Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 316, Jahrgang 1901, S. 362 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 345 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
3. Ausnutzung der
Maschinenleistung.
Ist nun die Lokomotivmaschine schon an und für sich, noch mehr aber im Verhältnis zu
ihren Abmessungen, zu einer hohen Leistungsfähigkeit gebracht worden, indem man den
Wirkungsgrad der Feuerung, des Kessels, der Expansion und des Triebwerks möglichst
hoch schraubt, sowie im Interesse der absoluten Gesamtleistung höchste rentable
Werte des Kesselüberdrucks (bis 16 at), der Tourenzahl (bis 300 normal) und der
Kolbengeschwindigkeit (bis 7 m/Sek.) zulässt, so handelt es sich in letzter Linie
darum, von der erhaltenen Leistung möglichst wenig zu verlieren; der erreichbar
höchste Betrag soll zur Beförderung einer gegebenen Last oder zur Einhaltung einer gegebenen Geschwindigkeit zur Verfügung
stehen.
Untersucht man die Art der Verluste, welche die Leistung der Maschine erleidet, so
muss der Begriff „Leistung“ genauer definiert werden.
Sind die thermischen Verluste, welche bei der Arbeitsleistung einer gewissen aus dem
Kessel kommenden Dampfmenge auftreten, berücksichtigt, so bleibt zurück die auf den
Kolben übertragene mechanische Leistung, die indizierte Leistung. Auf dem Weg vom
Kolben zur Schiene büsst diese durch die Reibungswiderstände des Triebwerks (innerer
Widerstand der Lokomotive) einen Teil ihres Wertes ein, so dass am Triebradumfang
die effektive Leistung an die Schienen abgegeben wird. Es ist diese mechanische Nutzleistung jedoch nicht in ihrer vollen
Grösse als eigentliche Nutzleistung im praktischen
Sinne zu bezeichnen, sondern als Bruttoleistung im kommerziellen Sinn, insofern als
die Bewegung des ganzen Zuges einschliesslich Lokomotive und Tender durch sie
bedingt ist, welch letztere als Krafterzeuger mit Vorrats wagen als tote Last in
diesem Sinne gelten müssen. Als Nutzlast muss der Zug hinter dem Tender zählen,
dementsprechend als Nutzleistung die Leistung am Tenderzughaken, welche als
Nettoleistung hier bezeichnet sei. Dieses Güteverhältnis der Nettoleistung zur
Bruttoleistung wurde als „kommerzieller Wirkungsgrad“ schon einer Betrachtung
unterworfen.
(Im engsten Sinn wäre allerdings als Nutzlast nur das Gewicht der beförderten Ware
bezw. Menschen und Güter zu verstehen, abzüglich des Wagengewichts als Tara; ebenso
als Leistung die in den verfeuerten Kohlen aufgewendete Energie; daher wäre der
„ökonomische Wirkungsgrad“ das Verhältnis der Leistung, welche die
Beförderung dieser Nutzlast erfordert, zu der in der aufgewendeten Kohlenmenge
enthaltenen Energie.)
Was nun die mechanische Nutzleistung, d.h. kommerzielle Bruttoleistung betrifft, so
wird dieselbe verwendet (vom Triebradumfang ausgehend):
1. Zur Ueberwindung des ganzen Reibungswiderstandes des Zuges, also a) des äusseren
Widerstandes der Lokomotive als Fahrzeug (Triebwerk bezw. Pleuel- und Kuppelstangen
abgenommen) und des Tenders, wobei somit die Lokomotive nicht als Motor wirkt,
sondern ein gleich schwerer Wagen an ihre Stelle gesetzt und die Zugkraft durch ein
von aussen am vordersten Haken angreifendes Zugseil hervorgebracht werden kann, und
b) des Widerstandes der Fahrzeuge hinter dem Tender.
