Titel: | Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase. |
Autor: | Rudolf Mewes |
Fundstelle: | Band 317, Jahrgang 1902, S. 759 |
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Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase.
Von Rudolf Mewes, Ingenieur und Physiker.
Zusammenhang zwischen der kinetischen und der Vibrations-Theorie der Gase.
I.
Seit ziemlich vierzig Jahren hat die kinetische Theorie der Gase in der exakten
Forschung eine bedeutende Rolle gespielt; dieser neue Zweig der theoretischen Physik
ist im Anschluss an die Begründung der mechanischen Wärmetheorie durch Robert Mayer und seine Nachfolger am Ende der fünfziger
Jahre von Forschern wie Krönig, Clausius und Maxwell in der schon von Daniel
Bernoulli vertretenen Form (Hydrodynamik, Strassburg 1738) wieder
aufgestellt, vertieft und mathematisch ausgearbeitet worden. „Gleichwohl
ist“, wie O. E. Meyer in seinem Buche über die
kinetische Theorie der Gase vollständig zutreffend bemerkt, „ein tieferes
Verständnis der Gastheorie wenig verbreitet und besonders die Kenntnis der
Untersuchungen Maxwell's fast ausschliesslich auf
die mathematisch durchgebildeten Naturforscher beschränkt geblieben. Dasselbe
gilt von den späteren, rein analytischen Arbeiten von Clausius und in noch höherem Grade von den Abhandlungen jüngerer
Gelehrten, wie Boltzmann, Stefan, Loschmidt, van der
Waals u.a.“ Die Ursache der auffallenden Erscheinung, dass eine so
wichtige Theorie selbst Naturforschern, von den hier in erster Linie in Frage
kommenden Ingenieuren garnicht zu sprechen, nur oberflächlich bekannt geworden ist,
sieht Professor Meyer zum Teil in dem ungewohnten und
darum befremdenden Charakter der Grundvorstellungen, hauptsächlich aber in der
mathematischen Form der veröffentlichten Abhandlungen.
Indessen ist auch durch das sehr elementar geschriebene Werk „Die kinetische
Theorie der Gase“ von Dr. Oscar Meyer,
Professor der Physik an der Universität Breslau (1877) in den letzten beiden
Jahrzehnten die kinetische Gastheorie keineswegs populär geworden, sondern im
Gegenteil sind von verschiedenen Seiten gegen dieselbe sehr berechtigte Einwände
erhoben worden. Der Hauptgrund, warum dieser Theorie so geringes Interesse geschenkt
wird, dürfte vielmehr in Wahrheit in dem Umstande zu suchen sein, dass die
Grundlagen nicht fest und sicher gelegt und die theoretischen Schlussfolgerungen mit
den Ergebnissen der Versuche garnicht in Einklang zu bringen sind.
In der That treten gerade in dem Meyer'schen Buche
das in erster Linie auf die Bestätigung der Theorie durch die Beobachtung Wert legt,
für einen aufmerksamen und streng logisch denkenden Physiker die Widersprüche
zwischen Theorie und experimenteller Forschung deutlich zu Tage, so dass die
nachstehende Erklärung Meyers:
„Die vortreffliche Uebereinstimmung, welche sich aus den verschiedenartigen
Beobachtungen ergab, hat meine eigenen Erwartungen weit übertroffen und wird,
wie ich zuversichtlich hoffe, jeden meiner Leser von der Richtigkeit der
Grundanschauungen unserer Theorie überzeugen“ mit grosser Vorsicht
aufzunehmen und auf ihre Berechtigung hin erst einer eingehenden und sachlichen
Prüfung zu unterziehen ist.
