwindigkeit, nach links die kleinere; eine mittlere Stellung schaltet
den Motor aus. Die Zwischenschnelligkeiten erreicht man durch die veränderliche
Frühzündung. – 2. Eine wagerechte Lenkstange, welche die Lenkung durch Zahnrad und
Zahnstange bethätigt. – 3. Zwei Handgriffe, welche zur Regulierung des Gasgemenges
und der Frühzündung dienen. Auf der rechten Seitenwand des Kastens befindet sich
eine Regulierungsvorrichtung, welche die Zulassung der Luft reguliert, und die
Kurbel zur Anwerfung des Motors.
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Fig. 2.Benzinmotor mit elektrischer Zündung und Wasserkühlung (System
Dion und Bouton)
Textabbildung Bd. 314, S. 34
Fig. 3.
Textabbildung Bd. 314, S. 34
Cudell'sches Motorboot.
Das Betriebsmaterial des Motorwagens ist gewöhnliches Benzin, ein empfehlenswertes
Produkt ist Stellin, eine speziell für Cudell'sche
Maschinen angefertigte Flüssigkeit, welche im Gegensatz zu Benzin den Motor nicht zu
sehr erhitzt, regelmässig arbeitet, keinerlei Rückstände hinterlässt und auch länger
aushält.
Unter den Cudell'schen Erzeugnissen zieht das neue
und praktische Motorboot das Interesse des Fachmanns auf sich. Wie der
Motorwagen wohl auf dem Lande in dem Personenverkehrswesen eine vollständige
Umwälzung herbeiführen wird, so auf dem Wasser das Motorboot. Seine überaus einfache
Handhabung und seine geringen Dimensionen haben es bereits auf den Flüssen, sowie
auch in den Seebädern in den weitesten Kreisen zu grosser Beliebtheit gelangen
lassen. Auch haben viele Jachtbesitzer den Motor in ihre Fahrzeuge bereits einbauen
lassen.
Der Motor des Bootes (Fig. 3 bis 5) ist im allgemeinen
derselbe wie beim Motordreirad und Motorwagen (s. oben). Er wird ebenfalls durch
Benzin getrieben, wiegt 28 kg und bewegt sich mit der grössten Leichtigkeit vor- und
rückwärts. Er vermag in einem Boot für zwei bis acht Personen eine Schnelligkeit von
10 bis 18 km in der Stunde zu entwickeln und arbeitet ebenfalls mit elektrischer
Zündung. Infolgedessen fällt jeder Rauch und Russ, jede Flamme, Feuer- und
Explosionsgefahr durchaus weg. Das Boot ist ohne irgend welche besonderen
Vorbereitungen (Anzünden u.s.w.) sofort betriebsfertig. Die Betriebssicherheit ist
infolge der Einfachheit und Vermeidung aller komplizierten Teile, wie Zahnräder,
Stopfbüchse, Schieber u.s.w., eine vollkommene und weitestgehend erprobte.
Dank seiner grossen Einfachheit kann das Motorboot von jedem Laien sofort benutzt
werden, während zu den bisherigen schweren Motorbooten ein besonderer Maschinist
nötig war. Ferner kosten diese Boote in Anschaffung und Unterhaltung bedeutend
weniger als die bisherigen Systeme.
Trotzdem der Bootsmotor (Fig. 6) alles in allem nur
etwa 28 kg wiegt, entwickelt er immerhin ungefähr 2 . Rechnet man Schraube
und Zubehör hinzu, so wiegen die das Boot fortbewegenden Organe bei weitem nicht so
viel wie ein Passagier; da dieselben auch nicht viel Raum beanspruchen, so hat das
Motorboot ganz das Aussehen eines gewöhnlichen Ruderbootes.
Im übrigen kann der Bootskörper je nach Wunsch des Bestellers angefertigt sowie auch
der Motor in vorhandene Boote irgend welcher Art eingesetzt werden. Für Segelboote ist also der
Motor eine manchmal recht angenehme Hilfe.
Die Inbetriebsetzung erfolgt durch einmaliges Drehen einer Kurbel, während man zum
Anhalten und Rückwärtsfahren einfach die Schiffsschraube umzustellen braucht. Durch
Anziehen einer Schnur hält das Boot momentan an.
