Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 647 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter, Bingen.
(Fortsetzung von S. 561 d. Bd.)
(Nachdruck verboten.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
2. Die 2/4 gekuppelte Lokomotive.
Bei grösseren Ansprüchen an die Zugkraft muss zu einer Vermehrung der Zahl der
Angriffspunkte, welche die Maschine mit den Schienen verbinden, gegriffen werden.
Sobald die zulässige Grenze der Achsbelastung erreicht ist, ist eine Steigerung des
Adhäsionsgewichts und dadurch der nutzbaren Zugkraft nur durch Vermehrung der Anzahl
der Triebachsen möglich. Die damit in Kauf zu nehmenden Unbequemlichkeiten
sowohl hinsichtlich der konstruktiven Verwicklungen, als auch der für den ruhigen
Gang erforderlichen Vorkehrungen verschwinden um so mehr, je besser das
Adhäsionsgewicht für hohe Belastungen bei massiger Geschwindigkeit nutzbar gemacht
werden kann. Während also einerseits die Lokomotive durch zweifache Kupplung auf der
Stufenleiter vom Rennpferd zum Zugtier herab bereits
um eine Stufe sinkt, und besonders bei nur geringen Mehrforderungen an die
Zugkraft die zweite Triebachse einen unbequemen Zusatz darstellt, so ist
andererseits der „Aktionsradius“ der gekuppelten Maschine ein viel grösserer,
ihre Verwendbarkeit vielseitiger, ihr kommerzieller Wirkungsgrad besser als bei der
Maschine mit freier Triebachse.
Wenn auch bei den hohen Geschwindigkeiten, welche durch die mitgeschleppte tote Last
gefordert werden, die Zugkräfte meistens so gering sind, dass eine einzige
Triebachse genügen könnte und daher die zweite meist als unnütz sich darstellt, so
hat die gekuppelte Maschine doch zu ihren Gunsten aufzuweisen 1. die Möglichkeit,
höhere Dauerzugkräfte bei gegebenem Kessel abzugeben, 2. vorübergehend, wie z.B.
beim Anfahren sehr hohe Zugkräfte zu erzeugen, 3. die Anpassungsfähigkeit an alle
möglichen von Geschwindigkeit, Belastung und Bodenbeschaffenheit ausgehenden und
stets wechselnden Ansprüche innerhalb weiter Grenzen.
Diesen unbestrittenen Vorteilen verdankt die gekuppelte
Lokomotive ihre Verbreitung; als zweiachsiges Fahrzeug ist sie fast so alt, wie die
Lokomotive überhaupt, als fünfachsiges leistet sie heute im Schnellbetrieb
Grossartiges.
Wendet man sich im besonderen der 2/4 gekuppelten Bauart zu, so ist ihre Ableitung aus
der ¼ gekuppelten nur kausal, nicht historisch. Nicht der Zähler, sondern der Nenner
der „Achsziffer“ ist die Führung in der Entwicklungsgeschichte der Typen. Die
Ziffer 2/4 hat
sich nicht aus ¼, sondern aus ⅔ heraus entwickelt, d.h. nicht die Zugkraft (im
Zähler), sondern die tote Last, die Leistung (im Nenner) steht im Hintergrund als
Antrieb durch ihr stetes Wachstum. Es ist dies im folgenden veranschaulicht:
Textabbildung Bd. 317, S. 648
Fig. 35 (vor 1890).
Textabbildung Bd. 317, S. 648
Fig. 36 (nach 1890).
Fig.
Zeit
Achsziffer η'
Achsziffer η''
35
vor 1890
⅔ = 67 %
⅖ = 40 %
36
nach 1890
2/4 = 50 %
2/8 = 25 %
Diese Entwicklungsgeschichte besteht jedoch nur in Europa; hier veranlasste die
höhere Geschwindigkeit, welche von der ⅔ gekuppelten Lokomotive allmählich erwartet
wurde, die Schaffung eines grösseren, schwereren Kessels, zu dessen Stützung eine
zweite Laufachse dienen musste, während die Zugkraft ziemlich die gleiche blieb,
bezw. durch blosse Erhöhung der Achsdrücke sich steigern liess.
