Titel: | Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin 1899. |
Fundstelle: | Band 314, Jahrgang 1899, S. 60 |
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Die Internationale Motorwagenausstellung zu
Berlin 1899.
(Fortsetzung des Berichtes S. 33 d.
Bd.)
Die Internationale Motorwagenausstellung zu Berlin
1899.
Unter den Ausstellern, die mit einer goldenen Medaille prämiiert wurden,
befindet sich die Wagenfabrik von Kühlstein,
Berlin-Charlottenburg, welche hauptsächlich bereits vorhandenes gewöhnliches
Fahrzeug durch Anbringung eines sogen. Automobil-Vorspannsystems Kühlstein-Vollmer (Fig.
11) in erstklassige Motorwagen umzuwandeln bestrebt ist. Daneben aber baut
die Gesellschaft:
A. Benzin-Automobile und zwar
I. mit dem erwähnten Automobilvorspann mit 4
und 6 Benzinmotoren zur Umwandlung gewöhnlicher Wagen in Automobile.
II. Sport-Automobile auch für Rennzwecke und grosse
Strecken (komplette Wagen) für Personenbeförderung von 2 bis 25 Personen.
III. Transport-Automobile für Waren, Güter u.s.w. bis zu
5000 kg Tragfähigkeit.
B. Akkumobilen (Elektromotorbetrieb):
I. Sport-Akkumobilen. Personenbeförderung von 2 bis 30 Personen.
II. Transport-Akkumobilen für Geschäfts- und Reklamezwecke bis zu 2000 kg
Tragfähigkeit.
Die technische Neuheit nach dem System „Kühlstein-Vollmer“, welche wir im folgenden beschreiben
werden, bedeutet ohne jede Anlehnung an andere bisher bekannte Systeme eine neue
technische Richtung, die aller Voraussicht nach dazu berufen erscheint, auf dem
Gebiete des Automobilismus bahnbrechend einzuwirken.
Das neue System hat zunächst den Zweck, das bereits vorhandene Material zu verwerten,
dann aber andererseits verschiedene Wagentypen auswechselbar zu machen, so dass
sowohl der Betriebsmechanismus als auch der Wagenkasten jeweils für sich ein
komplettes Ganzes bildet.
Textabbildung Bd. 314, S. 60
Fig. 11.Automobilvorspann (System Kühlstein-Vollmer).
Um dieses Ziel zu erreichen, ist an Stelle des gewöhnlichen Vordergestells ein
Motorvordergestell gesetzt, welches ebenfalls auf zwei, hier motorisch eigenartig
angetriebenen Wagenrädern ruht. Ueber diesen sitzt in einem kleinen Kästchen die
gesamte Triebkraft und der Lenkmechanismus, welche durch zwei röhrenartige
Verlängerungen vom Führersitze aus bethatigt werden können und alle Lenk- und
Fahrmanipulationen, Bremsen, Stillstand, Rückwärtslauf und Umkehren des Fahrzeuges
auf spielende Art gestatten.
Dieser Automobilvorspann hat übrigens seit längerer Zeit die Aufmerksamkeit der
obersten Postbehörde auf sich gelenkt. Der Unterstaatssekretär des Reichspostamtes
v. Podbielski (Ehrenpräsident der
Automobilausstellung) hat ein lebhaftes Interesse für das neue System bekundet und
ein altes Postkarriol (Nr. 5) mit diesem Vorspann probeweise versehen lassen. Seit
etwa einem Jahre durchläuft es nun schwer belastet planmässig bestimmte Strecken
unter Aufsicht eines Postbeamten. Das Motorkarriol hat alle hohen Anforderungen der
Reichspost weit übertroffen, so dass seine tägliche Route verdoppelt werden konnte.
Infolgedessen musste der Begleit- und Kontrollwagen täglich zweimal die Pferde
wechseln. Man beabsichtigt nunmehr, mehrere alte Postwagen mit diesem Vorspann
ausrüsten zu lassen. Die Geschwindigkeiten sind 5, 10 und 15 km pro Stunde; von
einer grösseren musste abgesehen werden, da eine solche im städtischen Verkehr
nutzlos ist.
Wie bereits betont, lässt sich der Automobilvorspann an alle beliebigen Fahrzeuge
(Fig. 12
bis 14) bequem anbringen. Soll ein gewöhnliches
Fahrzeug in ein Automobil umgestaltet werden, so genügt es lediglich, das bisher
vorhandene Vordergestell abzuschrauben und durch das Motorvordergestell
(Automobilvorspann) zu ersetzen. Zu diesem Zweck wird eine sogen. Drehkranzplatte am
Wagenvorderteil angeschraubt, an die sich das Automobilvorspann anschliesst. Durch
zwei an dem Führersitz angebrachte Löcher werden die Standrohre in den Bereich des
Führers gebracht und ist nun das Fahrzeug als Motorwagen betriebsfähig.
