Titel: | Die Kühlanlage der Morgue in Paris. |
Autor: | Alois Schwarz |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 118 |
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Die Kühlanlage der Morgue in Paris.
Von Professor Alois Schwarz in
Mährisch-Ostrau.
Die Kühlanlage der Morgue in Paris.
Zu den eigenartigsten Verwendungen künstlicher Kühlung gehört zweifellos jene,
die in der bekannten „Morgue“ in Paris zur Anwendung gelangt. Die Morgue ist
eine öffentliche Leichenhalle in Paris, hinter der Kirche Notre Dame gelegen, in
welcher sämtliche im Weichbilde der Stadt Paris aufgefundenen Leichen, die einem
Selbstmorde oder einem Verbrechen zum Opfer fielen, öffentlich ausgestellt werden,
um auf diese Weise die Leichen durch Angehörige oder Bekannte agnoscieren zu lassen.
Nachstehend soll auf Grund eingehender Studien eine Beschreibung dieser Anlage
gegeben werden, welche durch die beigegebenen Figuren illustriert erscheint, die uns
von der Compagnie française des moteurs à gaz et des
constructions mécaniques in Paris, welche mit der Ausführung dieses Werkes
betraut wurde, in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt wurden. Fig. 1 zeigt eine Disposition jener Räume, welche von
der Anlage gekühlt werden. Fig. 2 stellt einen
Längsschnitt durch den Ausstellungssaal, Fig. 3 den
Grundriss des Raumes, woselbst die Leichen aufgenommen und gereinigt werden, Fig. 4a einen Querschnitt durch den Maschinensaal und
Fig. 4b einen Längsschnitt durch den Kühlapparat
dar; Fig. 5 zeigt die Details der Kühl- und
Aufbewahrungsräume für die Leichen und Fig. 6 einen
horizontalen Schnitt durch diesen Raum. In den Fig. 2
bis 5 bezeichnen die Buchstaben nachstehende Teile:
A den Gaszähler, B den
Wassermesser, C die Gasmotoren, D den Zutritt des Gases
zu denselben, E den Luftsauger, F die Gasauspuffer, 6r die Ammoniakkompressoren, H Ammoniaksammelgefäss, J Oelreiniger, J0 Ammoniakkondensator, K Oelabscheider, L Eintritt des Ammoniaks in
die Kondensatoren, M Wassereintritt. in die
Kondensatoren, N den Ueberlauf der Kondensatoren, O die Transmissionen zu den Kompressoren, P den Refrigerator zur Kühlung des Ausstellungssaales
und der Aufbewahrungsräume, Q den Ablauf des Ammoniaks
zum Refrigerator, B die Ansaugung des Ammoniaks zum
Refrigerator, S den Einlass der Kühlflüssigkeiten in
den Refrigerator, T den Rückfluss der Kühlflüssigkeit
zu den Berieselungsapparaten, U den Rückfluss der
Kühlflüssigkeit zu den Auf bewahr ungszellen für -5°, V
Rückfluss der Kühlflüssigkeit zum Refrigerator, X
Ventilator zur Verteilung der kalten Luft im Ausstellungssaale, Y Rückleitungen der kalten Luft im Ausstellungssaal,
Z Rückleitung der Luft zum Refrigerator; A1 ist der
Hilfsrefrigeratorfür den Sommerbetrieb, B1 der Ablauf des Ammoniaks für denselben,
C1 die Ansaugung
des Ammoniaks, D1 der
Einlauf der Kühlflüssigkeit, E1 der Rückfluss der Kühlflüssigkeit zu den
Gefrierzellen für -15°, F1 der Rückfluss der Kühlflüssigkeit zu dem Refrigeratorkasten, G1 und H1[ die
Zirkulationspumpen für die Kühlflüssigkeit, J1 eine Hilfspumpe, K1 Transmission für den Antrieb der Pumpen, L1 die Gefrierzellen
für -15°, M1 die
Aufbewahrungszellen für -5° und N1 die Aufbewahrungszellen für eine Temperatur von
-2°.
Textabbildung Bd. 316, S. 117
Fig. 1.
Die wichtigste Bestimmung dieser Kühlanlage ist, Leichen oder Leichenteile durch
möglichst lange Zeit in vollkommen unverändertem Zustande zu erhalten, und die
Ag-noscierung von Selbstmördern oder der bei Unfällen umgekommenen Personen zu
ermöglichen, deren Erkennung nach ihrer Bestattung nur in den seltensten Fällen
möglich wäre, ferner die Konservierung der Opfer von Verbrechen, welche für die
gerichtliche Untersuchung von grösstem Nutzen ist.
Die gesamte Einrichtung dieser Anlage wurde von der Compagnie
française des moteurs à gaz et des constructions mécaniques in Paris
geliefert; die genannte Firma erhielt diesen Auftrag auf Grund einer
Preisausschreibung, welche nicht nur die komplette Lieferung und Einrichtung aller
erforderlichen Antriebs- und Kühlapparate, sondern auch die kontraktliche
Verpflichtung der Inbetriebhaltung dieser Anlage für die Dauer von 12 Jahren gegen
eine entsprechende jährliche Vergütung verlangte.
