Titel: | Ueber das Rätsel der Gravitation. |
Autor: | Rudolf Mewes |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 624 |
Download: | XML |
Ueber das Rätsel der Gravitation.
Von Rudolf Mewes, Ingenieur und Patentanwalt.
Ueber das Rätsel der Gravitation.
Wie bei den meisten wichtigen Fragen der Astronomie in erster Linie auf die Ansätze und Versuche Kepler's zurückgegangen werden muss, so findet man auch bei der Betrachtung des eigentlichen Wesens der Schwerkraft in Kepler's Schriften die ersten Keime und zum Teil auch heute noch vollkommen zutreffende Anschauungen. Die Ursache hiervon liegt darin,
dass Kepler, wenn auch der Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzungen metaphysisch war, dennoch dem leitenden Grundgedanken treu blieb,
mit aller Energie des Geistes die Ursache für Zahl, Grösse und Bewegung der Planeten und ihrer Sphären zu erforschen. „Diese. Ursachen erforschen zu wollen,“ heisst es in dem leider unvollendet gebliebenen Lebensbilde Kepler's von Dr. E. Reitlinger,
„war ein Unternehmen von unerhörtester Kühnheit, so dass das berauschende Bewusstsein verständlich ist, welches Kepler bei dem Glauben ergriff, das Bild des Urschönen, von welchem Gott selbst bei der Schöpfung ausgegangen war, mit den schwachen
Fähigkeiten eines sterblichen Menschen aufgefunden, und, der erste unter allen Erdenbewohnern, mit der Vorstellungskraft des
winzigen Hirnes erblickt zu haben! Eine geistige Orgie, allerdings eine solche, welche auf Einbildung beruhte! Und doch, trotzdem
und alledem, in dem Momente, wo jener Gedanke in Kepler aufflammte, da ward des Menschen Phantasie vom heiligen Geiste der Wahrheit beschattet, und der Heiland der modernen Naturerkenntnis
erzeugt. Denn jenem Irrtum entkeimten Kepler's Gesetze, die Grundlagen Newton'scher Weisheit, tausendfältige Wahrheit quillte aus ihm. So ehren wir das Mysterium noch heute; was musste Kepler fühlen, der in demselben höchste und letzte Wahrheit sah, die ihm Gott selbst unmittelbar geoffenbart hatte? Musste da nicht
wie von selbst jener begeisterte Hymnus seiner Brust entfliessen, der den Schluss des „Geheimnisses“ bildet? „Grosser Künstler der Welt,“ betet er darin nach Herder's Uebersetzung, „ich schaue wundernd die Werke Deiner Hände nach fünf künstlichen Formen erbaut und in der Mitte die Sonne, Ausspenderin Lichtes
und Lebens, die nach heiligem Gesetz zügelt die Erden und lenkt in verschiedenem Lauf. Ich sehe die Mühen des Mondes und dort
Sterne zerstreut auf unermessener Flur. Vater der Welt, was bewegte Dich, ein armes, ein kleines, schwaches Erdengeschöpf
so zu erheben, so hoch, dass es im Glänze dasteht, ein weithin herrschender König, fast ein Gott, denn er denkt Deine Gedanken
Dir nach.“
Von der höchsten Wichtigkeit ist das, was Kepler im 20. Kapitel über das Verhältnis der Bewegungen zu den Entfernungen der Planeten sagt. Wolle man hier näher zur Wahrheit
dringen und eine für sämtliche Planeten gültige Beziehung zwischen Entfernung und Bewegung ermitteln, so könne man, folgert
Kepler, nur einen von zwei Fällen annehmen:
„Entweder seien die bewegenden Planetenseelen in eben dem Masse schwächer, als sie sich ferner von der Sonne befinden, oder
es wohne eine bewegende Seele im Zentrum aller Planetensphären, nämlich in der Sonne, welche jeden Körper, je näher er ihr
steht, desto wehr befeuere, und bei den entfernteren wegen Ausbreitung und Verdünnung einigennassen ermatte.“ Und wie das Licht von der Sonne ausgehe, so sei diese auch der Quell für das Leben, die Bewegung und die Seele der Welt.
