Titel: | Schütte's Vorrichtung zum Anhalten von Eisenbahnzügen. |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 433 |
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Schütte's Vorrichtung zum Anhalten von Eisenbahnzügen.
Schütte's Vorrichtung zum Anhalten von Eisenbahnzügen.
Wir haben an dieser Stelle bereits wiederholt Eisenbahneinrichtungen besprochen, deren Zweck es ist, die Wirksamkeit der zur
Sicherung des Zugsverkehrs auf den Strecken und Stationen zur Verwendung kommenden, sichtbaren Haltsignale derart zu erhöhen, dass sie seitens des Maschinenführers trotz Nebel oder anderer Sehhindernisse nicht unbeachtet
bleiben oder einfach überhaupt nicht überfahren werden können. Alle einschlägigen Vorrichtungen lassen sich in zwei Hauptklassen
zusammenfassen: Die erste und ältere Gattung will nämlich lediglich die Aufmerksamkeit des Maschinen- und Zugspersonals durch
ein zweites, auf das Gehör wirkendes Ankündigungs- oder Vorsignal warnend auf das sichtbare Haltsignal hinlenken, sei es durch
das Ertönen eines Grössen Läutewerkes, das entsprechend weit vor dem „sichtbaren Signal“ aufgestellt ist, wie z.B. bei den Anordnungen von Siemens und Halske, Hattemer u.a., sei es durch die Explosion auf die Schienen gelegter Knallkapseln, wie z.B. bei den Anordnungen von Dixon
(1894 292 * 135) oder Leschinsky (1897 306 * 255) u.a., oder durch Entladungen von Schüssen, wie beispielsweise bei der Anordnung von Dreyse und Collenbusch, Schellens (1892 283 * 238), Fein u.a.m. Bei den Einrichtungen der zweiten Klasse übt jedoch das auf Halt stehende sichtbare Signal eine direkte Rückwirkung auf den Zug, sei es, indem auf der Lokomotive ein Warnungszeichen hervorgerufen
wird, etwa durch selbstthätige Auslösung der Dampfpfeife, wie z.B. bei der Lartigue'schen , oder bei der Geradini'schen, oder der Wismann'schen Anordnung (1893 287 * 162), oder indem ein Läutesignal erfolgt, wie bei der Boult'schen Anordnung, sei es, dass gleich der Lauf des Zuges selbst durch die automatische Thätigmachung des Regulierhahnes der
Luftdruckbremse gehemmt wird, wie dies beispielsweise bei der bekannten Delebeque und Banderali'schen Anordnung der französischen Nordbahn oder bei der auf der West-Lucashire-Eisenbahn in Verwendung stehenden Pratt'schen Signaleinrichtung (1898 310 * 154) der Fall ist.
Nach den bisherigen Erfahrungen erscheint es so ziemlich ausser Frage gestellt, dass von den vorgedachten zwei Einrichtungsformen
eben nur die letztere auf volle Erreichung des damit angestrebten Zieles hoffen lässt, denn auch die hörbaren Vorsignale auf
der Strecke können bei heftigen Stürmen oder sonstigen aussergewöhnlichen Umständen möglicherweise nicht wahrgenommen werden,
während kräftige Signalzeichen, welche sich unmittelbar auf der Lokomotive äussern, vom Maschinenpersonal absolut nicht unbemerkt
bleiben können. Als radikalste Massnahme darf es natürlich gelten, wenn nicht erst signalisiert, sondern wenn ohne weiteres
der Zug, welchem die Fahrt verboten ist, gebremst wird. Es gibt jedoch auch ernste und erfahrene Eisenbahnbetriebsmänner,
welche der Anschauung sind, dass Vorsignale auf der Strecke hinreichen sollten, denn bei Einführung von Vorsignalen auf der
Lokomotive läge eine gewisse Einschläferung der Wachsamkeit der Maschinenführer nahe, indem sich dieselben sehr bald lediglich
auf die selbstthätige Signalisierung bezw. auf die selbstthätige Bremsung des Zuges verlassen und den sichtbaren Haltsignalen
nur eine flüchtige Aufmerksamkeit zuwenden würden, wodurch in Fällen des Versagens der Vorrichtung um so gefährlichere Folgen
zu befürchten stünden. Auch hält man es auf vielen, und namentlich auf den englischen Bahnen für wichtig, das Bremsen des
Zuges lediglich der Beurteilung und Hand des Maschinenführers vorzubehalten. Allein, wenn gleich diese Bedenken keineswegs