Wie aus dem Situationsplan ersichtlich ist, besteht das Hauptgebäude aus einem Raum
für die Empfangnahme der Leichen, ferner aus den Aufbewahrungsräumen, dem
Ausstellungsraum und dem Raume für das Publikum. Letzterer ist von dem
Ausstellungsraum durch eine doppelte Glaswand getrennt, welche durch das
Durchstreichenlassen von kalter, trockener Luft stets klar bleibt und nicht anläuft.
Der Ausstellungsraum selbst muss stets auf einer Temperatur von 0° bis -2° erhalten
werden. Dabei ist auf ein etwa 50maliges Oeffnen der Thüren Rücksicht zu nehmen.
Ferner muss die Luft in diesem Saale täglich viermal vollständig erneuert
werden.
Die Beleuchtung erfolgt mittels Oberlicht; doch sind für die Morgen- und
Abendbeleuchtung auch elektrische Reflektorlampen vorhanden. – Der Ausstellungssaal
ist 5 m lang, 3½ m breit und etwa eben so hoch. – Hinter demselben befindet sich,
nur durch einen Vorhang von ihm getrennt,
Textabbildung Bd. 316, S. 118
Fig. 2.
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Fig. 3.
Textabbildung Bd. 316, S. 118
Fig. 4b.
das Agnoscierungszimmer. Dasselbe besitzt die Dimensionen
von 5 + 3 m und muss ebenfalls auf der Temperatur von 0° bis -2° erhalten
werden.
Im Ausstellungszimmer befinden sich zehn Leichenkästen, in zwei übereinander
liegenden Reihen zu je fünf angeordnet. Unter diesen befinden sich noch fünf
kleinere Kästen zum Aufbewahren einzelner Glieder und Körperteile.
Textabbildung Bd. 316, S. 119
Fig. 4a.
Diese Kästen sind so eingerichtet, dass sie sich nach jeder Seite leicht öffnen
lassen, so dass man bequem zu jedem Körperteil gelangen kann und auch die Reinigung
erheblich erleichtert wird. Von der Anbringung von Kühlschlangen innerhalb der
Kästen wurde abgesehen, da man früher die Erfahrung gemacht hatte, dass dieselben
bald einen einzigen Eisblock bildeten, welcher den Körper umgab und das Arbeiten
sehr erschwerte. Bei dem hier angemeldeten System sind Doppelwände aus Metall
benutzt, in deren Innern die Kühlflüssigkeit zirkuliert. Der Innenraum der Kästen
enthält daher weder Kühlschlangen noch Röhren oder Hähne. Die Abkühlung der Leichen
erfolgt durch direkte Berührung mit den gekühlten Metallwänden und nicht durch
Zirkulation kalter Luft in den Kästen, da letzteres Verfahren, wie die Erfahrung
lehrt, eine Verzerrung der Gesichtszüge zur Folge hat.
Ausser den Schaukästen im Ausstellungssaale besitzt die Morgue noch
Aufbewahrungskästen. Dieselben sind neben dem Ausstellungssaal ebenfalls in Reihen
angeordnet und haben die gleiche Einrichtung. Sie sind mit isolierenden Ueberzügen
versehen, welche aus einem un verwesbaren Material hergestellt sind und oftmalige
Waschung vertragen.
Die Schaukästen werden auf verschiedenen Temperaturen erhalten. Die untere Reihe im
Ausstellungssaale zeigt eine Temperatur von -15°, damit das Einfrieren der Leichen
schnell und vollkommen erfolgt. Die obere Reihe hat eine Temperatur von -6°, ebenso
die neben dem Ausstellungssaal gelegenen Aufbewahrungskästen.
Die eintreffenden Leichen werden in den Empfangsraum gebracht, hier wird vor allem
der Thatbestand aufgenommen, sodann werden die Leichen entkleidet und gewaschen.
Hierauf werden dieselben in einen Kasten der unteren Reihe des Ausstellungssaales
gelegt und hier bei einer Temperatur von -15° 24 bis 48 Stunden gelassen, bis sie
vollständig gefroren sind. Nach dem Einfrieren werden die Leichen in einen Kasten
von -6° gebracht, falls man ihre Identität noch nicht erkannt hat. Leichen, an deren
Aufbewahrung für Wochen oder Monate man besonderes Interesse hat, wie z.B. in
gerichtlichen Fällen, kommen in die Aufbewahrungskästen.
Die gesamte Kühlanlage ist doppelt vorhanden und kann im Falle von Reparaturen und
Reinigung jede Anlageeinzeln verwendet werden. Bei besonders starker Benutzung
der Morgue oder in den heissesten Tagen werden beide Anlagen während einiger Stunden
des Tages gleichzeitig in Betrieb erhalten, um die vorgeschriebenen niederen
Temperaturen zu erreichen.
Textabbildung Bd. 316, S. 119
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 316, S. 119
Fig. 6.
Die neue Kühlanlage hat sich in den zwei Jahren ihres Bestehens vollkommen bewährt,
und es ist niemals eine Betriebsunterbrechung oder Störung eingetreten, selbst nicht
in den Monaten Juli und August, wo das zur Kühlung der Ammoniakdämpfe verwendete
Seinewasser eine Temperatur von +25° erreichte und in einem Zeitraum von 24 Stunden
beide Maschinen oft 12 Stunden gleichzeitig gehen mussten.
Zu erwähnen ist noch, dass alle Wände des Ausstellungssaales mit isolierenden
Porzellankacheln bekleidet sind, was die Reinigung bedeutend erleichtert und dem
Saale auch ein reinliches Aussehen verleiht.