Titel: | Die Entwickelung der Kriegsflotte Englands. |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 245 |
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Die Entwickelung der Kriegsflotte Englands.
Die Entwickelung der Kriegsflotte Englands.
In diesen Tagen, wo die Frage der Flottenvermehrung bezw. der Deckung der Kosten dafür mehr oder weniger jeden Deutschen,
vor allem aber das deutsche GewerbeDie Landwirtschaft ist leider dadurch, dass sie zu sehr in die Hände der Grossgrundbesitzer übergegangen und von der Ausfuhr
ausgeschlossen ist, in stetiger Furcht vor zu grosser Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, obgleich sie der Einfuhr ihrer
Dungmittel kaum entraten kann; sie fürchtet auch eine stetig wachsende Schwierigkeit in der Erlangung ihrer so nötigen Arbeitskräfte,
die den Gewerbemittelpunkten zuströmen.Der junge Deutsche, der 2 bis 3 Jahre hindurch im Heer oder in der Marine an der Seite von Altersgenossen aus allen Schichten
und Ständen der Bevölkerung sich für die Pflichten des deutschen Staatsbürgers – jederzeit bereit zu sein, Gut und Blut für
sein Vaterland hinzugeben – vorbereitet, und dessen Sinn sich erweitert hat, wird unschwer auf dem Lande Eindrücke empfangen,
welche so trefflich gekennzeichnet sind durch die von höchster Stelle gefallenen Worte, dass auf dem Lande häufig die Stallungen
besser wie die Arbeit er Wohnungen seien, denen er sich seinem Rechte gemäss entzieht durch den Zug in die Städte.Man sucht nach Ursachen für die soziale Bewegung – nach Mitteln für ihre Bekämpfung und will nicht sehen, dass jeder tüchtige
Soldat als Kämpfer für Menschenrechte nach Hause zurückkehrt und dass er durch gesetzliche, um bevorzugte Stände gezogene
Schranken gezwungen ist, Pflichten zu erfüllen, die ihn drücken, ohne sehr häufig Rechte zu finden, die seinem Wohlergehen
genügen. Dies treibt ihn in die Reihen der Unzufriedenheit und macht unsere Volksbewegung so lästig. Trotzdem aber bleibt
sie es, die den Fortschritt in die Wege leitet. berührt, welches in einer Gesamtheit von nahezu 11200000 Köpfen an der Ausfuhr der Erzeugnisse und der Einfuhr von Rohstoffen
beteiligt ist, und für welche namentlich eine Klarheit darüber erwünscht ist, inwieweit das Wachsen und Gedeihen – wie solches
in den letzten Jahren in ungeahnter Weise sich vollzog, und zwar vor allem zur See – auch eine Vergrösserung der Kriegsflotte
bedingt; in diesen Tagen, meinen wir, dürfte es von Wert sein, einen Blick auf die Entwickelung der Kriegsflotte Englands
zu werfen, als demjenigen Lande, welches in dem Seeverkehr die erste Stelle einnimmt, auf das dann freilich unmittelbar Deutschland
folgt.
Im Jahre 1884, als Deutschland seine ersten Schritte zur Erwerbung überseeischer Schutzgebiete einleitete, erwachte England
– plötzlich, darf man wohl sagen – zu dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit seiner Machtmittel zur See.
Auch die Leiter des englischen Gewerbes sowie des Handels traten in geschlossener Weise für eine Besserung ein, wobei sie
das Gesamtvolk hinter sich hatten.
Von technischer Seite nahm vor allem der EngineeringDessen verschiedene Jahrgänge dem Vorliegenden als Quölle dienten. die führende Stellung in die Hand, und trat der Unzulänglichkeit der von der Regierung getroffenen Massnahmen in schonungslosester
Weise entgegen.
Es wurde nachgewiesen, dass Frankreich in seinen Panzern sowohl, als auch in seinen Torpedobooten einen grossen Vorsprung
vor England erlangt habe. Ja Italien habe in seinen damaligen neuen Panzern „Dandalo“ und „Duilio“ zwei Schiffe, gegen welche der englische Panzer I. Klasse „Inflexible“ weder angriffs- noch verteidigungsweise,ja nicht einmal in Bezug auf Schnelligkeit aufkommen könne. – Der „Inflexible“, ein Schiff von 11880 t Verdrängung, hatte 600 mm Eisenpanzer und 35 t Geschütze und lief derzeit 10 bis 12 Knoten, der italienische
Panzer „Duilio“ mit 11138 t Verdrängung hatte 550 mm Stahlpanzer und
100 t Geschütze bei 14 bis 17 Knoten Geschwindigkeit. Dabei hatte der „Inflexible“ 30 Millionen M.Es ist stets 1 Pfd. Sterl. zu 20 M. gerechnet; wer die Summen der Thatsache entsprechend genauer haben will, muss sie um
1/40stel vergrössern (1 Pfd. Sterl. = 20,50 M.) oder nach dem Tageskurs umrechnen. gekostet, wofür man den „Duilio“ zweimal erstehen könne.
