Titel: | Ueber Lehmann's Luftwiderstandsversuche. |
Autor: | Rudolf Mewes |
Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 451 |
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Ueber Lehmann's Luftwiderstandsversuche.
Von Rudolf Mewes, Ingenieur und Physiker.
Ueber Lehmann's Luftwiderstandsversuche.
Die Lösung des Flugrätsels beruht auf allseitiger Kenntnis der beim Fall
geeignet gestalteter Körper durch ruhende oder bewegte Luft eintretenden
Erscheinungen und der verschiedenen Gesetze, denen diese Vorgänge gehorchen. Da es
sich beim künstlichen Flug um das Fallen bezw. Schweben schwerer Körper durch die
Luft handelt, so müssen in erster Linie die Gesetze erkannt werden, nach welchen die
Schwere des Flugkörpers beim Fluge, der eigenen senkrecht nach unten gerichteten
Fallbewegung durch die eigenartige Beschaffenheit des Flugkörpers selbst
entgegenwirkejd, sich bethätigt; in zweiter Linie sind dann die Widerstandswirkungen
zu untersuchen und festzustellen, welche auf den Flugkörper bei seiner Fall- oder
Flugbahn je nach der Form und der Richtung des Luftstromes sich geltend machen; in
dritter Linie kommen dann noch die Untersuchungen hinzu, welche die Ermittelung der
Eigenarbeit des Fliegers zur Ermöglichung und Unterhaltung eines künstlichen
Dauerfluges erforderlich sind.
Die Lösung der ersten Aufgabe ist dasjenige Arbeitsfeld, das in beinahe
zwanzigjährigen Kämpfen von dem rührigen Vorkämpfer der neueren deutschen
Flugtechnik Karl Buttenstedt beackert und gleich seinem
genialen Vorgänger Leonardo da Vinci durch scharfe
Naturbeobachtung dahin gegeben wurde, dass der grösste Teil der Eigenschwere des
Vogels infolge der Elastizität der Flugorgane und der dadurch bedingten
selbstthätigen Einstellung derselben in schiefe Ebenen nicht senkrechte
Fallbewegung, sondern eine sehr geneigte schräge Flugbahn während der Dauer der
Schwebeperiode bewirkt. Dies ist der Kernpunkt und die Grenze der Buttenstedt'schen Leistungen. Die zweite und dritte
Aufgabe, welche tiefere, rein mechanisch technische bezw. physiologische Kenntnisse
erfordern, werden nur gelegentlich gestreift, aber nicht in originaler Weise
vertieft.
Die zweite Aufgabe, welche seit Jahren das Schmerzenskind der modernen gelehrten
Flugtechniker ist, hat der Mechaniker Lehmann durch
Anknüpfen an die alten Erklärungsversuche Weissbach's
über die Vorgänge beim Luftwiderstand bewegter Flächen und unter steter Bezugnahme
auf die Wirkungen des sogen. negativen Druckes strömender Luft auf relativ ruhende
Luft dem mechanischen Verständnis des Laien sowohl wie auch demjenigen des
Fachmannes näher gerückt und dadurch den Weg zur Umgestaltung des
Luftwiderstandsgesetzes gebahnt, welche in ihrer althergebrachten Fassung sich mit
den neuesten Versuchen nicht mehr in Einklang bringen lassen. Die Grundlage dieser
Erklärungsversuche, welche bereits bei bekannten Mitgliedern des Vereines zur
Förderung der Luftschiffahrt gebührend gewürdigt sind, bilden abgeänderte Versuche
nach Art derjenigen, welche Clement und Desormes im Jahre 1826 über die Erscheinungen des
negativen Druckes bei Luftströmungen angestellt haben. Nach diesen, in dem bekannten
Lehrbuche der Physik von P. Reiss beschriebenen
Versuchen reisst, wenn ein schnell dahinschiessender Strahl einer Flüssigkeit oder
auch einer Luftart durch Luft geht, letzterer die ringsum adhärierende Luft mit sich
fort; in den verdünnten Raum strömt neue Luft mit bedeutender Geschwindigkeit nach,
kommt dadurch auch wieder mit dem Strahle in Berührung und wird von demselben
ebenfalls fortgerissen. In manchen Fällen, besonders wenn der Strahl durch dünne
Röhren geht, vermögen die eijzelnen Teile des Strahles wie Kolben die Luft vor sich
herzutreiben und dadurch luftleere Räume hinter sich zu erzeugen, die von schnell
nachströmender Luft erfüllt, von ebenso schnell folgenden flüssigen Kölbchen wieder
von derselben befreit werden. Auf diese Weise entsteht ein fortwährendes Strömen von
Luft rings um den Strahl herum in der Richtung desselben und dadurch rings um den
Strahl eine Luftverdünnung, welche wieder ein dauerndes Strömen von Luft zur Folge
hat. Am deutlichsten lässt sich diese Erscheinung zeigen mit dem Apparat von
Buff (Fig. 1).
