Titel: | Die Biegungslehre gerader Stäbe mit veränderlichem Dehnungskoeffizienten. |
Autor: | W. Schüle |
Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 149 |
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Die Biegungslehre gerader Stäbe mit veränderlichem Dehnungskoeffizienten.
Von W. Schüle, Ingenieur, Oberlehrer in Breslau.
Die Biegungslehre gerader Stäbe mit veränderlichem Dehnungskoeffizienten.
Schon vor einer Reihe von Jahren ist von C. v. Bach
die Unrichtigkeit der gewöhnlichen Biegungsformeln für Gusseisen und Steine
hervorgehoben und durch Versuche klargestellt wordenVgl. z.B. Zeitschrift des Vereins deutscher
Ingenieure, 1888 S. 193 ff.. Die
Ursache liegt in der Veränderlichkeit des Dehnungskoeffizienten mit der Spannung,
die schon für Gusseisen recht erheblich und bei vielen Gesteinsarten, besonders
Granit und Sandstein, so bedeutend ist, dass die Biegungsspannungen und
Durchbiegungen nach dem alten Verfahren nicht einmal annähernd richtig berechnet
werden können.
Die Aufstellung von allgemeiner gültigen Biegungsformeln setzt die Kenntnis der
Gesetze der Zug- und Druckelastizität voraus. Durch die Versuche von G. v. Bach war es möglich geworden, eine allgemeine
Formel für die Elastizität aufzustellen und damit war die Grundlage für die
erweiterte Biegungstheorie gegeben. Zwei Hauptaufgaben hat diese in erster Linie zu
lösen. Sie hat zu zeigen, dass die grösste Zugspannung beim Bruch durch Biegung
ebenso gross ist wie die Zugfestigkeit des Materials, gewonnen aus Zugversuchen –
oder auch das Gegenteil davon; und sie hat anzugeben, wie für eine beliebige äussere
Last die grösste Spannung und die Durchbiegung zu berechnen ist. Die Biegungstheorie
kann nur unter den zwei Annahmen entwickelt werden, dass die Querschnitte, sofern
man von den Schubkräften absieht, bei der Biegung eben bleiben, und dass die Zug-
und Druckelastizität der gebogenen Fasern dieselbe ist, wie unter gewölnlicher Zug-
und Drucklast. Die Richtigkeit dieser Annahmen würde als erwiesen gelten müssen,
sobald es gelingt, mit Hilfe bekannter Dehnungskoeffizienten für Zug und Druck die
Durchbiegung eines gebogenen Balkens für eine Reihe von Lasten im voraus zu
berechnen. Direkte Messungen zur Prüfung beider Annahmen liegen zwar vor (vgl. die
Untersuchungen von Barlow und Föppl, Ueber die Lagen der Nullachse im gebogenen Stab); sie sind aber
wegen der Kleinheit der fraglichen Grössen und wegen der grossen Schwierigkeit,
diese genau zu messen, nicht über alle Zweifel erhaben, wie aus den Abhandlungen der
letzten Jahre über den Gegenstand zu schliessen istDesgl. 1899 S. 205 ff..
In der IV. Auflage von C. Bach, Elastizität und
Festigkeit, S. 242 ff, ist nun ein Versuch mitgeteilt, der sich zur
Ausführung der indirekten Prüfung der allgemeinen Biegungstheorie vorzüglich eignet,
und diese Prüfung soll u.a. im folgenden durchgeführt werden.
Bis jetzt liegt, nach Wissen des Verfassers, eine weiter ausgebaute Theorie nicht
vor. Es sind zwar Biegungsformeln unter Anwendung des Potenzgesetzes entwickelt
worden (von Latowski und Ensslin), sie enthalten aber keine explizite Darstellung der Lage der
Neutralachse als Funktion des Momentes und ermöglichen deshalb die Berechnung der
Biegungslinie nicht. Die Theorie muss daher im folgenden von Grund aus entwickelt
werden. Sie wird die schätzbaren Ergebnisse der erwähnten Entwickelungen enthalten,
im übrigen aber einen Schritt nach vorwärts thun müssen.
Der einfachste Fall der Spannungsverteilung in einem gebogenen Stab mit
rechteckigem Querschnitt kann unter Zugrundlegung der erwähnten Annahmen graphisch
genau gelöst werden, sobald die Linienzüge der Zug- und Druckelastizität bekannt
sind, ohne dass man diese analytisch zu fassen braucht. In C. Bach, Elastizität und Festigkeit, IV. Aufl., ist das Verfahren
mitgeteilt. Das Resultat ist, dass bei Gusseisen die grösste Zugspannung beim Bruch
fast genau mit der gewöhnlichen Zugfestigkeit übereinstimmt. Für andere Querschnitte
versagt aber das Verfahren und auch der zweite Teil der oben gestellten Aufgabe,
dessen Lösung die Grundlagen des ersten zu rechtfertigen hat, steht noch aus.
Ohne einen speziellen analytischen Ausdruck für die Dehnungslinien ist die Lösung
nicht möglich. Von vornherein hat ein solcher Ausdruck zwei Bedingungen gerecht zu
werden. Er muss die Resultate der Dehnungsversuche möglichst genau wiedergeben, d.h.
er muss möglichst richtig sein, und er muss in der
Richtung zweckmässig sein, dass er die nötigen
analytischen Entwickelungen nicht durch seine Form verhindert. Deutlich zeigte sich
nach Aufstellung der Dehnungsformel ε = ασm, dass diese zwei
Anforderungen zu befriedigen sind, an den Kritiken, die über diese Formel laut
wurden. Ihre Richtigkeit wurde von technischer und physikalischer, ihre
Zweckmässigkeit von mathematischer Seite bestritten. Beide Vorwürfe werden im
folgenden zu würdigen sein, ehe das Potenzgesetz als Grundlage der Biegungstheorie
gewählt wird.