Ein englisches Mittelmeergeschwader wäre einem derart überlegenen Gegner gegenüber nicht in der Lage gewesen, angriffsweise
vorzugehen, sondern hätte sich darauf beschränken müssen, in Geschwaderaufstellung zu verbleiben und ein Stück Meer zu beherrschen
gerade so gross wie die Tragweite der Geschütze es gestattete, während andererseits der Gegner jedes englische Handelsschiff
an ihm geeigneter Stelle abfangen und als willkommene Beute heimführen könne.
Eine weitere vernichtende Abfertigung fand die von den englischen Schiffbautechnikern und Fachleuten an dem „Duilio“ geübte Kritik. Danach war erstens der „Duilio“ zu lang; aber ein auf dieses Urteil hin kürzer, breit und leicht hantierbar gebautes englisches Kriegsschiff drehte dann
so leicht, dass es stets abtrieb und unter keinerlei Umständen durch das Steuer in gerader Richtung fortbewegt werden konnte.
Die Folge war, dass es unter grossem Kostenaufwand und mit Verlust von 2 Knoten an seiner Geschwindigkeit umgebaut werden
musste.
Zweitens wurde behauptet, dem italienischen Schiffe fehlten die neuesten Verbesserungen; das englische Schiff wurde also zu
einer Art Museum für alle möglichen neuesten mechanischen Erfindungen ausgebaut, mit dem Erfolg, dass es bei der Beschiessung
von Alexandrien (11. Juli 1882) für jeden Schuss – 15 Minuten brauchte.
Ein weiterer „Plunder“, den diese Kritik aufdeckte, war die Neubewaffnung von drei Panzern der Northumberland-Klasse, die statt ihrer bisherigen
6½ t Geschütze solche von 12 t in der halben Anzahl der bisherigen erhielten. Nach Fertigstellung ergab sich aber, dass diese
Panzer auch dann nicht mehr im stände waren, den Kampf mit einem kleinen modernen Panzer aufzunehmen. Mithin sei das auf die
Neubewaffnung verwendete Geld im Betrage von 80 Millionen Mark einfach hinausgeworfen.
Scharf ins Gericht gegangen wurde ferner mit der saumseligen trödelhaften Weise der Herstellung der Panzerschiffe, welche
auf englischen Regierungs- und Unternehmerwerften 7 bis 8 Jahre in Anspruch nahm, während die Elswik-Werke (Armstrong-Mittchell und Co.) für Brasilien einen modernsten Panzer in 2 Jahren vom Tage der Bestellung an lieferten.
Man forderte daraufhin auch für englische Panzer kürzere Lieferfrist, und als Sir Nathaniel Barnaby – Konstrukteur der Admiralität – sich in der Times dahin ausdrückte, „es sei schon gefährlich, ‚auch nur zu vermuten', dass englische Panzer in so kurzer Zeit gebaut werden können,“ geriet er arg ins Gedränge, namentlich setzte ihm der Engineering, das best geleitete Fachblatt Englands, bös zu, hinter dem jedenfalls eine Anzahl der weitsichtigsten Männer des englischen
Handels und Gewerbes standen. Wenn der Ausländer (foreigner) in England gute und billige Schiffe erhalten könne, die trotzdem
ihren Erbauern etwas eintragen, weshalb nicht England?!
Sir Thomas Brassy, derzeit Admiralitätsrat, teilte mit, dass Deutschland zwar nur einen Panzer im Bau habe, dafür aber 16800000 M. für die Beschaffung
von Torpedobooten bereit gestellt habeDamals (1884) erschienen in Engineering Angaben und Zeichnungen über den deutschen Aviso Blitz, gebaut auf der Norddeutschen Werft Egells, Berlin-Kiel, Direktoren Jungermann und Schlick., während sich ergab, dass England nur 13 Torpedoboote I. Klasse und 53 II. Klasse besitze; letztere auf den im Dienst befindlichen
Schiffen im Ausland verteilt.
