Titel: | Das Glasblaseverfahren von P. Th. Sievert. |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 279 |
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Das Glasblaseverfahren von P. Th.
Sievert.
(Schluss von S. 261 d. Bd.)
Das Glasblaseverfahren von P. Th. Sievert.
Wir verhehlen uns nicht, dass mancher sogen. „Praktiker“, deren es in der
Glasindustrie wie in anderen Industrien gibt, unseren Darlegungen bis hierher
skeptischen Geistes gefolgt sein wird. Schemen, die in einem optimistischen Kopf
Spuk treiben! Interessant aber praktisch wertlos! so waren vielleicht seine stillen
Anmerkungen. Nun, dem ist nicht so, wie ein Blick auf die folgenden Darstellungen
(Fig. 26 bis 30)
nach der Natur zeigt, welche die Herstellung einer Badewanne in mehreren Stadien des
Blasvorganges wiedergeben. In Fig. 26 sehen wir das
geschmolzene Glas sich auf eine Platte ergiessen, deren Einrichtung der in Fig. 24 schematisch dargestellten entspricht. Ein
breiter Rahmen, dessen Gestalt dem oberen Umriss der werdenden Wanne entspricht
(Fig. 27), umgibt die Platte und ist, wie aus
Fig. 30 deutlich wird, in zwei gerade Seiten- und
zwei etwa halbkreisförmige Endstücke geteilt, die sich auf Führungen von der Platte
abrücken lassen. Das aufgegossene Glas ist infolge seiner grossen Masse noch so
heiss, dass es ohne weiteres auf der Platte gleichmässig sich ausbreitet und in eine
Rille eindringt, welche zwischen Rahmen und Platte rings um das Oblong ausgespart
ist. Nach wenigen Sekunden ist das Glas fest genug geworden, um die Platte an ihren
Lagern um 180° kippen zu können (Fig.
27).Sogleich fängt die mächtige Glasschwarte an nach unten durchzuhängen
und wird durch den mittels des links sichtbaren Kettenradtriebes angehobenen Tisch
zweckmässig ein wenig gestützt (Fig. 28). Mit seiner
Rechten regiert der Meister das Druckluftventil, welches die Pressluft durch den
Schlauch in das hohle Innere der Platte und durch feine Löcher in deren Auflageseite
unter die Glasschicht führt, die nun mehr und mehr expandiert (Fig. 29). Durch Widerhalten oder Nachgeben mit dem
stützenden Tisch können die Wannenwände beliebig steil oder zurückweichend gebildet
werden, doch zieht man neuerdings die Anwendung einer Form der grösseren
Gleichmässigkeit des Produktes wegen vor. In Fig. 30
sind die Rahmenstücke von der Platte zurückgeschoben und dadurch die Randwulst der
Wanne aus der Rille befreit, so dass die Wanne frei und zur Abführung in den
Kühlofen bereit auf dem Tisch steht, nachdem noch nicht 3 Minuten seit dem
Aufgiessen des Glases verflössen sind.
Ueberhaupt lassen sich nach diesem Verfahren Glasgefässe von ganz ungewöhnlichen,
bisher nie erzielten Abmessungen gewinnen. Wenn wir als besonders geeignete Objekte
neben den schon erwähnten Badewannen noch Akkumulatorenkästen,
Strassenlaternengehäuse, Gefässe für
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Fig. 26.
Molkereien, Bottiche für die Farbstoff verbrauchenden und
erzeugenden Industrien, Fischbehälter, grosse Wannen für elektrolytische und
besonders galvanoplastische Zwecke nennen, so ist kein Zweifel, dass die Reihe sich
noch beträchtlich vermehren wird, wie denn jedes neue Verfahren von ungewöhnlicher
Leistungsfähigkeit erst die Stellen suchen muss, an denen es seine volle Kraft
zeigen kann und die technischen Bedürfnisse erst finden muss, die vorläufig nicht zu
erkennen sind, da ihre Befriedigung bisher nicht im Bereiche des Möglichen lag.
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Fig. 27.