Setze hier, ruft Kepler in einer Note zur zweiten Auflage aus, statt Seele – Kraft, und du sprichst die Wahrheit aus! Völlig richtig. Ja, die Kepler hier vorschwebende Vorstellung, dass die Licht- und Wärmestrahlen die anziehendeWirkung auf die Planeten ausüben, ist nach meinen Arbeiten in „Elementare Physik des Aethers“ 2. Teil und „Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraftstrahlen und deren Wirkungsgesetze“ (Verlag von M. Krayn, Berlin 1896) vollkommen berechtigt und in Uebereinstimmung mit den Thatsachen, wie aus der auf Grund
der Rebeur-Paschwitz'schen Beobachtungen von mir gefundenen Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraft hervorgeht. Man gelangt so ohne weiteres
zu der vollen und ganzen Wahrheit, wie sie Newton mit Hilfe der Huyghens'schen Zentrifugalformel aus dem dritten Kepler'schen Gesetze abgeleitet hat. Freilich stellt Kepler im Mysterium, um der Schwächung der bewegenden Sonnenkraft Rechnung zu tragen, noch ein irriges Verhältnis auf, welches sich
durch ein Versehen in der Anwendung dem wahren mehr näherte, als es im ursprünglichen Ansätze lag. Das wahre Verhältnis zwischen
Entfernung und Umlaufszeit der Planeten – die Kuben der grossen Halbachsen sind den Quadraten der Umlaufszeiten direkt proportional
– bildet den Inhalt des dritten Kepler'schen Gesetzes und wurde von ihm erst 20 Jahre später gefunden; gleichwohl haben wir in den ersten Versuchen und Ideen den
Keim zu erblicken nicht allein zu dieser wunderbaren Entdeckung, sondern auch zu sämtlichen späteren Lösungsversuchen des
Gravitationsproblemes von Newton und Huyghens bis auf den heutigen Tag.
Newton, der aus dem dritten Kepler'schen Gesetze und der Huyghens'schen Zentrifugalformel das Gesetz der allgemeinen Massenanziehung abgeleitet hat, hegte über die Ursache der Gravitationserscheinungen
keine sichere Ansicht; seine diesbezüglichen Anschauungen haben in dem ihm Geschiedenen langen wissenschaftlichen Leben wesentliche
Wandlungen durchgemacht; denn von der ursprünglichen Hypothese, nach welcher der Aetherdruck die Bewegungen der Himmelskörper
nach mechanischen Gesetzen bewirke und welche er bereits im Jahre 1675 in einer Arbeit der R. S. dargelegt hat, gelangt er schliesslich in allmählichen Abstufungen, wie aus den Briefen, die er an Boyle, Hallen und Bentley in den Jahren 1678,
1686 und 1693 geschrieben hat, und aus der zweiten Ausgabe seiner Prinzipien zu ersehen ist, zu der ganz entgegengesetzten
Meinung, dass die Gravitation eine causa simplicissima sei, für welche keine mechanische Erklärung angegeben werden könne.
Da jedoch die Vorrede, in der dieser Gedanke in scharfer, deutlicher Fassung ausgesprochen wird, nicht von Newton selbst, sondern von seinem Freunde Cotes herrührt, so dürfte man nicht fehlgehen, wenn man mit Maxwell die Urheberschaft der Lehre von der materiell unvermittelten Fernwirkung der Anziehungskraft nicht für den Entdecker der
allgemeinen Gravitation, sondern für seinen Freund Cotes allein in Anspruch nimmt, zumal da Newton sich mehrfach klar und deutlich darüber ausgesprochen hat, dass eine unvermittelte Fernwirkung der Materie etwas Absurdes
sei und kein mit logischer Denkfähigkeit begabter Forscher dieselbe annehmen könne. Präziser und treffender äussert sich Newton über diesen Punkt wohl kaum in einer anderen Stelle als in den folgenden Worten: „That gravity should be innate, inherent and essential to matter so that one body may act upon another at a distance through
a ‚vacuum' without the mediation of anything else, by and through which their action and force may be conveyed from one to
another is to me so great an absurdity that I believe no man, who has in philosophical matters a competent faculty of thinking, can ever fall into it.“ Wenn auch Newton in einem Briefe vom Jahre 1693 an Beatleg schreibt, dass er es der Erwägung seiner Leser überlasse, ob sie als Hintergrund der Gravitation ein materielles oder immaterielles
Agens annehmen und durch den direkten Stoss der allseitig umherschwirrenden Aetheratome die Gravitationserscheinungen hervorgebracht
wissen wollten – but whether this agent be material or immaterial, I have left to the consideration of my readers –, so lässt
doch die vorstehend angeführte Aeusserung darüber nicht im Zweifel, welche Ansicht er selbst für die richtigere gehalten hat.
