Titel: | Dezimale Tagesteilung. |
Autor: | O. L. |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 189 |
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Dezimale Tagesteilung.
Dezimale Tagesteilung.
In dem in D. p. J. 1899 313 29 veröffentlichten Bericht über die von französischer Seite gethanen Schritte zur Einführung einer Dezimalteilung des Kreisbogens
war darauf hingewiesen, dass wie vor einem Jahrhundert bei Einführung der Dezimalteilung von Mass und Gewicht, so auch heute
noch das Wagnis, einer entsprechenden Reform der Tagesteilung zur Herrschaft zu verhelfen, für undurchführbar erachtet werde
in Anbetracht des konservativen Sinnes der Kulturmenschheit (oder vielleicht richtiger von deren Trägheitsmoment), die sich
ihre altgewohnte und gewissermassen durch Pietät geheiligte Zeitrechnung nicht werde entreissen lassen; das sei um so weniger
zu erwarten, als hiermit eine allgemeine Vermögensschädigung verknüpft wäre, da alle bisher benutzten Uhren fernerhin untauglich
würden. Obwohl anerkannt wurde, dass es in wissenschaftlichem Interesse zweckmässiger sei, die Dezimalteilung von Tageszeit
und Kreisbogen gemeinsam und nach übereinstimmenden Grundzügen zu ordnen, wird eben jetztvon französischer Seite, um wenigstens letztere Reform zu erzielen, vorgeschlagen, beiderlei Teilungen getrennt voneinander
zu halten und sich zunächst mit dem Dezimalbogengrade zu begnügen. Hiermit ist nun zwar nicht ausdrücklich zugestanden, dass
man auf eine Dezimalteilung unserer Tagesteilung für immer und ganz verzichten wolle, aber deren Aussichten werden schon durch
die Vorwegnahme der Kreisteilung sehr verschlechtert und noch viel mehr kann das durch die Wahl der Kreisbogeneinheit geschehen.
Hegt man in Wahrheit den Willen, durch die Vorwegnahme der Dezimalteilung des Kreisbogens auch einer solchen der Tageszeit
die Bahn zu ebnen und das Bedürfnis nach dieser in weiteren Bevölkerungskreisen zu wecken, so muss jene derart gewählt sein,
dass diese als eine leicht ein- und durchführbare Ergänzung erscheint; anderenfalls verschliesst jene letzterer das Eingangsthor
für immer.
Diese schlimme Folge für die Zeitteilungsreform droht nun in der That der französische Vorschlag einer Hundertteilung des Kreisquadranten mit sich zu bringen, weil für die Tagesteilung
der volle Kreis die einzig taugliche Grundlage bildet. Die für die Dezimalzeit Interessierten könnten deshalb versucht sein,
der von den deutschen Mathematikern und Astronomen auf der letzten Naturforscherversammlung bethätigten Zurückhaltung gegenüber
dem französischen Entwurf Dank zu wissen, wenn hiervon eine Verhinderung der Ausführung jenes Planes zu gewärtigen wäre; Aussichten
auf Erfolg und Beachtung eröffnen sich jedoch bei dem in Verbindung mit der Weltausstellung ausgeschriebenen Kongress nur
für positive Verbesserungsvorschläge; denn in dem bereits so weit vorgeschrittenen Stadium der Vorbereitung wird man auf irgend
welche Bethätigung des Reformdranges seitens der romanischen Nationen wohl nicht mehr verzichten.
Einen Einblick in die bei einer solchen Reform zu berücksichtigenden Verhältnisse erhält man durch einen in Nr. 540 des Prometheus (vom
14. Februar 1900) veröffentlichten Aufsatz über „Die dezimale Zeit- und Kreisteilung, ein Kulturfortschritt“ von P. Crueger, der daselbst einen von ihm erdachten und sicherlich beachtenswerten Vorschlag der einheitlichen Verbesserung von Zeit- und
Bogenteilung entwickelt; schon dieses interessanten Vorschlags halber dürfte ein ausführlicher Bericht den Lesern willkommen
sein, denn jeder möchte doch wohl gern erfahren, welche Zumutungen an ihn gestellt werden, Altgewohntes aufzugeben, und auf
welche Vorteile ihm als Lohn für dieses Opfer die Aussicht eröffnet wird.