So stellt auch die in Fig. 31
gegebene Zusammenstellung von wie eben geschildert geblasenen Gefässen nur einen
allerdings staunlichen Vorstoss über die Grenze der äussersten, augenblicklich von
der Hohlglasindustrie zu bewältigenden Leistungen dar, aber nicht etwa die Grenze
der Leistungsfähigkeit des neuen Verfahrens. Es ist kein Zweifel, dass dasselbe im
Falle des Bedürfnisses unter entsprechender Dimensionierung der Apparatur
Hohlglasgefässe liefern könnte, die nach bisherigenBegriffen kolossal genannt
werden müssen.
Fig. 32 stellt das Blasen einer Glaswalze dar – eine
wahre Eroberung des Gebietes der Tafelglasfabrikation durch das neue Verfahren. Die
Darstellung bedarf kaum der Erklärung. Auf die runde Platte wird das Glas
aufgegossen und tritt in die Randnut ein, worauf die Platte umgekippt wird und das
Blasen nach unten erfolgt. So ist es möglich, in wenigen Minuten einen Hohlcylinder
mit schöner Feuerpolitur und in Abmessungen herzustellen, welche die jetzt bei der
Tafelglasbläserei üblichen weit übertreffen können. Uebrigens ist in der
Patentschrift Nr. 109363 auf eine zweite Möglichkeit hingewiesen, Tafelglas nach dem
vorliegenden Verfahren herzustellen, nämlich in der Weise, dass man von einer z.B.
viereckigen Platte aus in eine Kastenform grosse viereckige oder dachförmige
Behälter bläst. Dieselben lassen sich in solchen Dimensionen herstellen, dass die
Zerlegung der Kästen nach den Kanten Glastafeln von dem gewünschten Flächeninhalt
ergibt.
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Fig. 28.
Für die Herstellung kleinerer Gegenstände ist das in Fig.
2 schematisch dargestellte Verfahren besonders handlich, wobei
Vorrichtungen nach Art der in Fig. 11 und 12 gezeigten benutzt werden. Da bei dieser
Arbeitsweise das Glas während des Form Vorganges ausschliesslich in Berührung mit
Dampf- bezw. Luftschichten ist, so zeichnen sich die erhaltenen Gegenstände durch
besonders schöne Feuerpolitur aus, wie die lebhafte Spiegelung der in Fig. 33 dargestellten Gegenstände zeigt. Wir sehen da
Entwicklerschalen von beträchtlicher Grosse und trotzdem, gegenüber gleich grossen
gepressten Schalen, geringem Gewicht, eine verzierte Schale und Schalen für
Laboratoriums- und klinische Zwecke, ein Trinkglas, einen halbrund geblasenen
Glasbuchstaben, eine Reflektorglocke als Zeugen für die Vielseitigkeit des
Verfahrens. Sehr instruktiv sind die vier Entwicklerschalen noch in dem
Zusammenhange, in
welchem sie durch blosses Aufstülpen und Andrücken einer vierfachen Form auf eine
Glasschicht, die auf einer feuchten Asbestschicht liegt, gewonnen werden, daneben
der Ueberstand nach Ausschneiden der Schalen. Nun könnte es scheinen, als ob bei
Herstellung kleiner Gegenstände und namentlich solcher, deren Grundfläche im
Verhältnis zur Höhe gross ist, bei denen also die zum Aufblähen verwendeten
Glasschichten nicht sehr dick sein dürfen, als ob es schwierig wäre, diese
Glasschichten genügend dünn auszuwalzen oder zu pressen und sie doch noch weich und
heiss genug auf die feuchte Asbestschicht zu bringen. Hier greift nun eine weitere
Erfindung des Urhebers des neuen Glasblasverfahrens helfend ein, die sich auf die
Ausbreitung des geschmolzenen Glases zu einer Schicht bezieht. Dieses Verfahren ist
so originell, dass es bei der Darstellung befremdend wirkt, aber geradezu
verblüffend, wenn man Gelegenheit hat, es mit eigenen Augen zu sehen.
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Fig. 29.
