Titel: | Die Beurteilung des Wertes von Sprengstoffen. |
Autor: | Rudolf Blochmann |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 216 |
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Die Beurteilung des Wertes von
Sprengstoffen.
Von Dr. Rudolf Blochmann,
Zivil-Ingenieur und Sachverständiger für Sprengtechnik.
Die Beurteilung des Wertes von Sprengstoffen.
Für die Beurteilung von Sprengstoffen ist eine auf empirischen Untersuchungen beruhende Kenntnis von deren Eigenschaften
zweifellos von frohem Werte, weil sich dadurch nicht allein ihr Sprengwert und damit
also auch ihr Kaufwert, sondern auch ihre Sicherheit gegen die Gefahren der
Schlagwetterzündung von vornherein angeben lassen.
Es ist nun bisher noch nicht möglich gewesen, die Vorgänge einer Explosion während derselben vollkommen messend zu verfolgen, weil
die Messapparate der zerstörenden Wirkung der Explosion nicht stand halten können.
Um so mehr ist es von Wichtigkeit, die verschiedenen für die Vorgänge während einer
Explosion massgebenden Werte einzeln durch Versuche zu ermitteln. Der Lösung dieser
Aufgabe ist nun eine grossere Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen von Sprengstoffen gewidmet gewesen, welche in dem
Versuchslaboratorium der Sprengstoff A.-G. Carbonit in
Schlebusch unter der Leitung des Herrn Direktors
C. E. Bichel ausgeführt und von demselben in der
Zeitschrift für das Berg–, Hütten- und Salinenwesen im Königreiche Preussen (Bd. L,
Heft 3) veröffentlicht worden sind.
Die dort mitgeteilten bedeutsamen, mit Aufwand beträchtlicher Geldmittel und
langjähriger Arbeit gewonnenen Versuchsergebnisse boten Veranlassung zu einer Reihe
von Folgerungen und allgemeinen Betrachtungen, die den Gegenstand der folgenden
Abhandlung bilden. Es wurde dabei angenommen, dass die pyrodynamischen Erscheinungen
im allgemeinen, besonders aber das verschiedene Verhalten der Sprengstoffe gegenüber
der Schlagwettergefahr von allgemeinem Interesse sind.
Die Theorie der Sprengstoffe ist bisher in Frankreich zweifellos am meisten gefördert
worden. Alle französischen Forscher auf diesem Gebiete, namentlich die Herren Berthelot, Sarrau u. Vieille, Mallard u. Le Chatelier,
Moisson, Roux, legen ihren Untersuchungen und Ableitungen die
Zersetzungsgleichung der chemischen Bestandteile des Sprengstoffs zu- I gründe und
übertragen vielfach Gesetze, welche für gewöhnliche Verhältnisse als bestätigt
gelten können, auch auf dieVerhältnisse der Explosion, wo es sich um Drucke und
Temperaturen handelt, die unmittelbar bisher noch niemand und noch kein Instrument
zu messen imstande war. Man bekommt freilich auf diese Weise exakte Formeln und
durch deren Anwendung leicht rechnerisch bestimmte Ergebnisse, doch kann man nicht
mit einer durch Versuche zu erhärtenden Sicherheit deren Richtigkeit behaupten;
ebenso wenig lässt sich freilich ihre Zulässigkeit zahlenmässig widerlegen. Die von
den französischen Forschern bis zu einem hohen Grade der Vollkommenheit ausgebildete
Theorie der Wirkungen der Sprengstoffe beschäftigt sich hauptsächlich mit deren
Kraftleistungen und betrachtet dabei vornehmlich die entstehenden Druckgrössen, in
zweiter Linie die verrichteten Arbeiten, nicht aber die Sicherheit der Sprengstoffe
gegen Schlagwetterzündung.
Aber gerade die mehr oder weniger grosse Sicherheit eines Sprengstoffs gegen die
Schlagwetterzündung bietet uns eine Handhabe, sozusagen eine Probe auf das Exempel
zu machen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass Sprengstoffe, welche nach den
französischen theoretischen Ableitungen und Formeln (und nach denselben sind sogar
unter beliebigem Herausgreifen weniger der hier in Frage kommenden Verhältnisse,
gesetzliche Bestimmungen erlassen worden)Die in
dem „Circulaire du ministère“ vom 1. Aug. 1890 enthaltenen
Bestimmungen lauten:1. Les produits de la détonation ne doivent renfermer aucun élément
combustible, tels que hydrogène, oxyde de carbone, carbone solide etc.2. Les températures de détonation des explosifs ne doivent pas passer 1500°
dans les travaux en couche, et 1900° dans les travaux au rocher.
