Titel: | Die gebräuchlichen Automobilsysteme. |
Autor: | H. Bachner |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 302 |
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Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
Von Professor H. Bachner in Stuttgart.
(Fortsetzung des Berichtes S. 287 d. Bd.)
Die gebräuchlichen Automobilsysteme.
V. Andere Arten der Energieversorgung.
Das eigentliche Gebiet der Akkumulatorwagen ist das Innere der Städte mit guten Strassen, welche wesentlich zur Schonung der
Zellen beitragen, sowie der verhältnismässig häufigen und bequemen Gelegenheit, die erschöpfte Batterie aufzuladen. Handelt
es sich dagegen um Zurücklegung grösserer Entfernungen, so versagt diese Betriebsweise sehr bald, hauptsächlich weil es an
der Gelegenheit fehlt den Energievorrat zu erneuern.
Auf Grund dieser Erwägungen sind einige eigenartige Konstruktionen entstanden, welche wir mit Rücksicht auf die Wichtigkeit
der vorliegenden Frage für den allgemeinen Verkehr zum Schluss noch besprechen wollen.
Verhältnismässig nahe liegt der Gedanke, transportable Ladestationen zu schaffen, welche an solchen Orten zeitweise aufzustellen
wären, wo ein entsprechender Verkehr von Akkumulatorwagen bei bestimmter Gelegenheit zu erwarten ist. Die Ausführung derartiger
Einrichtungen wird wohl meist am Kostenpunkt scheitern, denn die ohnedies nicht wohlfeile elektrische Energie wird durch den
mechanischen Transport noch wesentlich verteuert. Die Ausführung selbst wäre etwa so zu denken, dass ein mit Benzinmotor and
Dynamo ausgerüstetes Fahrzeug durch Pferde an Ort und Stelle gebracht würde; ähnlichen Zwecken soll die fahrbare Ladestation
dar Firma Henschel und Co.D. p. J. 1899 314 * 122. dienen, welche auf der internationalen Motorwagenausstellung zu Berlin 1899 zu sehen war, doch ist über ihre innere Ausrüstung
a. a. O. nichts Näheres zu finden.
Einen ganz verschiedenen Weg hat Müller in Berlin eingeschlagen, indem er seinen Akkumulator nach übrigens bereits anderweit bekanntem Vorgang aus negativen Zinkplatten
und positiven Bleisuperoxydplatten aufbaut und nun die Eigenschaft dieser Platten benutzt, auch in trockenem Zustand ohne
wesentliche Veränderung haltbar zu sein. Die gewöhnliche negative Bleischwammplatte besitzt diese Eigenschaft bekanntlich
nicht in genügendem Mass. Die entsprechend zubereiteten Platten können demnach nun in trockenem Zustande aufbewahrt, daher
auch an beliebigem Orte vorrätig gehalten werden, und die Herstellung einer betriebsfertigen Batterie vollzieht sich damit
um so einfacher, als die Füllung der Zellen nicht mit Schwefelsäure, sondern lediglich mit reinem Wasser zu geschehen hat.
Abgesehen davon, dass in längerer Betriebsdauer gesammelte Erfahrungen zur Zeit nicht vorliegen, lässt sich die Befürchtung
nicht unterdrücken, dass sich auch hier der Preis dieser sogen. „käuflichen Elektrizität“ verhältnismässig recht hoch stellen werde, auch wenn man, wie von interessierter Seite betont wird, die erschöpften Superoxydplatten
in TauschD. p. J. 1899 314 *
125. geben kann. Jedenfalls dürfte an die fruchtbringende Einführung dieser Form elektrischer Energie erst bei Grossbetrieb, bezw.
bei lebhafter Nachfrage zu denken sein, wozu vorläufig im Hinblick auf die wesentlich günstigeren Verhältnisse des Benzinwagenbetriebs
im Gebiet der Ueberlandfahrten die Zeit noch nicht gekommen erscheint.