2. Ferner zur Ueberwindung des Luftwiderstandes.
1. Setzt man eine Lokomotive als gegeben voraus, soweit es sich um die Grösse der
Leistung am Triebradumfang handelt, so sind alle Verluste eliminiert, welche
ausserhalb des kommerziellen Wirkungsgrades liegen. Dass dieser selbst mit einer
Vergrösserung der Geschwindigkeit schlechter wird infolge der notwendigen Erhöhung
des Lokomotivgewichts, ist schon an anderer Stelle nachgewiesen worden; an der
Verkleinerung der äusseren Reibungswiderstände von Lokomotive und Tender scheitern
also alle Bemühungen, wenigstens im grossen und ganzen. Es folgt daraus, dass bei
der Beurteilung der Brauchbarkeit einerLokomotive das Verhältnis der
Leistungsgrössen derselben zum aufgewendeten Lokomotivgewicht massgebend ist, d.h.
die Lokomotive ist um so besser, mit je weniger Dienstgewicht sie ihre Zugkraft und
Leistung hervorbringt.
Da erstere eine Funktion der Maschinenabmessungen, letztere eine Funktion der
Heizfläche ist, nämlich die Zugkraft Z=\frac{\alpha\,d^2\,s\,p}{D} und die Leistung N = aH√n, so folgen die
Wertziffern, deren Höhe die Güte der Bauart darstellt, indem man durch das
Dienstgewicht L dividiert:
w_1=\frac{Z}{L}\,(^{\mbox{kg}}/_{\mbox{t}})\ \ w_2=\frac{N}{L}\,(^{\mbox{PS}}/_{\mbox{t}}).
Wohl mit Recht könnte genannt werden:
w_1=\frac{\alpha\,d^2\,s\,p}{D\,L} der „Kraftwert“,
w_2=\frac{a\,H}{L}\,\sqrt{n} der „Geschwindigkeitswert“.
Beide Ziffern sind natürlich, ihrem Sinn gemäss, dem Dienstgewicht umgekehrt
proportional; direkt dagegen ist erstere dem Cylinderdurchmesser, Hub und
Kesseldruck, letztere der Heizfläche und der Tourenzahl proportional.
Handelt es sich also um Schnellbetrieb, so kommt es an
auf grosse Heizfläche und Tourenzahl bei geringem Dienstgewicht; die Tourenzahl ist
dem Triebraddurchmesser entgegengesetzt, und da sich dieser im Nenner der
Kraftziffer findet, so folgt:
Eine Erniedrigung des Triebraddurchmessers hat gleichzeitig eine Erhöhung des
Kraftwertes wie des Geschwindigkeitwertes zur Folge (innerhalb praktischer
Grenzen).
In richtiger, allmählich gewonnener Erkenntnis dieses Umstandes hat auch der
Lokomotivbau die allgemein ursprünglich bei Schnellzuglokomotiven üblich gewesenen
hohen Triebräder aufgegeben und ist zu immer kleineren übergegangen; hatte man sich
irrtümlich seiner Zeit zu 2,74 m Triebraddurchmesser verstiegen, so nimmt man
heutzutage für Schnellzuglokomotiven 1,51 m bis 2,16 m, je nach der Anforderung,
welche die Zugkraft durch Belastung oder Steigung durchschnittlich zu übernehmen
hat.
Von neuem zeigt sich hierin, dass die Zugkraft den grösseren Einfluss ausübt bei der
Dimensionsberechnung, dass neben der Geschwindigkeit stets auch die Stärke, und zwar
nach hohen Werten berücksichtigt wird.
Geht man von der Lokomotive über zum Tender, so muss es sich bei diesem ebenfalls um
Verkleinerung des Dienstgewichts handeln, soweit möglich. Der Tender müsste
eigentlich ganz wegfallen bezw., wenn vorhanden, möglichst klein ausfallen; Fassung
sowohl wie Eigengewicht müssen niedrige Beträge haben zu gunsten der Nutzlast hinter
dem Tender. Wenn das Mitschleppen der Vorräte in einem Wagen, oder wenigstens in
Kästen, nicht umgangen werden kann, so ist es schwierig, diese Forderung
hinsichtlich des Tendergewichts zu erfüllen; Vorratskästen sind an sich ein
notwendiges Uebel.