als schlagwettersicher gelten müssen, dies keineswegs sind, und umgekehrt Stoffe,
welche nach den französischen Bestimmungen in schlagwettergefährlichen Gruben nicht
angewendet werden dürfen, tatsächlich in Mengen angewendet werden können, die
grösser sind als die bei der praktischen Sprengarbeit im Bergwerk gewöhnlich
gebrauchten. Der französische
Textabbildung Bd. 318, S. 217
Allgem. Kennzeichung des
Sprengstoffes; Name des Sprengstoffes; Chemische Zusammensetzung des
Sprengstoffes; Form des Sprengstoffes; Grösste erreichbare Ladedichte; 1 kg
Sprengstoff nimmt einen Raum ein von; Ausbauchung des Trauzlschen Bleiblockes;
Ladung: 10 g, Durchmesser und Höhe des Blockes: 20 cm; Druck einer Patrone von
100 g in 15 l-Kammer nach Ausschaltung der Einnach Ausschaltung der Einwirkung
der Oberfläche; Druck einer Patrone von 1 kg auf die Flächeneinheit der Wandung
in einer 1 lder Kammer (berechn. nach 7a); Druck auf die Flächeneinheit der
Wandung im eig. Vol. (ber. n. 7a. u. 5a.); 1000 g Sprengstoff entwickeln bei der
Explosion gasförmige Stoffe (auf 15° und 1 Atm. reduziert; Auf 1 l eingenommenen
Raum entfallen bei der Explosion gasförmige Stoffe (auf 15° u. 1 Atm.
reduziert); Anzahl der Kalorien, welche 1 kg Sprengstoff entwickelt;
Entzündungsgeschwindigkeit (m in der Sekunde); Dauer der Stichflamme von 100 g
Sprengstoff (1/1000 Sek.); Länge der Stichflamme von 100 g Sprengstoff; Eine
Patrone von 30 mm Durchmesser überträgt die Entzündung auf eine andere auf eine
Entfernung von mm; 7 v. H. Schlagwettergemische m. aufgewirbelten Kohlenstaub
werden gezündet von; Reziproke Werte der vorigen Spalte × 100 (Masszahlen für
Schlagwettergefährlichkeit); Gegen Schlagwetter scher;
Nitroglyzerin-Sprengstoffe; Ammoniaksalpeter-Sprengstoffe; Gegen Schlagwetter
unischer; Nitroglyzerin-Sprengstoffe; 1. Schwarzpulver; 2. Sprenggelatine; 3. 65
v. H. Geltine-Dynamit; 4. 75 v. H. Guhr-Dynamit; 5. Donarit; 6. Ammoncarbonit I;
7. Ammoncarbonit; 8. Thunderite; 9. Carbonit II; 10. Carbonit I; 11.
Kohlencarbonit; 12. Carbonite; 75 v. H. Salpeter, 13 v. H. Kohle, 12 v. H.
Schwefel; 92 v. H. Nitroglyzerin, 8 v. H. Kollodiumwolle; 63 ½ v. H.
Nitroglyzerin, 1 ½ v. H. Kollod. Wolle, 27 v. H. Natronsalpeter, 8 v. H.
Holzmehl; 80 v. H. Ammonsalpeter, 12 v. H. Trinitrotoluol, 3,8 v. H.
Nitroglyzerin, 0,2 v. H. Kollod. Wolle, 4 v. H. Mehl; 4,5 v. H. Stärkemehl, 80,3
v. H. Ammonsalp., 5 v. H. Kalisalp., 4 v. H. Nitroglyzerin, 0,2 v. H. Kollof
Wolle, 6 v. H. Kohlenstb.; 82 v. H. Ammonsalpeter, 10 v. H. Kalisalpeter, 4 v.
H. Mehl, 4 v. H. gelat. Oel; 92 v. H. Ammonsalpeter, 4 v. H. Mehl, 4 v. H.
Trinitrotoluol; 30 v. H. Nitroglyzerin, 24 ½ v. H. Natronsalp., 30 ½ v. H.
Natronsalp., 39 ½ v. H. Mehl, 1 v. H. Barytsalpeter, 1 v. H. Lohmehl, ½ v. H.