als unbegründet angesehen werden dürfen, lässt sich ebensowenig an der Thatsache rütteln, dass sowohl mit selbstthätigen Vorsignalen
auf der Lokomotive, als mit der selbstthätigen Bremsenauslösung schon seit Jahren tadellose Erfolge erzielt worden sind. Dieser
Umstand veranlasste ja auch den französischen Minister der öffentlichen Arbeiten erst vor kurzem wieder ein Rundschreiben
an die Eisenbahnen zu erlassen, in welchem er ihnen die Einführung von Einrichtungen zur Sicherung des Anhaltens der Züge
dringend nahe legt. In diesem Erlasse wird auch der weiter oben angeführten Bedenken gedacht und bemerkt, dass dieselben wegfallen, wenn der selbstthätigen Dampf pfeifen-
oder Bremsenauslösung eine Kontrollvorrichtung beigegeben ist, mit deren Hilfe jede Unachtsamkeit und jeder Fehler des Maschinenführers
hinsichtlich der Beachtung der sichtbaren Haltsignale ersehen und nachgewiesen werden kann, so dass sich dem Einreissen einer
Laxheit in der Signalbeobachtung von vorhinein durch scharfe Strafandrohungen begegnen lässt. Solche Kontrollvorrichtungen
hat man ja auch bereits verschiedene erfunden und die Grössen Eisenbahnen Frankreichs sind derzeit gerade daran, im Sinne
der vorgedachten Aufforderung des Ministers im Einvernehmen mit der Eisenbahnverkehrskommission Versuche durchzuführen.
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Nach diesen erläuternden Vorerinnerungen kann nun wohl in die nähere Schilderung der
Schütte'schen Anordnung eingegangen werden, die zur zweiten Gattung der in Rede stehenden Sicherungseinrichtungen gehört und deshalb
aus zwei getrennten Teilen besteht, von denen sich der eine auf den Zuglokomotiven, der andere auf den Bahnstrecken befindet.
Ersterer besteht aus zwei Hebelarmen a (Fig. 1 und 2), die gemeinsam auf einer wagerechten Drehachse z festgekeilt sind, welche, von zwei Lagern getragen, vorn querüber an der Lokomotive angebracht ist. Diese beiden, rechts
und links an der Maschinenbrust nach abwärts reichenden parallelen Arme a stehen genau auf Geleiseweite voneinander ab, d.h. sie haben ihren Platz senkrecht über den beiden Schienensträngen des Fahrgeleises.
Auf der Drehachse z sitzt noch ein dritter, jedoch nach aufwärts gekehrter Arm d fest, der allenfalls mit dem einen oder dem anderen Arm a gleich ein einziges Stück bilden kann, und dessen oberes Ende durch eine Verbindungsstange an einen um den Drehbolzen n beweglichen, zweiarmigen Hebel angelenkt ist. Die in
Fig. 1 ersichtlich gemachte Stellung der soeben betrachteten Teile entspricht der normalen Ruhelage, welche mittels eines schwachen Drahtseiles h gesichert wird, das um den Arm d geschlungen, mit seinen beiden Enden an dem Bolzen
e festgeknüpft und mit Hilfe einer einfachen Spannvorrichtung fg festgewürgt ist. Bei dieser Hebelstellung ruht das obere Ende des um n drehbaren Doppelhebels hinter dem in seiner regelrechten Verschlusslage befindlichen Hahn i der Bremsluftleitung b. Gerät jedoch während der Fahrt der Lokomotive einer der Arme a an ein Hindernis, das genug kräftig wirkt, um das Bindeseil h zu zerreissen und a einzuknicken, so nehmen die Teile der Lokomotivvorrichtung die in Fig. 2 dargestellte Lage an. Bei der begreiflichermassen ganz plötzlich erfolgenden Aenderung der Hebelstellungen hat der obere
Arm des um n drehbaren Hebels den Abschlusshahn i erfasst und dergestalt gedreht, dass die Bremsluftleitung geöffnet und die ausströmende Pressluft in das Rohr c geleitet wurde. Letzteres steht mit einer am Führerstand angebrachten Trompete in Verbindung, die nunmehr durch die einströmende
Pressluft zum Ertönen gebracht wird, während gleichzeitig der in der Bremsluftleitung eintretende Druckverlust die Bremsung
des Zuges einleitet. Bremsung und Warnungssignal beginnen sonach im gleichen Momente und der Zug hat hierüber unverzüglich
anzuhalten und stehen zu bleiben, bis die Fahrt wieder freigegeben ist. Inzwischen müssen an der Lokomotive die Auslösehebel