Gleichwohl fand aber die von Cotes in der Vorrede zur zweiten Auflage der Prinzipien angenommene Massenanziehung, die ihrem Wesen nach völlig transcendent ist,
in Europa mehr und mehr Eingang, so dass selbst die von Huyghens schon damals aufgestellte Aetherstosstheorie
(Abhandlung über die Ursache der Schwere von Christian Huyghens. Deutsch herausgegeben von Rudolf Mewes. M. Krayn-Berlin, 1896), welche auf bedeutend sicheren und rein mechanischen Prinzipien ruht und der Kepler'schen Anschauung sich näherte, fast gar keinen Anklang fand und erst durch die neueren Forscher ihrem wahren Werte nach gewürdigt
werden musste. Die Grundvoraussetzung seiner Aetherstosstheorie legt Huyghens a. a. O. mit folgenden Worten dar: „Um nunmehr die Schwere nach meiner Auffassung zu erklären, setze ich voraus, dass in dem Kreisraum, welcher die Erde und
die bis auf eine grosse Entfernung rings um ihr befindlichen Körper umgibt, eine flüssige Materie vorhanden ist, welche aus
sehr kleinen Teilchen besteht, die sich divergent nach allen Richtungen mit grosser Geschwindigkeit bewegen. Wenn diese Materie
aus jenem Raume, der von anderen Körpern umschlossen ist, nicht heraustreten kann, so muss ihre Bewegung nach meiner Behauptung
zum Teil in eine um das Zentrum
rotierende übergehen; nicht jedoch in der Weise, dass sie alle in demselben Sinne rotieren sollen, sondern so, dass die Mehrzahl
ihrer verschiedenen Bewegungen in kreisförmigen Bahnen in der Umgebung des besagten Raumes erfolgt, welcher darum auch der
Erdmittelpunkt wird.“
Gemäss den beiden soeben erwähnten Erklärungsversuchen der allgemeinen Massenanziehung spalten sich auch sämtliche modernen
Lösungen des Gravitationsproblemes bis in die jüngste Zeit hinein in zwei wesentlich voneinander verschiedene Theorien, unter
denen die einen, wie diejenige Cotes, transcendent, die anderen mechanisch sind. Als Repräsentant der ersten Richtung ist vor allen Professor Zöllner zu nennen, der seine Theorie in der Abhandlung „Prinzipien einer elektrodynamischen Theorie der Materie“ eingehend auseinandergesetzt hat. Nach ihm rühren die Gravitationserscheinungen von der Sensitivität und dem Willen – echt
Schopenhauerisch! – der Atome her. Es sind eben die Gegensätze der positiven und negativen Elektrizität, welche den Anlass
zu seiner Auffassungsweise gegeben haben. Da jedoch die unvermittelte Fernwirkung der mit positiver und negativer Elektrizität
begabten Atome nicht weniger transcendenter Natur ist, wie die immaterielle Anziehungskraft selbst, so gerät man bei Zöllner sozusagen vom Regen in die Traufe, und seiner Theorie ist sicherlich kein höherer Wert als der Newton-Cotes'schen oder, wenn man lieber will, der Bentley-Cotes'schen Hypothese einzuräumen. Um übrigens die gewaltige Autorität Newton's für seine Auffassungsweise zu gewinnen, schiebt Zöllner der folgenden Aeusserung Newton's: „Es ist unbegreiflich, wie unbeseelte, leblose Materie ohne die Vermittelung von sonst etwas, das nicht materiell ist, auf
andere Materie ohne gegenseitige Berührung einwirken können“, folgenden Sinn unter: „Es ist begreiflich, wie beseelter, lebendiger Stoff ohne irgend eine sonstige Vermittelung auf einen anderen Körper wirken
kann.“ Auf die Inkonsequenzen, auf welche eine derartige Anschauung unbedingt führen muss, hier näher einzugehen, dürfte sich kaum
lohnen, und ich kann darauf um so eher verzichten, als bereits Isenkrahe dieselben in dem Werke: „Das Rätsel der Gravitation“ in humoristisch-satirischer Weise beleuchtet hat. Dagegen hat Zöllner als hervorragender Physiker nicht nur eine theoretische, sondern auch eine physikalischeLösung des Gravitationsrätsels versucht, was voll und ganz anerkannt zu werden verdient, da dies der einzig richtige Weg ist,
der zur Lösung des „Geheimnisses“ führen kann. Von entscheidender Bedeutung für die Erklärung der Schwerkraft ist nach vorstehenden Ausführungen die Beantwortung
der Frage, ob die Schwerkraft zu ihrer Fortpflanzung ebenso wie das Licht und die Elektrizität Zeit gebraucht oder ob sie