Zunächst ist aber die Frage zu erwägen: ist unsere übliche Tagesteilung wirklich reformbedürftig oder kann man sie ruhigen
Gemütes für ewige Zeiten bestehen lassen.
Wie früher mitgeteilt, wird ihre Reform von Seiten der französischen Gelehrten nur als ein Bedürfnis der Astronomen, Geographen
und Seefahrer hingestellt, das man, insoweit es durch die vorgeschlagene dezimale Bogenteilung brennend wird, mit Hilfe eines
Kunstgriffes zu befriedigen sucht; dem Volke dagegen, wobei dieser Ausdruck auf die ganze Bevölkerung, nicht auf einen Stand
bezogen ist, wagt man eine Reform gar nicht zuzumuten.
Crueger ist hierin radikaler; er findet unsere übliche Tagesteilung an sich dermassen schlecht und reformbedürftig, dass er auch
nicht an eine Anhänglichkeit des Volkes ihr gegenüber zu glauben vermag. „Das Volk ist nicht sentimental“, erklärt er; er hält es gewissermassen für einen Aberglauben, zu meinen, dass die grosse Masse des Volkes sich in die von
den Vorfahren überkommene und durch so viele Jahrhunderte bewährte heutige Tagesteilung so gründlich eingelebt habe, und so
völlig mit ihr verwachsen sei, dass beide unzertrennlich zusammen gehörten.
Dass unsere offizielle Tagesteilung in 2mal 12 Stunden von je 60 Minuten und Sekunden nicht übereinstimmt mit der des Astronomen
(und Italieners), der die 24 Stunden durchzählt, erachtet Crueger anscheinend für einen geringeren Uebelstand als den, dass sich das Volk aus jener noch eine dritte, eigene zurecht gemacht
hat. Das ist ihm ein Beleg dafür, dass die übliche Tagesteilung dem Bedürfnisse des Volkes keineswegs entspricht, mithin dieses
auch keine Vorliebe für jene besitzt; es sucht sich mit ihr vielmehr nur abzufinden so gut oder so schlecht es geht. „Man versetze sich einmal in Gedanken an einen Ort, wo man die Eigenart unseres Volkes leicht beobachten kann, etwa in das
Gewühl eines Wochenmarktes, und frage dort beispielsweise um 7 Uhr 41 Minuten morgens nach der Zeit. Man wird die verschiedensten
Antworten hören, aber kaum eine korrekte Zeitangabe erhalten. Der eine antwortet etwa ‚4 Minuten vor ¾ 8' oder ‚es fehlen
noch 4 Minuten an ¾ 8', ein anderer vielleicht ‚11 Minuten nach ½ 8', öfter noch hört man wohl ‚5 Minuten vor ¾ 8', denn das
Volk vernachlässigt gern einzelne Minuten. Die nächste Antwort ist vielleicht ‚¾ 8' oder, wenn einer sich
‚gebildet' ausdrücken will, ‚7 ¾ Uhr'. Damit ist die Zahl der vorkommenden Antworten keineswegs erschöpft. Aber
wo bleibt die korrekte Angabe ‚7 Uhr 41 Minuten'? Die hört man nicht; es müsste denn sein, dass ein Bahnbeamter oder sonst
jemand, der mit der Verkehrszeit vertraut ist, vielleicht im Scherz diese Antwort gibt, denn erweiss wohl, dass sie nicht verstanden wird. Das Volk jedenfalls versteht sie nicht, es kennt diese Art der Zeitangabe nur
aus gedruckten, öffentlichen Bekanntmachungen, z.B. aus den Fahrplänen der Bahnhöfe. So kostet es eine für manche recht mühsame
Rechnung, um daraus die volkstümliche Zeit abzuleiten.“
Hieraus zieht Crueger die Schlussfolgerung, dass das Volk „die Einteilung in Stunden mit 60 Minuten verwirft und dafür nach Viertelstunden rechnet, so dass der volkstümliche Tag nicht
2 × 12 Stunden, sondern 2 × 12 × 4 = 96 Viertelstunden hat, denn diese sind dem Volke die Zeiteinheiten, an welche es die
Minuten anlehnt. Dabei sucht es sich häufig die nächste Viertelstunde aus, um von dieser an die Minuten zu zählen und scheut
selbst das Rückwärtszählen nicht. Man hört öfter ‚4 Minuten vor ¾ 8' als ‚11 Minuten nach ½ 8', auch werden die runden ‚5'
