Titel: | Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis. |
Autor: | K.Musiol |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 429 |
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Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis.
Von Ingenieur K.Musiol, Warschau.
Das Ziehen auf Ziehpressen in Theorie und Praxis.
Maschinen, die aus einer Metallplatte ein einheitliches Hohlgefäss herstellen, werden, wenn auch nicht vollkommen richtig,
Ziehpressen genannt.
Kennzeichnend für diese Maschinen ist das bei ihnen benutzte Prinzip des Zweitaktes, in dessen erster Phase der Zuschnitt
behufs Verhinderung der Faltenbildung festgeklemmt und erst in der zweiten der eigentlichen Formverwandlung unterworfen wird;
dadurch unterscheiden sich die Ziehpressen wesentlich von den verwandten Spindel-, Friktions-, Exzenter- und Schmiedepressen,
welche einfach wirkend sind, und nur eine Schlag- bezw. Schneidwirkung beabsichtigen.
So mannigfaltig die Ziehpressen in konstruktiver Beziehung auch erscheinen mögen, nichtsdestoweniger lassen sie sich unter
Berücksichtigung ihrer kinematischen Bauart nach vier Systemen ordnen und zwar in Ziehpressen mit
1. beweglichem Matrizenträger, feststehendem Blechhalter, beweglichem Stempel,
2. feststehendem Matrizenträger, beweglichem Blechhalter, beweglichem Stempel,
3. beweglichem Matrizenträger, beweglichem Blechhalter, feststehendem Stempel, und
4. beweglichem Matrizenträger, beweglichem Blechhalter, beweglichem Stempel.
Zur ersten Gruppe gehören die bekannten Ausführungen von L. Schuler, Ch. Leroy, Kircheis, Mönkemöller und einer grossen Zahl von Epigonen dieser auf dem Gebiete der Ziehtechnik sehr verdienten Werke.
In der zweiten Gruppe erscheinen die ältesten Ziehpressen mit Gegengewichten, ferner die Kniehebelkonstruktionen von Bliss, Kircheis, Taylor und Challen, sowie jene mit Flügelkörpern von Smith vertreten.
Die dritte Gruppe gehört zu den seltenen. Bekannter ist nur eine Konstruktion und zwar die von M. P. Mallet in Paris, System Bidault.
Gleichermassen vereinzelt ist die vierte Gruppe, in welche die jüngste, speziell für sehr grosse Ziehtiefen durchgeführte
Konstruktion von Gustav Toelle einzureihen ist.
Die Beschreibung der einzelnen Maschinen liegt schon ausserhalb des Rahmens dieses Aufsatzes und würde nur eine Wiederholung
der in der Litteratur bereits erörterten Abhandlungen bieten können; daher verweisen wir den Leser auf die in der Fussnote
angeführten Quellen und gehen zu den Ziehwerkzeugen überD. p. J. 1893 289 60, 73; 1895 298
231 bis 248; 1897 305 73; 1898 309 203. Portefeuille économique des machines, 1888, livraison d'avril.
Illustrierte Zeitung der Blechindustrie,
1897 29; 1899 18.).
Entsprechend dem Prinzip des Zweitaktes wird jedes Ziehwerkzeug aus zwei einander beigeordneten Werkzeugen gebildet; das eine
bezweckt die Festklemmung und wird Blechhalter, Faltenhalter, Ziehring genannt; das andere besorgt die eigentliche Formverwandlung und besteht aus zwei Teilen, welche
Matrize und Stempel heissen. Der Unterscheidung wegen fügt man jenen Werkzeugen, auf denen das Ziehen aus der Blechscheibe stattfindet, das Prädikat
„Anschlag“ bei, im Gegensatze zu den Weiterschlagwerkzeugen, auf denen die weiteren Züge erfolgen.
Textabbildung Bd. 315, S. 428
Fig. 1
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Fig. 2
Dass die beiden Werkzeuge konstruktiv verschieden sein müssen, ist leicht begreiflich. Beim Anschlage (Fig. 1) hat der Blechhalter die Ränder der Scheibe zu fassen, weshalb die Matrize, desgleichen auch der Blechhalter vollkommen eben
gestaltet sind. Anders verhält es sich mit dem Weiterschlage (Fig. 2), wo der Uebergang eines weiteren Cylinders in einen engeren erfolgt, aus welchen Gründen die Form des Blechhalters jener
des Anschlagstempels gleichen muss, wenn eine Festklemmung platzgreifen soll.