Textabbildung Bd. 314, S. 35
Fig. 6.Bootsmotor von Cudell.
Die Regulierung des Motors geschieht ähnlich wie bei dem oben besprochenen
Dreiradmotor durch drei kleine Hebel. Die Kühlung des Cylinders erfolgt durch eine
automatisch arbeitende Wasserkühlvorrichtung.
Textabbildung Bd. 314, S. 35
Fig. 7.Boottransport auf dem Lande vermittelst eines vorgespannten
Motordreirades.
Das Boot wird von jeder Seite desselben aus durch Schnüre gesteuert. Der Fahrer kann
also gleichzeitig das Boot bedienen und auch steuern. Als Betriebsmaterial dient
Benzin, doch ist Stellin besonders zu empfehlen, da es ausser den schon erwähnten
Vorzügen nicht den Nachteil des unangenehmen Geruchs des Benzins besitzt. Der
geringen Dimensionen des Schiffskörpers wegen lässt sich das ganze Boot leicht mit
Hilfe eines besonders dazu angefertigten zweiräderigen Wagens und eines
gewöhnlichen, vor das Boot gespannten Motordreirades weite Strecken über Land
transportieren (Fig. 7).
Einer der vielbesuchtesten und vielbewundertsten Stände der Ausstellung war derjenige
der bekannten Elsässer Firma de Dietrich und Comp.,
Niederbronn. Jenseits der Grenze hat die genannte Firma eine bedeutende
Eisenbahnwagenfabrik, in welcher seit etwa 2 Jahren Automobilen gebaut werden. Mit
dem rasch aufblühenden neuen Industriezweig Schritt haltend, sah sich die bereits im
Jahre 1683 als Hüttenwerk gegründete Firma genötigt, eine Zweigmotorwagenfabrik zu
gründen, welche auch bald in dem reichsdeutsch en Städtchen Reichshofen erstand. In
dieser Fabrik wurden auch die in Berlin ausgestellten Wagen gebaut.
Die Motorwagen der Gesellschaft de Dietrich und Comp,
werden sämtlich durch Benzinmotore nach dem französischen System Amédée Bollée getrieben, bei welchen sowohl
elektrische, wie auch Glühzündung anwendbar ist. Der selbstverständlich je nach
Inanspruchnahme des Motors sehr variierende Benzinkonsum beträgt bei den 6
-Wagen bei einer Wegstrecke von etwa einer deutschen Meile fast 1 l.
Die de Dietrich'schen Motorwagen (Fig. 8 bis 10) zeichnen
sich sämtlich durch gediegene Konstruktion und hohe Eleganz recht vorteilhaft aus.
Die Fabrikation erstreckt sich ausschliesslich auf Wagen grösserer Ausführung und
zwar folgender Arten:
1. Wagen mit einem sechs- oder neunpferdigen Motor und zwar: offene und gedeckte
Lastwagen, Phaethon, Spider, Rennwagen, viersitziger Jagdwagen mit Verdeck aus
natürlichem Holz, Petit-Duc und fünfsitziger gedeckter Jagdwagen aus lackiertem
Holz.
2. Wagen mit einem neunpferdigen Motor: Omnibus, Break, sechssitziger Jagdwagen ohne
Verdeck und sogenannte Reisewagen. Sämtliche Wagen sind mit Gummireifen
ausgestattet.
Ein grosser Vorteil in der Konstruktion der de
Dietrich'schen Wagen ist zunächst das vollständig gerade Untergestell, welches
die Anbringung beliebiger Wagentypen ohne irgend welche Konstruktionsänderungen ermöglicht.
Weitere Vorteile entspringen aus dem einfachen Mechanismus, dem automatisch
geregelten Vergaser, aus dem Fehlen jedweder Kettenübersetzung und der Pumpe für das
Kühlwasser; wie man sieht, also eine Reihe nützlicher Einrichtungen.
Bei der hohen Qualität der de Dietrich'schen Motorwagen
lohnt es sich wohl, dieselben einer sachgemässen und eingehenden Beschreibung zu
unterziehen.