Als dann die Admiralität 4 Panzer, 2 Torpedojäger mit Sporn, 5 mit Gürtel gepanzerte Schnellkreuzer, 2 Aviso und 30 Torpedoboote
mit einem Kostenaufwand von 62 Millionen M. für Schiff und Maschinen und 32 Millionen M. für Bewaffnung, sowie ferner
16500000 M. für Erweiterung der Kohlenstationen, verteilbar auf 5 Jahre, beantragte, da nannte der Engineering diesen Antrag jämmerlich ungenügend.
Vergeblich hatte im Oberhaus Lord Henry Lennox für eine raschere Verstärkung gesprochen, er fand nur vier Hörer, und im Unterhaus fand Sir Edw. Reed für diesen Gegenstand ebenfalls wenig Gehör; als aber in der Pall Mall Gazette (einem Abendblatt) eine Reihe Leitartikel die Bevölkerung im allgemeinen mit dem fraglichen
Gegenstand vertraut gemacht hatte, berief die „Royal United Service Institution“
Sir Edw. Reed zu einem Vortrag, in welchem als geringste Forderungen folgende Neubauten unter allgemeiner Zustimmung verlangt wurden: 5
grosse Panzer, 5 gepanzerte Schnellkreuzer, 15 schnelle Hilfskreuzer und Torpedojäger, 50 Torpedoboote I. Klasse, welche im
Laufe von 2 Jahren – höchstens 3 Jahren – unter dem Kostenaufwand von etwa 127100000 M. zu erbauen seien. Unter Beschleunigung
der im Bau befindlichen Arbeiten würde die Gesamtsumme auf 160 Millionen M. anwachsen.
Im Herbst 1884 brachte die Times in dem Bericht über den Inspizierungsbesuch der Admiralitätsmitglieder in Portsmouth folgenden Satz:
„Zum erstenmal in der Geschichte der Torpedowaffe wurde im Juli eine Flotte von Torpedobooten zu gemeinsamem Wirken in Portsmouth,
und zwar in einer Anzahl von
8 Fahrzeugen, von Chatham, Plymouth und Portsmouth selbst zusammengezogen.
Dass dieselben von so vielen Plätzen zusammenzuziehen waren, zeigt am besten die Armseligkeit unserer zeitigen Hilfsmittel.“
Unter dem Eindruck aber des von der Admiralität gezeigten guten Willens nach so langer Vernachlässigung des Gegenstandes und
weil die Boote selbst das zu leisten schienen, was man billigerweise von ihnen erwarten durfte, fährt sie dann fort:
„Die Ingenieure mögen es sich als Verdienst anrechnen, dass von Anfang bis zu Ende der Uebung keine der Maschinen der Boote
dienstuntauglich wurde.“ – Eine Erscheinung, die man im übrigen bei Geschwaderübungen nicht gewohnt war.
Admiral Elliot entwickelte in jener Zeit seine Ansichten über die Bedeutung des Rammsporns und die Ausführung desselben: Fortführung des
Panzergürtels bis zum Bug und Herabziehen des Decks unter die Wasserlinie gegen Mitte Sporn, sowie Panzerung desselben; –
Ansichten, die heute allgemeine Nachachtung gefunden haben.
Damals begann auch der Federkampf für die Stellung des Schiffsmaschineningenieurs, da dieselbe nicht der Bedeutung entspreche,
welche in Anbetracht der grossartigen mechanischen Einrichtungen eines modernen Kriegsschiffes dem Ingenieur zukomme. Ein
Kampf, der sich 1884 in dem Ausdruck gipfelte: „Der Ingenieur – nämlichauf den Kriegsschiffen – hat sich seinen Beruf unter ganz falschen Voraussetzungen erwählt, er findet, dass auf ihn herabgeschen wird, und er unter
den Offizieren gleichen Alters als letzter und unbedeutendster gilt.“
Bemerkt sei hier gleich, dass diese Klagen mit ganz derselben Schwere, und soweit ersichtlich auch mit der gleichen Berechtigung,
heute noch gegen die englische Regierung erhoben werden, trotz aller in dieser langen Zeit auf die Regelung dieser so unendlich
wichtigen Frage verwandten gesunden Vernunft, sowie Massen von Papier und Druckerschwärze. Es muss uns dies um so unerklärlicher
erscheinen, wenn wir erwägen, einmal, welch hochangesehene Stellung der Stand des Ingenieurs sonst in England einnimmt, und
wie seine Grössen selbst durch Erhebung in den Adelsstand geehrt werden, sodann auch, welche grosse Gefahr für die Tüchtigkeit
und Leistungsfähigkeit der Kriegsmarine darin liegt, dass sich die besten Kräfte des
Ingenieurstandes wegen der oben angedeuteten Lage von der Thätigkeit in derselben fern halten werdenErst neuerdings widmete Engineering dieser Frage zwei Leitartikel und D. D. Morris, zweiter Vorsitzender des Voreins der Maschinen- und Schiffsbauingenieure der Nord-Ostküste Englands, behandelte den Gegenstand
in einem Vortrage derart eingehend, dass er an massgebender Stelle der Beachtung gewiss sein kann..