Da den günstigsten und praktisch am leichtesten durchführbaren Uebergang aus einem Cylinder in einen engeren der Kegelstumpf bildet, laufen sämtliche Anschlag- und Weiterschlagstempel, sowie Weiterschlagmatrizen und Blechhalter in einen Kegel aus,
dessen Neigungswinkel in der Regel 45° beträgt, falls besondere Gründe für einen anderen nicht sprechen.
Die Vorgänge im Inneren des Bleches während des Ziehens.
Nach der bestehenden Fachliteratur zu schliessen, Worin ihrer nur in hypothetischer Art Erwähnung gethan wird, sind dieselben
bis jetzt noch nicht ergründet.
In D. p. J. 1893 289 3 heisst es unter anderem: „Wird eine Metallscheibe zwischen glatte Ringformen geklemmt und durch einen darauf einwirkenden Stempel in eine neue Form
gezogen, so dass dadurch das Material der Metallscheibe in der Hauptsache gedehnt, also auf Zug beansprucht wird, so heisst dieser Arbeitsvorgang Ziehen.“
Ledebur gibt eine ähnliche Definition. In seiner Mechanisch-metallurgischen Technologie, S. 391, lautet der. betreffende Absatz: „Pressen zur Herstellung von Hohlgefässen aus dünnen Blechen – Konservenbüchsen,
Waschbecken u. dgl. m. – gibt man häufig zwei ineinander gehende Stempel, deren erster zunächst eine kreisrunde Scheibe aus
der vollen Platte ausstösst und sich alsdann auf deren Rand legt, diesen vor Faltenbildung bewahrend und gewissermassen glättend, während der zweite Stempel das Auftiefen ausführt und dabei den Rand allmählich nach innen zieht. Solche Maschinen nennt
man Ziehpressen; das Arbeitsstück wird in der That auf Zugfestigkeit beansprucht.
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Fig. 3
In seinem Vortrage über Blechbearbeitung und Fabrikation der Blechwaren spricht ScharlachZeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Bd. 39 S. 50, 1502. über Pressen im allgemeinen und übergeht dann zu Ziehpressen mit folgenden Worten: „Nicht so einfach liegt der Fall, wenn ein Hohlkörper gebildet werden soll. Es genügt dann nicht, wenn Stempel und Matrize
die entsprechenden Formen haben; vielmehr muss noch die sogen. Ziehplatte zu Hilfe genommen werden, welche die Ränder der
zu gestaltenden Scheibe an der Matrize festklemmt und dadurch verhindert, dass sich an bestimmten Stellen Stauchungen und Materialanhäufungen bilden.“ Bei Besprechung der Herstellung tieferer Formen wird noch hinzugefügt: „Tiefere Gegenstände lassen sich auf einen Zug nicht herstellen, da die Möglichkeit eines Zusammenstauchens des Blechrandes sehr bald ihre Grenzen findet.“
FischerMechanische Technologie von Fischer-Karmarsch, Bd. l S.
284. kleidet seine Ansichten darüber in folgende Worte: „Soll das Auftiefen ohne bedeutende Streckung und Verdünnung, also durch Aufbiegen des Randes der Scheiben geschehen, so setzt dies (um Faltenbildung zu vermeiden) voraus, dass die Bearbeitung
in mehreren (drei bis zehn oder noch mehr) aufeinander folgenden Ringen schrittweise geschehe. Diese Ringe nehmen in der Reihenfolge an Durchmesser ab, wie die darin arbeitenden Stempel. In dem ersten Ringe
wird ein sehr schmaler Rand aufgebogen, der sich eben wegen seiner geringen Breite leicht ganz schlicht darstellen lässt;
jeder folgende (kleinere) Ringbiegt wieder den äussersten Ring des Bodens zum Rande auf und verlängert oder erhöht somit den letzteren.“
Einer etwas wankelmütigen Meinung war Dr. KallenbergZuschneiden von gedrückten und gezogenen Gegenständen von Kallenberg. bei Aufstellung folgender Sätze: „Beim Ziehprozess zeigt es sich, dass bei guter Konstruktion der
Presse (kräftiges Festhalten des Niederhalters durch Exzenter, Kniehebel u. dgl.) und guter Ausführung der Zieh Werkzeuge
(Matrize, Stempel und Ziehring) an
keiner Stelle weder eine wesentliche Verdickung noch eine besondere Verdünnung des Materials eintritt
(abgesehen von sehr weichem Material, wie Stanniol).“ Hierzu noch eine sehr wichtige Fussnote: „Auch unten an der Zarge, nahe am
Boden zeigt sich, wie Messungen an durchgeschnittenen Gegenständen ergeben, keine Verdünnung des Bleches, wie manche wohl annehmen möchten. Passen die Werkzeuge nicht recht, oder wird der Ziehring nicht sehr fest aufgedrückt,
so kann oben am Rande wohl eine Verdickung (meist mit etwas Faltenbildung) eintreten. . . . In manchen Fällen zeigt sich nach oben hin allerdings eine geringe Verdickung des Materials. Diese dürfte wohl daher rühren, dass zwischen Matrize und Stempel ein etwas grösserer Zwischenraum bleiben
muss, als ihn die Blechstärke erfordert (sonst tritt leicht ein Reissen ein).“
So viel bietet uns die Fachlitteratur.
