Titel: | Deformationstypen der Flachsbastfaserzellen. |
Autor: | Eduard Hanausek |
Fundstelle: | Band 315, Jahrgang 1900, S. 701 |
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Deformationstypen der FlachsbastfaserzellenJahresbericht der Wiener Handelsakademie, 1900..
Von Prof. Eduard Hanausek.
Deformationstypen der Flachsbastfaserzellen.
Die mechanische Verarbeitung der Fasern bedingt eine mannigfaltige Strukturänderung der behandelten Rohstoffe. Jede Art der
mechanischen Prozesse hat ihre besondere Folge in den Gestaltsänderungen der bearbeiteten fadenförmigen Gebilde.
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Fig. 1.Bastfaserzellen aus „Slanetz“ fibrillös gespalten.
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Fig. 2.Bastfaserzelle mit Querfalten und Längsstreifen.
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Fig. 3.Bastfaserzelle mit Abscherungsdeformation.
Der Wechsel der Formen ist also von dem Arbeitsvorgange abhängig; für denselben Arbeitsprozess sind die Erscheinungen in der
gewaltsamen Umgestaltung der Fasern gleicher Abstammung typisch gleich oder zumindest gleichartig. Man vermag demgemäss bei
mechanischen Prozessen mit mehreren Arbeitsfolgen nachden vorliegenden Deformationstypen auf die Gattung der Faser, auf die Qualität derselben und deren Produkte zu schliessen.
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Fig. 4.Bastfaserzelle mit massigen Fibrillen und membranösen Fragmenten.
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Normale Deformationstype der Flachsbastfaserzellen im Reinflachs nach dem Hecheln.
Vor einiger Zeit habe ich die Deformationstypen der BaumwolleMitteilungen aus dem Laboratorium für Warenkunde. Jahresbericht der Wiener Handelsakademie, 1897. nach den Arbeitsfolgen der Spinnerei besprochen. In dieser Abhandlung habe ich darzuthun versucht, dass in den korrekten Spinnprodukten derselben Folge immer nur die gleichen Demolierungserscheinungen nachgewiesen
werden können, wenn – unter der Berücksichtigung der qualitativen Beschaffenheit der Faser – die Arbeitsphasen eingehalten
und glatt durchgeführt werden. Die konstruktive Seite der Arbeitsmaschinen gelangt in diesen Deformationstypen in hervorragendster
Weise zur Geltung.
Von diesem Standpunkte darf man diesen Untersuchungen vielleicht einen weiteren Wert beimessen, denn es kann nicht gleichgültig
sein, ob eine Arbeitsvorrichtung – selbst bei anerkannter Leistungsfähigkeit – zur Erzielung eines höheren Gesamtnutzeffektes
mehr oder weniger demolierend in die physikalische Konstitution der Faser eingreift. Nach dieser Richtung habe ich einige
Versuchsergebnisse bereit, über welche gelegentlich die Besprechung folgen soll.
Die nachfolgenden Betrachtungen versuchen ein Bild über die Deformationstypen der Flachsfaser im Verlaufe des Spinnprozesses
zu geben, das insofern auch vergleichend gehalten ist, als nicht nur die Typen des hier zur Grundlage der Untersuchung genommenen
russischen Flachses vermerkt werden, sondern auch der besondere Hinweis auf die Deformationstypen minderwertiger Flachssorten
gemacht wird.
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Fig. 7.Sporadisch in guten Reinflachssorten vorkommende Bastfaserzelle mit fibrillöser Schälung u. m. Längsrissen.
Die umfänglichen Arbeiten, welche die vielseitige Prüfung in zahllosen Präparaten nötig machen, wurden streng nach den Phasen
der Flachsspinnerei durchgeführt, wobei das Spinngut durch alle Phasen von derselben Art war. Infolgedessen konnte sicher
festgestellt werden, in welcher Weise die Deformationen eine Aenderung erfahren, und welche Type einem bestimmten Spinnstadium
entspricht. Es soll gleich hier angegeben werden, dass die Typen verschiedener Flachssorten in demselben Stadium eine übereinstimmende
Demolierung erkennen liessen.
Die hier vorliegenden UntersuchungenZu diesen Prüfungen hat der ehemalige Handelsakademiker J. Parma schon im Jahre 1897 schätzenswerte Vorarbeiten geliefert. wurden mit Rohflachs begonnen.
Der russische Rohflachs, Slanetz (Rasenrösteflachs), bietet ganz eigentümliche Deformationen der Flachsbastfaserzellen (Elemente
der Bündel), die in späteren Prozessen fehlen oder nur in ausdrücklichen Ausnahmen vorkommen.