Es knüpft an dieselben physikalischen Ueberlegungen an, die
wir bereits in der Einleitung des Aufsatzes anzustellen Gelegenheit hatten, nämlich
dass einer glühenden Glasoberfläche wenig Wärme entzogen wird, wenn sie in Berührung
mit Gasschichten ist, dass sie also viel weniger durch die Berührung mit einer
angefeuchteten porösen, ja selbst einer feuchten nicht porösen Fläche abgekühlt
wird, als z.B. durch eine trockene, kalte Metallfläche, weil sich zwischen der
feuchten Fläche und dem glühenden Glase eine wenig Wärme aufnehmende und dieselbe
nur langsam weiterleitende Dampfschicht bildet. Denken wir ferner daran, dass eine
auf eine feuchte Unterlage gelegte Glasmasse gewissermassen auf der gebildeten
Dampfschicht schwebt, wie der auf eine glühende Fläche fallende Wassertropfen, so
dass die Beweglichkeit der Glasmasse auf der Unterlage durch die zwischenliegende
Dampfschicht erhöht sein muss. So verstehen wir auch, was in der schon erwähnten
Patentschrift Nr. 106084 gesagt wird, dass nämlich beim Auswalzen von Glas auf einer
feuchten Unterlage oft die Glasmasse im ganzen durch die Walzen auf der Unterlage
fortgeschoben wird. Dies die Beobachtungen, die Thatsachen – nun das überraschende
praktische Ergebnis. Man giesst flüssigeGlasmasse auf eine stark angefeuchtete
poröse, etwa mit Asbestgewebe überzogene Platte.
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Fig. 30.
Versetzt man nun die Platte in lebhaft rüttelnde Bewegung in
senkrechter und wagerechter Richtung, so breitet sich die Glasmasse zu einer völlig
ebenen dünnen Scheibe aus, die noch vollkommen plastisch ist (D. R. P. Nr. 117935).
Es genügt, eine Hohlform umgekehrt darauf zu stülpen und wenige Sekunden
anzudrücken, um beim Umkehren der Hohlform dieselbe mit einem Glaskörper von hoher
Feuerpolitur ausgekleidet zu finden. Das Verfahren der Ausbreitung der flüssigen
Glasmasse durch Rütteln ist thatsächlich mit den eben erwähnten einfachsten Mitteln
ausführbar, gewinnt aber natürlich bei Benutzung maschineller Mittel noch erheblich
an Leichtigkeit, um nicht zu sagen Eleganz der Ausführung. Zweckmässig ist es, auf
die Glasmasse während des Rütteins einen Holzdeckel lose aufzulegen. Man könnte
übrigens, wenn auch schwieriger und mit unsicherem Erfolge, die Glasmasse auf einer
Metall platte ausrütteln, beträchtlich überlegen ist aber die oben dargestellte
Ausführung, welche die Glasschicht zudem noch gleich auf einer feuchten
Faserstoffschicht liegend liefert, also fertig zum Aufblasen.
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Fig. 31.
Die Fig. 34 bis 37 veranschaulichen das Gesagte. In Fig. 34 links sehen wir geschmolzenes Glas in der
mittleren Vertiefung des mit Asbestgewebe überzogenen Brettes durch Rütteln zu
einem Kuchen ausgebreitet. Man kann nun entweder durch Aufdrücken eines Ringes (Fig. 34 rechts) oder einer Form den Glaskuchen zum
Aufblasen bringen. Will man sehr tiefe Gefässe blasen, wie etwa hohe Becher, so
bläst man wie in Fig. 34 teilweise auf, dreht Platte
und Ring um, so dass der Glassack in dem Ring hängt, lässt nun (Fig. 35) das Glas zunächst frei in eine unter den Ring
gestellte Form sacken (die Form muss natürlich geschlossen sein) und drückt nun eine
mit feuchtem Asbestgewebe überzogene Holzplatte auf (Fig.
36), wobei der entwickelte Dampf das Glas fertigbläst.
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Fig. 32.
Fig. 37 zeigt links den Becher
mit dem Randwulst (vom Ringe herstammend), rechts fertig gemacht. Betrachtet man die
Einfachheit des ganzen Vorganges trotz der geradezu primitiven Mittel, so wird man
sich leicht vorstellen können, welche Leistungsfähigkeit der Stückzahl nach das
Verfahren entwickeln muss, wenn man sich die Mittel noch besser ausgebildet und in
einer kontinuierlich arbeitenden Maschine zusammengefasst denkt.
Textabbildung Bd. 316, S. 282
Fig. 33.
