Titel: | Pictet's Verfahren zur Sauerstoffgewinnung. |
Autor: | G. R. |
Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 106 |
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Pictet's Verfahren zur SauerstoffgewinnungVgl. D. p. J., 1901 316
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Pictet's Verfahren zur Sauerstoffgewinnung.
Ueber das Pictet'sche Verfahren zur
Sauerstoffgewinnung liegen nunmehr seit Bekanntgabe des englischen Patentes Nr.
19254 vom 27. Oktober 1900 nähere Mitteilungen vor.
Der Prozess bezweckt die thermomechanische Zerlegung der atmosphärischen Luft in ihre
Bestandteile, Stickstoff, Sauerstoff, Kohlensäure, namentlich aber die Gewinnung von
Sauerstoff daraus in technischem Massstabe vermittelst fraktionierter Destillation.
Er gründet sich auf die Thatsache, dass, wenn flüssige Luft verdampft, das
zuerst sich entwickelnde Gas reiner Stickstoff ist, während, nachdem neun Zehntel
der Flüssigkeit verdampft sind, das überbleibende Zehntel fast reiner Sauerstoff
ist. Durch einen, nach dem Gegenstromprinzip arbeitenden, mit einem System von
Kühlrohren ausgesetzten Kolonnenapparat wird die in ihn eintretende Luft bis zum
Verflüssigungspunkte abgekühlt und zwar durch Nutzbarmachung der Verdunstungskälte
der andererseits wieder aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand übergehenden in
dem Apparat getrennten Gase.
Um hierbei jedoch die unvermeidlichen Wärmeverluste auszugleichen, ist es
notwendig, eine fortwährende Zufuhr von Kraft aufzuwenden, und dadurch den Apparat
in steter Arbeit zu halten. Dies wird erreicht, indem man die Luft in den
Einströmungsrohren unter einem Druck von 2 bis 2½ Atmosphären eintreten lässt,
während die Ausströmung unter Atmosphärendruck stattfindet.
Der Apparat besteht aus zehn Aufsätzen, die in beistehender Figur mit 1 bis 10 bezeichnet sind.
Beim Beginne der Arbeit werden diese mit flüssiger Luft gefüllt, bis zu einer durch
ein Ueberfallrohr regulierten Höhe. Die überschiessende Flüssigkeit fliesst von
jedem Aufsatz in den darunter befindlichen ab.
In die Flüssigkeit eines jeden Aufsatzes ist ein Schlangenrohr eingelegt, wovon ein
Ende in ein mittleres senkrechtes Rohr mündet, das den ganzen Apparat durchläuft,
und als Ueberfallrohr in einer Filtriervorrichtung an dem oberen Ende des Apparates
mündet. Nach aussen zu dagegen findet jedes Rohr in einem Kühlrohre seine
Fortsetzung, das eine Reihe von Windungen rings um den Mittelraum der Kolonne macht
und dann in das Lufteinlassrohr A übergeht.
Durch wärmeisolierende Scheidewände zwischen den spiralförmig sich entwickelnden
Windungen des Kühlrohres wird bewirkt, dass die sich aus der Flüssigkeit in jedem
Aufsatz entwickelnden Gase rund um diese Windungen herumfliessen, bis sie das
Auslassrohr erreicht haben. Indem man genügend lange Rohre verwendet, kann der
Wärmeaustausch zwischen der frisch eingetretenen Luft und den entweichenden Gasen
fast durchaus vollkommen gemacht werden, so dass bei ihrem schliesslichen Entweichen
aus dem Apparat die Gase auf atmosphärischer Temperatur angelangt sind, die
eintretende Luft dagegen, wenn sie den Mittelteil des Aufsatzes erreicht hat, bis
auf eine Temperatur entsprechend dem Siedepunkte der in diesem Aufsatze enthaltenen
Flüssigkeit abgekühlt ist.
Textabbildung Bd. 317, S. 107
Die Anordnung der Rohre im Aufsatz 2 bis 9 entspricht derjenigen von Aufsatz 1 und 10.
Diese letztere steht dann unter atmosphärischem Druck, während die eintretende Luft,
wie schon bemerkt, sich unter 2 bis 2½ at Druck befindet und dementsprechend ihre
Verdichtung zu einer Flüssigkeit befördert wird. Die verflüssigte Luft tritt in das
senkrechte Mittelrohr ein und von da aus in die oben befindliche Filtrierkammer. Die
Flüssigkeit geht durch das Filter, wodurch die bei der herrschenden niederen
Temperatur fest gewordene Kohlensäure abfiltriert wird, und fliesst von da in den
obersten Aufsatz, von wo sie durch die erwähnten Ueberfallrohre nach und nach die
ganze Kolonne durchströmt.
