Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 346 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 325 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
2. Leistungsfähigkeit der
Maschine.
Ist einmal eine gewisse Dampfmenge auf dem Weg vom Kessel zu den Cylindern begriffen,
so ist die Dampfmaschine um so leistungsfähiger, je mehr Arbeit sie dieser
Dampfmenge entzieht, womit gleichzeitig die Sparsamkeit erhöht ist. Die beiden
Begriffe der Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit decken sich hier, da eine absolute
Leistung der Maschine mit derjenigen des Kessels zusammenfällt, also selbständig
nicht existieren kann; für die Dampfmaschine kommt also nur der thermische und mechanische
Wirkungsgrad in Betracht.
Letzterer ist eine von den inneren Widerständen des Triebwerks allein abhängige
Grosse, welche um so höherenWert aufweisen muss, je geringer die Zahl der
reibenden Teile an sich und je kleiner die Reibung ist. Es handelt sich somit darum,
möglichst wenig Achsen zu kuppeln, die Schieber zu entlasten und für vorzügliche
Schmierung zu sorgen.
Was die Kuppelung der Achsen betrifft, so ist man heutzutage durch die Rücksicht auf
die Zuglast leider gerade gezwungen, vielfache Kuppelung Platz greifen zu lassen. Es
ist also auch hier dem kommerziellen Wirkungsgrad der Zugförderung gegenüber dem
mechanischen der Maschine der Vorzug gegeben. Aus der ehemaligen ungekuppelten
Lokomotive ist sehr bald die zweifach gekuppelte und dann sogar für Schnellzüge die
dreifach gekuppelte bei der stets wachsenden Zuglast entstanden. Nur England beharrt mit Erfolg
auf Grund seiner abweichenden Betriebsweise für Schnellzüge in grossem Umfang bei
der Lokomotive mit freier Triebachse. Durch Erhöhung der Achsbelastung auf 18 bis 19
t, sowie vorzügliche Sandstreuvorrichtungen wird genügende Adhäsion auch beim
Anfahren erreicht, so dass die ungekuppelte Lokomotive durchaus befriedigend
arbeitet und sehr sparsam sich erweist infolge ihres geringen Eigenwiderstandes.
Leichter übrigens und allgemeiner anwendbar als diese Art der Verminderung der
Reibung ist diejenige, welche durch Entlastung der Schieber erstrebt wird. Zu
unterscheiden sind: der entlastete Muschelschieber, der Kolben-Schieber und der
Hahnschieber. Der erstere und zweite erfreuen sich in Amerika der grössten
Beliebtheit. Namentlich die Brooks-Werke versehen die
Zwillingsmaschinen, die Baldwin-Werke ihre
Viercylinder-Verbundlokomotiven mit Kolbenschiebern, während sonst gewöhnlich der
Trick'sche Kanalschieber mit der Allan-Richardson'schen Entlastungsvorrichtung zu finden
ist. (Die Kolbenschieber selbst übrigens sind häufig nach Trick ausgeführt.) Aehnlich sind die Verhältnisse in Europa; allenthalben
scheint der Kolbenschieber das meiste für sich zu haben; in Frankreich ist es
namentlich der Kolbenschieber System Ricour, welcher
sich Anerkennung verschafft hat.
Im Lokomotivbau hat Frankreich von jeher wohl das meiste an originellen Ideen zu Tage
gefördert, namentlich wenn es sich um Verbesserung der Wirkungsgrade handelte.
Hierher gehören die Bonnefond- und die Durant-Lencauchez-Steuerung. Die Entlastung
ist bei beiden Nebensache; Hauptsache ist das Prinzip voneinander unabhängiger
Einlass- und Auslassschieber, womit die Dampfverteilung idealisiert und derjenigen
einer Präzisionsdampfmaschine genähert werden soll, also zum Zweck der Hebung des
thermischen Wirkungsgrades.
Die Bonnefond-Steuerung arbeitet mit getrennten Einlassflachschiebern und gemeinsamem
Auslasskolbenschieber (franz. Staatsbahn).
Die Steuerung von Durant-Lencauchez bethätigt vier
völlig getrennte Schieberhähne, wovon zwei zum Dampfeinlass, die anderen zum Auslass
für beide Seiten des Kolbens dienen, nach Art der Corliss-Steuerung. Die
Schieberbewegung wird neuerdings auch hier der Heusinger-Steuerung entnommen
(Paris-Orleans, belg. Staatsbahn).
Was endlich die Schmierung anbelangt, so sind allgemein die Lubrikatoren
(Dampfdrucköler) für Schieber und Kolben im Gebrauch, während in wachsendem Mass für
die Schmierung des Triebwerks die von der Kulisse aus bewegten Schmierschaltpumpen
sich Eingang verschaffen.