In diesem Jahre (1884) finden wir 191 Schiffe im Dienst, nämlich: 30 Panzer, 1 Fregatte, 26 Korvetten, 1 Torpedorammboot;
auf diesen 58 Fahrzeugen werden die 53 Torpedoboote II. Klasse verteilt zu denken sein; dann folgen eine Reihe unbedeutenderer
Fahrzeuge: 16 Schaluppen – einmastige Jachten, die sehr scharf gebaut und tüchtige Segler waren, und zur Küstenbewachung und
für den Depeschendienst benutzt wurden –, 22 grössere und 48 kleinere Kanonenboote, 25 verschiedene Schiffe, 2 Aviso, 7 Truppentransportschiffe,
4 indische Truppentransportschiffe, 4 königl. Jachten, 5 Vermessungsschiffe (zusammen 191 Schiffe). Rechnen wir hierzu noch
die 13 Torpedoboote I. Klasse, sowie drei weitere Reserveschiffe, 30 weitere Segelschiffe und 37 Stationsschiffe, zusammen
274 Schiffe, so wäre die derzeitige englische Kriegsmarine beisammen. Von diesen Schiffen werden heute noch 125 in der Flottenliste
geführt und reichen die Schulschiffe „Impregnable“ mit 6557 t Verdrängung und 4524 PSi ins Jahr 1810, „Briton“ mit 1408 t Verdrängung ins Jahr 1814, als dem Jahre des Stapellaufs, zurück; das Schulschiff „Eagle“ mit 2340 t Verdrängung und das Stationsschiff „Hibernia“ auf Malta mit 4149 t Verdrängung sogar in das Jahr 1804.
Diesem Flottenbestand standen 12 Admiräle mit 752040 M. Gehalt u. 2686 weitere Seeoffiziere mit 14261720 M. Gehalt vor. Der
Gesamtmannschaftsbestand der Kriegsflotte betrug 56000 Köpfe und liess sich im Kriegsfall auf höchstens 80000 bringen, während
Frankreich seine Mannschaftsrolle für den Kriegsfall auf 170000 Köpfe berechnete.
Auf den königl. Werften waren damals einschliesslich der Leitung, Meister u.s.w.
19442 Arbeiter beschäftigt.
Bis zum Jahre 1886 hatte sich die Frage der Flottenvermehrung derart entwickelt, dass
103 neue Schiffe im Bau waren, darunter 20 Panzer und 54 Torpedoboote mit einem Gesamtkostenaufwand von 263100000
M. für Schiffe und Maschinen und 22760000 M. für Bewaffnung. – Diese Preise waren damals möglich mit Rücksicht auf Rohstoffpreise
und Arbeitslöhne.
Auf die Regierungswerfte verteilten sich die Neubauten wie folgt:
Werft
Panzer-schlacht-schiffe
Kreuzer
Torpedo-boote
zu-sammen
ge-schützte
unge-schützte
PortsmouthDevonportChathamSheernessPembrokeMalta
4– 5– 3–
–12–1–
510– 8– 2
2010–10––
2921 718 4 2
Zusammen
12
4
25
40
81
Unter diesen Bauten befanden sich: Der Barbettepanzer „Camperdown“ mit 106301 Verdrängung, 11900 PSi, 17 Knoten Geschwindigkeit, 10 Geschütze schweren Kalibers; ebenso der „Howe“ von etwa denselben Abmessungen; ferner „Edinburgh“ mit 94001 Verdrängung, 6800 PSi, 15,4 Knoten Geschwindigkeit und 9 Geschützen, sowie die zwei Panzerturmschiffe „Nile“ und „Trafalgar“ mit
124401 Verdrängung, 12800 PSi, 17,2 Knoten Geschwindigkeit.
Die Kosten waren veranschlagt: für „Camperdown“
und „Howe“ zu je 10023560 M. für Schiff und Maschine und zu 2098000 M. für die Bewaffnung; für „Nile“ und „Trafalgar“ zu je 13720000 M. für Schiff und Maschine und zu etwa je 3 Millionen M. für die Bewaffnung.