Das Dehnungsgesetz.
Das Potenzgesetz ist ein mathematischer Ausdruck, der die elastischen Dehnungen
innerhalb der für die Technik nach oben und unten gezogenen Grenzen sehr genau zum
Ausdruck bringt (vgl. C. Bach, Elastizität und
Festigkeit), und zwar für alle bisher untersuchten Stoffe, ausgenommen die
Druckelastizität von Marmor und Kautschuk. Dies muss als festliegend gelten. Bei
seiner Aufstellung war das Bestreben massgebend, den Versuchsresultaten so viel wie
irgend möglich gerecht zu werden. Für die gezogenen Grenzen ist daher an der Richtigkeit des Potenzgesetzes nicht zu zweifeln und
keine andere bis jetzt bekannt gewordene Formel gibt eine bessere
Uebereinstimmung.
Bei Spannungen, die meist höher liegen als technisch gebräuchliche, zeigen fast alle
Versuche zum Teil merkliche, zum Teil sehr bedeutende Abweichungen vom Potenzgesetz.
Von dem Verfasser ist nachgewiesen wordenZeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
1898 S. 855 ff., dass die Wendepunkte der Dehnungslinien für
Druck und die starken Krümmungen für Zug, die sich bei hohen Spannungen einstellen,
bei allen Versuchen durch ein quadratisches Zusatzglied zur Potenzformel sehr genau
dargestellt werden, ohne dass sich der Exponent der einfachen Potenzformel
wesentlich ändert; auch für Marmor und Kautschuk gilt dasselbe und dadurch wird für
kleine Spannungen das Bestehen des Potenzgesetzes für diese Stoffe, die sonst eine
Ausnahme bildeten, höchst wahrscheinlich
gemachtZeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
1898 S. 855 ff.. Auch dieses Zusatzglied, mit welchem die bis zu
den höchsten Pressungen gültige Elastizitätsgleichung die Form σ = aεk – hε2 annimmt, verdankt seine Entstehung dem
Bestreben, einen möglichst genauen und gemeinsamen Ausdruck für alle scheinbar so
widersprechend laufenden Dehnungslinien, gültig für das ganze gemessene Gebiet, zu
finden. Seine Richtigkeit kann ebensowenig bezweifelt werden, wie die des
Potenzgesetzes in seinem Bereich.
Textabbildung Bd. 317, S. 150
Fig. 1. Biegungsversuch mit Gusseisen von Kohlrausch und Grüneisen.
σb = 0,173 kg/qcm bei 0,1 g Belastung bis σb = 86,5 kg/qcm bei 50 g Belastung.
Die grössten Bedenken erweckte aber das Verhalten der Potenzkurve beim Durclgang
durch die Spannung 0. Dort wird \frac{d\,\varepsilon}{d\,\sigma}=0, gegen den Ursprung hin würde also das
Material immer weniger elastisch werden. Das ist richtig, wenn auch \frac{d\,\varepsilon}{d\,\sigma}=0 für
m{{>1}\atop{<2}} keine Berührung im gewöhnlichen Sinne, sondern einen sogen.
Wendespitzpunkt oder Rückkehrpunkt ausdrückt, und die Spannungsachse weit weniger
innig berührt wird als bei zweipunktiger Anschmiegung. Bei Gusseisen ergaben aber
die kleinsten Dehnungen bei 10 bis 20 kg/qcm Spannung (100 bis 200 g pro 1 qmm) noch keine
Abweichung vom Potenzgesetz, desgleichen für Granit Druck bei 14 kg, Zug bei 3,5 kg,
bei Cement und Beton Druck bei 8 kg, bei Leder bei I kg, bei Marmor Zug bei 3,6 kg,
bei Sandstein bei 1,7 kg. Dies sind jeweils die kleinsten der bei dem betreffenden
Material benutzten Spannungen. Und so wenig war bei den kleinsten Spannungen irgend
eine. Abweichung zu erkennen, dass vielmehr die Uebereinstimmung der Dehnungskurve
mit der Potenzkurve um so besser wird, je kleiner die Spannungen sindDesgl. 1898 S. 855 ff.. Bezüglich des alten Dogmas, nach welchem
die Proportionalität um so genauer zutreffen müsse, je kleiner die Spannungen sind,
ist übrigens ohne Rechnung aus der Form der Dehnungslinien zu entnehmen, dass es
nichts weiter als eine falsche Annahme ist.
