Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 162 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von Bd. 317, S. 652).
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
2. Die zweifach gekuppelte Schnellzuglokomotive mit
vorderem Drehgestell ist vom theoretischen Standpunkt besser als die
zuletzt besprochene Anordnung, wogegen bei ihr hinsichtlich der Unterbringung der
Rostfläche oft konstruktive Schwierigkeiten entstehen, welche bei hinterer Laufachse
nicht auftreten. Die Entstehungsgeschichte dieser in den letzten 15 Jahren zu
allgemeiner Anerkennung gelangten Type, ihre Herkunft und ihre Zukunft ist bereits
eingehend besprochen; es soll nur noch daran erinnert werden, dass der Umbau der
alten ⅔ gekuppelten Lokomotive aus den vier Klassen derselben selbst zu vier neuen
Typen führen musste, von denen a) und d) im vorigen Kapitel erledigt wurden, während
jetzt b) und c) in einzelnen Mustern vorzuführen sind. Da diese beiden kaum
unterschieden werden können und besonders das de
Glehnsche Verbundsystem eine Vermischung derselben verursacht hat, weil beide
Triebachsen bei demselben von je einem Zylinderpaar angetrieben werden, und weil
endlich die Type c) niemals für sich zur Bedeutung gelangt ist, so soll die
Unterscheidung fallen gelassen werden, um so mehr als jetzt nach der Art der
Triebwerke geordnet werden soll, damit nicht Zwillings- mit Verbundlokomotiven aller
Art zusammengeworfen werden. Im einzelnen ist also zu besprechen:
a) die Zwillingslokomotive und zwar: die des alt
hergebrachten Systems, welches den Höhepunkt der Leistungsfähigkeit jetzt erreicht
hat, mindestens auf amerikanischer Seite, und deshalb hier zuerst auch aufgegeben
worden ist, um im Inland der fünfachsigen Maschine zu weichen; Beschränkung der
Achsdrücke, der zulässigen Ausladung durch Betriebsbestimmungen, sowie des
Radstandes durch das System selbst sind die Ursache dieses Zurücktretens; ferner die
vorerst auf ein einzelnes Betriebsfeld beschränkte, noch im Versuchsstadium
befindliche Heissdampflokomotive, welche dazu berufen
sein kann, vorläufig die vierachsige Maschine auf der Höhe zu halten und sogar der
fünfachsigen wieder den Hang abzulaufen, wo die Leistungen nicht zu hoch geschraubt
sind.
b) die Verbundlokomotive, nach Bauart von v. Borries, Gölsdorf u.s.w. (unsymmetrisch), Worsdell (mit 3 Zylindern), de
Glehn (mir 4 Zylindern, versetzt), Webb, v.
Borries (mit 4 Zylindern, auf eine Achse wirkend). In bezug darauf
seiein für alle Mal von jetzt ab die Klassenbezeichnung der Tabelle 1901, 316, S. 350 eingeführt.
Ferner ist bei allen Gruppen auf Lokomotiven mit Luftschneideflächen besondere
Rücksicht genommen. –
Es folgen daher:
a) Zwillingslokomotiven.
Die Hauptabmessungen und Verhältnisse einer Reihe von bemerkenswerten Mustern finden
sich in nebenstehender Tabelle.
Im einzelnen ist zu den in der Tabelle aufgenommenen Lokomotiven zu bemerken:
1. Die Schnellzuglokomotive der
„Chicago-Alton-Bahn“, erbaut von Brooks
Locomotive Works 1900, ist ein sehr moderner, stattlicher Vertreter des
seit 1837 in Amerika üblichen „American Type“. Die Besonderheiten der
amerikanischen Bauart brauchen nicht besprochen zu werden. Die vorliegende
Lokomotive zeichnet sich nur aus durch Kolbenschieber, durch den für
Zwillingsmaschinen ungebräuchlichen und wahrscheinlich nicht ökonomischen
Kesseldruck von fast 15 Atm., und inbetreff ihrer Ausstattung durch die
Westinghousebremsung des Drehgestells und durch die elektrische Kopflaterne; der
Rost ist ein Schüttelrost; im übrigen ist sie ganz normal (Fig. 46a).
Textabbildung Bd. 318, S. 162
Fig. 46a.Chicago-Alton.