Die „Tender“lokomotive, besser, um Verwechselung zu vermeiden, als Tanklokomotive nach englischer Art zu bezeichnen, ist
mit Rücksicht auf die Erhöhung des kommerziellen Wirkungsgrades eingeführt worden;
das Gewicht der Vorräte wird als Adhäsionsgewicht ausgenutzt, d.h. tote Last
gespart, Zugkraft gewonnen, also ursprünglich eine ideale Lösung des Problems. Aber
die Sache hat mehrere Haken: zunächst ist die Menge der Vorräte sehr beschränkt;
dieselben müssen oft erneuert werden, es ist also die Anlage von Wasserstationen,
die Bedienung derselben und das Anhalten an den betreffenden Orten nötig, wobei Zeit
verloren geht; es steigen daher die Anlagekosten der Bahn; ferner vermindert sich
die Menge der Vorräte mit der Dauer der Fahrt, d.h. die Zugkraft wird allmählich
geringer; endlich
lassen sich die Vorratskästen, welche mit Ladung bis zu 10 t Gewicht erreichen
können, nur dann auf der Lokomotive selbst anbringen, wenn diese nicht schon die
Grenze der zulässigen Achsbelastungen aufweist, bezw. das erforderliche
Adhäsionsgewicht nicht ohne die Kästen schon besitzt. (Die Zuhilfenahme von weiteren
Achsen als Laufachsen hätte keinen Zweck, sondern wäre gleichwertig mit dem Anhängen
eines getrennten Vorratswagens.) Die heutige Lokomotive ist nun so stark
beansprucht, dass ihr Eigengewicht das Auflegen der Vorratskästen nicht mehr
erlaubt, daher ist man geradezu gezwungen, einen Tender anzuhängen und so die tote
Last zu vermehren, da die Zugkraft aus der Adhäsion einer Vergrösserung ohne
Ueberschreitung der Belastungsgrenze nicht zugänglich ist. Wurde weiter oben auf die
Verschlechterung des kommerziellen Wirkungsgrades mit der Erhöhung der Ansprüche an
die Lokomotive, namentlich in Bezug auf die Geschwindigkeit, hingewiesen, so sehen
wir jetzt, dass ein weiterer Uebelstand im Gefolge auftritt: nämlich eben die
Notwendigkeit des Tenders. Aus allem folgt:
Vergrösserung der Ansprüche an die Leistung der Lokomotive hat die Verkleinerung des
kommerziellen Wirkungsgrades zur Folge, 1. durch die Vergrösserung des toten
Lokomotivgewichts, 2. durch die unumgängliche Verknüpfung des Kessels mit einem als
tote Last zu betrachtenden Schlepptender.
Die Neuzeit wird nun im allgemeinen auf die Lokomotive mit Schlepptender angewiesen
sein und die „Tender“ -lokomotive muss sich auf Nebenbahnen und Vorortverkehr
beschränken. Bei ersteren sind die Ansprüche geringer, die Maschinen viel leichter
an sich, also zur Aufnahme der Vorratskästen fähig; die Strecken sind kurz, daher
weniger Vorräte nötig, welche aus den Behältern der Hauptbahn entnommen werden; die
kleinen Lokomotiven sind sehr gelenkig, vielmehr geschmeidig, eignen sich also zum
Verschiebedienst der Hauptbahn; beim Wegfall des Tenders kann gerade so leicht
rückwärts wie vorwärts gefahren werden, daher sind Drehscheiben unnötig, was eine
für den Zweck der Nebenbahnen wichtige Verminderung der Anlagekosten bedingt.
Der Schlepptender ist somit für weitfahrende Züge nicht zu vermeiden. Es ist
auffallend, wie auch solche Bahnen, welche früher theoretisch infolge ihrer
Steigungsverhältnisse ausschliesslich mit Tenderlokomotiven betrieben werden
mussten, z.B. die Schweizer und österreichischen Gebirgsbahnen, neuerdings völlig
von letzteren abgekommen sind und zu dem für sie jedenfalls ungünstigen
Schlepptender gegriffen haben, da die Steigerung der Zuglast und Geschwindigkeit
keine andere Wahl liess.
Nicht unerwähnt darf hier jene als „Engerth“-Lokomotive bekannt gewordene Vereinigung des Schlepptenders
mit der Tenderlokomotive bleiben. Der Wasser Vorrat befindet sich in Kästen zu
beiden Seiten des Kessels, der Kohlenvorrat in einem kurzen zwei- oder dreiachsigen
Tender, welcher vor der Feuerbüchse (anstatt hinter
derselben) in den Maschinenrahmen eingehängt ist, so dass der Tenderrahmen die
Feuerbüchse umschliesst.