Der Motor ist für vorliegenden Zweck besonders staubsicher konstruiert und
zweicylindriger besitzt Kühlwasserzirkulation und arbeitet im Viertakt. Die
elektrische Zündung wird neuerdings ohne Akkumulator und Funkeninduktor so bewirkt,
dass die Erzeugung des Zündfunkens mechanisch erfolgt, wodurch dann jede weitere
Beaufsichtigung derselben wegfällt.
Die Vergasung ist automatisch und arbeitet entsprechend der Forderung des Motors. Der
Vorratsbehälter für Benzin reicht für eine Wegstrecke von etwa 100 km und kann durch
einen Reservevorrat beliebig ergänzt werden.
Die Fahrgeschwindigkeit beträgt bei Beförderung von Personen bis zu 25 km und für
Transporte von Lasten bis zu 16 km pro Stunde. Es sind zwei beliebig ein- und
ausrückbare Hauptgeschwindigkeiten eingerichtet, welche jedoch durch eine sinnreiche
Einrichtung von ihrem Höchstwert nach abwärts herabgemindert werden können, d.h. man
kann die grösste Fahrgeschwindigkeit so regulieren, dass man mit ihr beliebig
langsam fahren kann. Steigungen können auf Kosten der Geschwindigkeit bis zu 10%
anstandslos genommen werden. Die Lenkung ist äusserst einfach zu behandeln. Da die
Vorderräder das Fahrzeug ziehen, so steht einem unbegrenzten Lenkbereich nichts
entgegen; man kann nicht nur mit dem Vorderwagen um die Hinterräder herumfahren,
also bei einer Strassenbreite gleich der Wagenlänge umkehren, sondern auch bei
Drehung des Vordergestelles um 180° rückwärts fahren. Durch diese Einrichtung fallen
alle Komplikationen des Reserviergetriebes fort.
Das Bremsen des Fahrzeuges kann nach Belieben und Bequemlichkeit entweder durch die
Maschinen-, Fuss- oder Hebelbremse erfolgen, welche bei den letzteren auf die
Hinterräder des Fahrzeuges wirken.
Der Verbrauch an Betriebsmaterial ist ein geringer und beträgt etwa 0,6 kg Benzin pro
Pferdekraft und Stunde, so dass sich das Kilometer bei ebenem Terrain auf etwa 2 Pf.
stellt.
Der Hauptvorteil des Systems Kühlstein-Vollmer
liegt aber nicht allein in der, wie oben gezeigt, bis jetzt unerreichten
Lenkbarkeit, sondern hauptsächlich in der Unabhängigkeit der Wagenformen, wodurch
jeder Verstoss gegen die Forderungen der Aesthetik ausgeschlossen bleibt. Die
Vibrationen, die jedem Benzinmotor eigen sind, werden nicht so intensiv auf den
Wagenkasten übertragen. Hierdurch wird eine weit grössere Haltbarkeit erzielt;
übrigens behält der Motorwagen seine gewöhnliche elastische Federung.
Textabbildung Bd. 314, S. 61
Automobilvorspann (System Kühlstein-Vollmer).
Schliesslich ist noch besonders auf den Vorteil zu verweisen, dass die verwendeten
Schmieröle und der Geruch auf den Maschinenkasten lokalisiert bleiben und sich
nicht, wie bei anderen Fahrzeugen, den Wageninsassen bezw. dem Wageninneren
mitteilen.
Dieses System empfiehlt die Firma besonders für den Droschken verkehr und ähnliches
leichteres Fuhrwerk, und zwar sowohl für Personen- als auch für Lastenbeförderung.
Eine Einrichtung wie die beschriebene ist ausser bei den in Fig. 12 bis 14 abgebildeten Wagen auch an verschiedenen anderen
Fahrzeugen angebracht.
Unter den von der Firma Kühlstein-Vollmer ausgestellten
Akkumobilen erregte eine elegante elektrische „Viktoria“ berechtigtes
Aufsehen in den Sports- sowie auch Fachkreisen. Mit dem für diese Betriebsart
besonders ausgearbeiteten und in mehreren Kulturstaaten gesetzlich mehrfach
geschützten System Kühlstein-Vollmer ausgestattet,
repräsentiert sich dieses Fahrzeug als eines der vornehmsten seines Genres.