Textabbildung Bd. 317, S. 451
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 317, S. 451
Fig. 2.
Bläst man durch a b einen
Luftstrom, so entsteht bei bc eine Luftverdünnung,
welche durch Steigen des Quecksilbers bei f ersichtlich
ist. Beiläufig gesagt, wenn man bei d einbläst, so
entsteht bei b c eine Luftverdichtung, angezeigt durch
Fallen des Quecksilbers bei f. Durch die saugende
Wirkung eines Strahles erklärt sich die zuerst von Clement und Desormes beobachtete Erscheinung,
dass eine leichte Scheibe einem Luftstrom entgegengehen kann. Bläst man mittels des
Rohres mn (Fig. 2) durch
die Scheibe vz gegen die leichte Papierscheibe st, die locker zwischen einigen Stiften schwebt, so
geht dieselbe nach vz hin und klebt beinahe auf diese
Scheibe. Diese Versuche unterscheiden sich von den unten zu besprechenden Lehmann'schen Versuchen lediglich dadurch, dass bei
denselben stets zwei Flächen in Anwendung kommen, während Lehmann die Erscheinungen nur für eine Fläche, bezw. für die verschiedenen
Teile einer passend gestalteten Fläche rücksichtlich der Wirkung des Luftstromes
untersuchte. Kennzeichnend für die Lehmann'sche
Auffassung ist ferner, dass die Vorgänge unter steter Berücksichtigung der Gesetze
des elastischen Stosses, wie sie z.B. für den geraden und schiefen Stoss der
Billardkugeln an den Banden des Billards gelten, gesetzmässig und sinnfällig
erläutert werden.
Textabbildung Bd. 317, S. 451
Die Grundversuche sind in den Fig. 3 bis 11 dargestellt. Die stark ausgezogenen Linien sind die
Flächen, auf welche der durch die Pfeile seiner Richtung nach angedeutete Luftstrom
trifft, während die Pfeile mit punktierten Linien die Bewegungsrichtung der
gestossenen Fläche infolge der Wirkung des Luftstromes anzeigen. Bei den Versuchen
nach Fig. 3
und 9 findet
reine Stosswirkung ohne Unterdruck, bei den Versuchen nach Fig. 4, 7 und 8 blosser Unterdruck und
bei den Versuchen nach Fig. 5 und 10
gleichzeitige Stoss- und Unterdruckwirkung mit Ueberwiegen des Unterdruckes und bei
Fig. 6
dasselbe
mit Ueberwiegung der Stosswirkung statt. Das Ueberwiegen der Stoss- bezw. der
Unterdruckwirkung hängt, wie aus den Fig. 5 und 6 zu erkennen
ist, von der Grösse und Neigung der beiden Teile der gebrochenen Fläche ab, und zwar
wird der Sinn der Drehung durch die grössere Fläche bedingt. In Fig. 11 ist die Abänderung der Richtung des
Luftstromes vor der dem Luftstrome ausgesetzten Fläche infolge der Brechung der
einzelnen Luftschichten an der Fläche gemäss den Gesetzen des elastischen Stosses
dargestellt.
Textabbildung Bd. 317, S. 452
Fig. 11.
Textabbildung Bd. 317, S. 452
Fig. 12.