Entsprechend dem Kesseldurchmesser und der Rostbreite, wie sie die grossen Heiz- und
Rostflächen erfordern, ist die
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Chicago-Alton; Cleveland-,
Chicago-Cinncinati- u. St. Louis; Delaware-Lackawanna & Western; Badische
Staatsbahn; Französische Staatsbahn; Preuss. Staatsbahn Heissdampf; Englische
Westbahn; Caledonische Bahn; Englische Ostbahn; London und Südwestbahn
Zylinderdurchmesser d mm; Kolbenhub s;
Triebraddurchmesser D; Kesseldruck p; Heizfläche H aussen
innen qm; Rostfläche R; Adhäsionsgewicht Qa;
Deienstgew. Q ohne Tender mit; Vorräte Kohlen
Wasser; Tourenzahl Höchste Leistg. bei 97km/St; Adhäsionszugkraft Z2;
Maschinenzugkraft Z1; Kraftziffer; Gewichtsziffer;
Ladeziffer; Kraftwerte kg/t; Geschw. Werte Ps/t
Kesselhöhe bei diesen neueren amerikanischen Maschinen sehr
bedeutend, ebenso gehen die Achsdrücke der Triebräder nicht mehr unter 19 t
herunter, wohl aber oft darüber. Die Zugkräfte sind hoch, werden weitgehend
ausgenutzt (man rechnet in Amerika bis ¼ Adhäsion, so dass bei 40 t Adhäsionsgewicht
10000 kg Zugkraft verlangt werden), und die Leistungen oft beträchtlich; mit sehr
schweren Zügen müssen oft Grundgeschwindigkeiten von 97 km/Std. eingehalten werden.
Textabbildung Bd. 318, S. 163
Fig. 46b.Big Four.
Aehnlich sind die grossen Lokomotiven anderer amerikanischer Hauptbahnen, wie z.B.
der New York Central, Pensylvania, Boston und Albany, Lehigh Valley, Cleveland,
Cincinnati, Chicago & St. Louis Bahn (Fig. 46b);
u.s.w.
2. Die Personenzuglokomotive der „Delaware, Lackawanna und
Western Bahn“, erbaut von den Schenektady
Locomotive Works im Jahre 1901, wurde im gleichen Jahre auf der
Panamerikanischen Ausstellung in Buffalo gezeigt. Die Woottensche Feuerbüchse mit der sehr grossen Rostfläche von nicht weniger
als 8,2 qm wurde durch das auf der erwähnten Bahn übliche minderwertige
Brennmaterial, Anthracitstaub niederster Sorte, erfordert. Infolge der Verwendung
solchen Brennstoffs bleiben gewisse Bahnen treue Anhänger der Wootten sehen Feuerbüchse, wie z.B. die Lehigh-Valley,
die Philadelphia und Reading, und besonders die Delaware, Lackawanna und
Western-Bahn, welch letztere diese Form für Lokomotiven jeder Art durchwegs annimmt.
Die 2/4 gekuppelte
Lokomotive für Schnellzugdienst eignet sich nur unter besonderen Bedingungen dafür,
welche jedochschon seit 1877 erfüllt werden konnten: die Unterbringung des sehr
breiten Rostes über der hinteren Triebachse erfordert nicht zu hohe Triebräder
einerseits, sowie sehr hohe Kessellage andererseits. Erstere haben in dem hier schon
der konstruktiven Eigentümlichkeiten wegen angezogenen Beispiel, einen Durchmesser
von 1755 mm, letztere beträgt im Mittel 2,84 m über S. O., also immer noch ein in
Europa bis jetzt nicht ganz erreichtes Mass. Im übrigen ist die Lokomotive normal
(Fig. 47).
Textabbildung Bd. 318, S. 163
Fig. 47. Delaware Lackawanna & Western.
Zu beachten ist das grosse Dienstgewicht von 63 t bei dieser wie bei der vorigen
Gattung, sowie das Reibungsgewicht von nicht weniger als 42 t, welches zeigt, auf
welche Stufe der kommerziellen Brauchbarkeit die amerikanische Lokomotive bei
grösster Einfachheit getrieben worden ist; in Europa müsste bei den niedrigen
Achsdrücken für dieselbe Leistung eine ⅗ gek. Lokomotive gewählt werden, d.h. eine
weniger einfache, vielteiligere und häufiger reparaturbedürftige Form. Dass aber bei
der amerikanischen Lokomotive in der, doch durch eine schwingende Kurbel
angetriebenen, in der Stopfbüchse gerade geführten Schieberstange das dem Kreuzkopf
entsprechende höchst einfache Bolzengelenk fehlt und an seiner Stelle nur eine
Keilverbindung vorhanden ist, ist eine in Amerika leider sehr beliebte, vom
theoretischen (und hinsichtlich der Vermeidung von Reparaturen, welche durch die
Klemmung hervorgerufen werden, auch vom praktischen) Standpunkt aus als höchst
unsauber zu verwerfende „Vereinfachung“ der Konstruktion, welche sich bei den
schönsten amerikanischen Lokomotiven findet, und geeignet ist, alles übrige etwa in
solchen vereinigte imponierende Genie mit einem hässlichen Schatten zu streifen.