Ursprünglich für die Semmeringbahn 1853 konstruiert, fand die Engerth-Lokomotive
rasch in Oesterreich, Frankreich und in der Schweiz infolge ihrer mannigfachen
Vorteile Eingang (auch im Schnellzugsdienst), um ebenso rasch wieder zu verschwinden
und der Lokomotive mit völlig getrenntem Schlepptender Platz zu machen. Immerhin ist
sie als ein für damalige Zeiten sehr brauchbarer Versuch zu betrachten, indem sie
Kurvengelenkigkeit, grosse Adhäsion, grosse Menge der Vorräte mit hohem
kommerziellem Wirkungsgrad vereinte und daher für Gebirgsbahnen wie geschaffen
war.
Theoretisch sollte nach vorigem der Tender möglichst klein sein. Es fragt sich nun,
ob und wie diese Forderung zu erfüllen ist.
Ein Tender mit geringem Fassungsraum muss häufig frisch geladen werden, macht daher,
wie eine Tenderlokomotive, häufiges Anhalten (vermehrte Zahl der Wasserstationen)
nötig, verursacht also Mehrkosten bei der Anlage und Zeitverlust im Betrieb. Im
allgemeinen wird deshalb die Grösse des Tenders zunehmen, und zwar istdiese
Zunahme eine rasche. Bei gewöhnlicher Anlage der Bahn mit Wasserstationen ist das
Dienstgewicht des Tenders mit der Zeit von etwa 20 t (1860) auf 30 bis 40 t
gestiegen, entsprechend einer Fassung an Wasser von 12 bis 20 cbm und an Kohlen von
5 bis 8 t. Der Tender wiegt folglich soviel wie drei gewöhnliche Personenwagen oder
ein Schnellzug wagen des Durchgangssystems auf zwei Drehgestellen; der Verlust an
Nutzlast kann damit ermessen werden.
In einzelnen Fällen sind noch grössere Tender üblich, besonders bei amerikanischen
Lokomotiven. Das äusserste, was bis jetzt erreicht worden ist, ist der Tender der
„grössten Lokomotive der Welt“ auf der Pittsburgh-Bessemer- und
Lake-Eriebahn; er besitzt ein Dienstgewicht von 641, was demjenigen einer
Schnellzuglokomotive schwerster Sorte gleichkommt, bei Fassung an Wasser von 34 cbm
und an Kohlen von 12 t.
Der praktische Sinn der Engländer hat nun, um diese fortwährende Zunahme der toten
Last des Tenders abzuschneiden, schon vor langer Zeit eine Konstruktion ins Leben
gerufen, welche es ermöglicht, die Tenderfüllung während der Fahrt ohne Aufenthalt
vorzunehmen; „Zeit ist Geld“ ist eben ein Grundsatz, welcher jenseits des
Kanals und des Ozeans viel gründlicher beherzigt wird als diesseits. Der Erfinder
ist der berühmte Ramsbottom, seinerzeit
Maschinenmeister der London- und Nordwestbahn. Die Vorrichtung beruht bekanntlich
darin, dass an gewissen Stellen der Bahn zwischen den Schienen eines Geleises lange
Laufkanäle, Wassertröge, vorgesehen sind, in welche sich bei der Annäherung des
Zuges vom Tender ein nach vorn gekrümmtes Rohr willkürlich herabsenkt; dasselbe hat
Anschluss nach oben bis über den Wasserspiegel des Tenders. Infolge des der
Zuggeschwindigkeit entsprechenden Drucks steigt das Wasser in dem Rohre empor und
der Tender füllt sich in einigen Sekunden (Fig.
15).
Textabbildung Bd. 316, S. 363
Fig. 15.Ramsbottom's Tenderfüllvorrichtung.
Die Tender der Bahnen, welche diese Ramsbottom'schen
Wassertröge angelegt haben, haben natürlich geringe Fassung und daher geringes
Eigengewicht; das Dienstgewicht liegt zwischen 20 und 30 t, im Mittel beträgt es 25
t und bleibt daher um 10 t zurück hinter dem durchschnittlichen Tendergewicht auf
anderen Bahnen. Hält man auch diese Ersparnis an toter Last für geringfügig, so ist
zu bedenken, dass die Wasserstationen, deren Anlage jedenfalls bedeutend teurer ist
als diejenige der Geleiströge und der Füllvorrichtung im Tender selbst, wegfallen,
gerade so die Bedienungsmannschaft, und die Aufenthalte an denselben.