Obwohl ich schon im Jahre 1884 durch Professor Lothar
Meyer (Tübingen), den Bruder des soeben erwähnten Physikers, auf das
Studium der kinetischen Gastheorie aufmerksam gemacht worden bin, so habe ich mich
doch niemals mit derselben eingehender beschäftigen mögen, weil ich damals nach der
ersten Folge der „Neuen Grundgesetze zur rationellen Physik und Chemie“ von
Dr. E. Dühring zu der Ueberzeugung gelangte, dass aus
der kinetischen Theorie die für Physik und Chemie grundlegenden Spannungsgesetze der
Gase nicht korrekt abgeleitet werden können. Indessen erscheint mir dies, wenn man
die Lehre von der mittleren Wegelänge der Moleküle mit Rücksicht auf die
Vibrationstheorie richtig auslegt, heute in gewissem Sinne durchführbar. Bevor ich
hierauf eingehe, möchte ich nach Meyer's Darstellung
einige Bemerkungen über das Wesen der Gaskinetik vorausschicken.
Man nimmt nach derselben zunächst an, dass das betrachtete Gas der Einwirkung
äusserer Kräfte, wie z.B. der Schwerkraft, entzogen, und mit ausreichender
Genauigkeit die Annahme zulässig sei, dass in dem Gase keine Kohäsion von Belang
vorhanden sei. „Ist diese doppelte Voraussetzung erfüllt, so bewegen sich die
Molekeln der gasförmigen Stoffe frei, ohne den Einfluss einer auf sie wirkenden
Kraft. Eine freie Bewegung ohne Kraft geht nach dem Gesetze der Trägheit
vor sich mit unveränderlicher Geschwindigkeit nach unveränderlicher
Richtung. Demnach ist die Hypothese, welche die Grundlage der Theorie der Gase
bilden muss, die, dass die Wärmebewegung der Molekeln eines Gases in einer
geradlinig, mit gleichförmiger Geschwindigkeit fortschreitenden Bewegung
bestehe.
Hierzu ist, wie sich fast von selbst versteht, hinzuzufügen, dass ein Molekel nur
so lange seinen geraden Weg verfolgen kann, als es auf kein Hindernis stösst.
Trifft es aber auf eine Wand oder stösst es auf ein anderes Gasmolekel, so muss
wegen der Undurchdringlichkeit der Materie eine plötzliche Aenderung der
Bewegungsrichtung eintreten. Zwei zusammenstossende Molekeln prallen also,
vielleicht ähnlicher wie zwei elastische Bälle, von einander ab. Der
wesentlichste Punkt in unserer Hypothese ist also, dass die Bewegung eines
Gasmolekel zwischen zwei aufeinander folgenden Zusammenstössen mit anderen eine
geradlinige Richtung und unveränderliche
Geschwindigkeit besitze.“
Allerdings lässt sich aus der vorstehenden Anschauung, wie ja schon Daniel Bernoulli 1738 in seiner Hydrodynamica gethan
hat, das sogenannte Mariotte'sche oder Boyle'sche Näherungsgesetz über die Beziehung zwischen
Spannung und Volumen der Gase ableiten; aber leider versagt dies Gesetz, nach
welchem der Quotient \frac{p_0\,v_0}{p\,v}=1 ist, schon bei Druckschwankungen bis zu 2
Atmosphären, wie aus den Beobachtungen Régnault's (s.
Wüllner, Experimental-Physik Bd. I) deutlich
hervorgeht. Noch stärker jedoch werden die Abweichungen und zwar auch für die
sogenannten permanenten Gase bei hohen Spannungen, so dass man in der kinetischen
Gastheorie sich mit der bequemen Einschränkung zu helfen gesucht hat, die
theoretischen Schlussfolgerungen nur für solche Medien als giltig anzunehmen, welche
dem Boyle'schen Gesetze genau folgen, Medien, welche
man, da sie nur in der Idee existieren, ideale Gase
genannt hat. Mit solchen idealen Gasen kann man sich wohl allenfalls in analytischen
Formeln beschäftigen. Dies kann aber nicht der Ingenieur und Techniker, der in der
Praxis mit den Spannungsgesetzen wirklicher Gase zu rechnen hat. Aufklärung giebt
auch nicht die Bemerkung Meyer's auf S. 14 seines
Buches, dass jene Betrachtungen für die wirklich existierenden permanenten Gase in
der Hauptsache ebenfalls richtig bleiben, und die zwischen der Beobachtung und der
Theorie hervortretenden Abweichungen von keiner grösseren Bedeutung sein werden, als
die der Differenzen in den erwähnten Régnault'schen
Beobachtungen. Eine solche Vermutung kann man jedoch nur aussprechen, wenn man sich
auch wirklich von der Richtigkeit derselben auf Grund der längst vorhandenen
Versuche von Régnault und Natterer und später von Amagat überzeugt hat.