Merkwürdig ist es nun auch, dass, weiss Gott aus was für Gründen, derselbe Fehler
absichtlich von der Firma Ernesto Breda in Mailand bei
der in Paris 1900 ausgestellten 2/4 gek. Schnellzuglokomotive für die italienische
Südbahn gemacht worden ist.
Die Leistungen der 2/4 gek. Lokomotive, des sogenannten „American
Type“ im Schnellverkehr sind bekannt genug. Erwähnt sei nur die zur
Berühmtheit gewordene No. 999 der New Yorker Zentralbahn, welcher im Jahre 1893 den
„Exposition Flyer“ von New York nach Buffalo führte, und mit 44 Wagen
belastet, auf dieser 713 km langen Strecke eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 99
km/Std.
erzwang, bezw. von 102 km/Std. zwischen den einzelnen Haltestellen. Unter
anderem wurde die Strecke Albany-Syracuse, 248 km, in 2 Std. 26 Min. durchfahren,
also ein Durchschnitt von 102 km/Std. Die erreichte Höchstgeschwindigkeit betrug 165
bezw. 161 km/Std.
am 9. bezw. 19. Mai 1893 (über eine Strecke von 1,6 bezw. 8 km in 35 Sek. bezw. 3
Min.). (Siehe „Railroad Gazette“ vom 26. Mai und 2. Juni 1893.)
Aehnliche, wenn auch nicht ganz so hoch gesteigerte Leistungen, hat manche Lokomotive
des „American Type“ durch sehr hohe Geschwindigkeit auf kürzeren oder hohen
Durchschnitt auf längeren Strecken bewiesen; für das Aufzählen aller dieser Daten
mangelt hier der Raum.
Dass trotz allem, trotz der grossen hochliegenden Kessel und hohen Achsdrücke, gerade
in Amerika diese Type nun ihre Bedeutung verloren hat, ist nur ein Beweis für die
ungeheuren Ansprüche, welche neuerdings, d.h. seit etwa 6 Jahren, drüben an die
Lokomotive gestellt werden.
In der alten Welt ist noch keine Rede davon, dass sich die 2/4 gekuppelte
Lokomotive allgemein überlebt hat; hier ist sie noch zu neu und hat noch zu wenig
geleistet, d.h. leisten können. Besonders in Deutschland, wo erst seit kurzem
glücklich 16 t Achsdruck und 100 km/Std. zugelassen sind, lässt sich noch viel
ausrichten.
Schaut man sich zunächst auch hier auf dem Festland nur nach Zwillingsmaschinen um,
so ist da freilich von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht viel zu berichten. Ausser
der Heissdampflokomotive hat fast überall das Zwillingssystem dem Verbundsystem
weichen müssen.
Bemerkenswert sind folgende Maschinen:
3. Die Schnellzuglokomotive der Badischen Staatsbahn ist
die zweite Auflage der in den Jahren 1892 und 96 in in grosser Zahl beschafften,
genau nach englischem Muster gebauten Gattung, im Jahre 1900 von der Sachs. Maschinenfabrik Chemnitz geliefert. Von der
früheren Serie unterscheidet sich diese wesentlich garnicht, äusserlich aber durch
die Luftschneideflächen zu denen die Vorder wände des Führerhauses und der
Rauchkammer ausgebildet sind.
Die Leistungsfähigkeit der Lokomotive ist gering; die sehr kleine Heizfläche, das
Zwillingssystem, die kleinen Abmessungen der Dampfzylinder, alles wirkt zusammen, um
bei der geringsten Ueberlastung des Zuges (Jahresdurchschnitt etwa 29 Achsen [1898])
Vorspann zu verlangen oder Verspätung zu bewirken; ersterer ist geradezu bei
einigermassen schweren Zügen zur Tagesordnung geworden, während von einem Einfahren
der letzteren überhaupt keine Rede ist. Daran bessern auch die in einigen Mustern
dieser Gattung vorhandenen Serve-Rohre nichts, während
die Luftschneiden nur in der Leerfahrt fühlbar sind; im Zug dagegen wird oft die
gewöhnliche Vorspannlokomotive vor die mit
Luftschneiden versehene gesetzt, woraus die Zwecklosigkeit der letzteren in diesem
Beispiel wenigstens erhellt (Fig. 48).
So bleibt denn diese (im übrigen vorzügliche, sehr schöne) Maschine meilenweit hinter
den gleichartigen englischen Mustern zurück. Eine 2/4 gekuppelte Lokomotive könnte,
unbeschadet ihrer deutschen Schwächen, ganz anders beschaffen sein, wofür Beweise
folgen werden. Immerhin sind nacheinander 35 Stück der „Gattung IIc“
beschafft worden, ohne geringste Aenderung der erstmalig gewählten
Abmessungen,welche ja für die damaligen Verhältnisse passend gewesen sein
mögen, als die Maschine entworfen wurde. –
Der Tender dieser Maschine war ursprünglich dreiachsig, wurde aber bald durch einen
vierachsigen mit 15,5 cbm Inhalt auf zwei Drehgestellen amerikanischer Bauart
ersetzt.