Getreu der Absicht, nicht nur das neue Verfahren in den Prinzipien und der
praktischen Ausführung zu schildern, sondern auch die Entwickelungsgeschichte eines
Erfindungsgedankens an einem augenfälligen Beispiel zu zeigen, ist im vorstehenden
manches vorgetragen – das lasse sich zumal der schon erwähnte skeptische
„Praktiker“ gesagt sein – was für die praktische Ausführungder
Erfindung zunächst von minderer Bedeutung scheint. Zusammenfassend sei daher gesagt,
dass nach dem derzeitigen Stande der Erfahrungen für die praktische Ausführung des
Verfahrens und zwar für die Herstellung kleinerer Gegenstände die in den Fig. 2, 8 und 34 bis 37 (D.R.P. Nr.
109365 und 107925) versinnlichten Verfahren, also das Ausrütteln und Aufblasen des
flüssigen Glases auf der feuchten Asbestschicht in erster Linie Verwendung
finden.
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Fig. 34.
Für grössere Gegenstände, bei denen die bei einem Blasvorgang
verarbeitete Glasmenge beträchtlich genug ist, um ohne schädliche Abkühlung das
Blasen auf der durchbrochenen Eisenplatte zu gestatten, finden die in den Fig. 9, 21, 22, 23, 24 und 25
verdeutlichten Arbeitsweisen Verwendung.
Textabbildung Bd. 316, S. 282
Fig. 35.
In diesen Anwendungsformen wird das neue Verfahren ein grosses Gebiet der
Glasbläserei in Anspruch nehmen. Schon werden im In- und Auslande Anstalten
getroffen, das neue Verfahren in grossem Umfange zur Ausführung zu bringen.
Textabbildung Bd. 316, S. 282
Fig. 36.
Wenn wir im Eingang dieser Zeilen darauf hingewiesen haben, wie die ersten Anfänge
der besprochenen Erfindung sich in früheren Arbeiten des Erfinders, in der beim
Walzen zwischen feuchten Asbestschichten beobachteten gelegentlichen Aufblähung des
Glases zu suchen sei, so darf nicht verschwiegen werden, dass ein wenig auch der
Zufall mitgewirkt hat. Der Zufall, der in der Glashütte einen Posten geschmolzenen
Glases auf den feuchten Hüttenflur fallen lässt und gleichzeitig ein beobachtendes
Auge und einen forschenden Gedanken auf den Anblick lenkt, wie dies geschmolzene
Glas zischend und dampfend sich in Blasen auf dem feuchten Erdboden aufbläht. Die
Mitarbeit, die der Zufall bei jeder Entdeckung, bei jeder Erfindung leistet.
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Fig. 37.
Wenn wir unseren Blick unsicher in die noch dunklen
Jahrhunderte vor uns dringen lassen, wenn wir an dem technischen Fortschritt des
letzten Jahrhunderts die noch unvorstellbaren Eroberungen der nächsten zu ermessen
versuchen, so müssen wir uns gleichzeitig vorAugen halten, dass all diese
zukünftige Siegesbeute derselben geheimnisvollen Natur abgerungen sein wird, die uns
zur Zeit umgibt, dass auch jene zukünftigen Erfindungen auf denselben physikalischen
und chemischen Gesetzen ruhen werden, die jetzt uns durch die Fülle der
Erscheinungen leiten. Sie könnten schon jetzt gemacht werden, diese zukünftigen
Erfindungen, es bedürfte nur des wegweisenden „Zufalls“ und eines genialen
Geistes, der seine stumme Sprache versteht. Es hat etwas Spukhaftes, zu denken, dass
alle die technischen Möglichkeiten, die kommende Jahrhunderte durch Benutzung der
uns bekannten Naturgesetze und davon abgeleiteter neuer, verwirklichen werden, schon
jetzt vorhanden sind, uns gleichsam umschweben wie unerlöste Geister zukünftiger
Erfindungen, unerkennbar dem Alltagsmenschen, obgleich mit tausend Ausstrahlungen in
den uns bekannten Bereich der Erscheinungen hineinwirkend. Und nur ab und zu spricht
ein Hellsehender, ein Erfinder das Zauberwort, das der andrängenden Geister einen in
die Wirklichkeit hereinreisst. Und dann – ist es zuweilen ein äffender Kobold, der
seinem Beschwörer Enttäuschung und Armut bringt, zuweilen aber auch ein mächtiger
und nützlicher Geist, dienstbar seinem Herrn, wie der Geist aus Alladins Lampe.