Erklärung findet hierdurch die Thatsache, dass bei normalem Stoss der Luft gegen die
Fläche in einem der Fläche vorgelagerten, gleichmässig gespannten Vollkegel oder
Vollkeil sich ein sogen. Stauhügel bildet, wie v. Lössl
ja durch Versuche mit in diesem Kegel brennenden Flammen bestätigt hat. Ganz anders
liegen aber die Verhältnisse bei geneigten Flächen, vor welchen v. Lössl ebenfalls gleichmässig gespannte, entsprechend
gestaltete prismatische Keile als vorbanden annimmt, obwohl er dieselben durch seine
Versuche nicht hat nachweisen können. Dieser Ansicht widersprechen bereits die von
Prof. Kummer mit bewegten quadratischen und
rechteckigen Flächen angestellten Versuche, durch welche längs der Vorderseite der
geneigten Flächen eine tangentiale Komponente nachgewiesen worden ist. Aus diesen
und den ähnlichen bekannten Gerlach'schen Experimenten
folgt, dass die Resultante des Luftwiderstandes einer mit der Richtung der
Luftströmung einen beliebigen Winkel bildenden Ebene nicht durch den Schwerpunkt
dieser Ebene hindurchgeht, wie dies nach den Newton'schen Prinzipien der Fall sein müsste, sondern dass der Luftwiderstand
gegen eine schiefe ebene Fläche auf die weiter nach vorn liegenden Teile derselben
bei weitem stärker wirkt als auf die hinteren. Bei einem dieser Versuche war die
tangentiale Komponente des Luftwiderstandes so gross, dass die vordere, dreimal so
kleine Fläche eines durch eine Querachse in zwei Teile geteilten Quadrates einen
Widerstand erfuhr, der demjenigen der dreimal grösseren hinteren Quadratfläche das
Gleichgewicht zu halten vermochte. Wegen des stärkeren Druckes übrigens, den der
Wind auf die vor der Drehungsachse einer Windfahne liegenden Flächenteile ausübt,
pflegt man daher auch bei den Wetterfahnen die vordere Fläche gegen die hintere so
sehr als irgend möglich zu verkleinern; man lässt nämlich in der vorderen Fläche nur
die äusseren Ränder stehen, während man die inneren Teile herausschneidet (vgl. auch
meine Arbeit Ueber den Fallschirm in der Zeitschrift des Vereines zur Förderung der
Luftschiffahrt, VI. Jahrgang S. 69). Eine mechanisch verständliche
Erklärung dieser Thatsachen ergibt sich nach Kummer's
Vorgang ohne weiteres aus den oben dargestellten Grundversuchen von Lehmann. Danach kann entgegen der Behauptung v. Lössl's bei schrägem Luftstosse Ueberspannung der
Luft in einem auf der ganzen Fläche aufliegenden, gleichmässig gespannten Vollkeil
oder Vorkeil vor der gedrückten Fläche nicht eintreten, sondern dies ist nur in
einem nach der vorderen Schnittfläche zu gelegenen Kegel oder Keil wie bei den
Geschossen möglich, während weiter nach der unteren oder zurückliegenden Kante hin
bei kleinen und grossen Geschwindigkeiten entsprechend geringerer oder höherer
Ueberdruck eintreten muss, wie dies die Photographien fliegender Geschosse und die
neuesten Beobachtungen bei den Versuchen mit der Schnellbahn bestätigt haben.
Auf der Hinterseite der getroffenen Fläche muss sich natürlich nach den Gesetzen des
negativen Druckes infolge der Saugwirkung der strömenden Luft sowohl oben wie auch
unten ein teilweises Vakuum bilden, das zu Wirbelströmungen in Form der abgebildeten
Spiralen Anlass gibt. Die Grösse des Vakuums ist um so stärker, je spitzer der
Winkel ist, den der abflutende Luftstrom mit der Widerstandsfläche bildet.
Demgemäss sind die Wirbel auch entsprechend enger oder weiter geformt, wie die
Zeichnung andeutet. Daher ist die Dichte der Luft an den weiter vorliegenden und an
den weiter zurückliegenden Flächenteilen eine verschiedene, und zwar ist dieselbe an
den den spitzeren Winkel mit den abflutenden Luftströmen bildenden Flächenteilen
kleiner, an den anderen Flächenteilen dagegen entsprechend grösser. Durch Anwendung
der vorstehenden Ergebnisse auf Flächen, welche ähnlich wie die Vogelflügel gekrümmt
sind, erhält Lehmann für die Richtung der Luftströmung
die in der Fig. 12 durch die Pfeile angedeuteten
Wirbelzüge und Unterdrücke.