Die durch die Kondensation der in den Apparat eintretenden Luft in dem Schlangenrohre
in Freiheit gesetzte gebundene Wärme bewirkt die Verdampfung eines entsprechenden
Betrages von Flüssigkeit in jedem Aufsatz. In dem obersten Aufsatz verdampft
fast reiner Stickstoff, und demzufolge enthält die in den zweitobersten Aufsatz
überströmende Flüssigkeit schon einen verhältnismässig grösseren Betrag an
Sauerstoff als gewöhnliche Luft. Diese Anreicherung an Sauerstoff setzt sich in dem
ganzen Apparate fort. Die schliesslich in dem untersten Aufsatz ankommende
Flüssigkeit enthält dann sogar über 90 % Sauerstoff. Die vereinigten Destillate der
fünf obersten Aufsätze enthalten 90 % Stickstoff. In Aufsatz 6 und 7 haben Stickstoff und Sauerstoff
ungefähr das gleiche Verhältnis wie in der gewöhnlichen Luft. Die vereinigten
Destillate der drei unteren Aufsätze enthalten ungefähr 55 % Sauerstoff.
Erforderlichenfalls kann auch das Destillat des alleruntersten Aufsatzes mit über 90
% Sauerstoff besonders abgezapft werden. Aber für manche industriellen Zweige,
insbesondere für Feuerungsanlagen, metallurgische Betriebe u.s.w., genügt das
vereinigte Destillat der drei untersten Aufsätze schon allen Anforderungen, die man
an reinen Sauerstoffgehalt stellen kann.
Es ist notwendig, dass die Luft, bevor sie in den Apparat eintritt, ganz frei von
Feuchtigkeit sei, die sich niederschlagen und die Rohre verstopfen würde. Die
Feuchtigkeit wird deshalb dadurch entfernt, dass die Luft vor dem Eintritt in den
Apparat soweit gekühlt wird, dass das in ihr enthaltene Wasser gefriert und demnach
vollständig ausgeschieden wird.
Vor dem Ausfrieren des Wassers findet auch noch eine Reinigung der Luft von Staub u.
dgl. durch Filtration mittels Baumwolle statt, die sich als Filtermasse zwischen
zwei durchlöcherten Platten befindet; es folgt dann die Kompression, hierauf das
Ausfrieren des Wassers, und dann tritt die so vorbereitete Luft in den eigentlichen
Trennungsprozess ein.
Die folgenden Punkte gibt der Erfinder in der Patentschrift als bezeichnend für sein
Verfahren an:
1. Die Luft wird filtriert, zusammengedrückt und von Wasser befreit.
2. Die trockene und unter Druck stehende Luft wird auf die Temperatur ihrer
Verflüssigung abgekühlt, nämlich auf ungefähr –194° C.
3. Die verflüssigte Luft wird filtriert, um die feste Kohlensäure aus ihr
abzuscheiden.
4. Die filtrierte flüssige Luft wird verdampft, um zunächst den flüchtigeren
Bestandteil, nämlich den Stickstoff aus ihr abzuscheiden, während nach diesem erst
der weniger flüchtige Bestandteil, nämlich der Sauerstoff, in Freiheit gesetzt
wird.
5. Die Verdunstungskälte der flüssigen Luft wird nutzbar gemacht zur Verflüssigung
der komprimierten Luft.
6. Eine selbstthätige Vorrichtung ermöglicht es, den zur Verflüssigung der Luft
nötigen Druck so zu regulieren, dass eine ununterbrochene Arbeit des Apparates
erzielt wird.
7. Eine Vorrichtung, die nur bei Beginn der Arbeit einmal in Gang gesetzt zu werden
braucht, bewirkt, dass Stickstoff und Sauerstoff den Apparat in dem Grade der
Reinheit verlassen, der für den betreffenden industriellen Verwendungszweck
gewünscht wird. Sie verhindert zugleich das Entweichen von Gasmischungen, die der
Zusammensetzung der gewöhnlichen atmosphärischen Luft zu nahe kommen.
Die Erfinder hoffen, dass eine Anlage, die 500 t Luft täglich verarbeitet, 110 t
eines Destillates von mehr als 50 % Sauerstoff liefern, zugleich mit ungefähr ¼ t
fester Kohlensäure.
Ohne den Wert letzterer zu rechnen, würden die Kosten 50 %igen Sauerstoffs,
einschliesslich der allgemeinen Unkosten und der Verzinsung der Anlage nicht mehr
als ungefähr 45 Pf. auf das Kubikmeter betragen. Würde man dagegen 90 %igen
Sauerstoff herstellen wollen, so würden diese Kosten etwa 1 M. das Kubikmeter
sein.
Die für eine solche Anlage aufzuwendende Kraftanlage würde 700 PS liefern müssen, von
denen etwa 100 PS für den Kühlapparat erforderlich wären, der dazu dient, die Luft
von Feuchtigkeit zu befreien.
G. R.