Durchgehends eingeführt sind die Wassertröge in England auf der Nordwestbahn,
Ostbahn, Westbahn, Lancashire-Yorkshirebahn u.s.w., in Amerika auf der New Yorker
Zentralbahn, Pennsylvaniabahn; in der neuesten Zeit beginnt auch Frankreich auf der
Strecke Paris-Calais die Wasser tröge zu legen.
Der Nutzen dieser Einrichtung erhellt am besten daraus, dass in England Strecken bis
zu 312 km Länge im fahrplanmässigen Betrieb ohne Anhalten durchlaufen werden.
Auch der Schlepptender hat, den vorausgegangenen Erörterungen zufolge, einen Massstab
zur Beurteilung seiner kommerziellen Brauchbarkeit; diese ist um so grösser, je
grösser der Fassungsraum und je kleiner das ganze Dienstgewicht ist; daher ist die
Wertziffer des Tenders, wenn L, das Dienstgewicht, C die Fassung an Brennstoff, W an Wasser bedeutet:
w_t=\frac{C+W}{L_t}.
Aehnliche Verhältnisse gelten bei allen übrigen Fahrzeugen des Zuges; alle
sollen mit geringem Eigengewicht grosse Ladefähigkeit vereinigen. An toter Last wird
am besten dadurch gespart, dass man sehr lange Wägen benutzt an Stelle einer Anzahl
kleiner von zusammen derselben Ladefähigkeit; man denke nur an den Wegfall der
vielen Achsen, Plattformen, Puffer, Querwände, Bremserhäuschen u.s.w. beim Ersatz
von mehreren kleinen durch einen grossen Wagen; am fühlbarsten ist die Ersparnis bei
den Frachtwägen jeder Art.
2. Sind damit die Fragen erledigt, welche sich mit dem äusseren Widerstand des Zuges
befassen, so ist noch der Luftwiderstand zu berücksichtigen. Sonderbarerweise wird
oft mit dem Begriff des „Luftwiderstandes“ derjenige des „Windes“
verwechselt; doch haben die beiden miteinander nichts zu thun.
Auch ohne „Wind“, d.h. Eigenbewegung der Luft, äussert diese naturgemäss einen
Widerstand in der Ruhe gegen das Eindringen eines bewegten Körpers, und zwar ist der
Widerstand in der Bewegungsrichtung wirksam und dem Quadrat der Geschwindigkeit
bekanntlich proportional. Etwas anderes ist der von einer Luftströmung verursachte
Winddruck, welcher allerdings nur beim Auftreffen auf die Längsseite des Zuges einen
erheblichen Betrag im Vergleich zu dem gegen die Vorderseite gerichteten Druck
erreicht. Dieser Seitendruck bewirkt das Anpressen der Spurkränze des ganzen Zuges
an die entgegengesetzte Schiene, trägt also zur Vermehrung der Reibung wesentlich
und fühlbar bei; jedoch unter allen Umständen, ob mit oder ohne Bewegung der Luft,
bleibt der Widerstand an der Vorderfläche bestehen. Wie die relative Bewegung, die
Ursache dieses Widerstandes, stattfindet, das ist freilich gleichgültig; ob der Wind
gegen den stehenden Zug, oder der laufende Zug gegen die ruhende Luft mit der
betreffenden Geschwindigkeit stösst, der Druck bleibt der gleiche, vorausgesetzt,
dass die Bewegungsrichtung dieselbe ist, d.h. dass die Bahnrichtung des Windes im
einen Fall mit derjenigen des Zuges im anderen Fall übereinstimmt.
Falsch ist es demnach zu sagen: „Da der Seitenwind nicht unschädlich gemacht
werden kann, so ist es auch ganz zwecklos, Vorkehrungen zur Verminderung des
Wider* Standes gegen die im Vergleich zur Längsfläche des Zuges verschwindend
kleine Vorderfläche der Maschine zu treffen.“
Geht man nun von der Annahme aus, der „Luftwiderstand“ des fahrenden Zuges sei
so gross als der Winddruck gegen den stehenden Zug bei gleicher Windgeschwindigkeit,
so gilt die Formel:
\frac{P}{F}=0,123\,v^2Winddruck in kg/qm,
wobei bedeutet:
F die Grösse der Projektion der vom Wind getroffenen
Vorderflächen auf die Querebene der Bewegungsrichtung, und v die Geschwindigkeit der Bewegung; ersteres in qm, letzteres in m/Sek.