und ‚10' Minuten bevorzugt. Das Volk zählt also nicht gern über 10 Minuten, liebt aber die einzelne Minute nicht, sie ist
ihm zu klein. Und von Sekunden weiss das Volk erst recht so gut wie nichts. Wenige haben heute Gelegenheit, eine richtige
Sekunden tickende Uhr zu hören, seit die hohen Standuhren aus Grossvaters Zeit immer mehr verschwinden, um modernen, zierlicheren
Uhren Platz zu machen, für welche das Sekundenpendel um etwa Meterlänge zu lang ist. Die Sekundenzeiger der Taschenuhren lehren
auch nicht die Länge einer Sekunde. Also lernt das Volk wohl in der Schule, dass 60 Sekunden eine Minute machen, aber es wendet
die Sekunden nicht an. So dürfte der Nachweis erbracht sein, dass das Volk nicht an dem althergebrachten Zeitmass hängt, da
es weder die Stunde als Zeiteinheit benutzt, noch mit 60 Minuten rechnet, noch die Sekunden gebraucht. Es rechnet nach Viertelstunden
und zählt von diesen aus die Minuten. Diese Art der Bezeichnung hat ziemlich alle die Mängel, welche eine gute Massangabe
nicht haben darf. Sie ist weitschweifig, denn sie erfordert Worte, welche mit Mass und Zahl nichts zu thun haben, – schwankend,
denn die gleiche Zeit wird auf die verschiedenste Art bezeichnet, – unsicher, denn man verwechselt leicht 7¾ mit ¾ 7 – und
nicht einmal eindeutig, denn sie überlässt dem Fragenden hinzuzudenken: morgens, vormittags, mittags, nachmittags, abends
oder nachts.“
Dieser Darlegung, die im Interesse der Absichten des Autors grösstenteils wörtlich wiedergegeben ist, erscheint es wohl angemessen,
einige Worte der Kritik folgen zu lassen; zuvor möchte ich jedoch noch die Gründe mitteilen, warum nach Ansicht Crueger's die Stunde als Zeiteinheit vom Volke verworfen wird. Den einen Grund erblickt er darin, dass der Zeitraum einer Stunde anscheinend
für das Bedürfnis zu gross ist, der Hauptgrund aber sei der, dass die 60-Teilung unübersichtlich ist, weil wir im dekadischen
System rechnen und schätzen. „Jedes Kind weiss, was 47 Pfennige sind; was dagegen
47 Minuten sind, weiss selbst der Erwachsene nicht ohne weiteres, sondern er muss sich erst erinnern, dass hier
60 das Ganze ist, und dann findet er durch Umrechnung, nicht wie beim Dezimalsystem durch instinktive Schätzung, dass 47 wenig
grösser ist als ¾ vom Ganzen. Es liegt hier ein allgemeines Gesetz vor, welches für alle Zeiten und alle Völker gilt, das
aber erst bei den grösseren Teilungen in 60, 80 oder 360 Teile recht deutlich hervortritt: Jede willkürliche, nicht dem herrschenden
Zahlensysteme entnommene Teilung entbehrt der Anschaulichkeit. Denn jede andere als die Dezimalteilung steht im Widerspruch
zu der von Jugend auf geübten dezimalen Zählweise, indem sie statt der dort geltenden dekadischen Einheiten 10, 100, 1000
u.s.w. neue, nach anderen Gesichtspunkten gewählte Einheiten einführt, für die jede Zahl ihren vom Zählen her bekannten Wert
verliert und dafür einen neuen, vorläufig unbekannten Wert annimmt, der jedesmal erst durch Umrechnung zu ermitteln ist. Ein
geübter Rechner mag sich vielleicht mit einem so wenig ökonomischen System befreunden, das Volk aber liebt anschauliche Grössen
und scheut jede Umrechnung.“
Crueger glaubt also bewiesen zu haben, dass die volkstümliche Zeiteinheit in der Dauer einer Viertelstunde bestehe. Hiervon wird
es ihm aber wohl nur wenige zu überzeugen gelungen sein, denn mit denselben Mitteln kann man noch viel plausibler machen, dass der französischen Geldrechnung der Sou und der früheren preussischen der Dreier (z.B.