eine Momentankraft mit unendlicher Fortpflanzungsgeschwindigkeit ist. Bereits vor 70 Jahren wurde von Lorenz Hengler aus Reichenhofen in Württemberg ein Apparat erfunden und konstruiert, welcher eine experimentelle Entscheidung jener Frage durch direkte Messung gestattet,
nämlich das sogen. Horizontalpendel oder, wie es Hengler auch nennt, die astronomische Pendelwage. Dieselbe ist nicht von dem Franzosen Perrot, wie Professor Zöllner 1869 irrtümlich meinte, in den 60 er Jahren zuerst erfunden, sondern bereits im Jahre 1832 von dem Deutschen Hengler, der damals als cand. phil. in München immatrikuliert und ein Schüler Gruithuisen's war, nicht nur erfunden, sondern auch schon für die Entscheidung der wichtigen Frage nach der Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Schwerkraft benutzt worden. Die Pendelwage besteht der Hauptsache nach aus einem mittels zweier Seidenfäden horizontal
gehaltenen Pendel, das in einer schiefen Ebene schwingt; zu diesem Behufe dürfen die beiden festen Punkte, von welchen die
Seidenfäden ausgehen, nicht genau senkrecht untereinander stehen. Die Empfindlichkeit dieses Instrumentes ist sehr gross,
so dass es die geringsten Kräfte zu messen gestattet. Eine klare und genaue Beschreibung des von ihm erfundenen Horizontalpendels
hat Hengler selbst in D. p. J., Jahrg. 1832 Bd.
43 S. 81, gegeben, während eine kürzere Beschreibung desselben Apparates von Professor Zöllner in Poggendorff's Annähen Bd. 150 S. 139 gegeben ist. Nachstehende Figur gibt ein Bild dieses Messinstrumentes.
Das durch die schräg vertikalen Fäden horizontal gehaltene Pendel ist gezwungen, in einer schiefen Ebene zu schwingen. Hengler sagt darüber a. a. O.:
„Um einen Körper in einer gegen den Horizont geneigten Ebene schwingen zu lassen, wobei die Reibung fast gänzlich aufgehoben
ist, mache man folgende Einrichtung
(s. Abb.): Es seien in untenstehender Figur A und
B senkrecht übereinanderstehende feste Punkte;
DH und AF zwei Fäden, welche in A und H befestigt sind und den Hebelarm DP, dessen Schwerpunkt nach P fällt, in horizontaler Lage halten; so wird dieser Hebelarm nur in einer mit der Linie MN (welche durch H und
B gezogen ist) parallelen Lage ruhen und jedesmal wieder dahin zurückkehren, wenn er durch irgend eine Kraft aus dieser Lage
gebracht worden ist, oder eigentlich nach Art eines Pendels hin und her schwingen, und zwar in einer schiefen Ebene, deren
Neigungswinkel = ∢ HAB ist. Man mag daher ein Gewicht oder eigentlich den Schwerpunkt des Hebelarms auf jeden beliebigen Punkt desselben übertragen,
so beschreibt er Schwingungen in einer unter dem Neigungswinkel HAB gelegten Ebene, wobei die Länge des Pendels dem Abstand von dem Punkte Z (wenn dieses der Punkt ist, wo die Linie HA den Hebelarm schneidet) proportional ist.“
Textabbildung Bd. 315, S. 624
Obgleich Zöllner in der citierten Abhandlung mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass ein solches Horizontalpendel neben der Beantwortung
anderer wichtiger Fragen (Messung von Erdbebenstössen) eine sichere Entscheidung über die Frage nach der Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der allgemeinen Massenanziehung ermögliche, so sind dennoch bis jetzt in dieser Richtung und zu diesem Zweck ausser den Hengler'schen Beobachtungen nur noch von Zöllner Versuche angestellt worden. Indessen vermochte Zöllner über diesen Punkt nichts Sicheres festzustellen, da das Zimmer, in welchem sich die Pendelwage befand, häufig durch vorüberfahrende
Wagen oder durch Studenten, welche den über demselben befindlichen Hörsaal besuchten, erschüttert wurde und für so subtile
Versuche daher gar nicht geeignet war. Zöllner war jedoch auf vollständig richtigem Wege, wie die Resultate beweisen, welche ich aus den mit einem verbesserten Horizontalpendel
von Rebeur-Paschwitz angestellten Beobachtungen berechnet und in der oben genannten Schrift über die Schwerkraftstrahlen im Jahre 1896 veröffentlicht
habe.