Hauptsächlich ist es die Einfachheit der Bethätigung des Wagens selbst, welche sich
eng an die gut ausgebildeten Pferdelenkern zur zweiten Natur gewordenen Handhabungen
anschliesst. Der Führer hat nämlich nur eine Lenkstange, wie sich solche
beispielsweise bei dem gewöhnlichen Fahrrad vorfindet, und mit der die Akkumobile
ebenso wie ein Zweirad gesteuert wird. Der einzige Unterschied zwischen beiden
Lenkstangen besteht darin, dass die des Akkumobiles in der Längsachse des Fahrzeuges
verschiebbar ist. Das Fahrzeug bewegt sich nach vorwärts, sobald der Führer des
Akkumobiles die Lenkstange nach vorwärts-rückwärts dreht. Je weiter nach vorn dies
geschieht, desto schneller läuft der Wagen; umgekehrt wird beim Anziehen der
Lenkstange der Wagen zunächst gebremst und bei weiterer Zurücklegung läuft der Wagen
schliesslich rückwärts. Selbstverständlich ist vorgesorgt, dass bei der Verschiebung
der Lenkstange vor- und rückwärts die Lenkung selbst unbeeinflusst bleibt.
Der Antrieb der Achse erfolgt von aussen unsichtbar in einem mit Fett aufgefüllten
Zahnradgehäuse; diese günstige Einrichtung ermöglicht einen geräuschlosen Gang des
Fahrzeuges. Ferner schützt sie den Antrieb vor allen Einflüssen des
Strassenmaterials und bedingt endlich durch die beständige Schmierung einen sehr
geringen Effektverbrauch.
Die beiden Antriebselektromotoren des Wagens nebst den gesamten Schaltapparaten
werden speziell für vorliegenden Zweck von der Allgemeinen
Elektrizitätsgesellschaft konstruiert und in deren Werkstätten
hergestellt.
Die Akkumulationsbatterie ist auswechselbar; sie wurde versuchsweise bereits in
mehreren Systemen zur Anwendung gebracht, von denen die bis jetzt günstigste Type
eine Leistungsfähigkeit des Fahrzeuges bei einmaliger Ladung 50 km ergab. Es steht
indessen in bestimmter Aussicht, dass diese Leistung noch auf die doppelte Höhe
gebracht werden wird. Das Fahrzeug selbst hat eine Stundengeschwindigkeit von etwa
25 km bei ebenem Terrain.
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Fig. 14.Automobilvorspann (System Kühlstein-Vollmer).
Ausser dem beschriebenen Viktoria-Akkumobile hat die Firma Kühlstein-Wagenbau auf besondere Bestellung auch noch eine 18sitzige
Mail-Coach gebaut, die eine Wegstrecke von ungefähr 100 km bei einmaliger Ladung zu
durchlaufen im stände ist.
Die Union-Elektrizitätsgesellschaft hat ihre Thätigkeit
fast ausschliesslich und in hervorragender Weise dem Bau von elektrischen Bahnen
gewidmet. Seit dem Jahre 1802 hat sie in mehr als 25 Städten (Berlin, Hamburg,
Leipzig, Wiesbaden, München, Wien, Neapel, Brüssel, Kairo etc.) solche hergestellt.
Die Gesamtinstallation der von der Gesellschaft seit dem genannten Jahre bis heute
gebauten bezw. von ihr in Angriff genommenen elektrischen Bahnen umfasst 1308 km
Geleis, 2854 Motorwagen, 4787 Motoren, sowie 34 Lokomotiven mit 63 Motoren.
Unter den Erzeugnissen, die uns, in Verbindung mit der Internationalen
Motorwagenausstellung stehend, hier im besonderen beschäftigen, sind der elektrische
Omnibus (Fig. 15) für die Neue Berliner Omnibusgesellschaft m. b. H., sowie vier leichte elektrische
Fahrzeuge zu erwähnen.
Der für die Neue Berliner Omnibusgesellschaft gebaute
elektrische Omnibus wurde auf Grund der durch mehrjährige Versuche gewonnenen
Erfahrungen konstruiert. Der Omnibus leitet nunmehr in Berlin auf der 11 km langen
Fahrstrecke Berlin Stettiner Bahnhof-Kreuzberg regelmässig den stets starken
Personenverkehr mit bestem Erfolg.
Textabbildung Bd. 314, S. 62
Fig. 15.Elektrischer Omnibus von Lange und Gutzeit.