im Ausdruck: 6 Dreier-Rentier) oder der Groschen zu Grunde gelegt sei. Das sind aber eben nur Begriffe des Kleinlebens. Wäre
die Viertelstunde die volkstümliche Einheit, so müsste auch der Ausdruck „zwei Viertel“ für eine halbe Stunde üblich sein, den zu gebrauchen gewiss niemand einfällt. Als Einheit ist ersichtlich die Stunde sehr
volkstümlich, und sie sich rauben zu lassen, wird das Volk schwerlich dulden; eher wird es zugeben, dass sie bis um die Hälfte
ihrer Grösse verlängert oder bis um ein Viertel verkürzt werde. Dass für die Stunde die Vierteilung so allgemein üblich und
in erster Linie gebräuchlich ist, rührt nur daher, dass bei einer Zeitangabe im bürgerlichen Leben der gleichzeitige Gebrauch
zweier konkreter Massbezeichnungen geziert klingt. Statt
1 Uhr 15 Minuten sagt man eben lieber 5/4 Stunden, wie man auch den Ausdruck 120 cm vorzieht vor 1 m 20 cm. Anzuerkennen ist nur als auffällige Gewohnheit, dass von
den naheliegenden Teilungen der Stunde nur die in Viertel, dagegen nicht die in Drittel und noch weniger die in Fünftel oder
Sechstel üblich ist. Wenn man danach doch noch zur Minutenangabe fortschreitet und den Stunden vierteln noch Minuten in Gruppen
von
5 oder 10 zu- oder abrechnet, so ist letztere Zahlenwahl bei Leibe nicht als eine instinktive Vorliebe des Volkes
für die Dezimalteilung zu deuten, die sich hierin schon vor deren Popularisierung durch Mass, Gewicht und Geld offenbart hätte,
sondern das ist wohl nur dem Umstände zuzuschreiben, dass auf den Zifferblättern die
5-Minuten-Abschnitte durch die dort auch angebrachten Stundenziffern ausgezeichnet sind; dieser Sinneseindruck haftete
natürlich im Gedächtnisse und erhob die
5-Minuten zur Würde von Zeiteinheiten. Dass im Gegenteil die Duodezimalteilung viel volkstümlicher ist als die Dezimalteilung,
ist schwierig zu bestreiten. Hätten wir noch wie vor 30 Jahren den Groschen zu 12 Pf. und den Fuss zu 12 Zoll, so würde ein
Verlangen nach einer Dezimalteilung der Tageszeit wohl kaum laut werden. Aber eines zieht eben das andere nach sich, und so
kann man wohl einräumen, dass sich schon jetzt, und mit der Zeit immer stärker, auch im bürgerlichen Leben ein Bedürfnis nach
dezimaler Zeitteilung offenbare, und wäre das auch nur in Anbetracht der Zeitangaben der Fahrpläne, auf denen man in der Zerstreutheit
die Minutenangabe leicht als Dezimalteilung liest.
Des weiteren kann ich (mit Crueger) als einen möglichst abzustellenden Uebelstand an unserer üblichen Stundenzählung im bürgerlichen Leben nur noch den anerkennen,
dass diese bei Benachrichtigungen noch die Zugabe eines Tageszeitvermerks erfordert, indem dessen Auslassung, ob mittags oder
nachts, vor- oder nachmittags gemeint ist, die Quelle vieler Miss Verständnisse und Verdriesslichkeiten werden kann. Es ist
das aber ersichtlich ein untergeordneter Missstand, der vielleicht schon durch eine internationale Konvention über ein Zeichen
für den zweiten Tagesumlauf des Stundenzeigers zu mildern wäre, und dessen Abstellung sicherlich nicht mit für das tägliche
Leben noch unangenehmeren Einrichtungen, z.B. hohen Stundenzahlen und unübersichtlichen Zifferblättern erkauft werden darf.