Haben wir auf diese Art die Bestrebungen zur Hebung des mechanischen Wirkungsgrades kurz zusammengefasst, so erübrigt es noch, den
thermischen Wirkungsgrad genauer zu betrachten.
Oben wurde vom Einfluss des Kesselüberdrucks auf die absolute Leistung gesprochen;
nicht weniger wichtig ist die Beeinflussung des Dampf Verbrauchs.
Bekanntlich ist der thermische Wirkungsgrad des vorausgesetzten Carnot'schen Kreisprozesses im Cylinder:
\eta_c=\frac{t'-t}{t'+273^{\circ}}, wobei
t' die Eintritts-t die Austritts-
Temperatur
ηc ist also um
so höher, je höher die Eintrittsspannung und je niederer die Austrittsspannung, d.h.
je kleiner die Füllung ist.
Von weiteren Beziehungen zunächst abgesehen, folgt daraus: Eine Verkleinerung der
Leistung hat durch Verkleinerung der Füllung, nicht aber durch Verkleinerung der
Eintrittsspannung zu geschehen, also durch Zurückgehen mit der Steuerungsschraube,
nicht aber des Regulators. Wenn auch die aus der Fläche des Dampfdiagramms zu
ermittelnde Gesamtleistung nicht davon abhängig ist, welche der beiden Dimensionen,
Druckhöhe oder Drucklänge, willkürlicher Veränderung unterworfen wird, wenn nur die
Fläche dieselbe bleibt, so ist die Entscheidung zwischen beiden doch massgebend für
die Grosse des Dampfverbrauchs, indem gleiche Leistung mit weniger Dampf
erzieltwerden kann bei einer Verkleinerung der Füllung an Stelle einer
Drosselung. Da bei höherer Geschwindigkeit die Füllungszahl in der Zeiteinheit
grösser ist, so handelt es sich um so mehr um Berücksichtigung jeder Möglichkeit
einer Ersparnis.
Den Führern sind diese Verhältnisse bekannt.
Der Vorteil höherer Dampfspannung am Beginn der Expansion wird am besten klar an
einem Vergleich:
Die Eintrittsspannung sei (absolut) Hat, bezw. 16 at;
die entsprechenden Dampftemperaturen rund 185°, bezw. 201°;
bei vollständiger Wärmeabgabe ist die Austrittstemperatur 100°.
Also durch Einsetzung:
\eta_c=\frac{185-100}{185+273}=\frac{85}{458}=18,5%,
für
10 at
Ueberdruck
=\frac{201-100}{201+273}=\frac{101}{474}=21,3%,
„
15 at
„
Praktisch wird man davon kaum mehr als 60 % bekommen. Somit
erhält man den thermischen Wirkungsgrad zu
η = 11 % und η =13 % rund.
Der um 5 at höhere Kesseldruck der neuesten Lokomotiven ist also um 2 % im Vorteil
bei der Wärmeausnutzung gegenüber dem noch vor etwa 15 Jahren allgemein
üblichen.
Die Annahme eines höheren Kesseldrucks ist somit nicht nur mit einer Vergrösserung
der Leistung bei gleichen Abmessungen, sondern auch mit einer relativen Ersparnis
verknüpft.
Eine weitere Vervollkommnung der Wirkungsweise ist das Verbundsystem, welches, bei
Schiffsmaschinen schon längst angewendet, allgemeinere Einführung bei den
Lokomotiven sich erst in den letzten zehn Jahren hat erringen können. Aber einmal
anerkannt, hat es im Sturm sich die Anhänger erobert. Die Vorteile sind hinreichend
bekannt, so dass ein Eingehen auf das Einzelne hier unterbleiben kann.
Das Verbundsystem, an sich schon durch die Vermeidung von Arbeitsverlusten
thermischer Natur im Vorrang, ermöglicht die Ausnutzung höchster Dampfdrücke und
geringster Füllungen, trägt also zur Erhöhung des thermischen Wirkungsgrades der
Dampfmaschine mächtig bei. In Rückwirkung auf die Verdampfungsfähigkeit des Kessels
ist die letztere bedeutend gesteigert bei der Verbundmaschine infolge der schwachen
Dampfschläge; was die Zahl derselben betrifft, so arbeitet die Viercylindermaschine
im Viertaktauspuff, weshalb sie hinsichtlich der spezifischen Kesselleistung
\frac{N}{H}=a\,\sqrt{n}
im Vorteil ist vor der unsymmetrischen Anordnung mit zwei
Cylindern. Weitere Vorzüge des Verbundsystems sind bei der Teilung des Triebwerks
noch entweder die Möglichkeit, die Triebachsen kurvenbeweglich anzuordnen oder die
Massen auszugleichen; ersteres ist wichtig für kräftige Lokomotiven in
Gebirgsbahnen, letzteres für sehr schnell laufende Maschinen.