Es liegt aber zunächst kein Grund vor zu behaupten, die Dehnungslinie müsse auch bei
kleineren als den kleinsten gemessenen Spannungen dem Potenzgesetz folgen; denn die
Interpolation, die dabei nötig wird, gestattet keinen ganz sicheren Schluss. Aber
eine Strecke weit unterhalb der kleinsten Spannungen gilt das Potenzgesetz nach dem
Obigen noch mit Sicherheit und damit wird das fragliche Gebiet sehr eng umgrenzt –
auf die Spannungen zwischen 3 und 6 kg/qcm (30 bis 60 g pro 1 qmm). Das ganz auffallende
Verhalten der Potenzkurven, besonders für Werte von m
sehr nahe bei 1 erkennt man nicht so gut an dieser Kurve selbst als an der Kurve
\left(\frac{d\,\varepsilon}{d\,\sigma}\right)=\alpha\,m\,\sigma^{m-1} oder an \left(\frac{\varepsilon}{\sigma}\right)=\alpha\,\sigma^{m-1}, welche die Veränderlichkeit des
Elastizitätsmodulus anzeigen. Bis nahe vor den Ursprung läuft diese Linie fast
parallel der Spannungsachse und macht dann eine plötzliche Wendung, um steil
abzufallen. Das ist zweifellos ein Verhalten, das zum Widerspruch reizt, so lange es
nicht gelingt, einen derartigen Verlauf durch Versuche zu konstatieren.
Durch Biegung sehr dünner Stäbe lassen sich schon bei sehr kleinen Spannungen
messbare Formänderungen hervorbringen, aus denen, wenigstens überschlägig, auf das
elastische Verhalten gegen Zug und Druck geschlossen werden kann. Ein solcher
Versuch, der ja mehr physikalisches als technisches Interesse hat, aber für die
vorliegende Frage von Bedeutung ist, ist von Kohlrausch
und Grüneisen ausgeführt wordenUeber die durch sehr kleine elastische
Verschiebungen entwickelten Kräfte. Sitzungsbericht der Kgl.
Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Sitzung vom 14.
November 1901).. Ein 20 mm breiter, 2 mm starker, 922 mm langer
Gusseisenstab wurde in der Mitte durch Biegungskräfte von 0,1 bis 50 g belastet, was
grössten Spannungen von 0,173 bis 86,5 kg/qcm entspricht. In Fig.
1 ist die Linie gezeichnet, Welche zu Abscissen die Belastungen, zu
Ordinaten das Verhältnis der Durchbiegung zur Belastung hat und durch ihren Verlauf
die Veränderlichkeit des Dehnungskoeffizienten erkennen lässt. Sie läuft gerade so
auffallend, wie die Potenzkurve es verlangt. Durch eine ungefähr parallel
gezeichnete Potenzkurve mit dem Exponenten 0,008 ist dies noch mehr verdeutlicht.
Hiermit ist der Beweis erbracht, dass auch bei diesen kleinsten Spannungen das
Potenzgesetz noch richtig ist, was übrigens die Verfasser selbst rechnerisch
erwiesen habenDie Elastizität des Gusseisens ist bekanntlich für Zug und Druck verschieden.
Infolgedessen muss unter Zugrundlegung des Potenzgesetzes das Biegungsgesetz
der Beziehungy = A . Pm' + B .
Pm''folgen und nicht der einfachen Potenzforrn. Bei
Beachtung dieses Umstandes hätten die Verfasser noch eine wesentlich bessere
Uebereinstimmung mit dem Potenzgesetz erhalten. Gerade für die kleinsten
Werte lässt sich die Summenform am wenigsten genau durch die einfache Form
ersetzen..
Strittig bleibt danach nur das Gebiet zwischen etwa 0,1 kg/qcm (1 g pro 1
qmm) und 0. Vom physikalischen Standpunkt aus nehmen die Verfasser an, dass hier
doch noch eine Abweichung vom Potenzgesetz zu vermuten sei. Vom technischen
Standpunkt ist das Verhalten des Materials bei so kleinen Spannungen, die meist von
den Gewichtsund sonstigen Nebenspannungen weit übertroffen werden, völlig
gleichgültig; das Für oder Wider ist für die folgenden Betrachtungen ohne Belang.
Die Potenzformel muss aber für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, auf das
gänzlich unerwartete elastische Verhalten fester Körper bei sehr kleinen Spannungen
zuerst aufmerksam gemacht zu haben und selbst der erste sehr zutreffende Ausdruck
dafür zu seinDass die Potenzformel auch Verschiedenheiten in der Zusammensetzung des
Materials sehr deutlich zum Ausdruck bringt, ist in C. v. Bach, Elastizität und Festigkeit, III. Aufl. S. 57, IV.
Aufl. S. 65, hervorgehoben.. Wenn weitere Versuche zeigen
sollten, dass das obige Resultat nur für Gusseisen gelte, sodwürde darunter die
Brauchbarkeit der Formel ε = ασm für technische Rechnungen nicht
leiden.
Was schliesslich die Zweckmässigkeit der für
Biegungsrechnungen zu verwendenden Funktion betrifft, so sind von vornherein die
Formen im Nachteil, in welchen die Spannung g nicht
explizit vorkommt. Der Grund ist, dass bei der Biegungstheorie von einem bekannten
Formänderungsgesetz (Ebenbleiben der Querschnitte) ausgegangen wird. Die
Gleichungen
ε = ασ + βσ2+ γσ3 (J. O. Thompson)
ε = ασ + β . σ1,5 (Kohlrausch und Grüneisen)
scheiden aus diesem Grund vollständig aus. Es ist ganz
unmöglich, mit ihnen brauchbare Biegungsrechnungen anzustellen. Dieser Umstand wird
namentlich von den Physikern leicht übersehen.
Die von R. Mehmke vorgeschlagene Form ε = ασ + βσ2 macht
Schwierigkeiten, da schon durch Auflösung nach g
Quadratwurzeln entstehen; die Bestimmung der Durchbiegung wird sie nicht gestatten.