Dieser Beweis fehlt bei Meyer. Auch die von Dühring, Clausius aufgestellte bezw. von van der Waals aus der kinetischen Gastheorie
abgeleitete, auf das Zwischenvolumen bezogene Formel des Spannungsgesetzes der Gase
stimmt allerdings im grossen und ganzen mit der Beobachtung überein, versagt aber
bei Temperaturerniedrigung ebenfalls, wie ich in der Arbeit „Uebereinstimmung der
Spannungs-, Volumen- und Temperaturgesetze der Stoffe mit den Absorptions- bezw.
Emissionsgesetzen der Aetherschwingungen“ (Verhandlungen des Vereins zur
Beförderung des Gewerbfleisses, Sonderabdruck, 1900) gezeigt habe. Die daselbst von
mir mit Hilfe der Vibrationstheorie gefundenen Formeln stimmen mit den Maxwell'schen Endformeln für den wahrscheinlichen
Zustand der Gase vollständig überein, wie am Schluss dieser Arbeit näher dargelegt
werden soll.
Die Gase bestehen, wie ja unbestreitbar ist, aus einer für jeden Raum bestimmten
Anzahl von Gasmolekeln, die sich selbst wieder aus einzelnen Elementaratomen
zusammensetzen. Als Stoffteilchen müssen diese Molekeln auch die den Körpern als
solchen eigentümlichen Eigenschaften besitzen, d.h. sie müssen ebenso, wie dies die
grösseren Massenanhäufungen thun, Wellenstrahlen aufnehmen und aussenden. Würden die
Elementarteilchen nicht solche Wellen ausstrahlen, so würden ja auch die ganzen
Körpermassen dies nicht können, denn die Gesamtausstrahlung ist erst das endliche
Produkt aller Teilstrahlen. Jene Gasmolekeln, welche ich mir erstlich der
Einfachheit wegen, zweitens aber auch darum, um eine Uebereinstimmung mit der
Gestalt der grossen Massenmolekeln des Weltsystems herzustellen, als
kugelförmig denke, sind ebenso, wie die Körper unseres Sonnensystems, bis zur
äussersten Dünnheit des Weltäthers von einer in konzentrischen Schichten sich
allmählich verdünnenden Atmosphäre und von einer Aetherhülle en miniature
umschlossen zu denken. In beiden Fällen ist also der zwischen den Molekeln
befindliche Raum die Wirkungssphäre der inbetracht kommenden Kräfte. Bei den
einfachen Gasen können sich die einzelnen Elementarteile infolge der
Vibrationsbewegung bei gleichbleibender Temperatur und unter demselben Druck nicht
weiter nähern, weil dann Ausgabe und Aufnahme der nötigen Vibrationsbewegung
einander gleich sind. Eine Raumänderung oder besser Zwischenvolumenänderung kann bei
ihnen daher nur durch Druckänderung eintreten, wie dies in den verbesserten Gesetzen
von Boyle und Gay-Lussac
angegeben wird.
Nach der Vibrationstheorie wird demnach die Konstanz der Spannung bei
gleichbleibender Temperatur dadurch bedingt, dass dem eingeschlossenen Gase in Form
von Aetherschwingungen aus der Umgebung soviel lebendige Kraft zugestrahlt wird, als
es an das umgebende Mittel in Form von Schwingungen abgiebt. Bei der kinetischen
Gastheorie wird dagegen zur Erklärung die sachlich nicht haltbare Annahme gemacht,
dass die auf die Gefässwandungen mit grosser Geschwindigkeit aufprallenden
Gasmolekeln die Körperteilchen der Gefässwand mechanisch garnicht beeinflussen
können, mit anderen Worten also, dass die letztere absolut starr gegen die
Gasmolekeln sich verhalte und dieselben infolge ihrer vollkommenen Elastizität daher
mit gleicher Geschwindigkeit wieder zurückfliegen. Da jedoch die materiellen
Teilchen eines Körpers durch Stösse von viel geringerer Geschwindigkeit in Vibration
versetzt werden können, wie beispielsweise durch die Schallschwingungen, so dürfte
eine derartige Annahme nicht statthaft sein und deren Berechtigung erst nachgewiesen
werden müssen. Der gleichen Forderung ist natürlich auch bei der Vibrationstheorie
Genüge zu leisten, d.h. man muss den Nachweis führen, dass bei dem für die
Schwingungen angenommenen Kraftgesetze sich die obigen Gesetze wirklich ergeben und
Widersprüche mit den Beobachtungen nicht vorkommen.