Zwischen den verschiedenen Rücksichten auf grösste Leistungsfähigkeit, ruhigen Gang,
Einfachheit der Anordnung, Kurvenbeweglichkeit, Sparsamkeit, welche nie zu gleicher
Zeit sämtlich beobachtet werden können, tobt ein Wahlkampf, bei welchem mannigfache
Argumente gegeneinander auftreten, und welcher in kurzer Zeit die verschiedensten
Anordnungen und Systeme von Verbundlokomotiven erzeugt hat.
Der Uebersicht und des Vergleichs halber sollen hier im voraus die Hauptsysteme von
Verbundmaschinen zusammengestellt werden, um eine Zersplitterung des Gegenstandes
bei der Behandlung der einzelnen Typen zu umgehen.
Schon im Jahr 1877 hat der Ingenieur Mallet das
Verbundsystem im Sinne einer zweistufigen Expansion in zwei Cylindern an den
Lokomotiven der Bahn Bayonne-Biarritz angewendet.
Der Erfolg veranlasste die Ingenieure Webb (engl.
Nordwestbahn) einerseits, sowie v. Borries (Hannover)
und Worsdell (engl. Nordostbahn) andererseits, sich
genauer mit der Verbundlokomotive zu befassen. Von diesen dreien hat wohl v. Borries den meisten Erfolg mit seiner
unsymmetrischen Zweicylinder-Verbundlokomotive davongetragen und sich das Verdienst
erworben, der Anwendung der zweistufigen Expansion bei Lokomotiven breitesten Boden
geschaffen zu haben.
1. Die Verbundlokomotive, System v. Borries,
unterscheidet sich von einer gewöhnlichen Zwillings-Hochdrucklokomotive nur dadurch,
dass der eine (gewöhnlich der links liegende) Hochdruckcylinder durch einen grossen
Niederdruckcylinder ersetzt ist; am Triebwerk ist also nichts geändert; die
Anordnung ist unsymmetrisch zur Längsachse der Maschine. Es sind nur thermische
Vorteile vorhanden; von Ausgleichung der hin und her gehenden Massen ist keine Rede,
im Gegenteil, es tritt öfters die störende Bewegung des „Hinkens“ bei
ungleichen Arbeiten in beiden Cylindern dazu.
Die Anordnung v. Borries kann wohl als Grundlage aller
anderen Verbundsyteme gelten, indem sie den Ausgangspunkt aller weiteren
Bestrebungen und Verbesserungen auf diesem Gebiet gebildet hat und die theoretischen
Prinzipien in der praktisch einfachsten und ursprünglichen Form aufweist.
Textabbildung Bd. 316, S. 347
Fig. 1.Triebwerk v. Borries, Worsdell, Gölsdorf u.s.w.
Textabbildung Bd. 316, S. 347
Fig. 2.Triebwerk Webb.
Alle Verbundlokomotiven brauchen zum Anfahren eine Vorrichtung, das sogen.
Anfahrventil, einerseits, um für kurze Zeit die grösste Zugkraft einer
Zwillingslokomotive abgeben zu können, andererseits um bei unsymmetrischem Triebwerk
dem Hochdruckkolben über den toten Punkt zu helfen, indem der Niederdruckcylinder
während der Anfahrperiode frischen Kesseldampf erhält, welcher im Verhältnis der
Kolbenflächen verringerte Spannung besitzt.
Die älteren Ventile waren automatisch, der Schluss des Ventils gegen den Kessel wurde
durch den Dampfdruck im Verbinder bewirkt und die Verbindung des Hochdruckcylinders
mit dem Niederdruckcylinder hergestellt ohne Zuthun des Führers. Die neueren sind
halb- oder unautomatisch, also der Willkür des Führers teilweise oder ganz
unterworfen. Im ersten Fall (System Gölsdorf) ist das
Ventil von der Stellung der Steuerung, d.h. von dem Füllungsgrad abhängig, meist in
kraftschlüssiger Weise. Beim Auslegen der Steuerung auf hohe Füllung wird durch eine
Knagge der Ventilhebel mitgenommen, welcher sich beim Zurückgang unter eine gewisse
Füllungsgrenze selbstthätig auslöst; im zweiten Fall besteht zwischen Steuerung und
Anfahrventil überhaupt keine Beziehung.