Die Form σ = αε + bε2 führt auf eine nicht allgemein lösbare Gleichung
vom 6. Grad für die Lage der Neutralachse und erfüllt den Zweck auch nicht. Dagegen
leistet die Potenzformel ε = ασm für den rechteckigen Balken
alles Gewünschte und gibt verhältnismässig kurz gebaute Formeln. Wir machen daher
diese Formel zur Grundlage der nun folgenden Biegungsrechnungen.
Die Gleichungen für den gebogenen Stab auf Grund von ε = ασm.
Bezeichnungen:
σ1
die Zugspannung im Abstand η1 von der Neutralachse,
σ2 „ Druckspannung „ „ η2 „ „ „
ε1
und ε2 die
entsprechenden Dehnungen,
m1
der Exponent der Zugelastizität,
m2 „ „ „ Druckelastizität,
α1
und α2 die zugehörigen
Elastizitätsfaktoren,
c1
und c2 die Entfernungen
der am weitesten entlegenen Zug- und Druckfasern von der NN-Achse,
M das Biegungsmoment des
beliebigen Querschnitts,
df ein Flächenstreifen parallel
der NN-Achse.
Der Einfachheit der Formeln wegen wird ferner eingeführt
k_1=\frac{1}{m_2}\ k_2=\frac{1}{m_2}
a_1=\left(\frac{1}{\alpha_1}\right)^{k_1}\ a_2=\left(\frac{1}{\alpha_2}\right)^{k_2}
entsprechend der reziproken Form σ =
aεk des Dehnungsgesetzes.
Gleichgewichtsbedingungen.
1. Kräfte längs der Balkenachse
\int\limits_0^{e_1}\,\sigma_1\,\cdot\,d\,f=\int\limits_0^{e_2}\,\sigma_2\,\cdot\,d\,f . . . . . I)
2. Momente um die Neutralachse
\int\limits_0^{e_1}\,\sigma_1\,d\,f\,\cdot\,\eta_1+\int\limits_0^{e_2}\,\sigma_2\,d\,f\,\cdot\,\eta_2=M . . . . . II)
Unter der Voraussetzung ebenbleibender Querschnitte ist ferner
\varepsilon_1=\frac{\eta_1}{q_1}\ \varepsilon_2=\frac{\eta_2}{q_1},
wo q1 der Krümmungsradius der durch die neutrale Schicht gehenden Längsfasern
ist. Mit den Dehnungsgesetzen
σ1 =
a1
εk1 σ2
= a2
εk2
folgt hieraus
\sigma_1=\frac{a_1}{q_1^{k_1}}\,\cdot\,\eta_1^{k_1}\ \sigma_2=\frac{a_2}{q_1^{k_2}}\,\cdot\,\eta_2^{k_2}.
Damit wird aus I)
\frac{a_2}{q_1^{k_2}}=\frac{a_1}{q_1^{k_1}}\,\cdot\,\frac{\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1}\,d\,f}{\int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2}\,d\,f} . . . . . III)
und aus Gleichung II)
\frac{a_1}{q_1^{k_1}}\,\cdot\,\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1+1}\,d\,f+\frac{a_2}{q_1^{k_2}}\,\cdot\,\int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2+1}\,d\,f=M . IV)
Mit III) geht IV) über in
\frac{a_1}{q_1^{k_1}}\,\cdot\,\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1+1}\,d\,f+\frac{a_1}{q_1^{k_1}}\,\cdot\,\frac{\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1}\,d\,f}{\int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2}\,d\,f}\,\cdot\,\int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2+1}\,d\,f=M.
Zur Abkürzung wird gesetzt
\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1}\,d\,f=\frakfamily{M}_1\ \int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2}\,d\,f=\frakfamily{M}_2
\int\limits_0^{e_1}\,\eta^{k_1+1}\,d\,f=J_1\ \int\limits_0^{e_2}\,\eta^{k_2+1}\,d\,f=J_2
Dann wird
J_1+\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\,\cdot\,J_2=M\,\cdot\,\frac{q_1^{k_1}}{a_1}
oder
q_1=\left(\frac{a_1}{M}\,\cdot\,\left[J_1+\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\,\cdot\,J_2\right]\right)^{\frac{1}{k_1}} . . V)
und aus III)
q_1=\left(\frac{\frakfamily{M}_2}{\frakfamily{M}_1}\,\cdot\,\frac{a_2}{a_1}\right)^{\frac{1}{k_2-k_1}} . . . . VI)
Durch Gleichsetzen von V) und VI)
J_1+\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\,\cdot\,J_2=M\,\cdot\,\left(\frac{\frakfamily{M}_2}{\frakfamily{M}_1}\right)^{\frac{k_1}{k_2-k_1}}\,\cdot\,\left(\frac{a_2^{k_1}}{a_1^{k_1}}\right)^{\frac{1}{k_2-k_1}} VII)
Diese Gleichung bestimmt die Lage der Neutralachse für ein gegebenes Moment oder
umgekehrt. Mit Beachtung von V) ergibt sich auch die Spannung
\sigma_{1\,max}=\frac{M}{J_1+\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\,\cdot\,J_2}\,\cdot\,e_1^{k_1}.
Setzt man noch
J=J_1+\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\,\cdot\,J_2,
so wird die grösste Zugspannung
\sigma_{1\,max}=\frac{M}{J}\,\cdot\,e_1^{k_1} . . . . VIII)
und die grösste Druckspannung
\sigma_{2\,max}=\frac{M}{J}\,\cdot\,\left(\frac{\frakfamily{M}_1}{\frakfamily{M}_2}\right)\,e_2^{k_2}.