Ob die darin geäusserten Ansichten auch der Wirklichkeit entsprechen, ist nirgends in keiner Weise bewiesen worden, weshalb
sich der Verfasser vornahm, diese offen gelassene Frage zu beantworten. Bei der Bearbeitung derselben stützte er sich ausschliesslich
auf zahlreiche, mit verschiedenen Metallen durchgeführte Versuche, deren einer hier in ausführlicher Weise wiederholt werden
mag.
Auf mehreren Zuschnitten – in diesem Falle Eisenblechscheiben vom Durchmesser D = 366,5 mm und Stärke δ
= 0,64 mm – wurden mit grosser Genauigkeit einerseits konzentrische Kreise von den Durchmessern 200, 220, 250, 280,
320 und 339, andererseits eine beliebig grosse Zahl gleich entfernter Radialstrahlen mit einem Spitzzirkel eingeritzt, und
die Scheiben in Absätzen, wie dies die Fig. 4 und 7 veranschaulichen, unterworfen.
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Fig. 4
Auf den teilweise und fertig gezogenen Arbeitsstücken kamen die eingeritzten Kreislinien und Radialstrahlen so zum Vorschein,
wie sie in Fig. 4 und 7 wiedergegeben sind. Die konzentrischen Kreislinien gingen in vertikal zu der Cylinderachse gelegene Cylinderschnittlinien über und blieben bis auf sehr geringe Abweichungen, die im Material bezw. im schlechten Einspannen der Werkzeuge begründet
waren, äquidistant. Die radialen Strahlen konvergierten am Boden und am Kegelstumpf, im Cylindermantel lagerten sie sich äquidistant und parallel zur Cylinderachse.
Nach jedem Zuge wurden sämtliche Linien genau gemessen und die Dimensionen in die Tabellen I, II und III (Fig. 5) eingetragen.
Die Messung ergab ausnahmslos eine Abnahme der Kreislinien und eine Zunahme der Abstände zwischen den Kreislinien. So z.B. der von zwei Kreislinien 4 und 5 begrenzte Kreisring 4 bis 5. Die vierte Kreislinie hatte in der α-Stellung eine Länge von 879,7 mm, in der β-Stellung und ersten Anschlage 761,37, nachher im ersten Weiterschlage 629,8, in der δ-Stellung 624,74 und schliesslich im zweiten Weiterschlage 514,78; die Linie wurde also um 879,7 –
514,78 = 364,82 oder um 41 % der ursprünglichen Länge kürzer.
In demselben Sinne kürzte sich auch die Linie 5 von
942,5 auf 838,8, 761,37, 629,8 und 514,78, also um 45 %. Die Breiten der Kreisringe vergrösserten sich folgendermassen:
beim Kreisring 3 bis 4 von 15 auf 18, 18,25, 18,50, 20,25, 21,5 und
23,75, also um 58 % der ursprünglichen Länge; beim Kreisring 4 bis 5 von 10 auf 17,25 oder um 72 %, und beim Kreisring 5 bis 6 von
10 auf 17,5, d.h. um 75 %.
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Fig. 5.Tabelle der Durchmesser, Umfange und Abstände der Kreislinien.