Die üblichen unsymmetrischen Systeme unterscheiden sich nur durch das Anfahrventil,
dessen Konstruktion zahllose Varietäten aufweist; jede grosse Lokomotivbaufirma
beinahe besitzt ihre eigenen Patente. Hinsichtlich des Triebwerks dagegen besteht
kein Unterschied; dasselbe ist in Fig. 1
dargestellt.
Die Systeme v. Borries, Gölsdorf, Worsdell u.s.w.
sind, von der Anfahrvorrichtung abgesehen, alle gleichwertig.
2. Die Verbundlokomotive System Webb ist
symmetrisch.
Die Vorzüge der Verbundmaschine sollen mit denen der ungekuppelten Maschine vereinigt
werden; also ist eine gleichzeitige Steigerung des thermischen, mechanischen und
kommerziellen Wirkungsgrades beabsichtigt. Die hintere der beiden nicht gekuppelten
Achsen wird von dem aussen liegenden Hochdruck-, die vordere von dem unter der Mitte
der Rauchkammer liegenden Niederdruckcylinder angetrieben; der ideelle
Hochdruckcylinder ist also hier im Interesse der Symmetrie halbiert. Eine
Massenausgleichung ist dabei nicht möglich, ebenso ist eine grosse Veränderlichkeit
der Zugkräfte ausgeschlossen.
Nachahmung auf anderen Bahnen hat die Webb'sche, sehr
stark, aber auch ausschliesslich, auf der englischen Nordwestbahn vertretene
Anordnung nicht gefunden (Fig. 2).
3. Die Verbundlokomotive System Sauvage, zuerst auf der
französischen Nordbahn angewendet, ist eine Dreicylindermaschine wie die vorige. Die
Achsen sind jedoch gekuppelt; der Hochdruckcylinder unter der Rauchkammer, in der
Längsachse der Maschine, treibt eine Achse, der Niederdruckcylinder ist halbiert,
d.h. seine Fläche in zwei Cylindern ausserhalb der Rahmen verteilt. Durch Versetzung
der drei Kurbeln wird ein ruhigerer Gang erzielt; die Kuppelung der Achsen
ermöglicht die Trennung der Cylinder voneinander hinsichtlich ihrer Versorgung mit
Dampf ohne Beeinflussung der Adhäsion.
Textabbildung Bd. 316, S. 347
Fig. 3.Triebwerk Sauvage.
Viele Anhänger hat sich dieses System nicht erworben (Fig. 3), sondern es ist rasch durch andere überholt
worden. Neuerdings hat sich nach einem misslungenen Versuch der Gotthardbahn, die
Jura-Simplonbahn zur Beschaffung einer grossen Zahl von
Dreicylinder-Verbundmaschinen verstanden, welche befriedigende Resultate liefern.
Bemerkenswert ist auch das Verbundsystem Klose mit drei
Cylindern von gleichem Durchmesser, welche entweder alle drei mit Hochdruck arbeiten
können oder deren zwei äussere unter gewöhnlichen Umständen die Niederdruckcylinder
darstellen. (Württembergische Staatseisenbahn.) (Fig.
4.)
Textabbildung Bd. 316, S. 348
Fig. 4.Triebwerk Klose (Württembergische Staatseisenbahn).
Von all diesen Systemen ist das unsymmetrische das verbreitetste; das Hauptgebiet
stellen dazu die preussische und die österreichische Staatsbahn.
Mehr Vorteile noch bieten die Verbundmaschinen mit vier Cylindern. Der Streit
zwischen den Rücksichten auf Einfachheit des Triebwerks einerseits und auf ruhigen
Gang der Maschine andererseits, sowie auf Kurvenbeweglichkeit hat verschiedene
Systeme auch hier geschaffen.
4. Wohl die ursprüngliche Form ist die Doppelschemel-Viercylinder-Verbundlokomotive
System Mallet, welche sich zum erstenmal auf der
Ausstellung 1889 zeigte. Die Anordnung ist symmetrisch in zwei hintereinander
liegenden Sätzen. Der hintere Satz von zwei oder drei gekuppelten Achsen sitzt im
Hauptrahmen und wird von den aussen liegenden Hochdruckcylindern getrieben. Der
vordere vollständig gleichartige Satz liegt in einem gelenkigen Vordergestell und
wird von den ebenfalls aussen befindlichen Niederdruckcylindern bedient. Das Gelenk
des Vorderrahmens, sowie dasjenige des Receivers, befindet sich gerade zwischen den
Hochdruckcylindern.