Diese Formeln sind genau wie die übliche Biegungsformel gebaut und gehen mit m1 = m2 = 1 und a1 = a2 direkt in diese
über. Bevor wir zeigen, wie sich aus diesen noch ganz allgemeinen Gleichungen für
beliebige Querschnitte die gesuchten Grössen ermitteln lassen, gehen wir zum Balken
mit rechteckigem Querschnitt über.
Der Balken mit rechteckigem Querschnitt.
Man erhält mit b als Breite, h als Höhe des Querschnitts
M_1=\frac{b}{k_1+1}\,\cdot\,e_1^{k_1+1}\ \ M_2=\frac{b}{k_2+1}\,\cdot\,e_2^{k_2+1}
J_1=\frac{b}{k_1+2}\,\cdot\,e_1^{k_1+2}\ \ J_2=\frac{b}{k_2+2}\,\cdot\,e_2^{k_2+2}.
Damit wird
J=b\,\cdot\,\frac{e_1^{k_1+1}}{(k_1+2)\,(k_1+1)\,(k_2+2)}
\cdot\,\{(k_1+1)\,(k_2+2)\,\cdot\,e_1+(k_2+1)\,(k_1+2)\,\cdot\,e_2\}
Mit
e_1=\frac{h}{2}+v=\frac{h}{2}\,\cdot\,\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)
e_2=\frac{h}{2}-v=\frac{h}{2}\,\cdot\,\left(1-\frac{2\,v}{h}\right)
wird
J=b\,\cdot\,\frac{\left(\frac{h}{2}\right)^{k_1+2}\,\cdot\,\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{k_1+1}}{(k_1+2)\,(k_1+1)\,(k_2+2)}
\cdot\,[(k_1+1)\,(k_2+2)+(k_2+1)\,\cdot\,(k_1+2)]
\cdot\,\left\{1+\frac{2\,v}{h}\,\cdot\,\frac{k_1-k_2}{(k_1+1)\,(k_2+2)+(k_2+1)\,(k_1+2)}\right\}.
Das zweite Glied der Klammer ist für die gewöhnlichen Werte von \frac{2\,v}{h}, k1 und k2 sehr klein gegen 1.
So ist z.B. mit \frac{2\,v}{h}=0,1, d.h. 10 % Verschiebung der Neutralachse und k1 = 0,7, k2 = 0,9 sein Wert nur
– 0,002.
Bei gänzlicher Vernachlässigung wird J nur um 0,2 % zu
klein; für kleinere Werte von v ist der Fehler noch
unbedeutender. Wir lassen daher dieses Glied weg und setzen
J=b\,\cdot\,\left(\frac{h}{2}\right)^{k_1+2}\,\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{k_1+1}
\cdot\,\frac{(k_1+1)\,(k_2+2)+(k_2+1)\,(k_1+2)}{(k_1+2)\,(k_1+1)\,(k_2+2)}.
Mit diesem Wert wird die Bestimmungsgleichung VII) für v
\frac{\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{k_2\,(k_1+1)}}{\left(1-\frac{2\,v}{h}\right)^{k_1\,\cdot\,(k_2+1)}}=\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{k_2-k_1}\,\cdot\,\frac{a_2^{k_1}}{a_1^{k_2}}\,\cdot\,\frac{(k_1+1)^{k_2}}{(k_2+1)k_1} 1)
worin
\psi=\frac{(k_1+1)\,(k_2+2)+(k_2+1)\,(k_1+2)}{(k_1+2)\,(k_2+2)} . . . 2)
Gleichung 1) ist nach v nicht allgemein lösbar. Für die
in Frage kommenden Werte von \frac{2\,v}{h}, k1 und k2 lässt sich aber eine sehr genaue allgemeine
Näherungslösung angeben. Wird gesetzt
\frac{\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{k_2\,(k_1+1)}}{\left(1-\frac{2\,v}{h}\right)^{k_1\,(k_2+1)}}=\left(\frac{1+\frac{2\,v}{h}}{1-\frac{2\,v}{h}}\right)^k,
so müsste, wenn vorübergehend \frac{2\,v}{h}=u gesetzt wird, ferner
k2 . (k1 + 1) = k' und k1 . (k2 + 1) = k''
k=\frac{k'\,\cdot\,log\,(1+u)-k''\,log\,(1-u)}{log\,(1+u)-log\,(1-u)} . . . 3)
sein. Werden für die Logarithmen die Reihen eingesetzt, die
wir beim 3. Glied abbrachen, so ergibt sich
k=\frac{k'+k''}{2}+(k''-k')\,\cdot\,\frac{u}{4\,\left(1+\frac{u^2}{3}\right)}.
Für k1 = 0,7, k2 = 0,9, u = 0,1 wird nun
k = 1,43 – 0,005.
Man begeht daher nur einen Fehler von 0,4 %, wenn man
k=\frac{k'+k''}{2}=\frac{1}{2}\,\cdot\,\{k_2\,\cdot\,(k_1+1)+k_1\,\cdot\,(k_2+1)\} 4)
setzt.
Hiermit ergibt die Gleichung 1)
\frac{1+\frac{2\,v}{h}}{1-\frac{2\,v}{h}}=\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2-k_1}{k}}\,\cdot\,\left(\frac{a_2}{k_2+1}\right)^{\frac{k_1}{k}}\,\cdot\,\left(\frac{k_1+1}{a_1}\right)^{\frac{k_2}{k}}.