Die zweite (Huyghens'sche) Anschauungsweise wird besonders von Isenkrahe und den neueren Gravitationstheoretikern, sowie von denjenigen Forschern vertreten, welche auf physikalisch-mechanischer
Grundlage das schwierige Problem der allgemeinen Massenanziehung in Angriff genommen haben. In der That knüpfte Isenkrahe an Huyghens' Voraussetzung an, dass das Weltall mit einem materiellen Fluidum erfüllt sei, dessen äusserst feine Teilchen in unaufhörlicher
Bewegung mit reissender Geschwindigkeit nach allen Richtungen begriffen seien. Nachdem er die grosse Zahl der seit Huyghens aufgestellten Theorien der Schwerkraft als ungenügend nachgewiesen hatte, bringt er seinen Versuch, das Rätsel der Schwerkraft
zu lösen. Das weltraumerfüllende Medium ist nach ihm einfach der Aether, dessen Atomen ausser der Unteilbarkeit und unendlichen
Kleinheit nur die Grundeigenschaften alles Stoffes, Raumerfüllung und Beharrung oder Trägheit, zugeschrieben werden; mit
Huyghens setzt er voraus, dass die Aetheratome in sehr schneller Bewegung, vielleicht mit einer Geschwindigkeit von 60000 Meilen begriffen
seien. Wie die Geschwindigkeit der Luftmoleküle (500 m) 3/2 mal so gross ist, als die Geschwindigkeit der Luftwellen des Schalles (333 m), so soll auch die Geschwindigkeit der Aetheratome
3/2 mal so gross als die Geschwindigkeit der Aetherwellen des Lichtes, also 3/2 40000 = 60000 Meilen sein. Wie die Luftmoleküle durch ihre Stösse gegen eine Wand eine Gesamtwirkung äussern, die wir als
Gasdruck oder Spannung kennen, so bringen die Aetheratome durch ihre Stösse gegen einen Körper eine Gesamtwirkung hervor,
die mit Aetherdruck bezeichnet wird; dieser Aetherdruck und sein Auftrieb ist die Ursache der allgemeinen Anziehung sowie
sämtlicher Aeusserungen derselben. Da auch die Elastizität eine Aeusserung der allgemeinen Anziehung ist, so muss auch sie
durch die Aethertheorie erklärt werden; darum darf auch den Aetheratomen, so kalkuliert Isenkrahe, die Eigenschaft der Elastizität nicht beigelegt werden, weil sonst ein Rätsel durch ein anderes erklärt würde. Ebensowenig
wie wir es in der Natur mit absolut starren und harten kleinsten Massenteilchen zu thun haben, ebensowenig sind darin vollkommen
elastische Atome vorhanden; das richtige liegt zwischen diesen beiden wohl denkbaren, aber sachlich nicht erreichbaren Extremen,
und wir müssen uns, wenn wir nicht in selbstgeschaffene Schwierigkeiten geraten wollen, bei der Erklärung der Gravitation
hüten, die Theorie auf den rein philosophischen Begriff eines absolut festen oder vollkommen elastischen Aetheratoms zu gründen;
denn Sachfragen lassen sich nur durch sachliche Axiome erklären und beantworten.
In den letzten Fehler verfällt Vaschy, der 1886 eine neue mathematische Aetherstosstheorie der Gravitation aufstellte und dabei voraussetzt, dass die einzige Energie
eines Aetheratoms seine lebendige Kraft sei, die es beim Abprall von einem anderen Atom vollständig behalte; damit hat das
Aetheratom vollkommene Elastizität. Allerdings vermeidet er dabei den Fehler Isenkrahe's, dessen Aetheratome ihre Geschwindigkeit beim Stösse vermindern, ohne dadurch wie beim elastischen Stösse fester Körper
Spannkraft zu erzeugen. Isenkrahe's Theorie widerspricht also dem Prinzip von der Erhaltung der Kraft und damit hat sie sich selbst gerichtet!