In jüngster Zeit hört man von einer eigentümlichen Kombination zwischen Benzinmotor, Elektromotor und Akkumulatorenbatterie,
die als System Pieper bezeichnet wird und dem Prinzip nach als richtig angesehen werden muss. Auf der Kurbelwelle des Benzinmotors sitzt der Anker
einer kleinen Dynamomaschine, der bei mittlerer Belastung an der Arbeitsleistung der Maschine nur insoweit beteiligt ist,
als er die Grösse der rotierenden Massen vermehrt und wie ein Schwungrad wirkt, welches er bei geeigneter Konstruktion auch
vollständig ersetzen kann.
Dieselbe Kurbelwelle bewegt einen Regulator, dessen Aufgabe darin besteht, bei zu geringer und zu hoher Umdrehungszahl des
Benzinmotors die Dynamo in den Stromkreis der Batterie einzuschalten zu dem Zweck, dass bei vermehrtem Energiebedarf infolge
grösseren Fahrwiderstandes die Dynamo als Motor wirkt, indem sie der Batterie Strom entnimmt, während sie bei geringem Fahrwiderstand
den Ueberschuss der Motorleistung als Generator wirkend in elektrische Energie umsetzt und als Ladestrom der Batterie zuführt.
Wie man sieht, geht die Absicht dahin, für den Benzinmotor unter allen Umständen eine gleichbleibende Belastung zu erzielen,
die nach dem früher Gesagten einen ausserordentlich günstigen Einfluss auf den Wirkungsgrad des Motors und damit auf die Betriebskosten
ausübt. Dabei muss naturgemäss die Umdrehungszahl fast konstant bleiben, und für die Regulierung der Fahrgeschwindigkeit ist
wie beim eigentlichen Benzinwagen ein variables Vorgeleg erforderlich. Andererseits dürfte der den Regulator bewegende Unterschied
in den Tourenzahlen der Kurbelwelle kaum genügen, um die elektromotorische Kraft der Dynamo das eine Mai dem Entladezustand,
das andere Mal dem Ladezustand der Batterie anzupassen; es wird der Regulator vielmehr vermutlich gleichzeitig durch Aenderung
des Widerstandes der Nebenschlusswickelung auf die Erregung der Maschine einwirken.
Der Vorteil der Anordnung liegt wie gesagt in der gleichbleibenden Belastung des Benzinmotors, wodurch nebenbei auch der gerade
bei geringer Inanspruchnahme auftretende lästige Geruch und Lärm beseitigt wird; beim Anfahren und auf Steigungen wird der
Elektromotor als sehr brauchbare Hilfskraft sich mit in die Arbeit teilen. Dagegen erscheint es zunächst fraglich, ob die
Batterie, die natürlich mit Rücksicht auf das gleichzeitig vorhandene Gewicht des Benzinmotors verhältnismässig wenig leistungsfähig
ausfallen wird, bei der vorliegenden Betriebsweise vor Ueberlastung geschützt werden kann: auch hier muss die Erfahrung die
Entscheidung geben, ob die Vorteile der grösseren Komplikation im stände sind, die vorhandenen Mängel auszugleichen.
Alle bisher genannten Konstruktionen elektrischer Motorwagen gründen sich auf die Annahme, dass für schienenlosen Betrieb
das Energiezuführungssystem der elektrischen Strassenbahnen, welches sich ja in der Form der oberirdischen Zuführung – Trolley-System – so gut bewährt hat, ausgeschlossen sei. Neuere Versuche zeigen indes, dass immerhin einige Aussicht besteht, Automobilfahrzeuge
durch bewegliche Kontakte mit den über oder neben der
Fahrstrasse aufgehängten Zuleitungsdrähten in dauernder Verbindung zu halten; dass dabei mindestens zwei Leitungen erforderlich
sind, ist bei dem Fortfall der Schienen selbstverständlich.
Textabbildung Bd. 315, S. 303
Fig. 109.Elektromobil mit Motortrolley System Lombard-Gerin.