Seit 1. März 1902 ist in Deutschland die Geschwindigkeit 100 km/Std.
freigegeben; diese badische Maschine hat aber nichts davon erfahren, obgleich sie in
ihrer Blütezeit (1892–96 etwa) bekannt war durch die 105 km/Std. die sie
auf günstigen Strecken (ohne Tachometer und ohne Genehmigung) fahren konnte und zu
fahren pflegte, und obgleich Maschinen von einer dem Schnellfahren weniger günstigen
Anordnung, wie z.B. die 2/4 gekuppelte preussische unsymmetrische
Verbundlokomotive, jetzt ganz glatt auf 100 km/Std. sich hinaufwagen und dieses Tempo bequem
einhalten.
Textabbildung Bd. 318, S. 164
Fig. 48. Badische Staatsbahn.
4. Die Schnellzuglokomotive der französischen
Staatsbahn. gebaut von Schneider & Co.,
Creusôt, ausgestellt in Paris 1900, ist eine der vorigen, bis auf die Lage der
Zylinder, welche aussen liegen, sehr ähnliche Form, jedoch mit viel höherer
Leistungsfähigkeit. Die Besonderheiten sind:
Tiefe Belpaire-Feuerkiste zwischen den Triebrädern, im
vorderen Teile mit Klapprost versehen, über dem sich ein Feuergewölbe befindet; Serve-Rohre, Ricoursche
Kolbenschieber mit innerer Einströmung, denen eine hochgradige Unverwüstlichkeit,
sowie eine Erhöhung des maschinellen Wirkungsgrades (bis 85 v. H.) und der
Sparsamkeit im Brennstoffverbrauch (bis zu 3 v. H.) nachgerühmt wird, abgesehen von
der um 10 v. H. höheren Anzugskraft; Froschmaulblasrohr, endlich planmässig
durchgeführte Luftschneideflächen vor der Rauchkammer und dem Führerstand (Fig. 49a u. b).
Textabbildung Bd. 318, S. 164
Fig. 49a.Französische Staatsbahn.
Der Tender von nur 10 cbm Wasserinhalt ruht auf zwei Achsen; dieser geringe
Fassungsraum rührt vielleicht davon her, dass auf der französischen Staatsbahn
zwischen Chartres und Thouars ein 2 km langer Wassertrog zur Aufnahme des Vorrats in
voller Fahrt beabsichtigt war, der unterdessen auch tatsächlich gelegt worden
ist.
Diese Maschinengattung ist übrigens in zwei in der Grösse der Zylinder verschiedenen
Ausführungen vorhanden; der Zylinderdurchmesser der einen beträgt 440, der andern
460 mm. Die erstere wurde genauen Versuchen zur Feststellung der Anzugs- und
Dauerzugkraft, der Leistung und des Kohlen- und Wasserverbrauchs unterworfen und
scheint sich als vorzüglich und sparsam in jeder Beziehung erwiesen zu haben, wie
aus folgendem hervorgeht:
Die grösste Anzugskraft war 7400 kg bei 70 v. H. Füllung. Die grösste Leistung
betrug 1000 PS, die Dauerleistung mindestens 800 PS, so dass die spezifische
Leistung von 6 PS/qm, an sich schon hoch, zumal bei einer Zwillingslokomotive, leicht
abgegeben worden ist; Züge von etwa 120 bis 140 t hinter dem Tender konnten auf der
Horizontalen mit 100–105, auf der Steigung von 1/200 mit 85, auf der Steigung von 1/100 mit 70 und
auf dem Gefall mit 1/200 mit 120 km/Std. mühelos und dauernd befördert werden. Das
Anziehen eines solchen Zuges auf 90 km/Std. aus der Kühe erforderte nur 2 Min. 54 Sek. auf
einer Wegstrecke von 2850 m. Jedenfalls eine sehr gute Leistung für eine
verhältnismässig leichte und durchaus normale Lokomotive.
Textabbildung Bd. 318, S. 165
Fig. 49b.Französische Staatsbahn.
