Titel: | Das Kongressgebäude in Paris. |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 398 |
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Das Kongressgebäude in Paris.
Das Kongressgebäude in Paris.
Als in Paris das Programm für die diesjährige Weltausstellung entworfen wurde, hatte man bekanntlich gleich von vornherein
die Verbindung derselben mit einer Grössen Reihe internationaler Kongresse ins Auge gefasst und für diese Abhaltungen sogar
die Errichtung eines eigenen Gebäudes beschlossen. Dieses offiziell als
„Palais de l'Economie sociale et des Congrès“ bezeichnete Gebäude, das Fig. 1 im Grundriss und Fig. 2 im Querschnitte darstellt, besitzt eine Gesamtlänge von 101,60 m, eine Breite von 34,60 m und vom Fussboden bis zum 28,60
m auf der Wasserseite; es erhebt sich auf dem rechten Seineufer zunächst der Alma-Brücke und steht mit der vorderen Fassademauer unmittelbar auf der Quaimauer des Flusses, so dass es den Anschein hat, als steige
es unmittelbar aus dem Wasser empor. Für die architektonische Durchführung hatte man absichtlich den nüchternen Stil aus den
Zeiten Louis XVI. Gewählt, weil diese Epoche mit dem Beginne eines rationellen Studiums der Volkswirtschaft und Sozialpolitik zusammenfällt
und auf diese Weise eine gewisse Wechselbeziehung zwischen dem äusseren Aussehen des Bauwerkes und seinem Zwecke – oder mindestens
dem Zwecke seines Erdgeschosses zum Ausdrucke gebracht werden konnte. Von den beiden Längsfronten weist die rückwärtige, d.
i. die der Rue de Paris zugekehrte, ein Erdgeschoss und ein erstes Stockwerk auf, wovon das erstere mit seiner Sohle nur etwa 1,05 m höher liegt
als das Strassenniveau und durch eine vorgelegte, aus acht Stufen bestehende Freitreppe (vgl. Fig. 2) erreicht wird, wogegen die an der Seine liegende Vorderfront auch noch ein etwa 5 m hohes Untergeschoss sehen lässt, welches
den in Fig. 2 mit f bezeichneten Raum einschliesst, der entlang des ganzen Gebäudes verläuft und gleichsam als Fortsetzung des unteren Quaiweges
als öffentlicher Durchgang dient. Als Hauptfassade ist die der Seine zugewendete Front anzusehen, auf welcher sich in jedem
der beiden Obergeschosse neun ganz aussergewöhnlich Grösse Fenster von gleicher Form befinden (vgl. Fig. 2), von denen je drei zu einem besonderen Feld der Fassade zusammengefasst sind. Die Fenster des ersten Stockwerkes haben eine
Breite von je 6 m und eine Höhe von 5 m; jene des Erdgeschosses dieselbe Breite und 4,90m Höhe; endlich jene des Untergeschosses
sind einfache, halbbogenförmige, 2 m hohe und ebenso breite unverglaste Lichtöffnungen. Die achtzehn grossen Fenster der Obergeschosse
haben hellgrün gestrichene Fensterrahmen und sind nach aussen mit Lambrequins und niedrigen Sockeln aus zierlichen, gleichfalls
heilgrünen Holzstäbegittern versehen. An den beiden Seiten des Mittelfeldes der Fassade erheben sich schwach vorspringende
Wandpfeiler, die in gleicher Breite durch alle Geschosse reichen und zuoberst durch Pylonen aus Stuck abgekrönt sind, während
die Gebäudeenden am Hauptgesimse in kräftig gegliedertenFüssen stehende, hohe Flaggenmaste tragen. Oberhalb der Fenster des obersten Geschosses sind Guirlanden aus Stuck an der Wand
und ebenso zwischen diesen Fenstern an den Mauerpfeilern angebracht; am reichlichsten findet sich diese Stuckverzierung an
den beiden vorspringenden, das Mittelfeld abgrenzenden Wandpfeilern, wo sie sich bis zum Untergeschoss hinab erstreckt. Sonst
sind im ganzen Erdgeschoss und Untergeschoss mit Ausnahme eines breiten, stark ausgeladenen Cordongesimses, das diese beiden
Geschosse voneinander trennt und sich im Gebäudemittel zu einem 15 m langen Balkon ausbildet, die Wände der Fassade vollständig