Wird gesetzt
\lambda=\left(\frac{a_2}{k_2+1}\right)^{\frac{k_1}{k}}\,\cdot\,\left(\frac{k_1+1}{a_1}\right)^{\frac{k_2}{k}} . . . 4)
so folgt
\frac{1+\frac{2\,v}{h}}{1-\frac{2\,v}{h}}=\lambda\,\cdot\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2-k_1}{k}}
und hiermit
\frac{2\,v}{h}=\frac{\lambda\,\cdot\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2-k_1}{k}}-1}{\lambda\,\cdot\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2-k_1}{k}}+1} . . . 5)
Damit ist die Lage der Neutralachse für das Biegungsmoment M bestimmt. Leicht folgen jetzt die grössten Spannungen
\sigma_{1\,max}=\frac{M}{\frac{b\,h^2}{4}}\,\cdot\,\frac{k_1+1}{\psi}\,\cdot\,\frac{1}{1+\frac{2\,v}{h}},
mit Gleichung 5)
\sigma_{1\,max}=\frac{k_1+1}{2}\,\cdot\,\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\,\cdot\,\left[1+\frac{1}{\lambda}\,\cdot\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_1-k_2}{k}}\right] 6)
und die grösste Druckspannung
\sigma_{2\,max}=\frac{k_2+1}{2}\,\cdot\,\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\,\cdot\,\left[1+\frac{1}{\lambda}\,\cdot\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2-k_1}{k}}\right] 7)
Die Durchbiegung.
Der Krümmungsradius der Balkenachse ist q = q1 + v. Man hat daher, wenn y
die Durchbiegung eines beliebigen Punktes im Abstand x
vom Einspannpunkt des am Ende durch P belasteten
Freiträgers ist
\frac{d^2\,y}{d\,x^2}=\frac{1}{q_1+v}=\,\sim\,\frac{1}{q_1}\,\cdot\,\left(1-\frac{v}{q_1}\right).
Nun ist v unter allen Umständen sehr klein gegen q1 so dass wir
\frac{d^2\,y}{d\,x^2}=\frac{1}{q_1}
setzen. Hieraus ist durch zweimalige Integration y zu bestimmen.
Aus VI) folgt mit
\frac{\frakfamily{M}_2}{\frakfamily{M}_1}=\frac{k_1+1}{k_2+1}\,\cdot\,\left(\frac{h}{2}\right)^{k_2-k_1}\,\cdot\,\frac{\left(1-\frac{2\,v}{h}\right)^{k_2+1}}{\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{k_1+1}}
q_1=\frac{h}{2}\,\cdot\,\left(\frac{k_1+1}{k_2+1}\,\cdot\,\frac{a_2}{a_1}\right)^{\frac{1}{k_2-k_1}}\,\cdot\,\frac{\left(1-\frac{2\,v}{h}\right)^{\frac{k_3+1}{k_2-k_1}}}{\left(1+\frac{2\,v}{h}\right)^{\frac{k_1+1}{k_2-1}}}
und mit 5)
\left{{\frac{1}{q_1}=\frac{1}{h}\,\cdot\,\left(\frac{a_2}{a_1}\,\cdot\,\frac{k_1+1}{k_2+1}\right)^{\frac{1}{k_2-k_1}}\,\cdot\,\lambda^{\frac{k_2+1}{k_2-k_1}}}\atop{\cdot\,\left\{\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2+1}{k}}+\frac{1}{\lambda}\,\left(\frac{M}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_1+1}{k}}\right\}}}\right\}\
.\ 8)
Das Biegungsmoment ist M = P . (l – x),
wenn l die Balkenlänge, P
die Biegungskraft am freien Ende ist. Setzen wir zur Vereinfachung noch
\frac{1}{A}=\left(\frac{a_1}{a_2}\,\cdot\,\frac{k_2+1}{k_1+1}\right)^{\frac{1}{k_2-k_1}}\,\cdot\,\lambda^{\frac{k_2+1}{k_2-k_1}} . . . 9)
so wird
\left{{\frac{1}{q}=\frac{1}{A\,\cdot\,h}\,\cdot\,\left\{\left(\frac{P}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2+1}{k}}\,\cdot\,(l-x)^{\frac{k_2+1}{k}}\right}\atop{\left+\frac{1}{\lambda}\,\cdot\,\left(\frac{P}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_1+1}{k}}\,\cdot\,(l-x)^{\frac{k_1+1}{k}}\right\}}}\right\}
Wir setzen hierin
p_1=\left(\frac{P}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_1+1}{k}}\ \ \ p_2=\left(\frac{P}{\psi\,\frac{b\,h^2}{4}}\right)^{\frac{k_2+1}{k}} 10)
und ferner
k_3=\frac{k_1+1}{k}\ \ k_4=\frac{k_2+1}{k} . . . 11)
so wird die Differentialgleichung der Biegungslinie
h\,\cdot\,A\,\cdot\,\frac{d^2\,y}{d\,x^2}=\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,(l-x)^{k_3}+p_2\,\cdot\,(l-x)^{k_4}
daher
h\,\cdot\,A\,\cdot\,\frac{d\,y}{d\,x}
=-\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{k_3+1}\,\cdot\,(l-x)^{k_3+1}-\frac{p_2}{k_4+1}\,\cdot\,(l-x)^{k_4+1}+C_1
und
h\,\cdot\,A\,\cdot\,y=\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{(k_3+1)\,(k_3+2)}\,\cdot\,(l-x)^{k_3+2}
+\frac{p_2}{(k_4+1)\,(k_4+2)}\,\cdot\,(l-x)^{k_4+2}+C_1\,x+C_2.