Immerhin sind die aus diesen Versuchen gezogenen Schlüsse in der Weise wenigstens,
wie sie die „Revue de mécanique“ (April 1900) bringt, anfechtbar, da sie
alles, was bisher zu G unsten der Verbundlokomotive ausgesagt und anerkannt worden
ist, über den Haufen werfen. Die erwähnte Quelle sagt nämlich (kurzgefasst):
„Hohe Dampfdrücke können in massig grossen Zylindern nach Zwillings Wirkung sehr
vorteilhaft ausgenutzt werden, wenn nur für grosse Kanalquerschnitte und
gehörige schädliche Räume gesorgt wird; ferner
a) Bei gleicher Kesselheizfläche sind die Zugkräfte der Zwillings- und
Verbundmaschine gleich bei niederen Geschwindigkeiten; bei höheren aber ungleich
zu Gunsten der ersteren, und zwar um so mehr, je höher die Geschwindigkeit über
100 km/Std.
hinausgeht, sodass also das Zugsgewicht für eine Verbundlokomotive mehr
verringert werden muss, als für eine Zwillingslokomotive, der somit im
Schnellbetrieb der Vorzug zu geben ist, was zunächst nur die Leistung
betrifft.
b) Bei gleicher Zugkraft ist der Dampfverbrauch für die beiden Systeme ebenfalls
gleich, nur bei niederen Geschwindigkeiten macht sich ein Unterschied zu Gunsten
der Verbundmaschine geltend; bei sehr hohen Geschwindigkeiten dagegen wird die
Zwillingsmaschine nicht nur stärker, sondern auch entschieden sparsamer.
c) Der Gang der Zwillingsmaschine ist leichter, der Verbrauch für Schmierung
geringer, die Reparaturen sind seltener, die Anlagekosten sind bei der einfachen
Maschine besonders durch den Wegfall der Kröpfachsen (bei äusseren Zylindern)
geringer.
Alles in allem sollte für den wahren Schnellbetrieb im Flachland deshalb nur die
Zwillingslokomotive Verwendung finden, während die Verbundmaschine ins Gebiet
des Güterzugbetriebes und des schweren „Schnellzug“ dienstes im Gebirge
verwiesen werden muss; erstere eignet sich somit für hohe, letztere für geringe
Tourenzahlen.“ –
Diese Folgerungen sind mindestens überraschend und neuartig; so sehr sie mit der
bisherigen Meinung im Widerspruch stehen, so wenig kann geleugnet werden, dass etwas
Wahres in Manchem enthalten sein muss. Zur Verteidigung dieser Schlüsse lässt sich
auch noch anführen, dass gerade bei hohen Geschwindigkeiten Versuche bisher so
eingreifend nicht vorgenommen worden sind, sodass diese Entdeckungen eher als
Ergänzung, denn als Widerspruch aufzufassen. sind in einem Gebiet, wo noch keine
Beobachtungen bisher vorhandenwaren. Ferner hat es bisher an geeigneten
Versuchsobjekten, d.h. vorzüglichen Zwillingsmaschinen, für sehr hohe
Geschwindigkeiten, gefehlt, an welchen solche hervorragenden Ergebnisse hätten
gefunden werden können, und so geht auch die auf den preussischen Normaltypen
aufgebaute Lochnersche Verbrauchstabelle nur bis 90 km/Std. hat also
keine Uebertragbarkeit auf ausnehmend gute Verhältnisse. Jedenfalls ist dem Ricourschen Kolbenschieber das Haupt verdienst daran
beizumessen, und einen Teil mögen die Luftschneideflächen beigetragen haben.
Für den Schnellbetrieb ist endlich folgende Behauptung der erwähnten Quelle
wichtig:
„Der Wasserverbrauch für ein Nutzstundenpferd pflegt 9,5 l zu betragen im
gewöhnlichen Schnellzugsdienst (?) für beide Maschinenarten, was somit den
besten ortsfesten Anlagen für dieselben Betriebsbedingungen gleichkommt. Bei
sehr hohen Geschwindigkeiten (250 bis 300 Touren in der Minute), dagegen sinkt
für die Zwillingsmaschine (nur für diese) dieser Verbrauch auf 9 l herab, was
denjenigen der besten ortsfesten Anlagen, mit oder ohne Kondensation,
unterbietet!“
Bei solchen Ergebnissen ist der Ausbau der Zwillingslokomotive mit Ricourschen Schiebern, und – das dürfen wir ruhig
hinzusetzen – mit Ueberhitzer, allerdings sehr begreiflich; letzterer sollte heute
nicht mehr vergessen werden (trotz der Patentgebühren), wenn eine solche
Schnellzuglokomotive, wie die soeben beschriebene der französischen Staatsbahn, sich
auf der Höhe halten und erfolgreich den Kampf mit der elektrischen Zentrale
aufnehmen soll. Eine an sich ausgezeichnete Maschine steigt naturgemäss noch um
viele Stufen, wenn eine Dampf sparende Einrichtung, von der Bedeutung, wie sie dem
Ueberhitzer beizumessen ist, zu ihren übrigen Errungenschaften hinzutritt. Ein
Beispiel, welches auch die erwähnte Einrichtung aufweist, und schon die verdiente
Aufmerksamkeit dadurch auf sich gezogen hat, ist
5. die Heissdampf-Schnellzuglokomotive der preussischen
Staatsbahn, gebaut 1902, (Fig. 50). Sie ist
das endgiltige Ergebnis einer steigenden Verbesserung, welcher die ursprüngliche
Ausführungsform vom Jahre 1899 auf Grund der Betriebsergebnisse unterworfen wurde.