Multipliziert man diese Kraft mit \frac{v}{75}, so erhält man die zur Ueberwindung des
Luftwiderstandes erforderliche Leistung in PS:
\frac{N_w}{F}=0,123\,\frac{v^3}{75}=0,00164\,v^3 in PS/qm.
Diese Leistung steigt also mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit! Ein doppelt so
schnell fahrender Zug hat die achtfache Leistung der Einheit bloss zur Ueberwindung
des Luftwiderstandes nötig:
Ein erneutes Hindernis, das sich dem Schnellbetrieb hiermit entgegensetzt, und zwar
nicht nur der Dampflokomotive, sondern jedem Fahrzug, auch dem elektrischen, und
eine weitere Erklärung für den schon bei mehreren anderen Punkten besprochenen
Umstand, dass die Steigerung der Geschwindigkeit als schwierigere Aufgabe hinter
derjenigen der Zugkraft der Lokomotive weit zurückbleiben muss!
Es ist klar, dass durch das Hinzukommen eines Windes, d.h. einer Eigenbewegung der
Luft, der Luftwiderstandnoch viel grösser werden kann, und zwar bei Seitenwind
natürlich in höherem Masse als bei Vorderwind; der Druck ist dann nach derselben
Formel zu berechnen, bei der Leistung dagegen wirkt nur die Längskomponente des
Windes voll mit; die Querkomponente, welche, wie gesagt, viel grösser ist als
erstere, wegen des grösseren Betrags von F, bewirkt nur
die oben erwähnte einseitige Reibung der Spurkränze, welche als gewisser Prozentsatz
des Drucks in die Leistung einzusetzen wäre. Eine weitere, in der Formel nicht
berücksichtigte Vergrösserung des Luftwiderstandes beruht darin, dass an der Bildung
der Widerstandsfläche F jede Querfläche innerhalb des
ganzen Zuges beteiligt ist, welche durch einen Luftraum von der benachbarten
Endfläche geschieden ist. Immerhin gibt die Formel den Mindestbetrag des
Widerstandes als brauchbaren Wert an.
Setzt man z.B. v = 30 m/Sek. (108 km/Std.), so ist
\frac{N_w}{F}=0,00164\,\cdot\,30^3=44,3^{\mbox{ PS}}/_{\mbox{qm}}.
Setzt man in grober Abrundung die Grösse der Druckfläche F = 9 qm (alles in allem), so wird
Nw = 44,3 . 9 = ∾ 400 PS,
für den Luftwiderstand bei 108 km/Std.
Es ist dies die Hälfte bis ein Drittel der ganzen Bruttoleistung!
Setzt man dagegen etwa v = 10 m/Sek. (36 km/Std.), so
wird
\frac{N_w}{F}=0,00164\,\cdot\,10^3=1,64^{\mbox{ PS}}/_{\mbox{qm}},
Nw = 9 · 1,64 =14,7 PS
im ganzen.
In nicht so starker, aber ebenfalls fühlbarer Weise wird die Zugkraft durch die
Geschwindigkeit beeinflusst von dieser Seite aus.
Es ist für v = 30 m/Sek.
\frac{P}{F}=0,123\,\cdot\,30^2=\sim\,110^{\mbox{ kg}}/_{\mbox{qm}},
also
P = F .
110 = ∾ 1000 kg Winddruck.
Dagegen für v = 10 m/Sek.
\frac{P}{F}=0,123\,\cdot\,10^2=12,3^{\mbox{ kg}}/_{\mbox{qm}},
daher
P = F . 12,3 = ∾ 110 kg Winddruck.
Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so folgt:
Bei einer Widerstandsfläche von 9 qm verursacht die Steigerung der
Zugsgeschwindigkeit von 36 auf 108 km/Std., die Erhöhung der Zugkraft von 110 auf 1000 kg
und der Leistung von etwa 15 PS auf 400 PS bloss zur Ueberwindung des
Luftwiderstandes.