glatt. Ganz die gleiche Ausstattung besitzt die Rückseite des Gebäudes, lediglich mit dem Unterschiede, dass das Untergeschoss
daselbst fehlt, und dass sich im Erdgeschoss an Stelle des fünften Fensters ein Doppelthor befindet, zu welchem die obenerwähnte
Freitreppe den Zutritt vermittelt. Ganz ähnlich sind schliesslich auch die Stirnfassaden, wo aber nur in den beiden Obergeschossen
rechts und links je ein Fenster vorhanden ist, wogegen in der Mitte der Front in Vertretung eines dritten Fensters zwei schlanke
Doppelfenster Platz gefunden haben. Den Hauptschmuck des Gebäudes bilden also im wesentlichen nur die reichlichen, wirkungsvollen
Abmessungen an demselben, sowie die gelungenen Hauptkonturen der Fassade und ihre vornehme, im Grössen ganzen allerdings auch
recht langweilige Einfachheit. Ein angenehm belebendes Element gewinnt der Gesamteindruck des Gebäudes durch den Kontrast
zwischen dem blendenden Weiss der Wände und dem hellen Grün der Fensterrahmen und hölzernen Ziergitter. Schliesslich kommt
noch ein nächtlicher Schmuck der Wasserseite des Kongresspalais zu erwähnen, nämlich eine verhältnismässig sehr reiche, aus
Glühlampen bestehende elektrische Aussenbeleuchtung, welche namentlich infolge der Spiegelung in den Seinefluten von besonders
hübscher Wirkung ist und den Eindruck des Bauwerkes bei Nacht vorteilhafter erscheinen lässt als bei Tag.
Textabbildung Bd. 315, S. 398
Fig. 1.Grundriss des 1. Stockwerkes des Kongressgebäudes.
Textabbildung Bd. 315, S. 398
Fig. 2.Querschnitt AB.
Im Erdgeschoss des Palais befinden sich die Ausstellungsräume für die Klasse 101 und
109 der Gruppe XVI, d.h. für alle jene Objekte, welche mit der Organisation der Arbeit, dem Vereins- und Genossenschaftswesen,
den Massregeln für das Volkswohl u. dgl. im Zusammenhange stehen. Das erste Stockwerk (Fig.
1) ist hingegen ausschliesslich als Sitzungs- und Geschäftslokale der internationalen Kongresse bestimmt. Man rechnet zusammengenommen
auf mindestens
40000 Mitglieder, welche zu Kongresszwecken aus allen Orten der Welt während der Ausstellung nach Paris kommen werden.
Demgemäss wurden auch die Sitzungssäle sehr geräumig angelegt und zudem in grösserer Zahl hergestellt, weil ja auch darauf
Rücksicht genommen werden musste, dass in der Regel mehrere Kongresse gleichzeitig tagen. Wie der Grundriss des ersten Stockwerkes (Fig. 1) ersehen lässt, umfasst dasselbe fünf Versammlungssäle, und zwar zuvörderst zwei 11,60 m breite,
11,50 m lange Säle a, die für je 200 Personen vorgesehen, und zwei 11,60 m breite, 19,30 m lange Säle b, die für je 300 Besucher bemessen und eingerichtet sind. Zwischen diesen vier symmetrisch angeordneten Sälen, neben denen
die zwei Stiegenhäuser des Gebäudes, die Zugangs Euren, Nebenlokalitäten und Dienerwohnungen liegen, befindet sich in der
Mitte des Palais der fünfte Saal, der 20,50 m breit und 36,80 m lang ist und 800 Personen fassen kann. Derselbe soll für aussergewöhnlich
zahlreich besuchte Kongressversammlungen dienen, oder auch für musikalische Vorträge u. dgl. m. Seine dekorative Ausstattung
ist viel reicher als jene der vier anderen Säle und besteht in schönen Deckengesimsen, Deckengemälden und Wandmalereien; er
ist mit einer Orchestergalerie, einer Rednerbühne und einer Präsidentenrampe versehen, sowie besonders auch dafür eingerichtet,
kinematographische Projektionen daselbst vorführen zu können. Alle fünf Sitzungssäle liegen der Rue de Paris zugekehrt, während sich an der Wasserseite eine prächtige Wandelbahn von 100 m Länge und 11,60 m Breite längs des ganzen
Kongressgebäudes erstreckt, in welchem Vorsaale (Salle de pas-perdus) die Besucher der Kongresse in ungezwungenen Verkehr
treten, Bewegung machen oder auch während der Nachtfeste die Illumination des gegenüberliegenden Ufers mit ansehen können.