Soda; 25 v. H. Lohmehl, ½ v. H. Soda; grobe Körner poliert; gummiartig; knetbar;
trocken, teigartig; trocken, pulverig; wie feuchter Sand; bröckelig, plastisch;
bröckelig, weich
Gedankengang ist, kurz skizziert, dieser: Jede Explosion besteht in einer nach
einer bestimmten Gleichung vor sich gehenden chemischen Zersetzung und wird
begleitet von bestimmten thermischen Verhältnissen, welche bewirken, dass eine
bestimmte Temperatur bei diesem Vorgange erreicht wird. Diese Temperatur, welche
übrigens als ganz unabhängig von der verwendeten Sprengstoffmenge angenommen wird,
wird aus den thermischen Werten der betreffenden Zersetzungsgleichung rechnerisch
ermittelt. Dann wird gesagt: Sprengstoffe, bei welchen diese errechnete Temperatur
unter einer bestimmten Grenze liegt, gelten als schlagwettersicher; liegt die
Temperatur aber über jener Grenze, so gelten sie als unsicher. Es mag ferner auch
noch darauf hingewiesen sein, dass die französischen Bestimmungen den Gebrauch von
Sprengstoffen, deren angenommene Zersetzungsgleichung auf der rechten Seite das
Auftreten von C, CO, H aufweist, von der Verwendung in
schlagwettergefährlichen Gruben ganz ausschliessen. Man hat hierbei keine Rücksicht
darauf genommen, ob etwa das bei manchen Sprengstoffen nur in wenigen Prozenten sich
bewegende Auftreten jener genannten Gase tatsächlich in den aus einigen Patronen
sich entwickelnden Mengen eine Gefahr darstellt. Die Tatsache, dass in Deutschland
seit mehr als 15 Jahren Sprengstoffe verwendet werden, welche bei ihrer Zersetzung
nicht unerhebliche Mengen von CO erzeugen, ohne
dass irgendwie Nachteile dadurch entstanden wären, widerlegt wohl am besten die
Befürchtung, welche bei der Festsetzung der französischen Bestimmung mit massgebend
gewesen zu sein scheint.
Sind demgemäss die französischen Bestimmungen als auf rein theoretischen Ableitungen
beruhende aufzufassen, so sehen andererseits die deutschen Bestimmungen über die
Schlagwettersicherheit von Sprengstoffen ganz von solchen theoretischen
Betrachtungen ab und stellen sich auf einen rein empirischen Standpunkt. Man stellt
sich nämlich in Ermangelung von natürlichen Grubengasbläsern ein den zumeist
auftretenden Schlagwettern entsprechendes künstliches Schlagwettergemisch mit
Methan, Leuchtgas, Benzin, Kohlenstaub her, füllt mit demselben eine Versuchsstrecke
an und schiesst mit verschiedenen Mengen des fraglichen Sprengstoffs aus unbesetztem
Bohrloche in das Gasgemisch. Als schlagwettersicher kann man im allgemeinen
Sprengstoffe ansehen, von denen eine Patrone, wie sie zumeist beim Sprengen im
Bergwerk Verwendung finden, das ist eine Menge von beispielsweise 350 g, eine
Entzündung niemals hervorruft. Genügt aber eine Menge von 350 g oder weniger zur
Erzielung einer Entzündung, so gilt der betreffende Sprengstoff als nicht
schlagwettersicher.Die entsprechenden
englischen Bestimmungen schreiben eine feste Besetzung des Sprenglochs vor
und setzen als Grenzmenge diejenige Menge fest, welche einen Ausschlag des
ballistischen Pendels von 3,2 Zoll ergibt. Einheitliche
Vorschriften bestehen hier noch nicht. Selbstverständlich ist eine möglichst hohe
Sicherheit, wobei dann also auch die Verwendung grösserer Sprengstoffmengen erlaubt
ist, in jedem Falle durchaus erwünscht.
Ohne Zweifel sind die Arbeiten der französischen Forscher ein beredtes Zeugnis von
deren hervorragender Fähigkeit zu mathematisch-exakter theoretischer Bearbeitung
eines so schwer zu behandelnden Gebiets, wie es das vorliegende darstellt; wenn man
aber die Auswahl treffen soll, zwischen empirisch kontrolierbaren Verfahren und
solchen, die auf theoretischen Voraussetzungen fussen, so erscheint mir doch den
ersteren in diesem Falle der Vorzug gegeben werden zu müssen. Es lässt sich übrigens
vermuten, dass die Endergebnisse der exakten Theorie mit den empirisch gewonnenen
Versuchsergebnissen, wie sie sich aus den Arbeiten der Sprengstoff A.-G. Carbonit herleiten, garnicht so weit
auseinanderliegen,wie sich bei einer weiteren Verfolgung dieses Gegenstands,
die sich der Verfasser vorbehält, ergeben dürfte.
