Titel: | Die gebräuchlichen Automobilsysteme. |
Autor: | H. Bachner |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 16 |
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Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
Von Professor H. Bachner in
Stuttgart.
Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
Das gegenwärtig in raschestem Aufschwung begriffene Gebiet des Automobilwesens verdient so allseitiges Interesse, dass der
im folgenden unternommene Versuch einer zusammenhängenden Besprechung der einschlägigen Konstruktionen Beifall finden dürfte.
Der vorliegende Aufsatz gründet sich auf einen vom Verfasser im Württembergischen Elektrotechnischen Verein gehaltenen Vortrag,
welcher allerdings bei der Bearbeitung einer wesentlichen Erweiterung und teilweisen Umgestaltung zu unterziehen war.
Die Bemühungen, bei der Sammlung des Materials auch gute technische Darstellungen des Gegenstandes zu erhalten, waren leider
nur von geringem Erfolg begleitet, besonders wohl aus dem Grunde, weil sich das ganze Gebiet des Automobilwesens noch mitten
im Entwickelungsstadium befindet und die in Frage kommenden Firmen die Resultate ihres mühsamen und kostspieligen Studiums
nicht ohne weiteres preisgeben möchten.
Deshalb kann der Aufsatz auf erschöpfende Vollständigkeit keinen Anspruch machen, ist vielmehr als ein Glied in den Versuchen
anzusehen, das vielfach verstreute Material zu sammeln und nach einheitlichen Gesichtspunkten zu ordnen. Als Unterlagen dienten
insbesondere die Jahrgänge 1898 und 1899 der Zeitschriften Dinglers polytechn. Journal, Elektrotechnische Zeitschrift, Uhland's prakt. Maschinen-Konstrukteur, Revue industrielle, Le
Génie Civil, Industries und
Iron, American Machinist u.a.m., sowie Baudry de Saunier, Das Automobil und das von den Fabriken überlassene Material.
Nach Möglichkeit sollen bei dieser Besprechung die lebensfähig gewordenen Systeme Berücksichtigung finden, jedoch aus inneren
Gründen nicht in der geschichtlichen Reihenfolge Dampf-, Benzin-, Akkumulatorwagen, sondern mit dem Dampfautomobil an letzter
Stelle.
Benzinwagen.
Es ist leicht erklärlich, dass die ersten ernsthaften Bestrebungen, ein für alle Strassen benutzbares, durch eigene motorische
Kraft getriebenes Gefährt zu konstruieren, von der Dampfmaschine als Motor ausgingen, welche sich ja für den Verkehr auf Schienenwegen
so glänzend bewährte. Es gelang bekanntlich auch, solche Fahrzeuge herzustellen und in Betrieb zu erhalten; aber es zeigten
sich jene Nachahmungen der Lokomotive, was im Hinblick auf die Eigentümlichkeiten dieses Motors mit seinem Zubehör ebenfalls
leicht zu verstehen ist, nur für solche Zwecke verwendbar, bei denen es sich um die Bewegung grösserer Massen handelte, also
für Frachtverkehr oder als Ersatz der Strassenbahnen.
Leichte Fahrzeuge, welche als Equipagen, Jagdwagen und Droschken nur wenige Personen, oder als Geschäftsund Postwagen leichtere
Gepäckstücke rasch und bequem befördern könnten, gelang es damals mit jenem System nicht herzustellen, bildeten doch der Kessel
und die mitzuschleppenden Wasser- und Kohlenvorräte an sich schon eine derartig hohe Belastung bei gleichzeitig unverhältnismässig
grossem Raumbedarf, dass an einen wirtschaftlichen Betrieb wenigstens für die eben genannten Zwecke nicht zu
denken war.
Deutschen Ingenieuren blieb es bekanntlich vorbehalten, in diesen Bestrebungen einen vollständigen Umschwung zu schaffen.