In Amerika dagegen gab es nie eine ⅔ gekuppelte Bauart, deren überhängende Massen und
kurzer, ungelenkiger Radstand nicht bestechend sind. Sehr früh schon führte das
Bedürfnis der Kurvenbeweglichkeit zum vordern Drehgestell (1832), während stets eine
Triebachse hinter die Feuerbüchse gelegt wurde. So entstend schon 1837 die 2/4 gekuppelte
Lokomotive (bei Norris in Philadelphia), die also
hinsichtlich der Achsenanordnung ganz modern war, sonst aber hinsichtlich der
Leistung mit der 2/2 gekuppelten auf einer Stufe stand.
Nachdem diese Gattung einmal vorhanden war, wurde sie in Amerika auch dauernd
beibehalten und frühzeitig zu einer Vollendung ausgebildet, welche von der
Lokomotive gleicher Gattung in Europa erst jetzt am Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts erreicht wird. In den Jahren 1837–47 wurde die Drehgestelllokomotive
von Norris zahlreich nach Europa (auch England)
ausgeführt, und daselbst nachgeahmt, um aber bald wieder der dreiachsigen Lokomotive
ohne Drehgestell Platz zu machen. Die letztere hielt denselben auch dreissig Jahre
lang inne, und nur vereinzelt errang sich die andere Bauart ab und zu die ihr
zukommende Anerkennung. Hier ist vor allem die österreichische Südbahn zu nennen,
nach deren im Jahre 1856 gebauten Schnellzuglokomotive „Rittinger“ die
badische Staatsbahn im Jahre 1861 ebenfalls eine später zu grosser Geltung gelangte
Lokomotiv-Gattung entstehen liess; bis 1875 wurden 90 Stück gebaut, und noch jetzt
ist eine grosse Zahl dieser alten, mehrmals umgebauten und schrittweise
modernisierten 2/4
gekuppelten Lokomotiven vorhanden, welche noch vor kurzer Zeit mit Leichtigkeit
Geschwindigkeiten von 80–90 km/Std. im Personenzugsdienst erzielten. Die Schweizer
Nordostbahn beschaffte von 1856 bis 61 ebenfalls 27 Stück dieser Art (mit domlosem
Kessel). Die europäische, bezw. süddeutsche Bauart, erwies sich als sehr
leistungsfähig und kurvengelenkig, krankte aber an dem sonderbaren Uebelstand, dass
man entgegen dem amerikanischen Muster, entweder Feuerbüchse oder Zylinder (oder
auch beides), trotz dem Drehgestell, überhängen liess, so dass im übrigen von
ruhigem Gang im Vergleich zur ⅔ gekuppelten Maschine keine Rede war. Nur die seit
1862 in der Schweiz vielfach übliche 2/4 gekuppelte Tenderlokomotive war frei von diesem
Fehler.
Während also die heutige amerikanische 2/4 gekuppelte Lokomotive sich stetig entwickelt hat,
im Prinzip aber schon vor 60 Jahren die gleiche war, ist man in Europa von der
anfangs vorhandenen Urform, die aus Amerika herüberkam, vielfach abgeschweift, hatte
sie meist völlig aufgegeben, und ist im Verlauf der 60 Jahre erst allmählich durch
die Steigerung des Verkehrs wieder allgemein auf die Urform zurückgedrängt worden,
welche als einziger Ausweg sich bot, und so treffen die Bauarten von diesseits und
jenseits des Ozeans wieder auf demselben Punkt zusammen.
Die Einteilung der zahlreichen Spielarten zweifach gekuppelter vierachsiger
Lokomotiven erfolgt am einfachsten von der Ordnung der Achsen aus, und innerhalb der
einzelnen Gruppen nach dem System der Dampfdehnung und der Anlage des Triebwerks;
die Spielarten selbst lassen sich durch geschichtliche Herleitung, soweit es sich um
die Ordnung der Achsen und des Triebwerks handelt, leicht ermitteln.