a wieder in die Ruhelage zurückgestellt und darin durch einneues Seilstück h festgemacht werden, wozu nur wenige Sekunden erforderlich sind. Zieht es eine Verwaltung vor, dass die Stellungsänderung
der Auslösehebel keine Bremsung herbeiführt, sondern lediglich die Warnung des Maschinenpersonals bewirkt, sei es aus betriebstechnischen
Gründen, sei es, weil das Bremssystem der Züge die selbstthätige Wirksammachung entweder gar nicht oder wenigstens nicht auf
einem wünschenswert einfachen Wege gestattet, so lässt sich dies selbstverständlich mit Hilfe der vorgeschilderten Auslösevorrichtung
in jeder beliebigen Weise erreichen; ebensowenig unterläge es einer Schwierigkeit, alle Teile der Vorrichtung bis auf geringe
Abänderungen, die an dem letzten, den Hahn i vertretenden Teil notwendig werden, sowohl auf Eilzugsmaschinen als auf Güterzugsmaschinen in Verwendung zu nehmen, wenn
auch die Bremssysteme der beiden Zugsgattungen verschieden wären. Es wäre schliesslich ganz leicht möglich, die Sicherungsvorrichtung
auch gleich für zweierlei Bremssysteme zurecht zu machen, wenn die Lokomotiven, wie dies ja auf manchen Bahnen der Fall ist,
in diesem Sinne ausgerüstet sind und ausgenutzt werden.
Um das Knicken des Hebels a zu bewirken, benutzt Schütte einfache Drahtseilschleifen s (Fig. 1 und 2), die durch einen Blechring hochgehalten und entweder neben oder unmittelbar an einem der beiden Schienenstränge des Geleises
festgemacht werden. Trifft die Lokomotive auf ihrer Fahrt ein derartiges künstliches Hindernis, so schlüpft das vorgestreckte,
zugespitzte Ende des über dem betreffenden Schienenstrang daherkommenden Armes a in die Schlinge hinein, um sie bei der Weiterfahrt zu zerreissen, wozu es aber einer bestimmten, nennenswerten Kraft bedarf,
weil das zur Schlinge verwendete Stahldrahtseil stärker und widerstandskräftiger gewählt ist, als das Verschlussseil h. Beim Anfahren einer Hindernisschlinge zerreisst also zuförderst der Verschluss h, sodann kippt der Arm a oder kippen vielmehr die Arme a bis zu ihrem Anschlag a1, wodurch bereits die oben besprochene Auslösung des Warnungssignals – nebst Bremsenbethätigung oder ohne Bremsenbethätigung
– erfolgt, und schliesslich wird auch die Drahtschlinge s durchgerissen, d.h. das Hindernis wieder zerstört, nachdem es seine Aufgabe erfüllt hat. Soll die Fangschlinge im Zusammenhange
mit ständigen Signalen, beispielsweise mit Bahnhofabschlusssignalen o. dgl. wirken, die mittels Drahtzügen gehandhabt werden,
so dient hierzu auf eingeleisigen wie auf zweigeleisigen Bahnen die in Fig. 3 und 4 ersichtlich gemachte, in entsprechender Entfernung vor dem zugehörigen sichtbaren Signal neben dem Fahrgeleise anzubringende
und durch die Fortsetzung der Signalstelldrähte bewegte Vorrichtung. Dieselbe besteht im wesentlichen aus der in zwei Lagern
ruhenden Achse y, auf welcher eine Speiche, eine Scheibe o. dgl. festsitzt, die von der zum Signalstellen dienenden Drahtzugvorrichtung dergestalt
angetrieben wird, dass ein auf y befindlicher Exzenter in Uebereinstimmung mit der Lage des sichtbaren Signals auf Halt hochgehoben ist, wie es Fig. 3 zeigt, während er bei der Signallage für Freie Fahrt im Sinne der Fig. 4 sich nach abwärts kehrt. Der Exzenter hebt bezw. senkt zwangsläufig durch Einwirkung der Führung k auf den Zapfen r einen um die Achse x beweglichen, an seinem freien Ende die Fangschlinge s tragenden Arm q, in die beiden durch Fig. 3 und 4 gekennzeichneten Grenzlagen. Würde also ein Zug das Einfahrtsignal auf
Halt vorfinden und nicht rechtzeitig anhalten, so fährt er in die hochgehobene Schlinge s, wodurch die Auslösung der Lokomotivvorrichtung erfolgt; steht hingegen das Einfahrtsignal auf
„Freie Fahrt“, dann liegt die Schlinge s zu tief, als dass sie der Hebel a (Fig. 1) zu erreichen vermöchte, und es kann somit auch keine Auslösung der Lokomotivvorrichtung eintreten.
