Titel: | Die eingestürzte Brücke nach dem „Globe Céleste“. |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 353 |
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Die eingestürzte Brücke nach dem „Globe Céleste“.
Die eingestürzte Brücke nach dem „Globe Céleste“.
Bekanntlich hat sich in Paris am Sonntag, den 29. April in unmittelbarer Nähe der Ausstellung durch den Einsturz einer Brücke ein sehr ernster Unfall ereignet,
welcher den Tod von neun Personen und die schwere Verletzung von zehn Personen herbeiführte. Die betreffende Brücke, besser
gesagt ein Steg (Fig. 1 und 2), überspannte die Avenue de Suffren, welche den Ausstellungsplatz des Marsfeldes an der Westseite vom Quai d'Orsay an bis zur Avenue de la Motte Picquet in gerader Linie abgrenzt. Zweck dieses Steges war, das Ausstellungsgebiet mit dem von einer Privatunternehmung knapp vor
dem Bahnhofe Du Champ de Mars errichteten, dem Quai d'Orsay zugewendeten Gebäude zu verbinden, in welchem ein als hervorragendes Schaustück dienen sollender, riesengrosser Himmelsglobus
eingebaut ist.
Textabbildung Bd. 315, S. 353
a Kabelverankerung. b Mittellinie des Ableitungskanals am Quai d'Orsay.
Mit Rücksicht darauf, dass der eingestürzte Steg aus armiertem Cementguss hergestellt war, eine Ausführungs-Weise, die sich
in neuerer Zeit so sehr verallgemeinert und namentlich auch bei den grossen Ausstellungsgebäuden eine aussergewöhnlich reiche
Anwendung (vgl. S. 215) gefunden hat, wäre es uns erwünscht gewesen, recht ausführliche Mitteilungen über diese Anlage geben
zu können; leider stehen uns vorläufig nur die wenigen Daten zur Verfügung,welche Le Génie civil, S. 11, kürzlich darüber veröffentlichte, und die wir nachstehend wiedergeben.
Nach den Plänen des Architekten Galeron und des technischen Beirates der Globusunternehmung, Ingenieur N. Tédesco, erbaut, war der in Rede stehende, samt der Rampe und den Stiegen
115 m lange, 4 m breite Steg parallel zur Seine, also, wie es Fig. 2 ersehen lässt, in einem sanften Bogen angelegt. Jener Teil, der die Avenue de Suffren übersetzte, hatte drei Felder, von denen die zwei seitlichen je 9 m und das mittlere 17,4 m Spannweite besassen. Hier waren
die Wangenträger, die Fahrbahn und auch die Jochpfeiler lediglich aus armiertem Cementguss ausgeführt. Was die beiden Abbildungen
Fig. 1 und 2 anbelangt, so entsprechen dieselben nicht ganz genau dem thatsächlichen Bestände, sondern dem ursprünglich angenommenen Entwürfe,
der später mit einigen, allerdings nur geringfügigen Abänderungen zur Ausführung gelangt war. Dem Mafrai'schen System gemäss, das vorliegendenfalls bei der Herstellung des Cementbaues zur Benutzung gelangte, bestand das eigentliche
Traggerüste an den drei obengenannten Mittelfeldern, ähnlich wie an den übrigen Teilen des Steges in den Pfeilern, Längs-
und Querträgern aus Eisenblechfachwerk, verstärkt und gesichert durch mehrfache über- oder nebeneinander angebrachte Hänge- oder Sprengwerke, Schliessen oder Streben aus verschieden starken Hund-
oder Quadrateisen, die auch eine rostförmige Seele für die Bruckstreu bildeten und untereinander wieder mittels verschiedener
kurzer Bügel, Reitklammern, Ketten und Bindedrähten zu einem zahllos gemaschten Tragnetz verwoben waren, das schliesslich
durch den Cementguss zu einem einzigen, äusserlich vollkommen homogenen Körper verbunden wurde. Man hatte sich natürlich bemüht,
den lediglich für die Besucher des Himmelsglobus bestimmten Steg, um sowohl an den Herstellungskosten als an Platz zu sparen,
möglichst leicht auszuführen. Eben deshalb erschien es aber auch geboten, die drei Mittelfelder in Anbetracht ihrer verhältnismässig
beträchtlichen Spannweiten noch besonders zu verstärken, und entschloss man sich aus konstruktiven wie aus dekorativen Gründen,
diese Hauptverstärkung durch Stahldrahthängekabel zu bewerkstelligen, von welchen die Längsträger des Steges mittels senkrechter,
aus Stangeneisen hergestellter Hängeanker mitgetragen wurden. Es handelte sich also, kurz gesagt, um eine Kombination einer
Art Seilbrücke mit der Mafrai'schen Panzercementgussmethode. Die beiden Enden jedes der zwei für eine Belastung von 43 kg pro Quadratmillimeter berechneten
Stahldrahtseile waren über den betreffenden äusseren Pfeiler bei aa (Fig. 1) zu dem inneren Pfeiler zurückgeführt und hier durch Splintung, sowie unter der Erde durch Cementumgiessungen verankert.