Ausgangspunkt ist die ⅔ gekuppelte Bauart mit Spielarten, welche hier auf einander
folgen:
a) Zylinder und Feuerbüchse überhängend, Kupplung nach
hinten.
b) Zylinder überhängend, Feuerbüchse gestützt, Kupplung wie
a).
c) Zylinder und Feuerbüchse gestützt, Kupplung nach vorn.
d) Zylinder überhängend, Feuerbüchse gestützt, Kupplung wie
b).
Ueber das Alter, die Verbreitung, das Anwendungsgebiet und die Leistungen dieser
Typen kann hier nicht geredet werden, denn es sind ausgestorbene oder aussterbende
Typen. Sie sind nur wichtig, weil durch Stützung des am weitesten überhängenden
Teiles durch eine zweite Laufachse sich aus ihnen die heutige Schnellzugslokomotive
ergiebt, die 2/4
gekuppelte Bauart mit folgenden Spielarten:
a) Feuerbüchse gestützt, Kupplung nach hinten.
b) Zylinder gestützt (Drehgestell), Kupplung wie a).
c) Rauchkammer gestützt (Drehgestell), Kupplung nach vorn.
d) Zylinder gestützt, Kupplung wie b).
Es zeigt sich dies in den zusammengehörigen Skizzen (Fig. 37–40) noch genauer.
Es treffen nun bei der 2/4 Bauart die Typen a) und d) äusserlich zusammen, ebenso b) und c),
(welche bei der ⅔ Bauart keine Aehnlichkeit besassen), und sollen deshalb auch in
diesem Zusammenhang behandelt werden.
1. Die zweifach gekuppelte Lokomotive mit vorderer und
hinterer Laufachse existiert in zwei Ausführungen, von denen die erste mit
Antrieb der zweiten Achse und überhängenden Zylindern meist das Ergebnis eines
Umbaues älterer Muster ist, während die zweite eine Neuschöpfung des letzten
Jahrzehnts darstellt, indem bei ihr überhängende Massen vermieden, die Zylinder
rückwärts gegen den Schwerpunkt der Lokomotive gelegt sind und die vordere Laufachse
als Drehgestell
angeordnet ist. Alle beide sind aber nicht lebensfähig und werden wohl nicht
mehr bei Neukonstruktionen gewählt werden; denn das einachsige Drehgestell an sich
bedeutet keine so sichere Führung des Fahrzeugs im Geleis, wie das zweiachsige,
während im besonderen noch überhängende Zylinder und gar eine nur seitlich
verschiebbare Laufachse am Vorderende verwerflich sind.
Die Bauart a) weist ihre Vertreter in grosser Zahl, aber fast ausschliesslich in
Frankreich und Belgien auf, teils reine Umbauformen, welche durch nachträgliche
Stützung der Feuerbüchse im Interesse der allmählich sehr gesteigerten
Geschwindigkeiten entstanden sind, teils Neubauten nach dem Muster der früheren,
welche sogar zu Normalien geworden sind. Von diesen erwähnen wir:
1. Die Schnellzuglokomotive der Paris-Orléans-Bahn ist
merkwürdig als Maschine des schnellsten Zuges der Erde, soweit es sich um die
Reisegeschwindigkeit handelt, nämlich des Süd-Express-Zuges auf der Strecke
Paris-Bordeaux; die 585 km lange Strecke wird einschliesslich 4 Aufenthalte in 6
Stunden 42 Min., d.h. mit 87,3 km/Std. Reisegeschwindigkeit zurückgelegt; zwischen den
Haltepunkten sind die Teilgeschwindigkeiten 89 bis 94 km/std., die wahren Geschwindigkeiten 100
bis 120 km/Std.,
je nach Bahnbeschaffenheit.