Textabbildung Bd. 316, S. 348
Fig. 5.Doppeltriebwerk Mallet.
Nach dem Vorgang der Gotthardbahn fand dieses System rasch überall Eingang. In der
Schweiz besonders ist die Mallet'sche Kurvenlokomotive
zu treffen auf Haupt- und Schmalspurbahnen, als Tenderlokomotive und als solche mit
Schlepptender, von der riesigsten bis zur zierlichsten Ausführung herunter. Dann
folgten Baden, Elsass, Bayern, Preussen, Ungarn, Belgien, Russland und Frankreich,
letzteresnur bei Schmalspurbahnen, in der Anschaffung solcher Lokomotiven (Fig. 5).
Aehnlich ist die Kurvenlokomotive System Meyer
(sächsische Staatsbahn), wo die Hoch- und Niederdruckcylinder ebenfalls auf
getrennte Radgruppen wirken; nur sind hier beide Gestelle beweglich und alle vier
Cylinder liegen in der Längsmitte zwischen den Radsätzen, so dass das hintere Paar
in gewöhnlicher Weise von vorn, das vordere aber von hinten angetrieben wird (Fig. 6).
Textabbildung Bd. 316, S. 348
Fig. 6.Doppeltriebwerk Meyer.
Sowohl die Mallet'sche wie die Meyer'sche Anordnung eignen sich nur für verhältnismässig kleine
Tourenzahlen der Maschine, da die störenden Bewegungen bei der kleinen Masse des
Dampfdrehgestells zu stark ausfallen. Erstere ist noch im Vorteil, da wenigstens ein
Gestell festsitzt. Die Schweizer Zentralbahn lässt bei ihren Mallet'schen Tenderlokomotiven von 1210 mm Triebraddurchmesser und 610 mm
Hub eine Geschwindigkeit von 55 km/Std. zu, was einer Tourenzahl von 243 in der Minute
und einer Kolbengeschwindigkeit von 4,95 m/Sek. gleichkommt.
In manchen Fällen ist das doppelte Triebwerk als Nachteil betrachtet; dasselbe ist
jedoch nur dann zu umgehen, wenn man einen Hoch- und einen Niederdruckcylinder
derart vereinigt, dass sie auf ein und dasselbe Triebwerk wirken, d.h. auf den
gleichen Kreuzkopf; es entsteht die Verbundmaschine System
Woolf. Dieselbe ist in mannigfacher Ausführung vorhanden.
Textabbildung Bd. 316, S. 348
Fig. 7.Triebwerk Woolf-Tandem (Französische Nordbahn).
5. Die (ältere) Woolf-Maschine ohne Receiver. Hochdruck-
und Niederdruckcylinder jeder Seite für sich sind ein konzentrisches Gehäuse, wobei
die beiden Cylinder entweder ineinander geschoben oder hintereinander gestellt sind.
Der Niederdruckkolben ist im ersten Fall als ein den Hochdruckcylinder umgebender
Hing ausgebildet, wobei die drei am Umfang des Ringes sitzenden Kolbenstangen mit
derjenigen des Hochdruckkolbens an einem Kreuzkopf befestigt sind. (Nur auf der mexikanischen
Zentralbahn zu finden bei einer Fairlie'schen
Doppellokomotive.) Im zweiten Fall kann der Niederdruckkolben voll ausgebildet
werden, wobei zwei verschiedene Konstruktionen Platz gegriffen haben.
Auf der französischen Nordbahn sind bei vierfach gekuppelten Maschinen die beiden
Kolben getrennt, wobei wieder mehrere Kolbenstangen nötig sind, um den
Hochdruckcylinder zu umgehen (Fig. 7).
Textabbildung Bd. 316, S. 349
Fig. 8.Triebwerk Woolf-Tandem (Bauanstalt Krauss-München).
Auf der bayerischen Staatsbahn laufen ⅘ gekuppelte mächtige Güterzuglokomotiven aus
der Fabrik Krauss-München nach System Woolf. Der Hochdruckcylinder ist gegen den
Niederdruckraum geöffnet, und die beiden Kolben sind aus einem Stück gebildet in der
Art eines hohlen Differentialkolbens; der Niederdruckkolben ist eine tellerartige
Verbreiterung des in eine Röhre verlängerten Hochdruckkolbens; das Rohr läuft im
Hinterende des kleinen Cylinders wie ein Tauchkolben. Auf diese Art ist unmittelbare
Druckübertragung auf eine einzige Kolbenstange ermöglicht (Fig. 8).
Ein Fehler all dieser Kombinationen ist die grosse Vielteiligkeit, welche grosse
Anschaffungs- und Unterhaltungskosten erfordert.