Daimler und Benz in erster Linie erkannten die Unfähigkeit des vorhandenen Dampfmotors für den vorliegenden Zweck und beschäftigten sich daraufhin
mit den Eigenschaften der Explosionsmotoren, die wenigstens hinsichtlich der in Frage kommenden Gewichte entschiedene Ueberlegenheit
zeigten, denn sie bedurften keinen Dampfkessel und nur wenig Wasser zu Kühlzwecken, auch konnten sie ihren Energiebedarf in
bequemster Form und auf engstem Raum als Flüssigkeitmit sich führen. Immerhin war der bis dahin bekannte stationäre Benzinmotor noch reichlich schwer und kam mit seinen 200 kg
pro Pferdestärke für leichte Fahrzeuge ebenfalls kaum in Frage.
Nun wird ein jeder Motor bekanntlich um so kleiner und leichter, je rascher er läuft bezw. je grösser in dem Produkt „Kolbenkraft mal Kolbengeschwindigkeit“, welches der Leistung des Motors entspricht, das zweite Glied ausfällt. Die damals, etwa bis 1885, bekannten Benzinmotoren
hatten vom älteren Gasmotor her die Flammenzündung übernommen, d.h. das im Cylinder komprimierte Benzindampf- und Luftgemisch
wurde im geeigneten Moment durch Vermittelung einer ständig brennenden Zündflamme zur Explosion gebracht. Diese Zündart versagt
bei grösseren Kolbengeschwindigkeiten schon aus dem Grund, weil bei ihr bewegte Steuerteile vorhanden sind, deren gutes Funktionieren
wesentlich von einer massigen Geschwindigkeit abhängt. Hier brachte die Glührohrzündung, in ihrer Eigenart von Daimler ersonnen, einen vollständigen Umschwung; mit ihr und einem ebenfalls eigenartig konstruierten Verdampfer konnte er seinen
sorgfältig durchgebildeten Viertaktmotor auf so hohe Tourenzahl bringen (600 bis 800 pro Minute), dass das Gewicht nur noch
etwa 40 kg pro Pferdestärke betrug.
Bei dieser Gelegenheit sei übrigens erwähnt, dass neueste Konstruktionen für leichte Fahrzeuge eine Umdrehungszahl bis zu
1800 und selbst 2000 pro Minute besitzen.
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Fig. 1.De Dion et Bouton-Motor.
Fast gleichzeitig trat die Firma Benz und Comp. in Mannheim mit ihrem ebenfalls für Automobilzwecke bestimmten Benzinmotor von durchaus abweichender Bauart hervor, benutzte
eine besondere Verdampferkonstruktion und bildete die elektrische Zündung so weit aus, dass sie der Glührohrzündung ebenbürtig
wurde.
So sind diese beiden deutschen Firmen im Benzinwagenbau die Vorgänger, ihre Motoren, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird,
die Vorbilder für alle übrigen fremden und einheimischen Konstruktionen geworden.
Bevor ich auf die Einzelheiten der verschiedenen Konstruktionen näher eingehe, möchte ich kurz das Folgende vorausschicken:
Alle bisher praktisch erprobten Explosionsmotoren für Automobilzwecke arbeiten, wie die gebräuchlichen Gasmotoren, im Viertakt,
d.h. nach je vier Hüben wiederholen sich stets die gleichen Erscheinungen, und zwar bekanntlich in nachstehender Reihenfolge:
1. Hub – Hingang – Ansaugen des Gemisches;
2. Hub – Rückgang – Kompression, im letzten Moment Zündung;
3. Hub – Hingang – Explosion und Expansion, Arbeitsleistung;
4. Hub – Rückgang – Entfernung des grössten Teils der Verbrennungsgase.
Wie ersichtlich, wird nutzbare Arbeit nur während eines Hubes geleistet; während der übrigen drei Hübe wird Arbeit verzehrt,
die den bewegten Massen des Wagens und Schwungrades entnommen werden muss und ist während dieser drei Hübe auch der Fahrwiderstand
zu überwinden.