Zur Bestimmung von C1
und C2 dienen die
Bedingungen
\frac{d\,y}{d\,x}=0 für x = 0
y = 0 für x
= 0
und damit folgt
C_1=\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{k_3+1}\,\cdot\,l^{k_3+1}+\frac{p_2}{k_4+1}\,\cdot\,l^{k_4+1}
C_2=-\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{(k_3+1)\,(k_3+2)}\,\cdot\,l^{k_3+2}-\frac{p_2}{(k_4+1)\,(k_4+2)}\,\cdot\,l^{k_4+2}.
Die Gleichung der Biegungskurve lautet also
h\,\cdot\,A\,\cdot\,y=\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{(k_3+1)\,(k_3+2)}\,\cdot\,\{(l-x)^{k_3+2}-l^{k_3+2}\}
+\frac{p_2}{(k_4+1)\,(k_4+2)}\,\cdot\,\{(l-x)^{k_4+2}-l^{k_4+2}\}
+\left(\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{k_3+1}\,\cdot\,l^{k_3+1}+\frac{p_2}{k_4+1}\,\cdot\,l^{k_4+1}\right)\,\cdot\,x
12)
Die grösste Durchbiegung am freien Ende des Balkens ist danach bestimmt aus
h\,\cdot\,A\,\cdot\,y_{max}=\frac{p_1}{\lambda}\,\cdot\,\frac{1}{k_3+2}\,\cdot\,l^{k_3+2}+\frac{p_2}{k_4+2}\,\cdot\,l^{k_4+2} 13)
Die Anwendung der Formeln.
Bei kleinen Spannungen sind die meisten Baustoffe so elastisch, dass die bleibenden
Formänderungen gegenüber den elastischen verschwinden. Unter stärkerer Belastung
treten aber, besonders bei Gusseisen und Steinen, recht bald beträchtliche,
bleibende Dehnungen dazu. Das Potenzgesetz gilt aber genau nur für den elastischen
Teil der Deformationen.
Die Annahme des Ebenbleibens der Querschnitte kann sich nur auf die gesamten
Formänderungen beziehen. Für diese gilt, wie schon gesagt, das Potenzgesetz nicht.
Will man es trotzdem bis in das Gebiet anwenden, wo schon bleibende Dehnungen von
Einfluss sind, so muss man die Koeffizienten α und m so bestimmen, dass sich die Potenzlinie möglichst der
Dehnungslinie anschliesst, ohne die äusserste Genauigkeit verlangen zu dürfen. Bei
der Rolle, welche bei der Biegung gerade die kleinsten Dehnungen spielen, ist aber
auf genügenden Anschluss der Kurven bei kleineren Spannungen ganz besonderes
Augenmerk zu richten. Für grosse Spannungen smnd beide Bedingungen nicht zu
vereinigen, was selbstverständlich ist, und zwar für jede andere Formel auch, die
von vornherein für die elastischen und nicht für die gesamten Dehnungen aufgestellt
ist.
Im folgenden wird der Biegungsversuch aus C. Bach,
Elastizität und Festigkeit, IV. Aufl. S. 242 ff., behandelt werden. Bei
3000 kg Mittenlast beträgt die Zugspannung nach der alten Berechnung schon 876,6 kg/qcm, für
Gusseisen sehr viel. Wenn sich nun auch infolge des veränderlichen
Dehnungskoeffizienten diese Spannung ermässigt, so wird sie doch über der technisch
zulässigen liegen, und mit starken bleibenden Dehnungen verbunden sein. Weiter als
bis zu dieser Last (der Bruch erfolgt bei 7000 kg) kann daher die Anwendung des
Potenzgesetzes keinesfalls gehen. Die Formel 13) lässt sich alsdann an den drei
Belastungsstufen 500 bis 1000 kg, 500 bis 2000 kg und 500 bis 3000 kg erproben.
Die Koeffizienten der Zug- und Druckdehnung des Versuches von C. Bach.
Zugversuch.
Es wird gewählt
m_1=1,435\ \ \alpha_1=\frac{1}{11110000}.
Die folgende Zusammenstellung zeigt die Uebereinstimmung:
Belastungsstufe inkg/cm
Gesamte Verlängerungenin 1/1000 cm auf 10 cm
Berechnet
159,15 und 318,3
2,14
2,21
159,15 „ 477,5
4,99
4,99
159,15 „ 636,6
8,83
8,20
Die Anfangsdehnung für die Stufe 0 bis 159,15? die nur geschätzt werden kann, ist
hierbei zu 1,3 angenommen. Dieser Wert ist eher zu klein als zu gross, wonach sein
Einfluss bei der Biegung zu ermessen ist. Der auffällig kleine Wert von α rührt von dem starken Einfluss der bleibenden
Dehnungen auf den Exponenten m her.
Druckversuch.
Gewählt wurde
m_2=1,1\ \ \alpha_2=\frac{1}{1520000},
womit sich folgende Uebereinstimmung ergibt:
Belastungsstufe inkg/cm
Gesamte Zusammen-drückung in 1/200 cm auf29,0 cm
Berechnet
0,46– 298,4
2,13
2,13
0,46– 596,8
4,63
4,60
0,46– 895,2
7,20
7,21
0,46–1193,6
10,45
9,92
In Fig. 2 sind die Werte in gleichen Massstäben
aufgetragen.