Anlass, dieser Frage näher zu treten, bietet z.B. Die elektrische Kanalschleppschifffahrt, die in letzter Zeit insbesondere
von der Firma Siemens und Halske A.-G. weiter ausgebildet wurde. Umfassende VersucheNäheres in dem Aufsatz: „Elektrische Schleppschiffahrtsversuche u.s.w.“ von Klingenberg, Elektrotechnische Zeitschrift,
1899 Heft 31. mit zwei Systemen, Laub und Köttgen, brachten zunächst die Entscheidung darüber, ob für den vorliegenden Zweck das Schwebefahrzeug System Laub den Vorzug verdient, welches an einem von Masten getragenen Drahtseil läuft, oder der den Treidelpfad benutzende, auf Schienen
laufende vierräderige Schleppwagen des Systems Köttgen, welcher seinen Energiebedarf durch eine federnde Trolley-Stange der Leitung entnimmt. Es zeigte sich, dass die in dem Schleppseil auftretende starke Zugkraft bei dem erstgenannten
System zu Unzuträglichkeiten führte, hauptsächlich darin bestehend, dass Seil und Masten ausserordentlich ungünstig beansprucht
waren, während der Schleppwagen von Köttgen den zu stellenden Anforderungen gut entsprach, obgleich er jaden Nachteil besitzt, den freien Verkehr auf dem Leinpfad zu beeinträchtigen, zumal er mindestens einer Fahrschiene bedarf.
Wir erwähnen diese Fahrzeuge, welche ja infolge ihrer speziellen Bestimmung mit unseren Automobilen nur in losem Zusammenhang
stehen, aus dem Grund, weil eine neue nunmehr zu besprechende Automobilkonstruktion gewisse Eigentümlichkeiten der beiden
genannten Systeme in sich vereinigt: dies ist das Elektromobil mit Kontaktwagen der
Société pour les applications industrielles de l'électricité Lombard-Gerin et Co. in Lyon.
Es leuchtet ein, dass die gewöhnlichen Kontaktbügel und -stangen der Strassenbahnen für Automobilzwecke nicht brauchbar sind,
weil sich das Fahrzeug, insbesondere wenn es gezwungen ist auszuweichen, von der Leitung zu weit seitlich entfernen muss.
Weiterhin ist aber auch der Versuch fehlgeschlagen, einen auf den Leitungsdrähten laufenden Kontaktwagen mittels Schleppseils
nachzuführen, weil sich hierbei ähnlich wie bei dem Schleppermotor von Laub durch den nicht zu vermeidenden seitlichen Zug sehr ungünstige mechanische Beanspruchungen von Leitung und Gestänge ergeben.
Die Versuche, diese Nachteile zu vermeiden, führten Lombard-Gerin auf den GedankenD. R. P. Nr. 107149., den Kontaktwagen mit eigenem motorischen Antrieb zu versehen, so dass das die Stromzuführung vermittelnde Kabel lediglich
diesem Zwecke zu dienen hat, nicht aber grössere Zugkräfte aufzunehmen braucht.
Textabbildung Bd. 315, S. 303
Fig. 110.Kontaktwagen des Elektromobils System Lombard-Gerin.
Fig. 109 zeigt, wie dieser Gedanke bereits praktische Verwirklichung und Erprobung gefunden hat, und zwar auf einer zunächst nur 900
m langen Probestrecke am Quai d'Issy-les-Moulineaux vor ParisLe Génie civil,
1900 S. 227.. Die in der Figur dargestellte Situation führt direkt die Vorteile des Systems vor Augen; sie zeigt, wie das dem vorauseilenden
Kontaktwagen folgende Elektromobil hart neben der einen Trottoirkante fährt, um auszuweichen, während die Leitung neben dem
gegenüberliegenden Fusssteig geführt ist. Am Wagen endigt das Zuführungskabel in einem so weit überragenden Rohrmast, dass
der Verkehr durch das übrigens stets genügend gespannte Seil nicht gestört werden kann.