Auf konstruktive Einzelheiten soll hier nicht weiter eingegangen werden; es sei
verwiesen auf die allerorts wahrscheinlich bekannten Berichte von Garbe über „die Anwendung des Heissdampfes im
Lokomotivbetrieb“, von v. Borries über
„Neuere Fortschritte im Lokomotivbau“ (Organ 1901, 1902; Z. d. V. d. Ing.
1901, 1902), von Brückmann über „die Lokomotiven der
Pariser Weltausstellung 1900“ (Z. d. V. d. Ing. 1901 ff.), sowie auf die
erstmalige kurze Erwähnung der Heissdampflokomotive in dieser Arbeit (D. p. J. 1902,
317, S. 79); im übrigen möge hier mit Bezug auf diese
neueste Form wiederholt und ergänzt werden:
Textabbildung Bd. 318, S. 165
Fig. 50. Preussische Staatsbahn.
Aus dem Reglerdom gelangt der Dampf rechts vom Schornstein in eine längs der
Rauchkammer in diese eingebaute Kammer, welche durch eine Scheidewand in zwei Teile
getrennt ist, deren hinterer den Eintritts- und deren vorderer den Austrittsraum des
Ueberhitzers darstellt. Aus dem ersteren gelangt der Dampf durch drei konzentrische
Rohrbündel in eine zweite Kammer, die auf der anderen (linken) Kaminseite, der
ersten symmetrisch, in der Rauchkammer liegt, wo er sich verteilt, um aus der
vorderen Hälfte durch ein gleiches Rohrbündel zurück zur dritten Kammer, d.h. zur
vorderen Abteilung der ersten zu gelangen. Von dort erfolgt der Austritt durch das
Gabelrohr in die beiden aussen liegenden Zylinder. Diese Rohrbündel, im ganzen 65
Rohre (33 mm l. W.), sind nun in eine konzentrisch um die eigentliche Rauchkammer
gelegte schmale ringförmige Kammer eingebaut, in welche auf dem Boden des
Langkessels unmittelbar durch ein weites Flammrohr die Heizgase aus der Feuerbüchse
eingeführt werden, da die Rauchkammertemperatur zu gering ist, um eine wirksame
Ueberhitzung zu ermöglichen. Dieser Schmidtsche
Ueberhitzer erlaubt bei einem Temperatur gefalle der Heizgase von etwa 800° C. eine
Ueberhitzung des Dampfes bis auf 380° C, während eine solche von 300° C. auf die
Dauer sehr leicht eingehalten werden kann. Die Dampfmaschine ist entsprechend
ausgebildet: möglichst gleichmässige Massenverteilung ist bei Zylinder und Schieber
beobachtet, um Wärmeanhäufungen und damit ungleichmässige Dehnungen zu vermeiden.
Der Schieber ist ein geteilter Kolbenschieber mit innerer doppelter Einströmung; er
besitzt je zwei nicht aufgeschnittene Dichtungsringe; der Durchmesser beträgt nun
für alle Heissdampftypen 150 mm. Die Reibungsarbeit ist so gering, dass einerseits
zum Umlegen der Steuerung auch unter vollem Druck der gewöhnliche Handhebel weitaus
genügt, während andererseits die Abnützung auch nach einem Lauf der Lokomotive von
30000 km noch nicht merkbar ist. Die Schmierung erfolgt durch Schmierpresse von Michalk.
Es ist noch zu bemerken, dass der Ueberhitzer einen geräumigen Aschfall mit Rohr
besitzt, dass die Wölbung der Rohre vor dem Flammrohr mit zunehmender Entfernung von
demselben immer geringer wird, und dass diese Eintrittskammer der Grase in die
Rauchkammer geöffnet werden kann. Dadurch ist eine möglichst grosse Ausnutzung der
Heizgase erzielt, ein Verstopfen des Ueberhitzers völlig vermieden, und das ganze
der Reinigung leicht zugänglich; letztere geschieht übrigens vom Gröbsten ganz
einfach durch Durchblasen mittels Dampfstrahls mit Hilfe einer besonderen Blasdüse
im Flammrohr. Vor dem Ueberhitzer besitzt die gut verlängerte Rauchkammer ein
Aveites Aschfallrohr, sodass ein Verbrennen der Ueberhitzerwände verhütet wird, wozu
im Notfall ein Spritzrohr mithilft. Die Klappen unter beiden Dampfkammern, durch
welche die Ueberhitzergase vom Blasrohr abgesaugt werden, werden im Stillstand der
Maschine durch das Oeffnen des Hilfsbläsers geschlossen und damit der Ueberhitzer
ausgeschaltet. Die Anordnung des Ueberhitzers und der Maschine ist aus den
schematischen Darstellungen (Fig. 51a u. b) im Prinzip zu entnehmen.