Berechnung der Durchbiegung.
Der Balken ist in der Mitte mit 2 P belastet und hat die
Abmessungen:
Breite b = 8,01 cm, Höhe h = 8,005 cm
Länge zwischen den Lagern 2l = 100,0
cm.
Aus den vorstehenden Dehnungskoeffizienten folgt:
k
1
= 0,697 k2 = 0,901 k = 1,4267
k
3
= 1,1895 k4 = 1,3325
log a
1
= 4,91082 log a2 = 5,56992
log λ
= 9,62856 – 10
ψ
= 1,2845
log\,\frac{1}{A}
= 3,54946 – 10.
Textabbildung Bd. 317, S. 154
Fig. 2.
Bemerkungen: Die eingeschriebenen Zahlen sind die Versuchswerte aus „C. Bach, Elastizität und Festigkeit, S. 243, IV. Aufl.“; Die ausgezogenen Linien geben die Versuchswerte; Die gestrichelten Linien zeigen die Rechnungswerte.
Mit diesen Werten wird bei den Belastungen:
2P
=
500
1000
2000
3000 kg
ymax
=
0,247
0,588
1,405
2,344 mm.
Hierzu kommt die Durchsenkung infolge der Schubspannungen. Nach G. Bach, Elastizität und Festigkeit( IV. Auflage S.
453, ist das Verhältnis der beiden Einsenkungen 0,25\,\cdot\,\left(\frac{l}{h}\right)^2 zu 0,78, im
vorliegenden Fall 39 zu 0,78. Die Schubkräfte vergrössern daher die Durchbiegung um
etwa 2 %. Man erhält dann statt der obigen Werte:
y =
0,247 + 0,005 = 0,252
0,588 + 0,012 = 0,600
1,405 + 0,028 = 1,433
2,344 + 0,047 = 2,391.
Hiermit wird für die
Belastungsstufen
500–1000
500–2000
500–3000 kg
Die berechnete Durchbiegung
0,348
1,181
2,139 mm
Der Versuch ergab
0,355
1,227
2,226 mm
–––––––––––––––––––––––––––––
Diff.
– 0,007
– 0,046
– 0,087
in %
2 %
3,8 %
3,9 %.
Die Werte sind in Fig. 2 aufgetragen. Die Abweichungen
zwischen Versuch und Rechnung sind so gering und so verteilt, dass sie schon durch
die Unvollkommenheit des Anschlusses der Dehnungskurven erklärt werden.
Damit kann die Richtigkeit der im Eingang erwähnten zwei Annahmen, das Ebenbleiben
der Querschnitte und das ganz gleichartige elastische Verhalten bei Biegung und bei
Zug und Druck als erwiesen gelten.
Die Anwendung auf Balken mit anderen Querschnitten muss für später vorbehalten
werden. Es wird sich zeigen, dass unter Zuhilfenahme graphischer Integrationen die
Theorie sich auf beliebige Querschnitte ausdehnen lässt, sofern es sich nur um
Ermittelung der Spannungen handelt.
Schlussbemerkung.
Die üblichen Formeln zur Berechnung von Balken, die durch biegende Momente
beansprucht sind, stützen sich auf das Gesetz der Proportionalität zwischen
Spannungen und Dehnungen und sind nur für Schmiedeeisen und Stahl streng richtig.
Bei der Berechnung von Gusseisen- und Steinquerschnitten war man bis heute auf mehr
oder weniger genaue Schätzung der Spannungen
angewiesen. Die bekannt gewordenen Formeln zur genaueren Berechnung leiden an zu
grosser Umständlichkeit und stützen sich auf zum Teil unbewiesene Annahmen. Durch
die obigen Formeln 6) und 7) lassen sich dagegen die Spannungen rechteckiger
Querschnitte für beliebiges Balkenmaterial und jede Art von Biegungsbelastung aus
dem Biegungsmoment berechnen, ohne dass vorherige Bestimmung der Neutralachse
erforderlich ist. Der praktischen Anwendung dieser Formeln wird sobald nichts mehr
im Wege stehen, als anerkannte Durchschnittswerte für die Elastizitätskonstanten der
verschiedenen Stoffe eingeführt werden können.
Mit Hilfe der Formel 13) kann ferner die Durchbiegung eines, rechteckigen durch eine
Einzelkraft gebogenen Balkens berechnet werden, dessen Material nicht dem
Proportionalitätsgesetze folgt. Dies war bis jetzt überhaupt nicht möglich.
Die sehr gute Uebereinstimmung der Formel 13) mit dem Biegungsversuch von C. Bach ist endlich einerseits ein Beweis für die
Richtigkeit der obigen Theorie, aber auch, was von grösster Wichtigkeit ist, eine
Bestätigung dafür, dass die Annahmen des Ebenbleibens der Querschnitte und der
Gleichartigkeit der Elastizität im gebogenen, gezogenen und gedrückten Stab für
Gusseisen ebenso zutreffen, wie bei Schmiedeeisen und Stahl. Erst auf dieser
Grundlage ist der weitere Ausbau einer allgemeinen Biegungstheorie möglich und die
praktische Verwendbarkeit einer solchen gesichert. Biegungsversuche, welche die
gleiche Prüfung auch für andere Materialien ermöglichten, wären von grösstem
Wert.
Die Erörterungen über das Potenzgesetz waren nötig, weil der mathematische Ausdruck
des Dehnungsgesetzes für Form und Inhalt der ganzen Biegungstheorie bestimmend
ist.