Auf andere Weise sucht die amerikanische Praxis mit ihrem durchgreifenden, oft mit
Erfolg gekröntem Streben nach grösster Einfachheit, das Problem der Woolf'schen Lokomotive mit Zwillingstriebwerk zu lösen;
das Ergebnis ist:
Textabbildung Bd. 316, S. 349
Fig. 9.Triebwerk Vauclain (Bauanstalt Baldwin-Philadelphia).
6. Die Verbundlokomotive System Vauclain, aus den Baldwin-Werken in Philadelphia stammend und sehr
zahlreich ausgeführt, ist ebenfalls vollständig symmetrisch zur Längsachse. Die
beiden Cylinder jeder Seite liegen nichthinter-, sondern übereinander, und bilden mit dem Kolbenschieberraum und
der Hälfte des Kesselsattels ein einziges Gussstück. Bei Schnellzuglokomotiven liegt
der kleine Cylinder oben, der grosse unten, bei Güterzuglokomotiven ist es wegen der
Einhaltung des Normalprofils umgekehrt. Die beiden Kolben greifen an einem
gemeinsamen Kreuzkopf an. Die Konstruktion ist keineswegs einwandfrei; bei
ungleichen Arbeiten der beiden Cylinder muss ein „Ueber-Eck-Hinken“ des
Kreuzkopfs auftreten (Fig. 9).
Alle Woolf'schen Maschinen lassen weder eine
gegenseitige Regulierung der Füllungsgrade, noch eine Massenausgleichung zu; auf
diese Vorteile muss zu Gunsten des einfachen Triebwerks verzichtet werden. Dasselbe
ist auch der Fall bei der neueren Woolf-Maschine, wo die Cylinder hintereinander
gesetzt und völlig voneinander getrennt sind, so dass jeder Cylinder seinen eigenen
Schieberkasten erhält; es wird dann auch ein Receiver nötig. So entsteht
Textabbildung Bd. 316, S. 349
Fig. 10.Doppeltandem.
7. die Verbundlokomotive System Tandem. Dieselbe ist
ebenfalls symmetrisch und besteht, wie die vorigen, aus zwei parallelen
Verbundmaschinen mit um 90° versetzten Kurbeln. Die Receiver der beiden Seiten sind
durch ein Rohr verbunden, welches in der Rauchkammer liegt, so dass Spannungsabfall
vermieden werden kann (Fig. 10).
Beispiele dieser Anordnung bieten sich auf der ungarischen und russischen Staatsbahn,
sowie auf der Atchison-, Topeka- und Santa Fé-Bahn, meistens an
Schnellzuglokomotiven ausgeführt.
Obwohl alle diese Typen mit vier Cylindern mit dem unsymmetrischen Verbundtypus das
Zwillingstriebwerk gemeinsam haben, ist ihre Einführung nicht so allgemein geworden,
wie es bei diesem der Fall war, sondern ihre Anerkennung blieb auf gewisse Gebiete
beschränkt, aus welchen sie wahrscheinlich im Lauf der Zeit noch durch den stärkeren
Bewerber verdrängt werden. Es ist dies die Bauart mit zwei getrennten Triebwerken,
welche jedoch auf dieselbe Radgruppe wirken, wie sie besonders von der Elsässischen Maschinenbaugesellschaft unter ihrem
Direktor de Glehn zur grössten Bedeutung gebracht
worden ist. Nach diesem sei also benannt
8. die Verbundlokomotive System de Glehn. Der Hoch-und
Niederdruckcylinder einer Seite liegen insofern neben-einander, als der eine innerhalb, der andere ausserhalb der Rahmen
liegt. Die Kurbeln einer Seite sind um 180°, die Systeme der zwei Seiten unter sich
um 90° versetzt, so dass eine fast vollständige Ausgleichung der Massen stattfindet,
da die Achsen stets gekuppelt sind (unabhängig von der Lage der Cylinder); die
beiden Systeme selbst sind übrigens in der Längsrichtung um eine Achse versetzt,
wobei die äusseren Cylinder meistens eine hintere, die inneren Cylinder die
vorderste Achse antreiben. Ein Receiver ist dabei nicht zu entbehren.