Das Gestell ist aus einem rechtwinkligen Rahmen gebildet, welcher mittels langer und
überaus elastischer Federn auf den Achsen ruht. Die Steuerung geschieht allein durch
Bewegen der Vorderräder, während auf die Hinterräder der Antrieb erfolgt. Erwähnt
sei, dass die Zugstangen der Steuerung aus gehärteten Gelenken angegliedert sind und
in der Weise durch eine Federung zusammengehalten, dass irgend welches Geräusch
fortfällt und die Abnutzung automatisch ausgeglichen wird. Unterhalb des Gestells
befindet sich der ganze Mechanismus des Motors und der Transmissionen, so dass – ein
besonders wichtiger Umstand – der Schwerpunkt tiefer gelegt und genügend Baum
vorhanden ist, um auf dem Gestelle jede Wagen type zu montieren.
Textabbildung Bd. 314, S. 36
Fig. 8.de Dietrich'scher Motorwagen „Spider“ (offen).
Der Motor, der in zwei Grössen hergestellt wird (Motor Nr. 1 entwickelt 6½
am Bremszaum und wiegt 150 kg, Motor Nr. 2 wiegt 180 kg und entwickelt 9 bis 10
, liegt vorn horizontal zwischen den beiden Wagenfedern. Er weist ein sogen.
horizontales Zweicylindersystem auf, dessen Cylinder aus einem Stück hergestellt
sind und doppelte Wände mit Wasserfüllung besitzen. Auch dieser Motor arbeitet im
Viertakt. Die Pleuelstangen sind auf einem einzigen Bügel, welcher die
Antriebskurbeln in Bewegung setzt, befestigt. Hierdurch sind die Explosionen so
verteilt, dass bei jeder Umdrehung eine solche erfolgt. Der ganze Motor liegt
wiederum in einem kompakten Gehäuse, in welches man von Zeit zu Zeit einige
Kubikcentimeter Schmieröl zur Schmierung der Lager, Kolbenstangen und des Cylinders
hineingelangen lässt.
Die Inbetriebsetzung des Motors geschieht mittels Handkurbel, während die Verbrennung
der Ladung mittels weissglühender Röhren stattfindet (Glühzündung). Die normale
Geschwindigkeit des Motors, welche etwa 600 bis 700 Touren in der Minute beträgt,
wird durch einen Zentrifugalregulator geregelt.
Die Transmissionen befinden sich der Bequemlichkeit halber hinten am Wagen. Sie
bestehen aus zwei horizontalen Wellen, welche durch vier Zahnräder verbunden sind,
die wiederum je nach ihrer gegenseitigen Stellung vier Geschwindigkeiten erzeugen.
Die Vorgelegeweile besitzt Fest- und Leerscheibe und wird von der Motorwelle mittels
eines langen Kautschukriemens angetrieben. Dieser überträgt die Kraft mit
gleichförmiger Geschwindigkeit, so dass weder bei Steigungen, noch bei Schnellfahrt
in der Ebene ein Gleiten entstehen kann.
Mittels eines Systems von Zahnrädern und Gelenkwellen wird die Bewegung auf die
Wagenräder übertragen und zwar von der zweiten Welle aus, auf welcher sich das
Differentialgetriebe und eine Bandbremse befinden. Die Verwendung von Gelenkwellen
ermöglicht ein stossfreies Spielen der Wagenfedern, sowie auch das Schiefstehen der
Wagenräder (genau wie bei einfachen Wagen)-Alle diese Teile sind leicht zugänglich
angeordnet. Alle unpraktischen Kettenübertragungen, welche in der Regel
Betriebsstörungen verursachen, sind gänzlich vermieden worden; man hat sie durch
Zahnräder, Gelenkwellen, Kegelräder, welche sämtlich von weit grösserer
Dauerhaftigkeit und Betriebssicherheit sind, überaus vorteilhaft ersetzt. Man
verwendet zur Schmierung des Zahnradgetriebes mit Kautschuk versetzte Fette, wodurch
einerseits ein geräuschloser Gang erzielt und andererseits vermieden wird, dass die
Zahnräder in Oelbädern laufen, welche gleichzeitig die Lager der Welle zu schmieren
haben. Der Nachteil der letztgenannten Anordnung liegt klar auf der Hand, da bei
einer solchen das Oel immer feine Metallspäne aufnimmt, welche sich von den
Zahnrädern absondern und die Lager leicht anfressen und ruinieren.