Dabei ist aber ferner zu bedenken, dass auch die Dezimalteilung nicht frei von Uebelständen für den allgemeinen Gebrauch sein
wird, und allen Anforderungen ebenfalls nicht genügen kann. Im Volke wird man an ihr insbesondere die als Vorzug der Duodezimalteilung
anerkannte Möglichkeit der rationellen Dreiteilung des Tages schmerzlich vermissen, und dürften ihr, die den vielgenannten
Achtstundenarbeitstag scharf und bequem abzugrenzen nicht gestattet, schon deshalb die Arbeiter und Sozialdemokraten ablehnend
gegenübertreten.
Kann ich mich also mit Crueger's Vorschlage, die Zeitdauer von ungefähr einer Viertelstunde zur Masseinheit zu wählen, nicht einverstanden erklären, und den
von ihm ausgearbeiteten Entwurf als den Lebensbedürfnissen angepasst nicht anerkennen, so möchte ich diesen doch, da er sicherlich
verbesserungsfähig ist, zumeist mit Unterdrückung jeder Kritik, hier weiter vorführen, nur um zuzeigen, welche Vorteile überhaupt von einer dezimalen Zeitteilung zu erwarten wären.
Wie im Vorstehenden schon beiläufig angegeben, zählt der Zeitraum eines Tages 96 Viertelstunden, also nahezu 100; teilt man
ihn in 100 Einheiten, so bedarf es für solche Einheit eines neuen Namens, der von einem internationalen Kongresse festzusetzen
wäre. Einstweilen bezeichnet Crueger sie als „run“, ihren zehnten Teil als decirun oder „mar“ (= 1,44 Minuten), ihr Tausendstel als millirun oder „set“ (= 0,864 Sekunde), während ihr Zehnfaches (1 dekarun = 2 Stunden 24 Minuten) keinen besonderen Namen erhält. Unserer jetzigen
Stunde kommen da 4 run (57,6 Minuten) und 5 run (1 Stunde 12 Minuten) nahe.
Als Vorteil dieser Teilung wird nun zunächst hervorgehoben, dass das „set“ als Mass die alte Sekunde um etwa ⅙ an Feinheit übertrifft und doch noch 0,1 set leicht abzuschätzen gestatten wird, und
dass das set-Pendel eine für unsere Uhrwerke handliche Länge, nämlich von nur 0,742 m erhalten wird; es kann mithin ausgedehntere
Verwendung an unseren Zimmeruhren finden als wie das um ¼ m längere Sekundenpendel.
Den Beginn des Tages zu Mitternacht angenommen, würde demnach dem Mittage 50 run entsprechen, und würden alle run-Summen unter
50 auf die Vormittagszeit fallen, die über 50 dagegen auf Nachmittag, „wobei die Zeiteinteilung des Tages nur um wenige Minuten Verschiebung erfährt, welche durchschnittlich geringer ist, als
die durch die Einführung der mitteleuropäischen Zeit herbeigeführte. Auch die tägliche Arbeitszeit braucht keine merkliche
Aenderung zu erfahren, um in vollen run angegeben zu werden; wohl aber würden nötige Verlängerungen oder Verkürzungen der
Arbeitszeit nicht so sprungweise wie jetzt um ganze Stunden erfolgen müssen. – Eine täglich 6stündige Arbeitszeit wäre genau
25 run, ein
8stündige 5 Minuten länger als 33 run. eine 10stündige 5 Minuten kürzer als 42 run.“ – „Termine werden bequem auf volle run gelegt werden. Die Abgangszeiten der Züge werden. einfacher in run und mar als jetzt
in Stunden und Minuten angegeben werden. Die Fahrpläne und Kursbücher werden kürzer und übersichtlicher, da die Spaltbreite
dann nur dreizifferig ist, jetzt vierzifferig; die Uebersichtlichkeit gewinnt, weil die Unterscheidung der Tages- und Nachtzeiten
durch Unterstreichen fortfällt“ und weil 43,7 (= 43 run 7 mar) deutlicher ist als 1038 (10 Uhr 38 Minuten vormittags). Für Astronomen und Seeleute gäbe es die zeitgemässe Veranlassung, die bisher übliche Datumsänderung
vom Mittag auf Mitternacht zu verlegen. Der Zeitpunkt einer astronomischen Beobachtung, z.B. am 16. Juli 0 Uhr 40 Minuten
21,71 Sekunden (d.h. 40⅓ Minuten nach Mitternacht) würde nach neuem System lauten: „Juli 16,0342796“ (d.h. 3 run 4 mar 27,96 set).