Textabbildung Bd. 317, S. 649
Die Lokomotive selbst ist in der durch die Skizze angegebenen Gestalt nur in drei
Stück vorhanden (Fig. 41; die Skizze ist infolge sehr mangelhafter und zersplitterter
Quellenangaben an Hand von andern Mustern dieser Bahn aus Wahrscheinlichkeiten
zusammengesetzt). Wichtig ist folgendes: Innenzylinder, äussere Gooch-Steuerung mit Durant-Lencauchez- Schiebern, Waggon-top-Kessel, Feuerbüchse mit
ankerloser Decke und Tenbrinck-Sieder, sowie
Domverbinder nach Polonceau, sehr lange Siederohre
(5190 mm) aus Messing.
Eine ähnliche Lokomotive für Personenzüge besitzt etwas grösseren Kessel der
gewöhnlichen Form, sowie kleinere Triebräder.
Die sehr zahlreichen Lokomotiven ähnlicher Art der Paris-Orléans-Bahn aus älteren
Jahrgängen haben sämtlich äussere Zylinder, meistens einfache Gooch-Steuerung und tiefliegenden Kessel ohne
Domverbinder, aber stets Tenbrinck-Feuerung.
Aehnlich sind auch die älteren Schnellzuglokomotiven der französischen Staatsbahn, mit Bonnefond-Steuerung und tief liegendem Kessel gewöhnlicher Bauart, sowie
diejenigen der Paris-Lyon-Mittelmeerbahn. Die letzteren
sind auch zur Zeit der Einführung des Verbundsystems versuchsweise mit der de Glehn'schen Verbundanordnung ausgestattet
worden.
Alle diese Typen sind nicht mehr existenzberechtigt; zum Teil ziemlich neu, sind sie
doch unmodern und bei hohen Geschwindigkeiten geradezu gefährlich.
2. Die Schnellzuglokomotive der Belgischen Staatsbahn
(Fig. 42a) gehört zu den Normalien derselben und
ist in der neuesten Form hier vorgeführt. Die belgischen Lokomotiven sind die
hässlichsten, die es giebt, und der belgische Lokomotivbau scheint überhaupt
rückständig zu sein: überhängende Zylinder, keine Drehgestelle, keine
Verbundmaschinen, erst in letzter Zeit Kesseldrücke über 10 Atm., und dabei im
Fahrplan um 6 km/Std. hinter Deutschland zurück, dessen schnellster Zug doch selbst erst in
die vierte Reihe von oben gehört, wenn die Länder nach dem Schnellfahren geordnet
werden.
Im einzelnen ist hier wichtig: Innenzylinder, äussere Hauptrahmen, Mittelrahmen für
die Kurbelwelle, vordere Laufachse in gekrümmten Führungen gelenkig einstellbar (Webb-Adams'sche Achsbüchsen), Belpaire'sche Feuerbüchse mit sehr grossem Rost, hinter den Triebrädern
verbreitert auf die Rahmen gestützt, zur Verbrennung minderwertigen Brennstoffs
wegen schwachen Luftzugs sehr geeignet, Kamin früher stets von quadratischem
Querschnitt; sehr ausgedehnte Rauchkammer, Zwillings-Maschine, Schieber schräg
auswärts liegend und daher zwischen Rahmen und Rauchkammer von aussen frei
zugänglich. Höchste Geschwindigkeit (auf dem Papier) 120 km/Std.; der Gang
ist bei hohen Geschwindigkeiten unruhig, schlingernd.
Maschinen nach diesem belgischen Muster sind in grösserer Zahl seit 1891 für die Main-Neckar-Bahn beschafft worden, teils geliefert von
Cockerill-Seraing selbst, teils nachgebaut von der
Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe. Die
Main-Neckar-Maschinen haben kleine Rostfläche in einer Feuerbüchse gewöhnlicher
Bauart, weshalb auch der Abstand der Hinterachse von der hinteren Triebachse von
2300 auf 1900 mm verkleinert ist, und zylindrische Kamine (Fig. 42b); höchste Geschwindigkeit 90 km/Std. mit Zügen bis 180 t hinter dem
Tender, wird jedoch sehr selten erreicht, meist 81–83 km/Std. auf freier Strecke; die höchste
Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt im belgischen Fahrplan 79,5, im Fahrplan der
Main-Neckar-Bahn 70 km/Std.