Der Vogelflügel besitzt die schematisch in Fig. 12
dargestellte Gestalt bezw. Querschnittsform; die obere Seite des Vogelflügels bildet
eine gekrümmte Fläche, während die untere Seite durch eine annähernd ebene Fläche
abgedeckt ist. Bei einer solchen Form des Versuchskörpers ergeben die aufprallenden
Luftströme gemäss den obigen Grund versuchen folgende Wirkungen. Vorn an der
Unterseite treten dieselben Erscheinungen auf, wie schon oben an Fig. 11 erläutert worden ist. Dagegen gestalten sich
die Verhältnisse an der gewölbten Oberseite etwas anders. Die gewölbte Oberseite
muss nämlich die auftreffenden Luftfäden oder Luftteilchen nach den Gesetzen des
Stosses viel weiter zerstreuen als die scharfe Flächenkante in Fig. 11. Infolge der kurzen Wölbung wird jeder
einzelne Strahl von der unteren bis zur oberen Buckelkante nach oben divergierend
abgelenkt; es kommt daher jeder einzelne Strahl oder Luftfaden für die Saug Wirkung
vollständig zur Geltung, während bei der oben betrachteten ebenen Fläche dies nur
für die direkt vorüberstreichenden, nicht zerstreuten Luftfäden der Fall ist. Es
ergibt sich demgemäss an der gewölbten Fläche in der Nähe des Buckels ein höheres
Vakuum bezw. Luftverdünnung. An den hinteren, weniger gekrümmten, beinahe geradlinig
verlaufenden Teilen der Oberseite des Flügels sind dagegen die Wirkungen dieselben
wie bei den unteren Teilen der Rückseite in Fig.
11.
Die Aufbiegung der elastischen Federn des Vogelflügels ergibt sich somit nach Lehmann von selbst durch den grösseren Druck unterhalb
des Flugkörpers und die hinter demselben entstehende Luftverdünnung. Im Gegensatz
dazu glaubte Lilienthal, welcher gewölbte Hohlflächen
im Auge hatte bezw. benutzte und in seiner Theorie annahm, dass sich die Luft der
Fläche anschmiegt, die Wirbelbewegung eines auftreffenden Luftstromes vermeiden zu
können. Wenn man jedoch beachtet, dass gemäss den Grundversuchen in den Fig. 3 bis
11 die Luft nur immer geradlinig den
Stossbewegungen entsprechend vorüberstreicht, so hat Lilienthal, anstatt an der Unterfläche einen höheren Druck zu erzielen,
thatsächlich einen niedrigeren Druck gehabt; denn nur der an der hohlen Seite einer
gewölbten Fläche vorüberstreichende Luftstrom reisst thatsächlich die im Hohlraum
befindliche Luft mit fort, verdünnt also dieselbe, so dass an den unteren
Flächenteilen gemäss den Grundversuchen in Fig. 7 und 8 ein
Unterdruck gebildet wird. Auf der Oberseite wird aber an der Vorderkante der Stoss
des aufprallenden Luftstromes, dahinter jedoch der durch die Zerstreuung der
Luftstrahlen erhöhte Unterdruck wirksam. Durch das Zusammenwirken dieser
verschiedenen Unterdrücke mit dem vorderen Stoss entstehen Kräftepaare, welche ein
Kippen des Vogelflügels nach vorn zu veranlassen. Wird dagegen, wie es beim
Vogelflügel der Fall ist, diese gewölbte Fläche durch eine ebene Fläche geschlossen,
so dass man einen Vollkörper erhält, so treten die oben von Lehmann erläuterten Vorgänge ein. Dadurch wird das Drehmoment, da ja jetzt
die Stösse vorn oben und unten im entgegengesetzten Sinne drehend wirken, wesentlich
vermindert. Das Aufkippen des Flugkörpers wird daher einzig und allein durch die
verschiedene Grösse der einzelnen Unterdrücke veranlasst. Es ist somit
vorteilhafter, statt den Lilienthal'schen hohlen
Flächen volle Flugkörper bei der Konstruktion eines mechanischen Flugapparates zu
wählen.