Die Lenkapparate sind so sinnreich kombiniert, dass ein falsches Manövrieren gänzlich
ausgeschlossen erscheint. Der Fahrer hat das Steuerrad in der Hand; darunter ist ein
Hebel angebracht, mit welchem der Motor ein- und ausgeschaltet, und eine Bremse in
Thätigkeit gesetzt werden kann. Etwas tiefer liegt ein zweiter Hebel für die
Einrückung der einzelnen Geschwindigkeiten, während ein dritter Hebel für das
Rückwärtsfahren dient. Zur Verhütung einer Beschädigung der Zahngetriebe ist die
Vorsorge getroffen, dass man die Bremse, welche von dem ersten Hebel bethätigt wird,
nur nach Ausschaltung des Motors einrücken und den Motor bei Aenderung der
Geschwindigkeiten leicht ausschalten kann. Ausserdem kann die Ausschaltung mit dem
linken Fuss bewirkt werden, so dass man also die Wahl hat, mit der Hand oder mit dem
Fuss auszuschalten. Mit dem rechten Fuss kann eine starke, nach vorn und rückwärts
wirkende Lemoine-Bremse, welche auf eine an den rückwärtigen Rädern angebrachte
Scheibe wirkt, angezogen werden. Ferner befindet sich vorn rechts unterhalb des
Steuerrades ein Hebel zur Regulierung der Tourenzahl des Motors, die auch durch
einen Fusstritt erhöht werden kann. Zur Rückwärtsfahrt ist ebenfalls ein Fusstritt
vorgesehen. Endlich ist noch unterhalb des Steuerrades ein kleiner Hebel befestigt,
durch dessen Verschiebung auf einem Segment die Quantität des zur Vergasung gebrachten
Benzins bestimmt werden kann! während durch eine andere ähnliche Vorrichtung der
Zutritt kalter oder warmer Luft zum Vergaser reguliert wird.
Textabbildung Bd. 314, S. 37
Fig. 9.de Dietrich'scher Motorwagen „Spider“ (geschlossen), System
Amédée Bollée.
Die wesentlichsten Bestandteile der de Dietrich'schen
Motorwagen sind gehärtet und ganz besonders sorgfältig durchgearbeitet. Die Lager
sind sämtlich aus Phosphorbronze, während die Zahnräder mit der Maschine geschnitten
und auf ihren Achsen mittels mit Splinten versehener Bolzen befestigt sind, so dass
sie jederzeit ohne viele Kosten und Mühe ersetzt werden können.
Der Konsum an Benzin beträgt bei einem sechspferdigen Wagen für 8 km etwa 1 l.
Natürlich hängt der Konsum viel von dem Zustand der Wege, sowie von der
eingehaltenen Geschwindigkeit und auch von der Geschicklichkeit des Führers ab.
Der Wasservorrat genügt für etwa 90 km, was etwa 20 l pro Stunde ohne
Kühlapparat ausmacht, während der Benzinvorrat für 200 km ausreicht, ein Verhältnis,
das natürlich je nach der Grösse der Reservoire geändert werden kann. Durch
Anbringung eines Kühlapparates kann man die Quantität des nötigen Kühlwassers
bedeutend vermindern, so dass man mit einer Füllung 9 bis 10 Stunden auskommen
kann.
Es muss noch bemerkt werden, dass man mit dem de
Dietrich'schen Motorwagen grössere Steigungen bewältigen kann und zwar mit
einer Geschwindigkeit von 6 km pro Stunde; mit den gewöhnlichen Tourenwagen kann man
eine durchschnittliche Schnelligkeit von 30 km erreichen.
Die dazwischenliegenden beiden Geschwindigkeiten betragen 12 und 20 km. Die
6½pferdigen Wagen können aber so eingerichtet werden, dass die kleinste
Geschwindigkeit 8 km, die grösste 40 km beträgt, während mit dem 9pferdigen Motor
noch grössere Schnelligkeit erreicht, insbesondere aber die Steigungen schneller
erklommen werden.
Textabbildung Bd. 314, S. 37
Fig. 10.de Dietrich'scher Motorwagen „Petit-Duc“.
(Fortsetzung folgt.)