Bei allem Sonderbaren und Fremdartigen ermangelt der Anblick dieser Bauart nicht des
Erhabenen, äusserlich erscheint
die Bewegung solcher Maschinen mit einer königlichen Kühe verknüpft, was von
der geringen Tourenzahl der hohen Triebräder und der Verdeckung des Triebwerks
herrührt. Die Maschine stammt aus dem Jahre 1888, 114 Stück waren in zehn Jahren
davon gebaut.
Textabbildung Bd. 317, S. 650
Fig. 42a. Belgische Staatsbahn.
Textabbildung Bd. 317, S. 650
Fig. 42b. Main-Neckar-Bahn.
Teilweise sind Serve-Röhren angewendet; eine Maschine
hat die Durant-Lencauchez-Steuerung erhalten. Eine
Lokomotive derselben Gattung ist mit drei neben einander liegenden Kesseln
ausgestattet; die beiden äusseren von geringem Durchmesser haben mit dem Hauptkessel
Feuerbüchse und Rauchkammer gemeinsam; der Ueberdruck beträgt nur 9 Atm., die
Heizfläche der drei Kessel zusammen doch nur 190 qm, das Dienstgewicht 56,8 t; das
vereinzelt gebliebene (in Paris 1889 ausgestellte) Muster ist als verfehlt zu
betrachten.
3. Die Schnellzuglokomotive der London und Nordwestbahn
soll als Vertreter des nicht mehr zur Anwendung kommenden älteren Verbundsystems Webb (Kl. IIb) hier auftreten. Die Uebelstände der
Achsanordnung und des Verbundsystems, welche hier zusammentreffen, schieben auch
diese Gattung trotz ihrer Jugend und grossen Leistungen in die Vergangenheit zurück.
Die Besonderheiten des Systems sind beschrieben; für die Maschine selbst ist
folgendes wichtig (Fig. 43a, b):
Die Triebachsen sind nicht gekuppelt, die äusseren Hochdruckzylinder mit innen
liegender Stephenson-Steuerung treiben die Hinterachse,
der sehr grosse Niederdruckzylinder unter der Rauchkammer, dessen Schieber durch
Schleppexzenter getrieben wird, treibt die Vorderachse; die vordere Laufachse ist
Webb'schen gekrümmten Führungen gelagert; sehr
langer Kessel mit zwei durch eine Verbrennungskammer (mit Aschfalltrichter)
getrennten Rohrbündeln; hinten kürzere Röhren aus Kupfer, vorn längere aus
Messing.
Zehn Stück dieser Maschinen sind von 1891 bis 1894 eingeführt worden,
Triebraddurchmesser 2160 mm; zehn andere in den Jahren 1894 und 1898, mit
Triebrädern von 1905 mm für schwerere Schnellzüge, im übrigen genau gleich, sämtlich
in den Bahnwerkstätten zu Crewe gebaut.
Von den Leistungen ist zu berichten, dass diese Gattung Züge von 330 t Gewicht
hinter dem Tender fahrplanmässig mit 87 km/Std. im
Durchschnitt zu befördern im Stande ist.
Der dreiachsige Tender von nur 26 t Gewicht bei 9 cbm Inhalt ist mit Wasserschöpfer
ausgerüstet.