Die Faserzellen sind fibrillös gespalten (Fig. 1) und in anderen Individuen teilweise abgeschert oder eingerissen (Fig. 3). In gleichen Mengen treten unverletzte Formen der Elemente auf (Fig. 2). Letztere haben die bekannten Querfalten und Längsstreifen und anhaftende Reste der Begleitelemente. Zur Vorbereitung für
die Arbeitsprozesse geweichter Rohflachs lässt vornehmlich fibrillöse Spleissungen erkennen; es treten an der Oberfläche auffallend
reichlich membranöse Fragmente auf (Fig. 4). Die Folgen des Rottens (Tauröste), des mechanischen Brechens und Schwingens sind im gehechelten Reinflachs klar zu erkennen.
Zunächst treten die normalen Formen der Flachsbastfaserzellen hervor (Fig. 5 und 6), bei denen durch die Streifungen an der Oberfläche die Type der Hechelarbeit aufgeprägterscheint. Vereinzelt kommen deformierte Elemente (nach der Präparatenanzahl im Verhältnisse von etwa 30 %) mit flbrillöser
Schälung oder mit Längsrissen vor (Fig. 7). Geringere Flachssorten zeigen in auffallender Menge solche Faserzellen.
Das Spinnen des Flachses mit Maschinen kann prinzipiell in folgende Arbeitsstufen gegliedert werden.
1. Das Anlegen eines Bandes auf der Bandmaschine (Zugmaschine); die Flachsfasern sollen gerade gestreckt, gleichlaufend und
gleich dicht bandförmig vereint werden.
2. Das Duplieren (Doppeln) und das Strecken der Bänder. Die aus dem vorhergehenden Arbeitsprozess resultierenden Flachsbänder
werden zu 2 bis 12 zu einem Bande vereinigt, damit die einzelnen Dichtigkeitsfehler kompensiert werden. Das Strecken soll
noch eine gewisse Feinheit und ein gleichmässigeres Lagern der Falten in den Bändern erzielen lassen.
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Bastfaserzellen mit fibrillöser Schälung aus dem Flachsbande.
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Fig. 10.Bastfaserzelle aus dem Flachsbande nach der ersten Strecke mit segmentartiger Verbreiterung der Quetschfalten.
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Fig. 11.Bastfaserzelle aus dem Flachsbande nach der ersten Strecke mit zarten fibrillösen und linieförmigen Querrissen.
3. Das Vorspinnen bezweckt, in Verbindung mit der Strecke, ein weiteres Ausziehen der Bänder und ein lockeres Zusammendrehen
zu einem Vorgespinstfaden mit bleibendem Draht.
4. Das Feinspinnen bildet durch neuerliches Strecken und stärkeres Drehen des Vorgespinstfadens das fertiggesponnene Garn.
Nach diesen vier Arbeitsfolgen wurden die einzelnen Produkte des Spinngutes geprüft.
Die zu Untersuchungen genommenen Proben hatten eine dreifache Strecke zu passieren. Die Bildung des Bandes stellt an die Kohärenz
des Fasermaterials wenig Anforderungen. Die auftretenden Deformationstypen sind wesentlich – wegen der Schrauben-(Hechelfeld-)
Strecke – fibrillöse Ablösungen an den Elementen; die Quetschfalten, die Knickungsstellen und Abscherrisse sind nahezu ganz fehlend (Fig. 8 und 9). Die Mehrzahl der Elemente ist intakt.
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Fig. 12.Bastfaserzelle nach der zweiten Strecke mit regelmässigen körnig-faltigen Quetschstellen.
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Fig. 13.Bastfaserzelle nach der zweiten Strecke geknickt.
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Fig. 14.Bastfaserzelle nach der dritten Strecke mit Druck- und fädigen Deformationen.
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Fig. 15.Bastfaserzelle nach der dritten Strecke mit Längsrissen u. zarten Fibrillen.
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Torsierte Bastfaserzellen aus dem Vorgespinst.
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Torsierte Bastfaserzellen aus dem Feingespinst (Garn Nr. 60).
Auffallend anders ist die Reihe der Deformationstypen bei den Produkten aus den Strecken. Die mehrfach gedoppelten Bänder
der ersten Strecke sind in den Elementen wenig und zart fibrillös seitlich geöffnet, dafür reichlichim ganzen Längsverlaufe der Bastfaserzellen mit durchquerenden Quetschfalten versehen, welche linienförmig bis segmentartig
verbreitert auftreten (Fig.