Wegen der zwischen alter und neuer Zeitteilung vorhandenen Beziehungen sollen auch die Uhren den Uebergang überraschend leicht
mitmachen können, allerdings sicherlich leichter, als der Uebergang von Fuss, Zoll u.s.w. zum metrischen Mass und Gewicht
war. Man brauche an alten Uhren nur das Zifferblatt und einige Räder des unter ihm befindlichen Zeigerwerks gegen neue auszuwechseln;
z.B. wäre bei gewöhnlichen Schwarzwälderuhren statt des Wechselrades von 36 Zähnen ein solches von 25 Zähnen und statt des
Minutenrades von 24 Zähnen ein Zeigerrad von 40 Zähnen einzusetzen, dann erfolge die Umdrehung des Zeigerrades nicht mehr
in 1/24 Tag, sondern in 1/10 Tag. Crueger hat nämlich sehr richtig erkannt, dass ein Zifferblatt für den ganzen Tagesverlauf wegen der vielen und dann schwer erkennbaren
Ziffern unpraktisch ist, und eins, das alle 100 run verzeichnen sollte, dem Bedürfnisse sogar Hohn sprechen würde. Deshalb
lässt er den Zeiger seine Rundreise täglich zehnmal machen. Bei dieser Beschränkung des Zifferblattes auf 10 run = 1 dekarun
werden von dem einzigen vorhandenen Zeiger die „mar“ und die Einer der run unmittelbar angezeigt, während für die Dekaden der run eine Ziffernscheibe unter dem eigentlichen Zifferblatt
drehbar angebracht ist, so dass man in einem Ausschnitte des letzteren je eine von den auf dem Umfange jener befindlichen
Ziffern von 0 bis 9 sehen kann; nach jedem vollen Umlauf des Zeigers wird die untere Ziffernscheibe durch einen am Zeigerrade
befestigten Stift um eine Ziffer weiter gerückt. So ist zu dem Zeitpunkte 11 Uhr 39 Minuten nachts im Ausschnitte des Zifferblattes eine
9 zu lesen vor einer unverschiebbar angebrachten 0 (also 90 run), während der Zeiger auf den 4. Teilstrich vor der
9 des Zifferblattkreises hinweist, d.h. also auf 8,6 run; zusammen gibt das 98,6 run. Wohl begreiflich ist es da aber, dass
Crueger die Beschaffung ganz neuer Uhren anstatt Umänderung der alten empfiehlt.
Textabbildung Bd. 315, S. 191
Wie sich jedoch Crueger die Funktion des Schlagwerkes vorstellt, verschweigt er wohlweislich; soll etwa nach Ende jedes der 100 run die Glocke deren
Ziffer angeben? Wer würde wohl diese Glockenschläge zählen? Diese andauernde Bimmelei würde sich jedermann verbeten. Würden
aber von der Glocke innerhalb jedes Dekaruns oder Zeigerumlaufs nur die Einer angegeben, die Dekaruns jedoch nur bei deren
Ablauf, wo auch die erwähnte Ziffernscheibe um eine Stelle weiter rückt, so gäbe selbst diese Einrichtung für Mitternacht
immerhin noch 2 × 10
= 20 Glocken schlage. In den Zwischenzeiten aber, wenn man nur die Einer der Rundekade schlagen hört, weiss man nicht,
um welche Dekade es sich handelt. Zwar bestreitet dies Crueger mit der Behauptung, man irre in der Zeitabschätzung nicht leicht um eine Rundekade = 2 Stunden 24 Minuten, aber man wolle
nur bedenken, dass z.B. zu Winterszeit ein Kranker von unruhigem Schlafe in der Finsternis um 9 Uhr 21½ Minuten, 14½ Minuten
vor Mitternacht, 2 Uhr 9½ Minuten danach, 4 Uhr 33½ Minuten und 6 Uhr 48 Minuten morgens, also zu fünf verschiedenen Zeitpunkten
aufgewacht jedesmal 9 Glockenschläge hören kann; weiss er da, welche Zeit es ist?