Die Bauart d) mit durch die Laufachse vorn unterstützten Zylindern ist eine
Neukonstruktion, die aus keinen schon bestehenden Mustern durch Umbau entstehen
konnte, ausgenommen auf dem Papier. Das nach rückwärts an den Schwerpunkt des Ganzen
verlegte Triebwerk trägt noch wesentlich zur Ruhe des Ganges bei, und nur das
zweiachsige Drehgestell pflegt zu fehlen, soweit nicht das sehr glückliche Krauss-Helmholtz'sche Drehgestell angewendet ist
(Lagerung der vorderen Laufachse in einer Deichsel, welche nach rückwärts über den
Drehzapfen verlängert, in die Lagerung der vorderen Triebachse eingreift (mit
Kugelzapfen), so dass ein seitlicher Ausschlag der Laufachse einen entgegengesetzten
der Triebachse hervorruft). Es folgen hier
4. Die Schnellzuglokomotive der Pfalzbahn (und der
ehemals Hessischen Ludwigsbahn, welche dieselbe Maschine sich beschaffte) stammt aus
dem Jahre 1893, wurde bei Krauss-München entworfen und
gebaut und von Henschel & Sohn-Cassel
nachgeliefert. Das Krauss'sche soeben erwähnte
Drehgestell ist bei ihr angewendet und der Gang der Maschine soll trotz des kurzen
Radstandes ein ruhiger sein.
Zur Berühmtheit ist die Gattung nicht gelangt, ihre Leistungen sind durchaus normal.
Neuanschaffungen nach diesem Muster geschehen wohl nicht. (Fig. 44).
5. Die Schnellzuglokomotive der Chicago Burlington- und
Quiney-Bahn ist eine echt amerikanische Ausführung der in Frage stehenden
Gattung, mit sehr grossen Abmessungen, breiter Feuerbüchse, mit Verbrennungskammer,
Kolbenschiebern (natürlich durch innere Stephenson-Steuerung bethätigt), aber nach neuerer Mode mit europäischem
Tender.
Textabbildung Bd. 317, S. 650
Fig. 43a. London und Nordwestbahn.
Textabbildung Bd. 317, S. 650
Fig. 43b. London und Nordwestbahn.
Die Lokomotive ist von Baldwin-Philadelphia 1895 gebaut,
es besteht nur ein Stück dieser Bauart, welche in Amerika „Columbia type“ heisst, nach der von Baldwin 1898 in Chicago ausgestellten Vauclain'schen Verbundlokomotive „Columbia.“ Die Type ist selten
ausgeführt worden; die Philadelphia Reading Bahn hat im Jahre 1892 eine der
„Columbia“
ähnliche Vauclain'sche Lokomotive mit Wootten'scher Feuerbüchse (Führerstand in der Mitte des
Langkessels) erhalten. (Fig. 45a, b). Die vordere Laufachse dieser Maschinen liegt in
einem besonderen deichselartigen, weit vorgeschobenen Gestell, dessen Drehpunkt
hinter den Zylindern (zwischen den vorderen Triebrädern) in eine Querverbindung des
Hauptrahmens eingesetzt ist; stets sind die Federn der vorderen Triebachse durch
Längshebel mit denen dieser Laufachse verbunden; dieses einachsige gelenkige Gestell
ist in Nordamerika seit etwa 1866 als „pony truck“ üblich, während eine Abart
desselben bei uns als „Bissel“-Gestell bekannt ist; ein weiterer Ausbau ist
das Krauss-Helmholtz'sche Drehgestell, eine
vereinfachende Modifikation die Adams-Webb'sche
Laufachse mit radial einstellbaren gekrümmten Achsbüchsen in besonderen Führungen
(belgische Staatsbahn, engl. Nordwestbahn). –
Textabbildung Bd. 317, S. 651
Fig. 44. Pfalzbahn.
Textabbildung Bd. 317, S. 651
Fig. 45a. Chicago-Burlington Quincy.
Textabbildung Bd. 317, S. 651
Fig. 45b. Chicago-Burlington Quincy.