Angesichts solcher Zahlen ist es selbstverständlich, dass man alle Anstrengungen
macht, um die Grösse der Druckfläche zu verringern. Nur in der Statik ist dieselbe
die Projektion aller dem Drucke unterworfenen Flächenteile auf die Querebene; in der
Dynamik hat die Gestalt dieser Teile einen wesentlichen
Einfluss auf die Grösse des Druckes. Der scharf zulaufende Schiffskörper, die
Brückenpfeiler sind dafür Anwendungen, welche längst üblich sind.
Erst in neuester Zeit ist man auf den Gedanken gekommen, die Druckschneideflächen,
deren Wirkung auf der Ablenkung des bewegten Körpers beruht, auch auf die Lokomotive
zu übertragen. Voran ging die Paris-Lyon-Mittelmeerbahn mit ihren zu einer gewissen
Berühmtheit gelangten „Schnabel“lokomotiven. Die
Vorderwand des Führerstandes ist ersetzt durch zwei schräg über die Feuerbüchse
laufende, in einer scharfen Kante sich treffende Ebenen, ähnlich ist das Kamin, der
Dom u.s.w., kurz alle hervorragenden Teile eingehüllt; die Rauchkammer ist
umschlossen von schief zusammenstossenden Blechen, nach Art einer Pflugschar. (Der
Schrägungswinkel ist durchaus 45°.)
Die Versuche haben so gute Erfolge gezeitigt, dass die
Paris-Lyon-Mittelmeerbahn überhaupt nur noch Windschneidelokomotiven für die
Beförderung ihrer Schnell- und Personenzüge baut. Andere Bahnen sind dem Beispiel
gefolgt: die französische Staatsbahn und Nordbahn, erstere an Schnellzugs–, letztere
an Tenderlokomotiven; Versuche auf der englischen Südwestbahn sind wieder aufgegeben
worden. In Deutschland ging die Pfalzbahn voraus mit der Einführung der
„Windbrecher“, besser „Luftschneiden“ zu nennen; dann kam die
badische und die sächsische Staatsbahn.
Wenn Rous-Marten (der bekannte englische
Eisenbahnfachmann) in Feilden's Magazine, S. 488 über
diese Luftschneiden das Urteil fällt „ebenso hässlich als zwecklos nach meiner
bescheidenen Meinung“, so kann man in betreff ersteren Punktes ihm
entgegenhalten: Geschmacksache!, in betreff des letzteren aber: Die Berechtigung der
Luftschneide steht ausserhalb jeden Zweifels, sobald man „Wind“ und
„Luftwiderstand“ unterscheidet und an die Wasserschneide des Schiffes und
Brückenpfeilers denkt.
Da der Widerstand der Schneideflächen nur etwa ⅗ desjenigen der Projektionsfläche
beträgt, so ist die Einrichtung sehr zu befürworten und die allgemeine Einführung
dringend zu empfehlen. Die Eleganz der Lokomotive leidet, nebenbei gesagt, nicht,
wenn die Anordnung des Ganzen sorgfältig behandelt wird; dagegen wird aber
entschieden der Lokomotive ein grosser Teil der Arbeit abgenommen, und bei der
heutigen Anstrengung derselben eine Kraftvergeudung zu ersparen, ist jedenfalls von
technischem wie von ökonomischem Interesse.
Nicht nur die Lokomotive lässt sich auf diese Art noch etwas abgewinnen, auch die
Fahrzeuge selbst können zu der Ersparnis beitragen, und zwar ist hierin eine
durchgreifende Verbesserung eingetreten durch die Einführung sehr langer Wägen auf
Drehgestellen, welche an sich schon bedeutend weniger Querflächen bei gleicher
Zuglänge aufweisen als kurze, dabei aber noch durch Faltenbälge (Harmonika) unter
sich fest verbunden sind, so dass das Volumen der trennenden Luftzwischenräume klein
wird.
Für den Dampfbetrieb ist der ideale Eisenbahnzug somit zusammengesetzt aus lauter
langen Drehgestellfahrzeugen; diese sind unter sich durch Lederbälge zu einem
einzigen sehr grossen, in einzelnen Teilen kurvengelenkigen Fernwagen vereinigt,
welcher an seinem Vorderende den Motor, eine Windbrechlokomotive stärkster Bauart
enthält.
4. Ruhiger Gang und Schonung des
Oberbaues.