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Ursprüngliche Bauart des Daimler-Motors.
Noch muss darauf hingewiesen werden, dass man sich vielfach gewöhnt hat, die Bezeichnung „Petroleummotor“ auf alle Explosionsmotoren anzuwenden, welche mit Petroleumdestillaten arbeiten, während man sonst unter Petroleum schlechthin
nur das raffinierte sogen. Lampenpetroleum versteht. Letzteres mit dem spezifischen Gewicht 0,8 bis 0,82 findet bei stationären
Maschinen vielfach Verwendung, auch bei Motorbooten wegen seiner grösseren Feuersicherheit, verbindet aber mit dem letztgenannten
Vorteil den Nachteil sehr geringer Verdampfungsfähigkeit bei gewöhnlicher Temperatur. Die eigentlichen Petroleummotoren besitzen
daher als unentbehrlichen Bestandteil einen unter hoher Temperatur zu haltenden Vergasungsraum, in welchen der Brennstoff
in genau bestimmter Menge durch eine eigene Steuerung eingeführt werden muss. Hierunter leidet die Betriebssicherheit, insbesondere
die Betriebsbereitschaft beim Anfahren, da das Anheizen des gusseisernen Vergasers (nicht zu verwechseln mit dem Zündglührohr)
längere Zeit erfordert.
Frei von diesen Nachteilen ist der Benzinmotor. Sein Brennstoff, das Benzin mit 0,68 bis 0,7 spez. Gewicht, verdampft schon
bei gewöhnlicher Temperatur in solcher Menge, dass durch darüber hinstreichende Luft ein brennbares Gemisch erzeugt wird,
welches, dem Cylinder zugeführt, in der Regel sofort eine Explosion ergibt. Aus diesem Grunde arbeiten weitaus die meisten
Automobil-Explosionsmotoren mit Benzin und sollen daher im folgenden immer als Benzinmotoren bezeichnet werden, auch wenn
sie in der Litteratur häufig die Namen Petroleummotor, moteur à pétrole, oil engine tragen. Die technischeBezeichnung für unser Benzin (auch wohl Ligroin und Gasolin genannt) ist im Französischen essence (de pétrole), im Englischen
petroleum spirit.
Nach diesen Erläuterungen gehen wir zur Beschreibung der Motoren selbst, ihrer Bestandteile und ihres Zubehörs über, deren
allgemeine Anordnung in Fig. 1 schematisch an einem Fahrradmotor dargestellt ist, umfassend alle für den Betrieb wesentlichen Teile, nämlich den Cylinder
D nebst Zubehör (Steuerung, Antrieb, Auspufftopf), den Verdampfer C und die Zündvorrichtung T.
I. Allgemeine Bauart.
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Fig. 4.Gaillardet-Motor der Société Française d'Automobiles.
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Fig. 5.Aster-Motor.
Die Benzinmotoren der Automobilen besitzen wie alle neueren Viertaktmotoren Ventilsteuerung, und zwar münden beide Ventile
nach innen in die Explosionskammer
(vgl. den De Dion et Bouton-Motor Fig. 1); das Saugventil wirkt selbstthätig, das Auspuffventil ist gesteuert, gewöhnlich durch eine unrunde Scheibe G von einer besonderen Steuerwelle aus, welche nur halb so rasch umläuft wie die Kurbelwelle.
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Neuer Phönix-Motor der Daimler-Motorengesellschaft.
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Fig. 8.Ursprüngliche Bauart des Benz-Motors.
Ein besonderer Kreuzkopf fehlt ebenso wie bei den stationären Motoren dieser Bauart. Der Hauptunterschied gegenüber den letzteren
ist in der gedrungenen, meist rundherum geschlossenen Bauart gegeben, welche dem Motor das so erwünschte geringe Volumen und
seine Unempfindlichkeit gegen äussere Einflüsse verleiht (vgl. Fig. 1 bis 7).