Diese in den Tabellen ziffermässig eingetragenen Veränderungen sind in mehr übersichtlicher Weise in dem Diagramm Fig. 6 zur Darstellung gebracht. Daselbst wird statt des ganzen Ringes bloss ein Ringstück und zwar der 40. Teil der Scheibe in
doppelter Vergrösserung der Betrachtung unterzogen. Die Sehnen kürzen sich wie folgt: α4α4 in β4β4, γ4γ4 . . . III4III4; desgleichen verlängern sich die Strahlen von α4α5 auf β4β5 . . .
Die weiteren derart durchgeführten Messungen ergaben durchwegs, dass sämtliche Kreislinien einer Stauchung – Druckspannung –, dagegen alle radialen Strahlen einer Dehnung – Zugspannung – unterworfen waren, und zwar beide in um so höherem Masse, je näher sie der Peripherie gelagert waren.
Für den Fall, dass die Kreislinien mit den radialen Strahlen in keinem Zusammenhange stünden, wäre die Annahme gesonderter
Zug- und Druckspannungen zulässig. In der Wirklichkeit haben jedoch die in Rede stehenden Linien gemeinsame Punkte – Schnittpunkte
–, welche weder in der Dehnungs- noch der Stauchungsrichtung ausschliesslich, sondern nur in jener der Resultierenden dieser
beiden sich bewegen können. Da nun die gesamte Kreisfläche aus solchen Kreislinien und radialen Strahlen zusammengesetzt gedacht
werden kann, deren Schnittpunktezahl unendlich ist, so werden alle Punkte demselben Gesetze unterliegen, wie die oben erörterten.
Es traten demnach während des Ziehens im Inneren des Bleches radiale Zug- mit peripherialen Druckspannungen gepaart auf.
Nach der Betrachtung der linearen Veränderungen wurde zu jenen der Flächen geschritten. Diese unterlagen ebenfalls gewissen
Schwankungen und zwar an manchen Stellen vergrösserten sie sich, wohingegen sie anderswo sich verkleinerten. Dass eine Flächenvergrösserung
eine Abnahme der Blechstärke, also Dehnung, eine Flächenverkleinerung Zunahme der Dicke oder Stauchung bedeutet, liegt auf
der Hand, weil das Volumen eines Ringes ständig dasselbe bleibt, abgesehen von dem hier nicht in Betracht gezogenen Abbrand
beim Glühen und auch dem infolge der Bearbeitung vergrösserten spezifischen Gewichte des Arbeitsstückes, welche Volumveränderungen
jedoch wegen ihrer Kleinheit nicht von Belang sind.
Würde die Blechstärke keiner Veränderung während des Arbeitsvorganges unterliegen, alsdann müssten zwei korrespondierende
Kreisringe vermöge ihrer Inhaltsgleichheit vor und nach dem Ziehen flächengleich sein. Da nundie Fläche eines Kreisringes einer Rechtecksfläche sich gleichstellt, deren Basis gleich dem mittleren Kreisringumfange und
deren Höhe gleich der Kreisringbreite ist, so würde für jeden Kreisring vor und nach dem Ziehen das Gesetz: F = xy gelten, wobei x die Länge und y die Breite des Rechteckes von der Fläche F bezeichnet.
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Fig. 6
Die geometrische Darstellung der Gleichung F = xy ergibt eine gleichseitige Hyperbel, deren Abscissen die jeweiligen Umfange und deren Ordinaten die zugehörigen Ringbreiten angeben. Danach wäre – bei obiger
Voraussetzung – das Gesetz, laut welchem die Flächenverwandlung vor sich geht, bekannt und es liesse sich mit Hilfe dessen
der Zuschnitt jedes Gegenstandes mathematisch genau bestimmen.
Die Thatsache der Flächenunbeständigkeit ändert natürlich das obige Flächengesetz F = xy. Bei einer Flächenvergrösserung oder Abnahme der Blechstärke – Dehnung – wird die Ordinate stärker wachsen, als dies in der
gleichseitigen Hyperbel für dieselbe Abscisse x der Fall wäre, und der Punkt wird ausserhalb der Hyperbel liegen. Demnach wird die Lage des fraglichen Punktes ausserhalb der gleichseitigen Hyperbel eine Dehnung und innerhalb derselben eine Stauchung anzeigen.