Im Parlament trat das Mitglied der Admiralität Lord Charles Beresford für energische Flotten Vermehrung ein und beantragte vor allem den Ausbau der Torpedoflotte, und zwar in zwei Klassen, deren
erste 41 m, deren zweite 19 m Länge besitzen solle.
Der Bestand der Torpedoflotten I. Klasse der verschiedenen europäischen Seemächte betrug derzeit:
England 62, Deutschland 59, Frankreich 57, Italien 47, Oesterreich 30, Russland 23 Fahrzeuge.
Dabei besassen die englischen Fahrzeuge eine Geschwindigkeit von 19½ Knoten, während
Yarrow für Oesterreich zwei Boote, „Falke“ und „Adler“, mit je 1000 t Verdrängung und etwa 23 Knoten Geschwindigkeit gebaut hatte, deren Anschaffung je 240000 M. kostete; ein im
Vergleich ebenso grosses englisches Boot mit der geringeren Geschwindigkeit hatte
340000 M. gekostet.
Dieser Preis- und Wertunterschied gab zu vielen Erörterungen Anlass.
Ebenfalls wurde das Ungenügende des Kriegsflottenhaushalts an früheren Verhältnissen verglichen.
So betrug im Jahre 1854 die Gesamt-Aus- und EinfuhrHierbei ist die grosso Frachteinnahme nicht eingeschlossen, sondern der Einfuhrpreis geht vom Versandorte in China, Italien,
Spanien u.s.w., der Ausfuhrpreis von England, Liverpool, Ladern, Manchester u.s.w. aus. 5360 Millionen M., im Jahre 1883 14640 Millionen Mark.
Der Flottenhaushalt betrug im Jahre 1854 150 Millionen Mark oder rund 3 % des Gesamthandels, im Jahre 1883 195 Millionen M.
oder 1,34 % des Gesamthandels.
Die Nahrungsmittel-Aus- und Einfuhr allein betrug im Jahre 1885 2803276900 M.
Der Wert des Schiffsbestandes der englischen Handelsflotte wurde derzeit auf ebenfalls 2800 Millionen M. veranschlagt.
Das im Jahre 1882 im Auslande angelegte Vermögen Englands betrug 30000 Millionen M. mit einem jährlichen Zinszufluss nach
England von 1400 Millionen M., zu welchem dann noch jährlich von der Regierung Indiens 120 Millionen M. als Ruhegehalte gezahlt
wurden.
Zum Schütze für diese grossen Vermögenswerte sei Englands Regierung verpflichtet, eine starke Flotte zu schaffen.
Es würde ja zu weit führen, die für uns Deutsche, soweit wir an Handel und Gewerbe einen Anteil haben oder nehmen, so wichtige
und belehrende Geschichte der neuen englischen Flotte in diesen Spalten genau zu verfolgen, jene Geschichte mit aller seiner
scharf und rücksichtslos geübten Kritik, an der Gestalt der Schiffe, an der Kraft der Maschinen, an der Einführung der Röhrenkessel
(endgültig 1895 nach den Versuchen mit Terribel und Powerfall), an der Panzerung (Harvey-Stahl oder Nickelstahl, wo die Prüfung und Auseinandersetzung sich in den grossen hochangesehenen
Ingenieurvereinen vollzog), an all dem entschlossenen Auftreten der in England in allen Bevölkerungs- und Bildungsschichten
vertretenen Sachverständigen, gegenüber denjenigen, die aus Dummheit oder Parteiinteresse dieser nach englischer Auffassung
nun einmal so notwendigen Erneuerung der englischen Seemacht widerstrebten.