Es erübrigt schliesslich der vorstehenden gedrängten Schilderung nur noch beizufügen, dass das Palais von dem Architekten
Mewès entworfen und erbaut wurde, und dass die verschiedenen Teile der Ausführung durch die Pariser Arbeitervereine der „Maurer von Paris“, ferner der „Zimmerleute von Paris“ und Malervereines
„Le Travail“ übernommen waren und prompt bewerkstelligt worden sind.
Nach einem Verzeichnis der Zeitschrift Le Génie civilvom 2. Juni 1900, S. 86 sind bisher 126 verschiedene internationale Kongresse ausgeschrieben, worunter sich die nachstehenden
auf technische Fächer beziehen oder dieselben mehr oder minder berühren: Der Kongress „über Material Versuchsmethoden“ (Festigkeitsproben) vom 9. bis 16. Juli; „über die Beaufsichtigung und die Sicherungsvorschriften für Dampfapparate“ vom 16. bis 18. Juli; „über Rettungswesen“ vom 17. bis 23. Juli; „über Schiffbaukunst“ vom 19. bis 21. Juli; „über angewandte Mechanik“ vom
19. bis 21. Juli; „der Photographen“ vom 23. bis 28. Juli; „über industriellen Eigenbesitz“ vom 23. bis 28. Juli; „über angewandte Chemie“ vom 23. bis 28. Juli; „über den legalen Schutz der Arbeit“ vom 25. bis 29. Juli; „über Seeschiffahrt“ vom 28. Juli bis 3. August;
„über Zeitmessung“ vom 28. Juli bis zum 4. August; „der Architekten“ vom 30. Juli bis 4. August; „der Handelsseefahrer“ vom
4. bis 12. August; „der Chemiker“ vom 6. bis 11. August; „über technischen, handelswissenschaftlichen und industriellen Unterricht“ vom 6. bis 11. August; „der Mathematiker“ vom 6. bis 11. August; „der Physiker“ vom 6. bis 11. August; „für Müllerei“ vom 9. bis 11. August; „der Geologen“ vom 16. bis 18. August; „der Elektriker“ vom
18. bis 25. August; „für Wirtschafts- und Handelsgeographie“ vom 27. bis 31. August; „zur Einigung über eine gleichmässige Numerierung der Gewebefäden“ vom 3. bis 4. September; „der Gastechniker“ vom 3. bis 5. September; „für Luftschiffahrt“ vom 15. bis 20. September; „der Eisenbahnverwaltungen“ vom 20. bis 29. September; „der Acetylenindustriellen“ vom 22. bis 28. September; „für Seerecht“ vom
1. bis 3. Oktober; „der Botaniker“ vom 1. bis 6. Oktober. Um in Angelegenheit irgend eines der Kongresse nach jeder Richtung hin Auskünfte zu erhalten, hat man sich an Mr. Gariel, Délégué principal – Administration de l'Exposition de 1900 – Paris, 2, Avenue Rapp, zu wenden.