Auf die Kreisbogenteilung überträgt Crueger seine Bezeichnungen in der Weise, dass der Vollkreis 100° oder run, das run 10 mar, dieses wieder 100 set und das set 100
„tom“ zählt. Da ergibt sich eine bestechende Harmonie zwischen den neuen Bogen- und Zeitteilungen und den dezimalen Längenmassen.
Sie kommt zunächst der Geographie zu gut; 1 run auf dem Meridian entspricht 400 km.
„Da die Sonne (scheinbar) in einem Tage den Umfang der Erde = 100 run durchläuft, so haben alle Orte, welcheeinen geographischen Längenunterschied von 1 run haben, auch einen Unterschied in der mittleren oder wahren Zeit um 1 run“ (ein Vorteil, den natürlich auch anders gewählte Einheiten bei in den Grundlagen übereinstimmenden Bogen- und Zeitteilungen
bieten werden).
Berechnet man die Geschwindigkeit v=\frac{s}{t} eines Eisenbahnzuges, der in einer Stunde einen Weg von 49 km zurücklegt, für eine Sekunde jetzt zu
\frac{4900}{60\,\times\,60}=\frac{490}{36}=13,61\mbox{ m.}
so geschieht das bei Crueger's Zeitordnung nach der einfachen Regel: wie viel Kilometer in 1 run, so viel Meter in
1 set, also in 1 run 11,85 km, dann in 1 set 11,85 m.
Das Schema für die in Astronomie und Nautik häufige Umwandlung von Sternzeit in Grade der Rectascension und umgekehrt ist
jetzt:
104° 19' 36,47''
104^{\circ}=\frac{104}{15}=6\mbox{ St.}+14\,\times\,4\mbox{ Min.}=
6 St. 56 Min.
19'=\frac{19}{15}=1\mbox{ Min.}+4\,\times\,4\mbox{ Sek.}=
– 1 Min. 16 Sek.
36,47''=\frac{36,47}{15}=2,48\mbox{ Sek.}\ \ \ \ \ =
– – 2,43 Sek.
––––––––––––––––––––
Summa =
6 St. 57 Min. 18,43 Sek.
wogegen künftig ohne jede Rechnung bekannt ist, dass 25,82736 run Rectascension = 25,82736 run Sternzeit ist.
Während man jetzt bei Berechnung der Zeitdauern immer durch die 60-Teilung der Stunden, Minuten u.s.w. belästigt wird, z.B.
in
16
St.
27
Min.
34,28
Sek.
–10
„
48
„
49,45
„
––––––––––––––––––––––––––––––––
= 5
St.
38
Min.
44,83
Sek.
kann man künftig die Zahlen direkt nach dekadischer Ordnung voneinander abziehen, z.B.
67,83415
run
– 44,57942
„
––––––––––––––
= 23,25473
run.
Ebenso kann man bei Berechnung des Komplimentwinkels verfahren.
Danach erscheint es nicht zweifelhaft, dass die Vorteile einer auf einheitlicher Grundlage, nämlich der des Vollkreises, vorgenommenen Dezimalteilung von Tageszeit und Kreisbogen nicht nur der Astronomie und Nautik zu gute kommen wird, sondern
dass solche auch der Geo- und Stereometrie, der Physik und nicht zum wenigsten der Technik grosse Dienste leisten muss.
O. L.