Das Kurbelgehäuse ist dabei in der Regel öldicht geschlossen und ermöglicht eine sehr gründliche Schmierung nicht nur der
im Oel laufenden Kurbel und der Wellenlager, sondern auch des Kolbens, da beim Rückgang die Flüssigkeit von der rapid bewegten
Kurbel bis in den Cylinder hinein geworfen wird.
Wie man aus Fig.
2 und 3, welche die ursprüngliche Bauart des Daimler-Motors darstellen, ersieht, ist dies geschlossene Gehäuse schon damals zur Anwendung gekommen und, wie ein Vergleich mit Fig. 1 bis 7 und anderen ergibt, vorbildlich geworden; in neuester Zeit versucht man die Teilfuge horizontal zu legen, so beim Gaillardet-Motor der Société Française d'Automobiles (Fig. 4), beim Aster-Motor
(Fig. 5) und beim Phönix-Motor (Fig. 6 und 7), womit man den Vorteil erstrebt, leichter zu den bewegten Teilen zu gelangen und, wenn erforderlich, die Maschine selbst
mit wenig Mühe abzumontieren.
Dieser ältere Daimler-Motor ist vertikal eingebaut und besitzt zwei ein wenig schräg gegeneinander geneigte Cylinder, deren gemeinsame Mittel ebene
senkrecht zum Wellenmittel steht; sie arbeiten auf eine gemeinsame Kurbel. In neuerer Zeit hat die Daimler-Motorengesellschaft, das Zweimotorenprinzip beibehaltend, diese eigentümliche Bauart wieder verlassen; unter dem Namen Phönix-Motor baut sie
die neue Maschine mit parallel nebeneinander gelagerten Cylindern (Fig. 6 und 7), was mit Rücksicht auf Fabrikation und Montierung entschieden eine Verbesserung bedeutet, wiewohl der Raumbedarf dadurch
etwas zugenommen hat.
Abweichend davon ist die Einrichtung der Benz-Motoren. Ihre ursprüngliche Bauart erhellt aus Fig. 8, einer Abbildung des ältesten Benz-Wagens und wohl gleichzeitigältesten Benzinwagens überhauptVon der Firma Benz und Co., Rheinische Gasmotorenfabrik A.-G., uns nebst Zeichnung der Details (s. unten) freundlichst zur Verfügung gestellt.. Der Motor ist eincylindrig, parallel zur Wagenlängsachse gelagert und arbeitet auf eine vertikal gestellte Kurbelwelle,
so dass sich das in der Figur besonders ins Auge fallende Schwungrad in einer Horizontalebene dreht.
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Fig. 9.Benz-Roger-Motor.
Diese originelle Bauweise musste bald der jetzt gebräuchlichen mit wagerechter Kurbelwelle weichen. Doch hat sich das Wesentliche
der älteren Anordnung, die Benutzung eines einzigen horizontal eingebauten Cylinders, bis heute erhalten (vgl.
Fig. 9, Bauart Benz-RogerAus L. Périssé, Automobiles sur rontes, Paris, Gauthier-Villars et Fils.; für besonders grosse Leistung finden übrigens auch zwei Cylinder Verwendung). Ein einziger, also grösserer Motor besitzt
einen besseren Wirkungsgrad als zwei ihn ersetzende kleinere Motoren, andererseits freilich einen geringeren Gleichförmigkeitsgrad;
die horizontale Anordnung erleichtert wesentlich den Einbau in das Wagengestell. Charakteristisch ist dabei insbesondere noch
der Verzicht auf eine Einkapselung der Kurbel. Man unterlässt es also, von den vorhin aufgeführten Vorzügen dieser Bauweise
Gebrauch zu machen, und gewinnt damit einen anderen Vorteil, den einer besseren Kühlung des Cylinders auch von der Innenseite
des hohlen Kolbens aus.
(Fortsetzung folgt.)