Textabbildung Bd. 318, S. 166
Fig. 51a.Schema des Ueberhitzers.
Die nun seit zwei Jahren durchgeführten Versuche mit Heissdampflokomotiven der
Eisenbahndirektionen Halle und Berlin haben sehr schöne zum Teil verblüffende
Ergebnisse gezeitigt.
Die Dauerleistung der Maschinen ist 900–1000 PS, was spezifisch bei 105 qm
Kesselheizfläche also etwa 9 PS/qm ausmacht; leicht sind aber auch 1000–1100 PS zu
erreichen, und als höchste Leistung ergaben sich 1300 PS. Dies übertrifft bei weitem
die Fähigkeiten der gewöhnlichen 2/4 gekuppelten Verbundlokomotive der preussischen
Staatsbahn, welche nicht über 850 PS getrieben werden kann, besonders nicht bei
Vorhandensein des zu eng ausgefallenen Wechselventils, welches bei grossen
Geschwindigkeiten den Dampf drosselt.
Textabbildung Bd. 318, S. 166
Fig. 51b.Schema des Heissdampf-Kolbenschiebers.
a. Einströmung, b.
Ausströmung.
Diese hohen Leistungen sprechen für die Gründlichkeit und durchdachte Feinheit der
ganzen Konstruktion, abgesehen von den Eigenschaften des trockenen Heissdampfs an
sich, dessen Vorteile für den Schnellbetrieb nicht überschätzt werden können. Dass
in der geringen Dichte und der gasartigen Dünnflüssigkeit, sowie der Trockenheit des
Heissdampfs gerade für sehr grosse Geschwindigkeiten, d.h. Tourenzahlen der
Maschine, bis jetzt noch nicht untersuchte und noch nicht theoretisch bewiesene
Vorzüge und brauchbare Fähigkeiten versteckt sind, ist kaum zu leugnen, wenigstens
lassen sich für einen merkwürdigen Fall keine Erklärungen anderer Art
herbeischaffen:
Mit einem Zug von 6 D-Wagen, d.h. 180 t hinter dem Tender, durchlief die Lokomotive
eine horizontale Strecke von 61 km Länge in 33 Min., d.h. mit einem Durchschnitt von
111 km/Std. Die
Dauerleistung betrug 1100 PS, die Höchstgeschwindigkeit 115 km/Std., die
Tourenzahl 300 Min. und die Kolbengeschwindigkeit 6 m/Sek. im Durchschnitt. Dieser hohe
Beharrungszustand wurde mühelos aufrecht erhalten und beweist, welchen Ansprüchen
die an sich kleine Lokomotive dieser Bauart gerecht werden kann.
Im gewöhnlichen Betrieb wird von derselben die Beförderung von 40, sogar 50 Achsen,
d.h. 300–375 t hinter dem Tender, verlangt, was einem Gesamtzugsgewicht von 400–470
t entspricht. Die Aufgabe wird glänzend gelöst, ohne dass je Vorspann erforderlich
wäre; im Gegenteil, durch die Einstellung dieser Maschinen in den täglichen Betrieb
ist der vorher bei Zügen über 25 Achsen fast unvermeidliche Vorspann ganz in Wegfall
gekommen. Der Gang der Maschine ist so ruhig, als überhaupt von einer heutigen
Zwillingslokomotive bei äusseren Zylindern zu erwarten ist, trotz der hohen
Kolbendrücke (bis 25000 kg), wie sie die grossen Kolben bedingen. Gerade durch die
Vergrösserung der Zylinder von den anfänglichen 480 mm (der Verbundlokomotive
nachgebildet) auf 520 mm, und durch die damit zusammenhängende Verkleinerung der
Dauerfüllung von 25 auf 15 v. H. ist die Leistung so stark gestiegen. Dazu trägt
einerseits die Verbesserung des kalorischen Wirkungsgrades ηc durch die geringe Füllung,
andererseits die Abschwächung der Blasrohrschläge bei. Thatsache ist, dass die
erforderliche Leistung bei der Heissdampflokomotive mit viel geringerer
Luftverdünnung in der Rauchkammer erreicht wird, als sonst der Fall, so dass die
Blasrohrwirkung eine gleichmässigere Verbrennung und Verdampfung und damit eine
Schonung des Kessels und der Mannschaft, sowie eine wesentliche Brennstoffersparnis
herbeiführt. Die Luftverdünnung beträgt nur 75 mm Wassersäule im Mittel, geht aber