Das Gesagte ist nun in Fig. 8 rechter Zweig graphisch dargestellt. Das Bild wurde aus der Fig. 6 auf dem Wege erhalten, dass die einzelnen Punkte statt auf den Mittelpunkt der Scheibe auf die zugehörige, nächst tiefere
Kreislinie als Achse bezogen (Fig. 8 linker Zweig), und nachher, um die Flächenvergleichung anstellen zu können, sämtliche Trapeze in Rechtecke reduziert wurden. Schliesslich wurde aus jedem Anfangspunkte die gleichseitige Hyperbel verzeichnet,
uni die Grenzen der Dehnung und Stauchung zu bestimmen. Diese Flächenvergleichung erleichterte wesentlich die Arbeit, an den
Versuchsstücken festzustellen, in welcher Ziehoperation, auf welchem Orte des Ziehstückes und in welchem Masse Zug- oder Druckspannung
überwog.
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Fig. 7
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Fig. 8
Die in den Tabellen I und II (Fig. 9) eingetragenen Flächen und Blechstärken sämtlicher Kreisringe berechnetensich aus den durch genaue Messungen gefundenen Durchmessern und Abständen (Fig. 5). Um die eintretende Dehnung oder Stauchung in Prozenten auszudrücken, wurde die Blechstärke 0,64 gleich der Einheit gesetzt.
Der Versuch ergab im Boden und den inneren drei Ringen eine Stärkenabnahme von 1 auf 0,992,
0,981, 0,985, 0,909; vom Ringe 4 bis 5 ab hingegen eine Zunahme von 1 auf 1,046, 1,064,1,050 und 1,019. Diese Dehnungen bezw. Stauchungen erklären sich nun in folgender
Weise:
Bei Fig. 7 drang der Ziehstempel mit der der angestrebten
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Fig. 9.Tabelle der Flächen und Blechstärken.
Ziehtiefe h entsprechenden Geschwindigkeit c in die Scheibe zwischen den eingeritzten Kreislinien 2 bis 3 ein; da jedoch die Scheibe in Ruhe sich befand, und die Reibung der Ruhe eine bedeutend grössere ist, als die der Bewegung,
so wollte der Scheibenrand im ersten Augenblicke noch stille stehen, während der mittlere Teil bis zur Kreislinie
3 die Ziehstempelgeschwindigkeit schon anzunehmen begann. Die Folge hiervon äusserte sich darin, dass der mittlere freie Teil
gering gedehnt, während der nächste, festgeklemmte Ring 3 bis
4 von allen Ringen der grössten Dehnung unterzogen wurde. Sobald die weiteren, festgeklemmten Ringe in Bewegung gerieten, kürzten
sie sich in der Peripherierichtung ungleich rascher als sie in der radialen sich dehnten, welcher Umstand eine Flächenverkleinerung und im Gefolge eine Verdickung, also Stauchung dieser Teile hervorrief.
Diese ganze Reihe von Veränderungen wahrzunehmen und zusammenzufassen, gestattet das
Diagramm Fig. 8, wo die Punkte α, der α-Stellung und der Blechstärke Eins entsprechend, in der Hyperbel liegen, und die der β-Stellung entsprechenden Punkte β in den Ringen 0 bis 1, 1 bis 2, 2 bis 3, 3 bis 4 ausserhalb der Hyperbel sich befinden, was eine Dehnung anzeigt, deren Mass nach dem Längenverhältnisse der α-β-Strecken ungefähr sich schätzen lässt. Am längsten ist die α-β-Strecke im Kreisring 3 bis 4, was besagt, dass dort die grösste Dehnung aufgetreten ist. Im Kreisringe 4 bis 5 beginnt der β-Punkt innerhalb der Hyperbel zu liegen, was auf eine Stauchung hindeutet.
Unter den gleichen Umständen, also auf demselben Werkzeuge, bei derselben Blechhalterspannung und Eintauchflüssigkeit wurde
das Arbeitsstück noch in zwei weiteren Absätzen gezogen, so dass die γ-Stellung und totaler Anschlag entstanden. Sowohl im ersten, als auch im zweiten Falle wiederholte sich dasselbe Spiel, welches
bei β-Stellung schon näher beschrieben wurde. Der Boden und die inneren Ringe zeigten eine stetige Dehnung, die ersten festgeklemmten
Ringe – also 4 bis 5 bei γ-Stellung und 6 bis 7 beim Anschlag – eine besondere Dehnung, die weiteren Ringe, so lange sie in der Scheibe lagen, eine Stauchung, nach dem Uebergang
in den Cylinder in relativer Beziehung eine Dehnung, in absoluter jedoch eine Stauchung.