Wir müssen uns daher mit zusammengetragenen Vergleichswerten begnügen und geben in Tabelle I und II eine Zusammenstellung
der Kosten des Flottenhaushalts für die einzelnen Jahre seit 1881, welche die ansehnliche Summevon 7 Milliarden darstellt, und welche die Jahreshöhe im Betrage von ½ Milliarde bereits überschritten hat; aber es dreht
sich – wie schon oben gezeigt – auch um das „Rule Britannia“, wie seinerzeit ein deutscher Kritiker die Rede Göschen's im Unterhaus am 22. Juli
1898 genannt hat, und zu welchem sich England nun einmal berufen und von Gottes Gnaden berechtigt glaubt, ob nun
mit oder ohne Verdienst, bleibt für dasselbe dahingestellt.
Tabelle I.
Nettobeträge für den Flottenhaushalt für die Jahre 1. April 1881 bis 31. März 1895.
1881/821882/831883/841884/851885/861886/871887/881888/891889/901890/911891/921892/931893/94Naval De-fence Act1984/95
M.1) 213785580 206677000 217990000 232516180 253898000 259862000 2640000002) 2720000003) 2720000003) 2720000003) 2720000003) 2720000003) 2848020004) 4360000005) 3473220006)–––––––––––4076852760
1) 1 Pfd. Sterl. = 20 M. gerechnet.2) Davon 47426000 M. für Schiffbau und Be- waffnung (s. Tab. II Ansätze 8 und
9).3) Durchschnittszahlen.4) Davon
172800000 M. für Ansätze 8 und 9.5) Das Gesetz für die See Verteidigung sah nur die Ansätze 8 und 9 Tab. II vor.6) Davon 144579900 M. für Ansatz 8, 28654220 M. für Ansatz 9 (s. Tab. II). 1886/87 betrug der Mannschaftsstand 61400 Köpfe, während 20000 Köpfe in Ersatz ge- führt wurden. 1893/94 standen diese Zahlen auf 76700 bezw. 25000.
Zur Zeit beträgt die jährliche Aus- und Einfuhr Englands 30,6 Milliarden Mark und der Mottenhaushalt in Höhe von 0,55 Milliarden
Mark nur 1,8 % desselben. Unter der Annahme, dass sich das im Jahre 1882 im Ausland angelegte Vermögen Englands heute verdoppelt
haben dürfte, beträgt dasselbe 60 Milliarden Mark. Bei dem heutigen Stande der Wertpapiere dürfte der jährliche Zinszufluss
nach England mit 4 Milliarden Mark bei weitem zu klein angenommen sein, und die jährliche Zahlung der Regierung Indiens mit
0,12 Milliarden Mark für Ruhegehälter dagegen ganz unbedeutend erscheinenEin jährlicher Zinsgenuss von 4 Milliarden (und wie schon gesagt, ist es mehr) auf 38 Millionen Menschen verteilt, ergibt
\frac{4000}{38}=105\mbox{ M}. auf den Kopf, auf eine Familie mit 5 Köpfen 525 M.Diese eigennützige Politik, die in England mit der Vertreibung der Hansa
(Schliessung ihrer Kontore) ihren Anfang nahm, brachte auch die amerikanischen Kolonien dazu, dem Mutterlande den
Markt zu verschliessen und führte zur Unabhängigkeitserklärung; dieselbe Politik zwang bereits 1780 die Festlandmächte (ausser
Frankreich und Spanien, die bereits früher auf Seite der Vereinigten Staaten getreten waren) zu einer bewaffneten Seeneutralität,
um den eigenen Handel gegen Englands Uebergriffe zu schützen, und sie zwang Napoleon zur Kontinentalsperre, und zu bedauern
ist, dass auf dem Wiener Kongress die europäische Diplomatie in kurzsichtiger Dankbarkeit sich von England das Fell so weidlich
über die Ohren ziehen liess, dass ersteres noch länger wie ein ganzes Jahrhundert hindurch sein Aussaugesystem fortsetzen
konnte.Eine gerade veröffentlichte Uebersicht des Reichsmarineamts gibt das im Ausland angelegte deutsche Kapital auf 7½ Milliarden
Mark an und rechnet einen Zinsrückfluss von etwa 420 bis 450 Millionen. Letztere Zahl entspricht einem Zinsfuss von 6 %, gibt
aber den Verzinsungssatz mit 6 bis 10 % an, was obigen Ansatz mit 6,7 % vollständig rechtfertigt.Die hier in Betracht kommenden Kapitalanlagen verteilen sich auf die verschiedenen überseeischen Gebiete etwa wie folgt:Türkisches Reich und Aegypten: 400 Millionen Mark.Afrika (ohne Aegypten und die deutschen Schutzgebiete): über 1000 Millionen Mark.Asien (ausschliesslich der asiatischen Türkei): 650 bis 700 Millionen Mark.Australien und die Südsee-Inseln (ohne die deutschen Schutzgebiete): 570 bis
600 Millionen Mark.Länder um das amerikanische Mittelmeer und westindische Inseln: 1000 bis 1250 Millionen Mark.Südamerika (ausschliesslich der Nordküste): 1500 bis 1700 Millionen Mark.Nordamerika:
2000 Millionen Mark.Bei diesen Ziffern ist aber die Anlage deutschen Kapitals in auswärtigen Anleihen und Spekulationsunternehmungen, die sich
ihrem Umfange nach überhaupt nicht feststellen lässt, bei der es jedoch zweifellos um ganz bedeutende Summen sich handelt,
noch nicht mit in Anschlag gebracht..