bis 50 mm herunter, während man für sehr hohe Leistung mit höchstens 110 mm
auskommt, seitdem das Blasrohr von 115 auf 130 mm erweitert ist. Ein weiterer Vorzug
ist die geringe Menge mitgerissener Flugasche, wodurch die Heizfläche von Kessel und
Ueberhitzer länger rein gehalten werden kann. Nebenbei bemerkt sind aber diese bis
herunter zu 2 v. H. Füllung erhaltenen Indikatordiagramme geradezu ideal. Hilft man
noch durch gehörige schädliche Räume dazu, dass die Kompression bei diesen geringen
Füllungen und
grossen Kolbenflächen ein unschädliches, ihrem Zweck als Polster entsprechendes Mass
beibehält (die französische Ostbahn nimmt deshalb bis 18 v. H. schädlichen Raum!) so
hat die geringe Füllung durchaus keinen Nachteil auf die Ruhe des Ganges, sondern
behält ihre Vorzüge unbeschadet. Nur auf die Beanspruchung des Triebwerks haben dann
die grossen Kolbenkräfte noch unangenehmen Einfluss, und schon im Interesse der
Reparaturen sollte auch die Heissdampflokomotive Verbundmaschine erhalten, um diese
Kolbenkräfte zu teilen; bei der Vierzylinder-Verbundmaschine könnten zugleich die
hin- und hergehenden Massen ausgeglichen werden, und damit wäre nach jeder Beziehung
Genüge geleistet. Mit den heutigen Heizflächen von 260 qm könnte eine 2/6 gekuppelte
Vierzylinder-Verbund-Heissdampflokomotive wohl 3000 PS höchste Leistung erzielen
Schade, dass Versuche dieser Art noch auf sich warten lassen. Die Zeit wird immerhin
über kurz oder lang vom Lokomotivbau den Versuch verlangen, und mindestens müsste
endlich Heissdampf mit Verbundsystem vereinigt werden, um der Untersuchung der
Wirtschaftlichkeit näher treten zu können.
Was endlich die Wirtschaftlichkeit der hier beschriebenen Lokomotive hinsichtlich
Kohlen- und Wasserverbrauch betrifft (abgesehen vom Wegfall des Vorspanns, der schon
hoch genug anzuschlagen ist), so hat sich gezeigt, dass die Heissdampflokomotive
nicht weniger als 12 v. H Kohlen und 30 v. H. Wasser weniger braucht als die
ziemlich gleiche Verbundlokomotive, die selbst von jeher als Muster von Sparsamkeit
mit Recht gegolten hat. Der Kohlenverbrauchfür die Leistungseinheit ist nun
schon auf etwa 0,9 kg/PS gefallen, was durch Verbundlokomotiven bisher nicht zu erreichen
war.
Es ist unter diesen Umständen nur zu bedauern, dass, geschweige dass das Ausland sich
an den Schmidtschen Ueberhitzer versuchsweise ebenfalls
heranwagt, im Ausland überhaupt die Heissdampflokomotive und ihre grossen Erfolge
fast unbekannt, mindestens unbeachtet bleiben, und dass höchstens Kleinigkeiten,
welche mit dem Heissdampf nichts zu thun haben, ab und zu Erwähnung in der Presse
finden. Im Ausland wird dieser grösste Fortschritt des deutschen Lokomotivbaues mit
Stillschweigen übergangen, während die Sache ihrer grossen Bedeutung entsprechend in
Wirklichkeit die Aufmerksamkeit der Welt verdient hat und hoffentlich noch erobern
wird, um zu zeigen, dass die in Paris 1900 allerdings angestaunte
Heissdampflokomotive nicht die einzige und letzte ihres Zeichens war, wie man
vielleicht auswärts glauben könnte. Vorläufig aber haben alle diese Bestrebungen
einen so internen, man möchte sagen familiär preussischen Charakter, dass sie noch
nicht einmal über das Gebiet der preussischen Staatsbahnen hinaus in die anderen
deutschen Bahnen gedrungen sind. –
Von beachtenswerten 2/4 gekuppelten Zwillingslokomotiven bietet das europäische Festland ausser den hier
beschriebenen Mustern garnichts, so dass man seine Umschau daselbst beenden und zum
Schluss dem Mutterland der Lokomotive, England, sich zuwenden kann.
(Fortsetzung folgt.)