Eine andere, wenigstens in formaler Beziehung verschiedene Auffassung ist die Annahme des Zwischenmediums als ein Kontinuum
im Sinne der Hydrodynamik. Mit Rechtbemerkt Dr. Arthur Korn in „Eine Theorie der Gravitation und der elektrischen Erscheinungen auf Grundlage der Hydrodynamik“ (Berlin 1896. Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung), dass zwischen der Auffassung eines Mediums als Kontinuum und der Auffassung
im Sinne der kinetischen Gastheorie nur ein formaler Unterschied besteht, dass die transcendenten Unterscheidungen der „Atomistik“ und der „Kontinuitätshypothese“ für den empirischen Physiker schon lange der Vergangenheit angehören. Derartige Kontinua haben jedoch den Vorzug, dass für
dieselben mit Hilfe des Grundprinzips der Dynamik (D'Alembert'sches Prinzip) alle Probleme mit mathematischer Strenge behandelt werden können. Die aus demselben folgenden Gleichungen gestalten
sich besonders einfach, wenn das Kontinuum in grosser Annäherung der Inkompressibilitätsbedingung genügt. Die diesbezüglichen
Lösungen von Bjerknes, der den Begriff der pulsierenden, sich im Kontinuum befindlichen Kugel einführt, ferner von Leahy und Korn sind rein mathematisch und mit Rücksicht auf den transcendenten Kontinuitätsbegriff ebenfalls nur formell mechanisch.
Im Gegensatz zu den letztgenannten Forschern gingen Professor Zenger und gleichzeitig auch ich mit ganz anderen Absichten und von ganz anderen Gesichtspunkten aus an die Lösung des Rätsels der
Gravitation oder, mit Kegler zu reden, des „Geheimnisses“. Weder Zenger noch mir war es um die Aufstellung einer mathematischen Theorie der Schwere, wie sie Schramm, Isenkrahe u.a. aufgestellt haben, zu thun, sondern vielmehr um den experimentellen Nachweis, dass die Aeusserungen der Schwerkraft
mit denen der übrigen bekannten Naturkräfte, wie Licht, Wärme und Elektrizität, gleichartig bezw. als die Wirkung derselben
zu betrachten sind. Ich habe in „Elementare Physik des Aether s“ II. Teil und in „Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraftstrahlen und deren Wirkungsgesetze“, indem ich auf Kepler's und Zöllners Arbeiten zurückgriff, eine physikalische Erklärung der allgemeinen Massenanziehung zu geben und eine Physik der Schwere,
insbesondere durch die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraft aus den Rebeur-Paschwitz'schen Beobachtungen mittels des Horizontalpendels und ferner mit Hilfe des Doppler'schen Prinzips aus den Bahn- und Rotationsgeschwindigkeiten der Planeten und der Sonne, nach allen Richtungen hin sicher
zu begründen gesucht.
Zenger hat den Beweis für die Gleichartigkeit und periodenmässige Gleichzeitigkeit der Schwerkraftswirkungen mit denjenigen der
kalorischen und elektrischen Vorgänge auf der Erde an der Hand sehr zahlreichen Beobachtungsmaterials in seinem höchst interessanten
Werke „Die Meteorologie der Sonne und ihres Systems“ (Hartleben's Verlag, Wien 1886) geführt. In den ersten beiden Abschnitten weist Zenger durch die Beobachtungen nach, 1. dass die erhöhte Sonnenthätigkeit, welche sich durch enorme Flecken, cyklonenartige Bewegungen
in denselben und metallische Eruptionen (Protuberanzen) von enormer Höhe und Ausdehnung kennzeichnet, einen parallelen Gang
mit den magnetischen Störungen, Erdströmen besonderer Intensität, Nord- und Südlichtern, gewöhnlichen und Gewitterstürmen,
Ueberschwemmungen, Hagelwettern und den durch die Photographie wahrnehmbar gemachten Erscheinungen der Absorption der aktinischen
Strahlen zeigen, also sich wie Ursache und Wirkung verhalten; 2. dass, wie Airy, Wild u.a. zeigten, die solaren und terrestrischen magnetischen Störungen gleichzeitig sind, und letztere im selben physischen
Augenblick auf der