Die grossen Vorteile dieser Bauart sind äusserst ruhiger Gang und grosse
Veränderlichkeit der Zugkraft; denn die Anfahrvorrichtung erlaubt hinsichtlich der
letzteren: 1. mit Verbundwirkung, 2. mit Zwillingswirkung zu fahren und zwar a) mit Kesseldampf
in allen vier Cylindern, b) mit den Hochdruckcylindern, c) mit den
Niederdruckcylindern allein. Das kräftige Anziehen solcher Lokomotiven ist bekannt,
ebenso ihre hohe spezifische Leistungsfähigkeit, welche infolge des
Viertaktauspuffes bei Verbundwirkung bis zu 9 PS/qm steigt. Nachdem die Gotthardbahn und
die Schwarzwaldbahn mit der Anschaffung der Viercylinder-Verbundmaschine mit
getrennten Triebwerken vorausgegangen waren, fand das System rasch Anklang, so dass
sämtliche französischen Hauptbahnen sich zur durchgehenden Einführung desselben bei
zwei- und dreifach gekuppelten, teilweise auch bei vierfach gekuppelten Maschinen
entschlossen; in neuester Zeit sind auch die Schweizer Zentralbahn und die
sächsische Staatsbahn dazu übergegangen (Fig.
11).
Textabbildung Bd. 316, S. 350
Fig. 11.Triebwerk de Glehn.
Textabbildung Bd. 316, S. 350
Fig. 12.Triebwerk de Glehn, modifiziert von Webb–v. Borries.
v. Borries hatte vorgeschlagen, von der Bauart de Glehn zur Woolf'schen
dadurch überzugehen, dass man alle vier Cylinder in eine Reihe nebeneinander aus
Vorderende der Maschine setzt; der Hoch- und Niederdruckcylinder einer Seite liegen
also nicht hintereinander wie bei Tandem, noch übereinander wie bei Vauclain, sondern nebeneinander, nur durch den Rahmen
getrennt; beide Cylinderpaare treiben dieselbe, nämlich die vorderste Achse.
Abgesehen von der besseren Druckverteilung und Massenausgleichung wird die
Konstruktion eine einfache; der Receiver verschwindet fast gänzlich, und beide
Cylinder werden von einer einzigen Steuerung bedient (Fig.
12).
Während die englische Nordwestbahn schon längere Zeit solche Maschinen laufen lässt
(welche auf der letztjährigen Pariser Ausstellung vertreten waren), ist erst 1900
nach den Plänen von v. Borries für die
Eisenbahndirektion Hannover eine ähnliche Maschine gebaut worden, welche mit der
patentierten Steuerung ausgerüstet und ebenfalls in Paris ausgestellt war.
Fasst man die Merkmale der Verbundsysteme zusammen, so lässt sich folgende Einteilung
in Klassen vornehmen:
Uebersicht über die Verbundsysteme.
KlasseundOrd-nung
Anzahl der
Bezeichnung und System
Nummer
Cy-linder
Trieb-werke
Achs-gruppen
I
2
1
1
v. Borries, Worsdell,Gölsdorf u.s.w.
1
IIa
3
1½
1
Sauvage (Klose)
2
IIb
3
1½
2
Webb
3
IIIa 1
4
1
1
Woolf, älter (Krauss u.s.w.)
4
IIIa 2
4
1
1
Vauclain
5
IIIa 3
4
1
1
„Tandem“
6
IIIb 1
4
2
1
Woolf (Webb–v. Borries)
7
IIIb 2
4
2
1
de Glehn
8
IIIc
4
2
2
Doppelschemel Mallet(Meyer)
9
Zu „Klasse II“ ist noch zu bemerken, dass das Triebwerk eines einzelnen
unpaarigen Cylinders nur als halb eingesetzt ist, weil der gewöhnlichen
Zwillingsanordnung entsprechend die symmetrisch liegenden Doppeltriebwerke nur als
eines gezählt sind.
Sind damit die Verbundsysteme ihrer Erscheinung nach zusammengestellt worden, so darf
nicht unerwähnt bleiben, dass, abgesehen von der an sich geringen Beliebtheit, deren
die Verbundlokomotive in Amerika und besonders in England sich erfreut, noch ein
Rückgang in der Anwendung derselben zu bemerken ist in beiden Ländern. Die
Zwillingslokomotive zu bevorzugen, kann vom Standpunkt des amerikanischen
Lokomotivbaues aus begriffen werden, wo es mehr auf Einfachheit ankommt als auf gute
Wirkung; die Grösse der Leistung kann so wie so durch unbeschränkten Ausbau der
Abmessungen erreicht werden. Etwas anderes ist das in England; durch die
Beschränkung der zulässigen Kaminhöhe (etwa 4 m Kaminrand über Schienenoberkante)
ist diesem Ausbau der Weg abgeschnitten, und eine Vergrösserung der Leistung ist nur
durch Erhöhung der Wirkungsgrade oder der Tourenzahl möglich. Wenn auf beides
verzichtet wird, so bedeutet dies Stillstand in der Entwickelung der englischen
Lokomotive und dieser ist auch bereits eingetreten und wird mit jedem Tag fühlbarer;
England hat sich überlebt. Ganz langsam werden die Leistungen seiner Betriebsmittel
in anderen Ländern eingeholt, in Amerika sind sie längst und in Frankreich
neuerdings mächtig überholt worden; der Hauptsache nach zehrt England von seinem
alten Fett. Die Schuld an diesem Zurückbleiben hat England sich selbst
zuzuschreiben, der oft minderwertigen Vorbildung seiner Ingenieure, welche vor
umfangreicherer Denkarbeit zurückzuschrecken scheinen, und einem verfehlten
Lokalpatriotismus, welcher die Benutzung fremdländischer Errungenschaften zu
vermeiden sucht; geflissentlich geht man deshalb dem Verbundsystem, der
Heusinger-Steuerung u.s.w. aus dem Wege.