10 und 11). Nach dem Passieren der zweiten Strecke kommen fibrillöse Demolierungen nicht mehr vor, dagegen sind Quetschfalten in regelmässigen
Abständen körnelig-faltig zu beobachten (Fig. 12). Einzelne Bastfaserzellen sind geknickt (Fig. 13).
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Fig. 20.Flachsfaserzelle aus dem Halbzeug für feine Papiere.
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Fig. 21.Flachsbastfaserzellen aus dem Ganzzeuge für feine Papiere.
Die dritte Strecke tritt wieder gewaltsamer in die Formänderung ein, indem die Faserelemente wieder fädige Lostrennungen zeigen (Fig.
15), die aber durch das Hervortreten der Druckdeformationen zurückgedrängt erscheinen (Fig. 14).
Eine charakteristische Textur zeigen die Faserelemente aus den Vorgespinsten. Das Spinngut passiert in dieser Arbeitsfolge
nach der Einführungswalze ein Hechelfeld
(Hechelwalze), dann eine Strecke und gelangt nach der Drehung durch den Flügel auf die Spule. Das korrekte Vorgespinst
enthält im ganzen nur schwach torsierte Elemente, welche vielleicht in der Längsrichtung einige Risslinien (vom Hechelfeld)
zeigen (Fig. 16 und
17). An einzelnen abgebrochenen Faserzellen (durch die Strecke) sind einfache Fadenspleissungen wahrzunehmen.
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Fig. 22.Flachsbastfaserzellen aus dem Ganzzeuge für feine Papiere.
Die Deformationstypen der Elemente aus dem feingesponnenen Garne sind vollkommen erhaltene Faserzellen ohne Quetschstellen
bei nass gesponnenen Produkten (also mit starker Drehung). Die Faserzellen aus einem Garne Nr. 60 sind in der Mehrzahl vollkommen
intakt (Fig.
18 und 19). Trocken gedrehte Feingespinste haben neben den intakten und nur torsierten Formen in geringer Anzahl fibrillöse Elemente,
nicht selten infolge Ueberdrehens.
Nach diesen Darlegungen und mit Rücksicht auf diebeobachteten Formen an anderen Flachssorten kann folgendes ausgesprochen werden:
Geklärter Flachs soll in den Elementen möglichst frei von fibrillösen Deformationen sein.
Bei dem regelrechten Gange des Spinnprozesses sind die Faserzellen im Bande stark fibrillös, nach der ersten Strecke wenig
und zartfädig gelöst, nach der zweiten Strecke regelmässig gequetscht, aber nicht abgeschert, nach der dritten Strecke wenig
fädig fibrillös, aber mehrfach mit Quetsch- und Druckstellen behaftet und sowohl im Vorgespinst als im Feingespinst vornehmlich
gedreht, aber wenig oder nicht fibrillös.
Die minderwertigen Flachssorten zeigen in der Mehrzahl der Faserzellen in den folgenden Prozessen noch die Deformationstypen
der vorangegangenen Arbeitsfolgen.
Die Deformationstypen der Flachsbastfaserzellen sind etwa so zu charakterisieren: Erste Type: Faserzellen mit einfachen Längsstreifen
und Querfalten (Fig. 2, 5, 6, 10 und 12). Zweite Type: Faserzellen mit Längsrissen (Fig. 1, 4, 7, 8, 9, 11 und 15). Dritte Type: Faserzellen mit Quetsch- und Druckstellen (Fig.
14). Vierte Type: Faserzellen mit quergehenden Rissen und Abscherungsstellen bezw. Knickungsstellen (Fig. 3,
11 und 13). Fünfte Type: Kombination von Type 3 und 4. Sechste Type: Fibrillöse Schälungen, einfache
(fädige) (Fig. 7, 11,
14 und 15) und massige (Fig. 1, 4,
8 und 9). Siebente Type: Drehungsformen (Fig. 16 bis 19).
Als letzte und achte Type kann die excessive Behandlung der Faser bei der Herstellung zu Papierzeug im Holländer angeschlossen
werden, wo eine völlige fibrillöse Spaltung unter gleichzeitigen Quetsch- und Dreherscheinungen stattfindet (Fig. 20 bis 22).
Die weitere Bearbeitung dieser Aufgabe bei anderen Fasern und deren Abfällen soll Gegenstand einer folgenden Publikation sein.
Laboratorium für Warenkunde a. d. Wiener Handelsakademie.