Weitere moderne Muster der 2/4 gekuppelten Schnellzuglokomotive mit vorderer
und hinterer Laufachse sind kaum aufzutreiben; diejenigen von Bedeutung sind hier
aufgezählt, und die folgende Tabelle giebt die Hauptabmessungen und
-Verhältnisse:
Textabbildung Bd. 317, S. 651
Paris-Orleans; Belgische Staatsbahn; London und Nordwestbahn; Pfalzbahn; Chicago, Burlington und Quincy; Zylinderdurchmesser
mm; Kolbenhub; Triebraddurchmesser; Kesseldruck; Aeussere Heizfläche; Rostfläche; Adhäsionsgewicht; ohne Tender; Dienstgewicht;
mit Tender; Kohlen; Vorräte; Wasser; Tourenzahl; Leistung; Adhäsionszugkraft kg; Maschinenzugkraft; Kraftziffer; Gewichtsziffern;
Ladeziffer; Kraftwerte; Geschwindigkeitswerte
Angaben über den Tender waren meistens nicht zu erhalten. Ein Vergleich der
Bauarten unter sich ergiebt, genützt auf diese Zahlen, kurz folgendes:
Bis auf die Kraftziffer (Adhäsionsgewicht: Gesamtgewicht) sind die Verhältniszahlen
nicht sehr verschieden. Die absolute und spezifische Höchstleistung zeigt die
Maschine der englischen Nordwestbahn, was auf das Verbundsystem zurückzuführen ist,
zum Schnelllaufen eignet sich dieselbe daher an sich am besten, was auch durch die
Ausgestaltung des Triebwerks mitbegünstigt wird. Die höchste Zugkraft dagegen
findet sich bei der Lokomotive der Chicago-Burlington- und Quincy-Bahn, welche somit
mehr zur Beförderung schwerer Schnellzüge geschaffen scheint und darin gegen die
englische etwas zurücksteht, während endlich die belgische Maschine die
verhältnismässig höchste Zugkraft aufweist.
Bei sämtlichen Lokomotiven dieser Art wirkt die Bremse, meist Westinghouse, nur auf die beiden Triebachsen.
Hierher, nämlich zum Typus a), gehört auch die 2/4 gekuppelte Verbundschnellzuglokomotive
der Württembergischen Staatsbahn mit drei gleich grossen Zylindern, neben einander
auf eine Achse wirken (Kl. IIa Tabelle S 350. 316.
1901) und mit Klose'schen Lenkachsen am vordern und
hintern Ende. Interessenten mögen über diese aus dem Jahr 1892 stammende sonderbare
Maschine, welche keine Wiederholung mehr erleben wird, nachlesen auf S. 4 der
„Eisenbahntechnik der Gegenwart“, Band „Lokomotiven“.
Ueber beide Bauarten, a) und d) der 2/4 gekuppelten Lokomotive mit vorderer und hinterer
Laufachse, ist das Urteil gesprochen, und dieses Urteil ist in Paris 1900 öffentlich
bestätigt worden: von all den Lokomotiven war nicht eine einzige Vertreterin der
eben besprochenen Bauart vorhanden, das spricht deutlich für die Erfahrungen, die
man damit gemacht hat und für die theoretische Berechtigung der Bauart. Es ist eine
Bauart für den Schluss des vorigen, aber nicht mehr für den Anfang des neuen
Jahrhunderts, und noch besser zeigt sich diese Thatsache darin, dass die
Paris-Orléans-Bahn die de Glehn'sche Verbundlokomotive,
die Belgische Staatsbahn die englische Normaltype, die Chicago-Burlington- und
Quincy den „Atlantic type“ angenommen hat, während die London und
Nordwestbahn zur Vierzylinderverbund-, die Pfalzbahn zur ⅖ gekuppelten Maschine
übergegangen ist, und zwar haben alle diese Ersatzbauten das vordere Drehgestell
ohne Ausnahme.
Die Bauart a) und d) ist daher trotz ihrer teilweise grossen Jugend dem Aussterben
verfallen und muss der zweiten Kategorie b) und c), d.h. dem vorderen Drehgestell
weichen. Mit Vertretern dieser Klasse wird sich das folgende Kapitel befassen.
(Fortsetzung folgt.)