Die Details der Bewegung des Kontaktwagens sind so interessant, dass wir sie etwas näher ins Auge fassen wollen. An der die
Laufrollen tragenden Welle (Fig. 110), welche durch die Reibräder r ihren Antrieb erhält, ist gleichzeitig der Motor m aufgehängt und zwar elastisch gegen seitliche Schwankungen. Der cylindrische, rotierende Teil des Motormantels bildet gleichzeitig
das zweite Reibräderpaar, welches durch kräftige Spiralfedern gegen die Räder r angedrückt wird, andererseits durch eine elektromagnetische Bremse b rasch zum Stillstand gebracht werden kann. Das Leitungskabel ist mit seinem Ende bei c festgeklemmt und dort universalgelenkartig an den Tragbügelhälften s aufgehängt, die – voneinander isoliert und je mit einer Laufrolle in Verbindung – den Strom nach zwei über der Klemme sichtbaren
Kabelschuhen hinleiten, an welche die beiden durch die Augen der Klemme herausgeführten Zuleitungen angeschlossen sind.
Um nun diesen kleinen zweiräderigen Motorwagen in der gewünschten Bewegung zu erhalten, muss seinem Motor Strom zugeführt
werden und zwar in solchem Verhältnis, dass die Geschwindigkeiten der beiden Fahrzeuge stets einander entsprechen. Diese Aufgabe
ist in eleganter Weise dadurch gelöst, dass man als Kontaktwagenmotor einen Drehstrommotor wählte, während der Automobilgleichstrommotor
gleichzeitig als Dreiphasengenerator wirkt; so bleibt die Periodenzahl des Wechselstroms der Tourenzahl des Automobilmotors,
andererseits auch die Tourenzahl des Kontaktwagenmotors jener Periodenzahl proportional, und die Folge ist Synchronismus zwischen
den beiden Bewegungen. Der Drehstrom wird dem rotierenden Gleichstromanker mittels dreier Schleifringe entnommen, die in bekannter
Weise mit drei unter 120°
(beim zweipoligen Motor) versetzt liegenden Stellen der Wickelung verbunden sind; der Drehstrommotor besitzt innenliegenden,
festenInduktor und einen mittels Kugellager um Welle und Induktor rotierenden Käfigwickelung tragenden Kurzschlussanker. Drei gleichfalls
in dem biegsamen Kabel untergebrachte Leitungen führen den Drehstrom zu, eine sechste Leitung bedient die elektromagnetische
Bremse.
Wie bereits in der Einleitung hervorgehoben, kann und soll die vorliegende, jedenfalls noch entwickelungsfähige Konstruktion
keineswegs die Akkumulatorwagen ersetzen, denn sie ist von der Leitung abhängig, also für Touristenzwecke z.B. schon völlig
ungeeignet. Dagegen kann sie als Ersatz der Strassenbahnen, deren Herstellung sich wegen der teuren Geleisanlage häufig nicht
rentieren wird, recht gute Dienste leisten, also in Fällen, wo regelmässige Verbindungen z.B. nach entfernteren Vororten oder
von Stadt zu Stadt wünschenswert sind. Die Schwierigkeiten bei der Begegnung zweier Elektromobilen können am einfachsten wohl
durch Austausch der Kontaktwagen samt Zuleitung beseitigt werden, in bestimmten Fällen auch durch Verteilung der Wagen auf
bestimmte Wegstrecken oder durch zwei getrennte Leitungsanlagen auf beiden Strassenseiten bei regem Verkehr.
Es ist im Interesse einer stetigen Verbesserung unserer Verkehrsverhältnisse zu hoffen, dass auch dieses Automobilsystem sich
neben seinen beiden wichtigeren Konkurrenten ein gesichertes Wirkungsgebiet erobere; andererseits wird sich der zur Zeit eifrig
im Gang befindliche Wettbewerb zwischen Akkumulator- und Benzinmotorwagen voraussichtlich dahin entscheiden, dass der erstgenannte
mit seinem Vorzug geringster Belästigung des Publikums das Weichbild der Städte für sich behauptet, wo genügende Gelegenheit
zum Aufladen der Batterie gegeben ist, während der Benzinwagen, leichter an Gewicht, weniger empfindlich gegen schlechte Wege
und viel bequemer mit Energie zu versorgen, den Fernverkehr vermitteln und die Landstrassen beleben wird.
(Schluss folgt.)