Da das Ziehen in Wirklichkeit in solchen Absätzen nicht stattfindet, fühlte ich mich veranlasst, um nicht irre zu gehen, einen
gleich bemessenen Zuschnitt in einem Anschlagzuge unter den gleichen Bedingungen zu ziehen und fand im Boden und den Ringen
0–1 bis 5–6 ungefähr dieselbe Dehnung, wie bei den vorher besprochenen, im Ringe 3 bis 4 sogar noch etwas mehr. Die Ursachen, welche diese auffällige Gleichheit der Ergebnisse herbeiführten, waren jedoch sehr verschieden.
In erstem Falle spielten die Unterbrechungen, die zufleiss eingeleitet wordenwaren, um die gewünschten Dimensionen ablesen und danach die im Blechinneren sich abspielenden Vorgänge beurteilen zu können,
im zweiten Falle die vergrösserte Ziehgeschwindigkeit die grösste Rolle. Liessen sich jene Dehnungen, welche im ersten Falle
durch den Uebergang aus dem Ruhezustand in Bewegung hervorgerufen worden waren, in Abzug bringen, alsdann könnte die Bedeutung
der der grösseren Ziehtiefe entsprechend vergrösserten Geschwindigkeit recht augenscheinlich werden. Auf die Erklärung dieser
Thatsache möge jedoch, um die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu zerstreuen, später eingegangen werden. Danach wurde zur Analyse
des Weiterschlages geschritten. Bei
Fig. 7 I fand die Blechhalterspannung im Kegelstumpfe des Anschlages und zwar in den Kreislinien 1 2
3 statt. Der Ziehstempel zog das Blech in die Weiterschlagmatrize und verlieh dem Arbeitsstück die Form des ersten Weiterschlages.
Im Diagramm und in der Flächentabelle (Fig. 8 und 9) finden sich die Einzelheiten: Der neu erhaltene Weiterschlag wurde im Boden und im Kegelstumpf um 2 % stärker gedehnt, als
dies im Anschlage der Fall war. Die eingeklemmten Ringe 1 bis 2, 2 bis 3 dehnten sich gering und die Dehnung erfolgte aus analogen Gründen, wie die des Ringes 3 bis 4 im ersten Zuge. Die weiteren Ringe zeigten im allgemeinen eine Stauchung, die um so bedeutender war, je näher die Partien
der Mündung gelegen waren, mit Ausnahme des im Anschlage über dem Kegelstumpfe gelegenen Ringes 3 bis 4, welcher selbst im Vergleich mit dem obersten Ringe einer um 2,5
% grösseren – relativen – Stauchung unterlag.
Diese eigentümliche Erscheinung, welche an anderen Versuchsstücken ebenfalls auftrat, war folgendermassen hervorgerufen worden:
Entsprechend der Blechstärke der am Kegelstumpf gelegenen Ringe 1 bis 2, 2 bis 3 wurde die Blechhalterspannung auf 0,954 mm eingestellt und musste beim Durchgange des folgenden Ringes 3 bis 4 infolge seiner bedeutend kleineren Stärke 0,893 in hohem Masse sich verkleinern, oder eine zeitliche Entspannung herbeiführen,
welche den Körperteilchen genügend Raum zur Verfügung stellte, um der Druckbeanspruchung in höherem Masse Folge zu leisten,
als die anderen Ringe.
Schliesslich führte ich noch einen absatzförmigen Weiterschlag aus, um auch über die Veränderungen in der Sphäre des Kegelstumpfes
im klaren zu sein. Die erhaltenen Resultate besagen, dass der Boden bis zur Linie 1 einer sehr geringen Dehnung, dagegen der Ring 1 bis 2 und noch mehr 2 bis 3 einer analogen, schon oben beim Ringe 3 bis 4 im Anschlage besprochenen Stauchung unterlagen. Der auf dem Kegelstumpf befindliche Ring 3 bis 4 stauchte sich in gleicher Weise wie die äusseren Ringe des Scheibenrandes im ersten Zuge; im fertigen zweiten Weiterschlage
kam die Stauchung noch mehr zur Geltung. In diesem Zuge wiederholte sich genau dasselbe Spiel wie beim ersten Weiterschlage.