Der Omnibus hat Decksitze und fasst im ganzen 30 Personen (einschliesslich Führer und
Kontrolleur). Der Vorderperron dient lediglich dem Wagenführer zum Aufenthalt. Die
Batterie ist unter dem Wagenkasten aufgehängt, so dass die bei den Strassenbahnwagen
vorhandenen Belästigungen des Publikums durch Säuredämpfe nunmehr gänzlich
fortfallen. Jedes Hinterrad des Wagens wird für sich von einem Motor mit einfacher
Zahnradübersetzung angetrieben. Die Motoren sind elastisch am Wagengestell
aufgehängt; jeder derselben hat eine Leistung von etwa 4 und können sie
vorübergehend Ueberlastungen auf Steigungen ohne jeden Nachteil aushalten.
Der von dem Wagenführer mit der linken Hand bethätigte Kontroller ist für Vorwärts-
und Rückwärtsfahren eingerichtet. Die Schnelligkeit des Omnibusses kann den
Verkehrsbedürfnissen entsprechend reguliert werden. Dieselbe Kurbel gestattet auch
den Wagen elektrisch zu bremsen. Ausserdem ist sicherheitshalber noch eine
Handbremse vorhanden. Zur Verhütung von Beschädigungen der Batterie und der Motoren
durch Ueberlastung ist ein automatischer Ausschalter angebracht, welcher auch
eventuell als Notausschalter zu verwenden ist. Die Ladung der Batterie erfolgt stets
am Ausgangspunkt (Stettiner Bahnhof), also nach 22 km. Sie dauert 10 bis 15 Minuten
und muss nach jeder Fahrt gemacht werden.
Dieser Omnibus entspricht bezüglich Lenkbarkeit allen aus dem lebhaften Verkehr auf
der Fahrstrecke Stettiner Bahnhof-Kreuzberg sich ergebenden Anforderungen, wie dies
auch die zahlreichen mit dem Omnibus vorgenommenen Versuchsfahrten gezeigt hatten.
Der Wagen kann die grössten in der Reichshauptstadt vorhandenen Steigungen leicht
bewältigen.
Die beiden vorhandenen Bremsen gestatten in Notfällen den Wagen selbst bei der
grössten Geschwindigkeit auf eine Strecke von wenigen Metern zum völligen Stillstand
zu bringen.
Dieser Omnibus ist von der Firma Lange und Gutzeit früher
Eckert-Wagenbau in Berlin gebaut. Die Batterien sind von der Akkumulatorenfabrik Aktiengesellschaft Hagen geliefert,
während die elektrische Ausrüstung von der Union-Elektrizitätsgesellschaft besorgt wurde.
Von den ausgestellten leichten elektrischen Fahrzeugen sind zu nennen: Eine Droschke,
ein Jagdwagen mit zwei Sitzen, ein Jagdwagen mit vier Sitzplätzen und ein
Geschäftswagen zum Ausfahren leichter Gegenstände.
Die Droschke kann im Winter geschlossen als Coupe benutzt werden, während sie im
Sommer als offenes Fuhrwerk in der Art der Droschken I. Klasse gebraucht werden
können. Die Konstruktion bietet darin einen besonderen Vorzug, dass die Umwandlung
aus dem Sommer- in den Winterwagen in der einfachsten Weise durch einen das Coupe
herstellenden Oberteil vor sich geht. Der Fuhrherr ist durch diese äusserst
praktische Konstruktion in die Lage versetzt, mit dem verhältnismässig geringen
Kostenaufwand für den Oberteil über zwei, der jeweiligen Jahreszeit entsprechend
angepasste Fahrzeugarten zu verfügen. Die Droschken werden mit je einem Doppelmotor
ausgerüstet, welcher die Hinterräder des Wagens in Bewegung setzt. Die Leistung ist
normal 3 , im Maximum 6 . Der Spezialkontroller hat einen Hebel mit
den Stellungen: vorwärts, rückwärts und elektrische Bremse. Die Geschwindigkeit ist
in vier Abstufungen regulierbar. Ausserdem ist noch ein Notausschalter vorhanden,
welcher bei übermässigen Stromstössen die Leitung automatisch unterbricht.
An dem Bau und Betrieb dieser Fahrzeuge sind folgende Firmen beteiligt: als
unternehmde Gesellschaft die Gesellschaft für
Verkehrsunternehmungen; als bauende Firma Union-Elektrizitätsgesellschaft, dann die Gesellschaft für elektrische Unternehmungen (Batterielieferungen), die Akkumulatorenwerke Politik in Frankfurt a. M. und die
Wagenbauanstalt und Waggonfabrik für elektrische Bahnen
vormals Busch.
(Fortsetzung folgt.)