Es kann aber auch nicht geleugnet werden, dass es wünschenswert ist, wenn es gelingen
würde, zwischen den Normen für Schlagwettersicherheit und den übrigen Eigenschäften
eines Sprengstoffs Beziehungen zu ermitteln, welche von vorneherein über dessen mehr
oder weniger grosse Sicherheit ein Urteil zu bilden uns ermöglichten.
Nach diesem Ziele hin nun bewegen sich die von der Sprengstoff A.-G. Carbonit in deren Versuchslaboratorium in Schlebusch,
besonders von Herrn Dr. Mettegang ausgeführten
Arbeiten, und man kann wohl sagen, dass diese Arbeiten uns dem Ziele ein gut Stück
näher gebracht haben. Es könnte vielleicht Wunder nehmen, dass nicht schon früher
derartige Untersuchungen nach wissenschaftlichen Grundsätzen angestellt und
systematisch durchgefürt wurden. Es muss aber hervorgehoben werden, dass solche
Untersuchungen über Sprengstoffe ja nur an Stellen vorgenommen werden konnten, wo
man über die behördliche Konzession zur Lagerung bezw. Herstellung von Sprengstoffen
in grossen Mengen und leicht auch über diese selbst verfügte: Bedingungen, wie sie
z.B. für die Laboratorien der staatlichen Hochschulen nicht vorliegen. Umsomehr
verdient es anerkannt zu werden, wenn eine Sprengstoffabrik selbst in so eingehender
und wissenschaftlich systematischer Weise an eine Untersuchung ihrer Erzeugnisse
herangegangen ist, wodurch empirische Grundlagen geschaffen worden sind, welche es
auch ohne formelmässige Behandlung der Sache ermöglichen, jeden neuen Sprengstoff,
welcher diesen Untersuchungen unterworfen wird, in die Reihe der derart bekannten
Sprengstoffe einzureihen und damit für den praktischen Gebrauch vollkommen zu
kennzeichnen. Die Schlebuscher Untersuchungen tragen somit durchaus einen
empirischen Charakter: sie stellen sich ausschliesslich und grundsätzlich auf den
Boden des Versuchs, so sehr, dass auch die Endergebnisse nicht in formelmässigen
Zusammenhang gebracht uns entgegentreten.
Das Endergebnis der Untersuchungen stellt vielmehr die S. 217 abgedruckte Tabelle
dar. Man kann diese Tabelle mit einem Blick überschauen, und doch ist es zweifellos,
dass zur Gewinnung der in ihr enthaltenen Zahlen langjährige Arbeit und
beträchtliche Geldmittel aufgewendet werden mussten. Die einzelnen Reihen dieser
Tabelle sollen im folgenden besonders betrachtet werden, wobei zugleich der
Untersuchungsverfahren, nach denen die Zahlen gewonnen wurden, gedacht werden muss.
Die Untersuchungsverfahren sind zum grössten Teile überhaupt vordem noch nicht in
der in Schlebusch benutzten Ausbildungsweise angewendet worden.
Die ersten 4 Reihen enthalten allgemeine Kennzeichen der zu den Versuchen
herangezogenen Sprengstoffe. Dies sind hauptsächlich die Sicherheitssprengstoffe,
mit deren Fabrikation sich die Sprengstoff A.-G.
Carbonit in Schlebusch beschäftigt; sodann, um Vergleiche mit anderen
Sprengstoffgruppen leichter zu ermöglichen, das Sprengpulver als sehr wenig
brisanter Sprengstoff und einige der bekannteren und im Bergbau gebräuchlichen
Nitroglyzerinsprengstoffe mit hoher Brisanz.
Die Zahlen der Reihe 5 sind durch Feststellung der Dichte der patronierten
Sprengstoffmengen gewonnen worden.
Die Reihe 6 enthält Ergebnisse von Versuchen mit dem Bleiblock, welche, seit Herr Trauzl sie angab, vielfach angewendet werden und zur
Vergleichung ähnlicher Sprengstoffe wohl dienen können, wenn sie zuverlässig und in
grösserer Zahl ausgeführt werden. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass zur
Vergleichung verschiedenartiger Sprengstoffsorten das Trauzlsche Verfahren sich garnicht eignet, wie jeder z.B. daraus erkennen
kann, dass die Ergebnisse für zwei in ihrer Wirkung so verschiedene Sprengstoffe,
wie Donarit und Dynamit, ziemlich dieselben sind.
(Fortsetzung folgt.)