ganzen Erde beginnen; 3. dass auch die Nord- und Südlichter simultan sind; 4. dass es zwei bestimmte Punkte auf der Sonnen
wie auf der Erdoberfläche in der Nähe des Aequators gebe, die nahezu 180° in helio- und geozentrischer Länge voneinander abstehen
und als beiderseitige Hauptstörungszentren zu betrachten seien; 5. dass also die Sonne und ihre Rotation die bestimmende Ursache
der grossen Erdstürme sind. Zu Punkt 2 ist zu bemerken, dass die erste darin aufgestellte Behauptung nicht streng bewiesen
und wahrscheinlich falsch ist, da Zenger in einem späteren Abschnitt für die Geschwindigkeit der solaren Störungsbewegungen bestimmte Zahlen anführt und dieselben
sich nach der Erde nicht schneller fortpflanzen können, als ihre Eigengeschwindigkeit ist, oder höchstens mit der Geschwindigkeit der von ihnen etwa erregten Aetherschwingungen. Im dritten
Abschnitt bestimmt Zenger für die erwähnten Erscheinungen und für die Depressionen des Luftdruckes der Erdatmosphäre die ständig wiederkehrende Periode
zu 12,6 Tagen, d.h. also nahe gleich \frac{T}{2}=12,5935 Tagen, der halben Rotationsdauer der Sonne um ihre Achse; dasselbe wird im vierten Abschnitt für die seismischen Vorgänge,
sowie im fünften für die periodischen Sternschnuppenfälle durchgeführt. Noch näher auf diese Fragen hier einzugehen, halte
ich für zu weitgehend; ich muss daher auf das Werk selbst verweisen. Ich lasse hier daher zur Kennzeichnung der Zenger'schen Auffassung nur noch die Tafel der Umlaufszeiten der Planeten in ihrer Beziehung zur Sonnenrotation folgen.
Planet
Umlaufszeitbeob-achteterTage
Di-visor
Periode
Umlaufszeitbe-rechneterTage
Differenz
Tage
Prozent
Merkur
87,9693
7
12,567
88,1653
+ 0,1960
+ 0,22
Mittl. Differenz 0,23
Venus
224,7008
18
12,483
226,7109
+ 2,0101
+ 0,89
Erde
365,2564
29
12,595
365,2564
+ 0,0000
+ 0,00
Mars
686,9796
55
12,491
692,2720
+ 5,2924
+ 0,77
Jupiter
4332,5882
344
12,595
4332,6800
+ 0,0918
+ 0,002
Saturn
110759,2364
854
12,599
10756,1300
– 3,1064
+ 0,029
Uranus
130688,3904
2437
12,593
30694,0150
+ 5,6246
+ 0,018
Neptun
60181,1132
4778
12,596
60178,9100
– 2,2032
– 0,004
Aus jahrelangen Beobachtungen hat Zenger am Ende des Werkes die Schlussfolgerung gezogen:
„Als Resumé alles Vorangegangenen lässt sich kurz aussprechen, dass alle meteorologischen Erscheinungen, alle endogenen Störungen,
sowie die Bewegungen im Sonnensystem die Erscheinungen der allgemeinen Attraktion der elektrischen und magnetischen Kraftäusserung
auf eine einzige Urkraft sich zurückführen lassen, die ebenso in der Sonne, wie im kleinsten Teilchen des ungeheuren Sonnensystems
und der ungezählten übrigen Sonnensysteme ihren Sitz hat, und deren Energie nach denselben allgemeinen Grundgesetzen wirkend,
die Wirkung nur in verschiedenen Formen äussert, als elektrische und magnetische Kraft, von der alle übrigen Formen deriviert
werden können, seien es elastische, Schall-, Licht- oder Wärmeerscheinungen, oder Gravitationswirkungen.“
Das Dunkel, das über dem Geheimnis des Weltbaues zu Kepler's Zeiten und bis in die Jetztzeit hinein gelagert hat, ist nach vorstehenden Ausführungen infolge des mehrhundertjährigen
unentwegten Strebens und Arbeitens der ersten und hervorragendsten Astronomen und Physiker einem hellen Licht gewichen, das
über das Wesen der allgemeinen Massenanziehung Klarheit und Erkenntnis ausstrahlt. An die Stelle des Rätsels der Gravitation
beginnt jetzt eine sicher begründete physikalische Lehre von dem Wesen der Schwerkraft zu treten, die ihrerseits wieder, wie
sie erst durch das Zusammenwirken der übrigen exakten Wissenszweige sich hat entwickeln können, Licht auf diese letzteren
zurückstrahlt und einen weiteren Fortschritt derselben anzubahnen verspricht.