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Fig. 10
Endlich wäre noch ein Wort hinsichtlich jener Beanspruchungen zu sagen, welchen der Querschnitt an und für sich beim Formübergang
ausgesetzt war. In Fig. 10 ist ein solcher Querschnitt in zehnfacher Vergrösserung dargestellt und seine neutrale Faserschichte mit NN bezeichnet. Beim Uebergang des Arbeitsstückes aus der ebenen Form in jene des Anschlages ward der Querschnitt des Zuschnittes
um eine Kante gebogen, welche Biegung in den Fasern der Zugseite eine Dehnung, in jenen der Druckseite eine Stauchung bleibend hervorrief, während beim Uebergang aus dem Cylinder in den Kegelstumpf und aus diesem in den engeren Cylinder zwei Kantungen
Platz hatten, wodurch die bei erster Biegung hervorgerufene Dehnung der äusseren bezw. Stauchung der inneren Faserschichten
bei zweiter Biegung aufgehoben ward.
Wenn auch die hierdurch verursachten Verschiebungen der Körperteilchen infolge der geringen, gewöhnlich 1 mm nicht übersteigenden
Plattenstärke einer Messung sich entzogen, bleibt die Kenntnis derselben nicht nur in theoretischer, sondern auch in praktischer
Richtung von Bedeutung. Danach sind alle scharfen Ecken zu vermeiden und entsprechend der Geschmeidigkeit des verwendeten
Materials abzurunden. Ausserdem wird durch obige Thatsache erwiesen, dass das Material ausser der schon erörterten radialen
Zug- und peripherialen Druckspannung noch einer Biegungsbeanspruchung ausgesetzt ist.
Sowohl bei dem hier wiederholten, als auch bei den anderen Versuchen wurden aus zweierlei Gründen runde Scheiben gewählt: erstens, weil solche überall und vorwiegend verwendet, und zweitens, weil daraus die einfachsten Gebilde,
Kreiscylinder erhalten werden. Dass auch beim Ziehen von ovalen, oblongen, viereckigen oder anders geformten Artikeln die
grundsätzlichen Erscheinungen sich wiederholen werden, ist nicht zu bezweifeln, da zu den Wänden dieser Gefässe stets Krümmungskreise
gefunden und die betreffenden Teile des Zuschnittes als Teile einer runden Scheibe angesehen werden können.
Unter Zugrundelegung der mitgeteilten Versuche definiert sich also das Ziehen im allgemeinen folgendermassen:
1. Ziehen nennt man jenen Arbeitsvorgang, bei welchem eine Platte oder ein Hohlgefäss unter Belastung der Bänder bezw. des äussersten
Bodenringes, entsprechend der Tiefedes zu erzeugenden Hohlgefässes, in einem Zuge – Anschlage – oder in mehreren Zügen – einem Anschlage und Weiter schlagen
– von Ziehstempeln in stets engere Matrizen gezogen wird, wobei das Material einer Zug-, Druck- und Biegungsbeanspruchung
unterliegt.
2. Beim Anschlage erscheint hierbei das Material im Scheibenrande in sehr hohem, in den oberen Sphären des Hohlkörpers im minderen
Masse gestaucht; im innersten, festgeklemmt gewesenen Teile bedeutend und im Boden schwach gedehnt.
3. Der Weiterschlag zeigt im Boden eine grössere, in dem festgeklemmt gewesenen Teile eine geringere Dehnung; in den nächst höheren
Partien tritt im Vergleich mit dem Anschlage eine Stauchung ein, welche jedoch absolut genommen eine Dehnung ist im Gegensatze
zu den der Mündung nahe gelegenen Teilen, die absolute Stauchung aufweisen.
Wie die bisherigen Erfahrungen im Betriebe erkennen lassen, ist die Möglichkeit, vollkommen gleiche Ziehresultate zu erreichen,
nicht immer vorhanden, weil die während des Arbeitsvorganges ins Spiel kommenden Nebenumstände häufig Grösse Schwankungen
der Ergebnisse herbeiführen. Soll obige Forderung erfüllt werden, alsdann müssen die den Ziehprozess unmittelbar beeinflussenden
Faktoren, wie
1. die Ziehgeschwindigkeit,
2. die Blechhalterspannung,
3. die Reibungswiderstände, und
4. die Materialeigenschaften
möglichst konstant gehalten werden.
(Schluss folgt.)