Durchaus neu und in der That äusserst wertvoll ist an der Schütte'schen Anordnung die Freiheit, mit der das auslösende Hindernis auf der Strecke zur Verwendung gebracht werden kann, indem
die Fangschlinge, wie schon früher angedeutet wurde, keineswegs an eine in der Strecke ständig vorhandene, mechanische Hilfsvorrichtung,
wie sie Fig. 3 und 4 darstellt, gebunden ist, sondern sich ganz nach Bedarf an jeder Stelle der Bahn anbringen lässt. Die Art und Weise der Anbringung lässt sich mannigfach variieren und dem Oberbau in jeder Beziehung leicht anpassen. Ganz ohne Zweifel wird sich bei einer regulären Einführung der
Einrichtung sehr bald eine solche Vervollkommnung in dem Befestigungsverfahren und in der Akkommodation der Schleifenanordnung
an die örtlichen Erfordernisse erzielen lassen, dass das Auslegen der Warnungsschlingen schliesslich seitens der Bahnbediensteten
kaum weniger leicht und schnell besorgt werden würde, als das Auslegen von Knallkapseln. Ein Beispiel für die Anbringung von
Hindernisschlingen bei gewöhnlichem Oberbau mit Vignoles-Schienen auf Querschwellen lässt sich aus Fig. 5 ersehen, wo die Schleife in der Vorder-, sowie in der Seitenansicht dargestellt ist.
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Fig. 3
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Fig. 4
Zur Herstellung derselben sind drei bereits im vorhinein vorbereitete Bestandteile erforderlich, nämlich ein kreisförmig gebogener
Weissblechstreifen w, dann das aus demselben Material bestehende Klemmstück v und das an seinen beiden Enden mit Schlüpfaugen versehene Seilstück s aus Stahldraht. Letzteres wird beim Auslegen über die Fahrschiene geschlungen, wobei man die kleinere Endöse durch die grössere
schiebt und dann den spiralförmigen Drahtsplint
t vorsteckt. Sodann wird die Seilschlinge durch den Blechstreifen w unterstützt, dessen Enden w1 und w2 in den Spalt des Klemmstückes v eingeschoben und so weit, als sie überflüssig vorstehen, rechts und links über den Schienenkopf mit der Hand heruntergebogen
werden, ähnlich wie die Blechstreifenklemmen an den Knallsignalkapseln. Beim Einlegen derSchlinge soll übrigens darauf geachtet werden, dass das lange Ende des Klemmstückes v die Richtung des anzuhaltenden Zuges erhält, welche in Fig.
5 durch den Pfeil angedeutet erscheint, um dem vorzeitigen Umwerfen des Ringes w zu begegnen. Trifft der Auslösearm a der Lokomotive auf eine Schlinge der zuletzt beschriebenen Form, so wird nebst dem Seile s gewöhnlich auch der Streifen w devastiert und mit samt dem Auflagestück v weggeschleudert. Bei den ständigen Vorrichtungen nach Fig. 3 und 4 sind aber die aus Federnstahl hergestellten, zum Emporhalten der Drahtseilschlinge dienenden Blechstreifen an dem Arm q steif befestigt und zwar kranzförmig gebogen, allein im Scheitel nicht geschlossen, sondern offen; sie werden daher durch
den Auslösearm der Lokomotive nicht zerstört, sondern nur gegeneinander gebogen, weshalb sich der nach jedem Ueberfahren der
auf Halt gestellten Vorrichtung erforderliche Ersatz hier lediglich auf ein frisches Seilstück s beschränkt.
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Fig. 5
Für alle Fälle liegt das Schwergewicht in dem schon hervorgehobenen Vorzug, dass sich das auslösende Hindernis ohne weiteres
an jedem Punkte des Geleises anbringen lässt. Es ist das so eine Art „Ei des Kolumbus“ und jetzt, nachdem die Zulässigkeit und Verlässlichkeit der Schütte'schen Anordnung bei den seitens der Königl. Eisenbahndirektion in Halle a. S. und der Belgischen Staatseisenbahn damit angestellten
Versuchen so trefflich erwiesen wurde, lässt sich für das Gedeihen und die Weiterentwickelung dieser für die Sicherung der
Züge bei ungünstiger Witterung und Nacht so sehr wertvollen Einrichtung wohl nur ein günstiges Prognostikon stellen.