Titel: | Die Flügeldecke. |
Autor: | Karl Steffen |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 610 |
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Die Flügeldecke.
Von Karl Steffen,
Röhrsdorf bei Hainspach, Deutschböhmen.
Die Flügeldecke.
Wenn man sich vor Augen hält, dass der Flügel kein Tragorgan, sondern ein Schnellorgan ist, wie dies aus dem über Luftbewegungsvorgänge
Gesagten hervorgeht, so wird man an dieFlügeldecke ganz andere Forderungen stellen müssen, als im ersteren Falle. Zum Tragen wird die Decke am besten geschlossen,
starr und besonders steif und geschlossen gerändert sein müssen.
Zum Spannen und Auswerfen von Luftmassen, wie zum Vorschnellen in ihrer eigenen Erstreckung infolge Repulsivenergie der gespannten
Luftmassen wird sie vor dem Druckzentrum steif gerändert und unnachgiebig, hinter demselben offen gerändert und äusserst raumgebend,
weich sein müssen.
Das letztere gilt auch und besonders von den äussersten Flügelpartien soweit, dass der Rand zerrissen erscheint und die unzusammenhängenden
Randlinien der Flügelteile einen offenen Zwischenraum freilassen.
Aus der höheren Beanspruchung des ehemals geschlossenen Flügels (Insekten, Fledermaus u.s.w.) ist die höhere Form, der feingegliederte,
anpassungsfähigere Vogelflügel entstanden, dem auch wir aus Gründen der höheren Leistungsfähigkeit den Vorzug geben.
Aus der Zerreissung des Hinter- und Seitenrandes ergibt sich von selbst die Zerfällung der ganzen Fläche in Elemente, von
welchen jedes für sich im allgemeinen in demselben Sinne ausgebildet ist, wie das frühere Ganze.
Es liessen sich noch weitere interessante morphologische Betrachtungen am Flügel vornehmen, ich habe es aber vornehmlich mit
der mechanischen Zweckmässigkeit dieser Endentwickelung zu thun.
Wäre der Flügel wie gesagt dazu da, Luftmassen zu ergreifen, um sich darauf zu stützen, dann wäre die Einrichtung ganz unsinnig.
Der Flügel ist aber dazu da, möglichst viele Luftmassen anzuziehen, von vorn und beim Umkehren des Schlages nach rückwärts
durchzupeitschen, um die in diesem Momente entstandene Höchstspannung rückwirkend zu übernehmen.
Je grösser der Flügel, desto grösser ist die von ihm gepresste Luftmasse; aber nur den zunächst des Flügels streichenden Spannungsmassen
wird auch der Weg nach rückwärts vorgeschrieben werden können, der andere Teil wird nach oben oder unten abweichen, weil diese
schon zu weit entlegen sind, und der ganze Vorgang nur beschränkte Zeit dauert.
Ein grösser Teil der Luftmassen würde stationär bleiben und den Flügel eher hemmen als schnellen.
Darum ist es vorteilhaft, die grösseren Luftmengen partienweise gleichzeitig durch mehrere Kanäle abzuleiten, statt zu warten,
dass nur ein verhältnismässig kleineres Quantum der ganzen Luftmasse als Ganzes ausgeworfen wird.
Ein bestimmtes Gefäss mit einer Menge Wasser entleert sich früher aus mehreren Oeffnungen als aus einer einzigen; steht ferner
der ganzen Menge Wasser nur eine kurze Frist zu irgend einer Bethätigung als Arbeitskraft offen, so ist Bedingung, dass der
Ausfluss mindestens ebenso rasch vor sich gehe, als die zurVerfügung stehende Arbeitszeit, damit kein unbethätigter Wasserrest zurückbleibe. Je grösser also die Flügelfläche und je
rationeller der Flügel dennoch wirken soll, desto vorteilhafter ist es, das Prinzip der Flächenzerfällung anzuwenden.
Dort, wo dieses Prinzip, z.B. beim natürlichen Flügel, nicht auffallend hervortritt, finden wir, dass der Flügel weniger als
Schnellorgan, sondern mehr als Gleitfläche wirkt, d.h. die Normaleffekte der Spannung sind grösser als die Schnelleffekte,
d. i. an den inneren Flügelpartien, welche vermöge ihrer geringen Schlagbewegung am wenigsten als Generator beansprucht werden.
Der Umstand ferner, dass der Flügel beim Aufschlage ausschliesslich in dieser Weise beansprucht wird, dagegen entgegen der
Abschlagsrichtung, d. i. entgegen der Fallrichtung auch als bewegungshemmendes Landungs- oder auch Segelorgan, beansprucht
wird (wobei die Durchlässigkeit nicht zur Anwendung kommt)Weil diese Thätigkeiten „Segeln“ und
„Landen“ ohne Flügelschlag vor sich gehen; der Flügel wirkt nicht als Generator, sondern ähnlich der als Drachenfläche gedachten Flügel,
als Gleitfläche, die Luftmassen wirken als beharrende Widerstandsmassen, weil sie „überspannt“ und darum repulsionslos werden (vgl. S. 304 d. Bd.)., bringt es mit sich, dass die breiteren Fahnenteile öfter und dauernder nach unten durchgedrückt werden und daher die Tendenz
haben, in der Richtung des Durchflusses untereinander zu wachsen, und so ventilartig zu wirken.
Die Zerfällung der Flügeldecke ist also nicht nebensächlicher Bedeutung, sondern für die Raffinierung der flugfördernden Prozesse
von hoher Bedeutung.
Ohne diese Einrichtung gibt es auch keine glatten Uebergänge, es entstehen stockende Vorgänge, welche zu hüpfendem Mitschwingen
des Flugkörpers Anlass geben; die Flügelbewegungen erscheinen dann nicht als reine Wellenbahnen, sondern als Zickzacklinien
(gebrochene Wellen). Ein grösser Teil der Luftmassenarbeit geht, wie ich zu sagen pflege, in die Normaleffekte, statt in die
Vortriebseffekte auf; erstere differenzieren sich bei je einem Auf- und Abschlag, die Differenzwirkungen sind je nach äusseren
Einflüssen (unregelmässigen Luftströmungen) sehr verschieden und werden daher als weniger regelmässige Reaktionen an dem unregelmässig
mitschwingenden (hüpfenden) Flugkörper wahrnehmbar; letztere, das sind die Vortriebseffekte, summieren sich in einer Richtung,
fördern also den glatten Verlauf der Bahn, und gleichlaufend das regelmässige schwächere Mitschwingen des Flugkörpers. Die
Wichtigkeit eines ununterbrochenen glatten Verlaufes aller Bewegungen ist aber für die Stabilität der Bewegung von grösster
Bedeutung.