Der Zusammensturz fand statt, kurz nachdem man mit der Abrüstung des Steges begonnen hatte, begann bei der zunächst dem Gebäude
des „Globe Céleste“ vorhandenen Treppe und setzte sich verhältnismässig langsam bis zur zweiten Treppe fort, wobei die drei eingestürzten Felder
eine förmliche Drehbewegung aufwiesen, vermöge welcher sie ziemlich weit aus ihrer Achsenrichtung herausgeworfen wurden. Letzteres
lässt sich wohl durch den bogenförmigen Verlauf der Stegachse erklären, die in der Mitte zwischen den beiden Stiegeneinsätzen
eine Pfeilhöhevon etwa 1 m besitzen mag. Zur Zeit des Einsturzes war der Steg noch nicht der Benutzung übergeben, sondern die für denselben
vorgeschriebene Belastungsprobe sollte erst am zweitnächsten Tage vorgenommen werden. Demnach könne, nach den Anschauungen
der weiter oben genannten Quelle, die Ausstellungsverwaltung in keiner Weise für die Katastrophe verantwortlich gemacht werden,
da sie lediglich gehalten ist, den Besuchern nur solche Konstruktionen zur Verwendung anheimzustellen, die vorher strenge
erprobt, den zu stellenden Anforderungen gemäss ausgeführt befunden und formal übernommen worden sind. Hinsichtlich des zerstörten
Objektes war dieser Vorbedingung noch nicht entsprochen und zur Ueberwachung während der Bauausführung lag für die Ausstellungsverwaltung
weder ein Recht, noch weniger aber eine Verpflichtung vor, da der Steg keinen Teil der Ausstellung bildete, sondern, wie schon
eingangs hervorgehoben wurde, einer Privatunternehmung gehörte. Vielmehr galten für denselben, da er ausserhalb des Ausstellungsgebietes
lag und einen öffentlichen Verkehrsweg überkreuzte, lediglich die allgemeinen einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und
die Vorschriften des Strassenbauamtes der Stadt Paris.
Welches die eigentliche Ursache des Zusammenbruches gewesen ist, darüber weiss man augenblicklich noch immer nichts Bestimmtes,
doch sind in erster Linie zweierlei Möglichkeiten ins Auge zu fassen, nämlich entweder die vorzeitige Beseitigung der Einrüstung
oder eine Bodensenkung. Letztere hat nämlich manche Wahrscheinlichkeit für sich, weil in nächster Nähe vor nicht allzulanger
Zeit dem Quai d'Orsay entlang anlässlich der unterirdischen Eisenbahnanlage, deren Verlauf durch die in Fig. 2 eingezeichnete strichpunktierte Richtungslinie b angedeutet ist, und infolge verschiedener Kanalverlegungen ganz bedeutende Erdbewegungen vorgenommen worden sind. Die thatsächliche
Veranlassung und den etwa für den Unfall zur Verantwortung zu Ziehenden wird wohl die im Zuge befindliche strafgerichtliche
Untersuchung zu Tage fördern.