Die Moleküle der Körper, in denen Aetherschwingungen stattfinden, müssen, wie dies
schon Sellmeyer in Pogg. Ann. Band CXLV und CXLVII
dargelegt hat, ebenfalls in Schwingungen versetzt werden, wenn die Molekeln des
Aethers und des Körpers überhaupt aufeinander einwirken können. Ist dies
thatsächlich der Fall, so ist die Gleichgewichtslage der körperlichen Moleküle nicht
nur durch die relative Lage der anderen körperlichen Moleküle, sondern auch durch
die relative Lage der Aetherteilchen oder Aetheratome bedingt. Werden diese in einem
Körper verschoben, so muss dadurch auch die Gleichgewichtslage der ersteren eine
andere werden; die körperlichen Molekeln müssen sich gegen die neue
Gleichgewichtslage hin bewegen und, wenn dieselbe eine stabile ist, um dieselbe
Schwingungen vollführen, deren Dauer von der molekularen Beschaffenheit des Mittels
abhängig ist. Wenn nun der Aether in Schwingungen versetzt wird, so ist in jedem
Momente die Gleichgewichtslage der körperlichen Moleküle eine andere; dieselbe
schwingt mit der Bewegung des Aethers isochron hin und her und zwar in einer
Amplitude, welche derjenigen der Aetherschwingungen proportional ist. Die
Schwingungen, welche dadurch entstehen, müssen natürlich sehr kompliziert sein, da
die Molekeln einmal mit ihrer Gleichgewichtslage und ausserdem um diese schwingen
müssen.
Auf rein analytischem Wege erhält man nach der vorstehenden Anschauung, wie man a. a.
O. nachsehen kann, für die Schwingungen der körperlichen Moleküle die Gleichung
\xi=\frac{\tau^2}{\tau^2-\delta_2}\,a_0\,sin\,2\,\pi\,\frac{t}{\tau} . . . . . (1)
wenn die Schwingung der Aetheratome in paralleler Richtung
durch die Gleichung
\xi'=a'\,sin\,\frac{2\,\pi\,(t+a')}{\tau} . . . . . . (2)
gegeben ist. Hierin ist τ die
Schwingungsdauer des Aethers, a0 die der Amplitude a'
proportionale Amplitude der Gleichgewichtslage,
δ die Dauer der dem Körper eigentümlichen Schwingungen.
Es ist nun, um den Einfluss der Aetherschwingungen auf diese molekularen
Schwingungen zu bestimmen, die lebendige Kraft zu ermitteln, welche von den
Aetherteilchen an die Körperteilchen übergeht. Schwingt ein Aethermolekül mit der
Amplitude a hin und her, so ist nach dem für alle
bisher bekannten Naturkräfte massgebenden Kraftgesetze
\frac{d^2\,\xi}{d\,t^2}=-k\,\xi . . . . . . . . . . (3)
die Arbeit, welche geleistet werden muss, um das Aetherteilchen aus der
Entfernung ξ in ξ + d ξ zu bringen, k m ξ d ξ,
wenn m die Masse des Aetherteilchens bedeutet; folglich
ist die Arbeit, um das Aetherteilchen bis zur Amplitude a zu entfernen, gleich
\int_0^a\,k\,m\,\xi\,d\,\xi=\frac{1}{2}\,k\,m\,a^2
(Fortsetzung folgt)