Tabelle II.
Ueber Nettobeträge, angesetzt für den Flottenhaushalt für die Jahre 1. April 1895 bis 31. März 1901.
Textabbildung Bd. 315, S. 248
Ansatz; Pfd. Sterl.; Sold für Offiziere, Seeleute, Jungen, Küstenwachen und königl. Seebeamte; Nahrung und Kleidung; Medizinische
Abteilung; Seekriegsgericht; Seemannschulen; Wissenschaftliche Abteilung; Ersatzmannschaft; Schiffbau u. zwar Neubau und Unterhaltung;
Abschnitt 1: Bemannung; 2: Arbeit auf königl. Werften.; 3: Arbeit auf Unternehmerwerft; Schiffsbewaffnung (nur Kanonen und
Torpedorohre) ausschliesslich Lafetten; Werftanlagen (Gebäude und Reparatur) in England und den Kolonien; Verschiedene Ausgaben
für den Dienst unter der Waffe; Admiralitätsverwaltung; Gesamtbetrag für den Dienst unter der Waffe; Ruhegehalte; Jährl. Beitrag
zur Kolonialseemacht Australien; Nettogesamthaushalt; Zusammen von 1895/96 bis 1900/01: 2816340000; Anwachsen der Bemannung;
Ersatzmannschaft
Im Jahre 1896 schrieb der Engineering: „In Afrika brauchen wir nichts zu fürchten“, und heute – England mag siegen oder unterliegen, sein Ansehen hat durch die Misserfolge dauernd eingebüsst. Auf Indien wird
Russland früher oder später marschieren und die Reste des Reichtums wohl an sich reissen, den England trotz aller Anstrengung
übrig lassen musste.
Im Westen Englands hält sich Irland, das seit 1782 eine Unionsverfassung mit England
(seit 1801 gemeinsames Parlament in Westminster) besitzt, und das seit dieser Zeit mit Vorbedacht (durch Parlamentsbeschlüsse)
von Seiten Englands seines Handels und Gewerbes beraubt wurde, nur mit Mühe in den Grenzen gesetzlichen Zusammenarbeitens;
dabei hängen dessen Bewohner, deren Zahl nahe an 4 Millionen grenzt, wovon viele, grösstenteils nachAmerika, auswandern, doch in treuer Liebe an ihrer Heimat.
Im Osten hat England Deutschland durch Vorgänge, die ja jedem Deutschen noch in lebhafter Erinnerung sein werden, herausgefordert,
nicht zuletzt durch den vom Zaun gebrochenen Krieg mit den Stammesverwandten in Südafrika; denn für die englische und gegen
die deutsche Zunge wird dieser Kampf schon lange geführt, früher mit der Feder, jetzt mit Blut und Eisen.
Mit vollem Recht sagt daher der Engineering (24. März
1899): „Was unser Land nötig hat, ist die Sicherheit gegen völligen Ruin (insurance of the empire against total loss), und wenn die Prämie dafür in Höhe von 28 Millionen Pfd. Sterl. zu zahlen ist, so muss das Geld beschafft werden.“
Einen interessanten Einblick in die Lage Englands gestattet bei dieser Gelegenheit auch die Erklärung seitens Sir Ashmead Bartlett's, wonach für Englands Heerwesen 1899 wenigstens 1,9 % des Gesamthandelsverkehrs
(zusammen für Heer und Flotte 3,7 %), also etwa 562 Millionen Mark ausgegeben wurden
– und für ein wie leistungsfähiges Heerwesen!!
(Schluss folgt.)