Während das Webb'sche Verbundsystem auf die Nordwestbahn
beschränkt und im übrigen ohne Nachahmung geblieben ist, ist das Worsdell'sche bei Neukonstruktionen von der Nordostbahn
wieder völlig verschwunden; andere englische Bahnen haben sich überhaupt nie damit
befasst. Es ist, nebenbei bemerkt, auffallend, dass auf der badischen Staatsbahn und
auf der Pfalzbahn eine ähnliche Erscheinung zu beobachten ist, indem
Schnellzuglokomotiven für Flachland stets als Zwillingsmaschinen gebaut werden;
Belgien und Holland haben sich ebensowenig der Verbundmaschine zugänglich gezeigt;
für all diese Bahnen kann das gleiche gelten, was oben angedeutet wurde: über kurz
oder lang sind sie an der Grenze des Könnens im Schnellbetrieb angekommen und
Stillstand tritt ein.
England, welches sich, wie gesagt, gegen Verbesserung des Güte Verhältnisses der
Lokomotive im allgemeinen abweisend verhält, andererseits aber im Ausbau der
Abmessungen unüberwindliche, enge Grenzen sich selbst gezogen hat, hat schon mancherlei
Anstrengungen gemacht, um auf anderem Wege der erlahmenden Leistungsfähigkeit
nachzuhelfen. Im Gegensatz zur Verbundlokomotive sind deshalb hier von Interesse die
Doppelzwillingslokomotiven (mit vier
Cylindern).
Solche Versuche sind nämlich unternommen worden auf der Nordwestbahn und schottischen
(Glasgow) Südwestbahn, sowie auf der englischen (London) Südwestbahn.
Textabbildung Bd. 316, S. 351
Fig. 13.Doppelzwillingstriebwerk (Glasgow-Südwestbahn).
Erstere beiden Gesellschaften beschäftigten sich mit der Einführung von Trieb
Werksanordnungen, bei welchen vier Hochdruckcylinder nebeneinander in einer Reihe
unter der Rauchkammer, und zwar zwei innerhalb, zwei ausserhalb der Rahmen, auf
dieselbe (vordere) Triebachse wirkten. Der einzige erreichbare Vorteil ist die
Ausgleichung der Massen jeder Seite unter sich (Fig.
13).
Letztere Gesellschaft dagegen nahm ein Mittelding zwischen Webb'schem und de Glehn'schem Triebwerk an:
zwei Hochdruckcylinder innerhalb der Rahmen unter der Rauchkammer auf die
Vorderachse, das andere Paar, ebenfalls Hochdruck, ausserhalb der Rahmen, auf die
Hinterachse wirkend; die beiden Triebachsen waren nicht
gekuppelt. Von Vorteil ist dabei überhaupt keine Rede, wenn man den Wegfall der
Kuppelstangen nicht als solchen betrachtet (Fig.
14).
Textabbildung Bd. 316, S. 351
Fig. 14.Doppelzwillingstriebwerk (London-Südwestbahn).
Dass mit solchen Kombinationen nichts gewonnen werden kann, indem die, wenn überhaupt
vorhandene, Verstärkung auf Kosten des Wasser- und Kohlenverbrauchs, des
Kesselgewichts, der Anstrengung der Mannschaft, mit Verdoppelung des Triebwerks
erreicht wird, muss sich in der Folge deutlich gezeigt haben; denn während die
Nordwestbahn bei späteren Ausführungen die zwei inneren Hochdruckcylinder durch
Niederdruckcylinder ersetzte, blieben auf den beiden anderen Bahnen die
Versuchslokomotiven ohne Nachfolger. –
(Fortsetzung folgt.)