Es bleibt nur noch wenig zu besprechen übrig. Was die Ruhe des Ganges betrifft, so
ist die Vermeidung der störenden Bewegungen eine Lebensfrage der Dampflokomotive.
Den Sieg wird jedenfalls auch hier die als „de
Glehn“sche bezeichnete Viercylinder-Verbundlokomotive davontragen, wo
die Massen fast vollständig ausgeglichen werden können, ohne dass Gegengewichte
nötig wären. Das durch die letzteren verursachte Springen der Räder, sowie das nach
dem Gesetz der Erhaltung des Schwerpunkts infolge der fortwährenden Verlegung der
Kolbenunvermeidliche Zucken der ganzen Lokomotive in der Längsrichtung kann bei
der Versetzung der Kurbeln umgangen werden, welche durch das erwähnte
Verbundtriebwerk bedingt ist; ebenso auch in gewissem Mass das Wanken (Drehung um
die Längsachse), da die Kreuzkopfdrücke jeder Seite sich teilweise aufheben.
Das Schlingern, d.h. die von der Versetzung der Kurbeln beim Zwillingstriebwerk
herrührende Bewegung, eine Art von Schlängeln um eine vertikale Achse, ist
neuerdings sehr vermindert worden; es wird durch kurze Radstände, wie sie früher
üblich waren, durch grosse Breiten zwischen den Cylindern sehr befördert, wie sie
bei Aussenrahmen und Aussencylindern eintreten müssen. Die totalen Radstände sind
auf 8 bis 10 m (gegen die frühere Grösse von 2,5 bis 4 m) erhöht worden; vielfach
kehrt man zu den inneren Cylindern zurück, welche in England fast ausschliesslich
angewendet werden. Abweisend gegen dieselben verhalten sich Amerika und die
preussische Staatsbahn, letztere wenigstens bei Zwillingslokomotiven durchwegs. Die
inneren Cylinder haben ja andererseits ihre bekannten Nachteile: schwere
Zugänglichkeit und Kröpfung der Welle. Letzteres ist bei den de Glehn'schen Verbundlokomotiven übrigens unvermeidlich, welche zum
Schlingern keine Neigung zeigen. Unmittelbar mit den Ursachen des Schlingerns hängt
auch das Schaukeln' der Lokomotive zusammen, welches
eine Drehung um eine horizontale Querachse bedeutet und durch überhängende Massen
verschuldet ist; dieselben werden heute möglichst vermieden, indem sowohl vor die
Cylinder wie hinter die Feuerbüchse eine stützende Achse gelegt wird.
Die langen Radstände machen natürlich Vorrichtungen zum Durchfahren der Kurven nötig,
wie Lenkachsen und Drehgestelle, welche, in Amerika von jeher üblich, jetzt in
Europa sich einbürgern, und zwar auch bei Güterzuglokomotiven, wo infolge der
grossen Leistung der Maschine, wie sie oft verlangt wird, ebenfalls tote Last
auftritt.
Endlich hängt die Ruhe des Ganges (nicht mit „Stabilität“ zu verwechseln) von
der Höhe der Kessellage ab; denn je höher der Kessel, um so langsamer das Wanken der
Lokomotive, und um so geringer das Rütteln, d.h. das Zucken in der Vertikalachse;
hochliegende Kessel schonen deshalb Oberbau, Maschine und Mannschaft, vermehren aber
auch in gewissem Mass den Luftwiderstand. Uebrigens ist die Lokomotive solange
stabil, als die Resultante aus Zentrifugalkraft und Schwerkraft die Kippkante, d.h.
den äusseren Schienenstrang nicht überschreitet.
Bei der Schonung des Oberbaues der Bahn angekommen, muss man auch den Achsdruck
gebührend beachten, welchem die Schiene schon im Ruhezustand Widerstand leisten. Für
Hauptbahnen beträgt derselbe bei uns 14 bis 16 t, in England bis 19 t, in Amerika
bis 25 t (gewöhnlich bis 21 t). Dabei ist zu bemerken, dass der Achsdruck um so
höher sein darf, je höher der Kessel liegt, was mit der vorzüglichen Wirkungsweise
der Tragfedern bei hochliegendem Kessel unmittelbar zusammenhängt.
(Fortsetzung folgt.)