Titel: | Die Beurteilung des Wertes von Sprengstoffen. |
Autor: | Rudolf Blochmann |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 248 |
Download: | XML |
Die Beurteilung des Wertes von
Sprengstoffen.
Von Dr. Rudolf Blochmann,
Zivil-Ingenieur und Sachverständiger für Sprengtechnik.
(Schluss von S. 234 d. Bd.)
Die Beurteilung des Wertes von Sprengstoffen.
So wie der Druckmesser als eine verbesserte Form eines Crushers oder der mit
einem Registrierapparate verbundenen Sarrauschen,
manometrischen Bombe angesehen werden kann, so stellt auch das in Schlebusch zur
Ermittelung der bei einer Explosion erzeugten Wärmemenge verwendete Kalorimeter eine
Vervollkommnung der Berthelotschen kalorimetrischen
Bombe dar. Denn damit zweifellos explosionsartige Zersetzungen mit den zur
Einleitung einer Explosion erforderlichen bestimmten Zündern vorgenommen werden
konnten und der Einfluss dieser unentbehrlichen Zünder auf das Gesamtergebnis nicht
erheblich wurde, war es nötig, mit Sprengstoffmengen von 100 g und mehr zu arbeiten
und dementsprechend mussten die Abmessungen des ganzen Apparates beschaffen sein. Es
wurde eine geschmiedete Stahlflasche von 301 Inhalt mit einer Vorrichtung zum
luftdichten Verschluss und zum Luftauspumpen versehen; der Sprengstoff wurde in der
Mitte der Bombe aufgehängt und elektrisch gezündet. Im übrigen entsprechen alle
Einrichtungen den bei Kalorimetern üblichen mit denjenigen Umänderungen, welche
durch die veränderten Druck- und Grossen Verhältnisse notwendig waren. Die
Wassermenge betrug etwa 70 l; der gesamte Wasser- und Met all wert der Bombe betrug
etwa 72 Kal.; die Rührung geschah maschinell. Die nebenstehende Abbildung (Fig. 7) dürfte den Apparat in genügender Weise
erläutern.
Textabbildung Bd. 318, S. 248
Fig. 7. Druckmesser.
Mit Hilfe des Explosions-Kalorimeters lassen sich nun diejenigen Wärmemengen an 9 den
Ablesungen der Anfangsund Endtemperatur ermitteln, welche dem Anfangszustand vor der
Explosion (fester Sprengstoff) und dem schliesslich hergestellten Endzustand
(abgekühlte Gase und event. sonstige Substanzen) entsprechen. Es ist hierbei
wichtig, zu beachten, dass ein gewisser Teil der so zur Erwärmung des
Kalorimeterwassers beitragenden Kalorien nicht unmittelbar aus der eigentlichen
Explosion sich herschreibt, sondern aus Vorgängen sich herleitet, die im Anschluss
an die Explosion erst nachträglich, wenn die Temperatur
im Innern wieder sinkt, sich vollziehen. Es waren demnach bei den untersuchten
Sprengstoffen zu berücksichtigen diejenigen Wärmemengen, welche durch Kondensation
des Wassers innerhalb der Zersetzungsgase, und ferner diejenigen, welche infolge der
Bildung von Bikarbonaten aus Karbonaten durch Aufnahme von CO2 frei
werden. Es ist durchaus notwendig diese Verhältnisse zu berücksichtigen, da sie z.B.
bei den Ammonsalpeter-Sprengstoffen, welche viel Wasser und feste Karbonate bilden,
viele Hundertteile ausmachen. Die Zahlen der Reihe 8 in der Tabelle sind mit solchen
erforderlichen Verbesserungen versehen. Die so ermittelten Wärmemengen sind es nun,
welche einen bestimmenden Einfluss auf die Höhe der bei der Explosion des betr.
Sprengstoffs erreichten Höchsttemperatur ausüben. Wir finden solche Temperaturzahlen
aber selbst nicht in der Tabelle. Es musste auch von
einer Mitteilung derselben Abstand genommen werden, sollte nicht das Gebiet der
reinen Empirie verlassen werden. Denn zur Errechnungder Temperaturen würde die
Kenntnis der spezifischen Wärmen der Explosionsgase bei hohen Temperaturen und hohen
Drucken erforderlich sein, und diese können bisher nicht als hinreichend sicher
durch Versuche festgelegt gelten. Es muss deshalb hier darauf hingewiesen werden,
dass die von den französischen Forschern als bestimmte Kennzeichen für einen jeden
Sprengstoff angegebenen Temperaturen – abgesehen davon, dass sie auf grund
angenommener und nicht durch Versuche genau nachzuprüfender Zersetzungsgleichungen
bestimmt sind – auch hierin eine Unsicherheit enthalten, sodass man von Angabe
solcher Temperaturen als bestimmter einem Sprengstoff zugehöriger Grossen,
wenigstens zur Zeit noch, in der Tat besser absieht.
Es ist ferner wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Detonationsgeschwindigkeit und
überhaupt die Zeitdauer der Explosion oder die Zeit,
welche vom Beginne der Explosion bis zur Erreichung der höchsten Drucke vergeht,
keinen Ausdruck in der Theorie der französischen Forscher gefunden hat. Zweifellos
ist aber der Einfluss der Zeitdauer einer Explosion auf deren zerstörende Kraft und
namentlich auf deren Schlagwettersicherheit von hervorragender Bedeutung, wie sie ja
auch bei der Beurteilung der mit den „Crushern“ in Frankreich und England
erhaltenen Ergebnisse ihre Berücksichtigung findet. Ausser der in bekannter Weise
(durch Detonation langer Strecken eines Sprengstoffs und Messung der dazu
verbrauchten Zeiten mit dem Le Boulengé-Apparat)
bestimmten Detonationsgeschwindigkeit, für welche die Zahlen in Reihe 10 enthalten
sind, haben die Schlebuscher Arbeiten zum erstenmale auch die „Stichflammen“
zum Gegenstände der Untersuchung gemacht. Unter Stichflammen sind hier die
Lichterscheinungen verstanden, welche sich garbenähnlich beim Schiessen aus einem
Mörser ins Freie bilden. Diese „Flammen“ wurden photographiert mit einem
Apparat, welcher als Objektiv eine Quarzlinse trägt, die auch die den höchsten
Temperaturen entsprechenden ultravioletten Strahlen ungemindert durchlässt. An
Stelle der Bildplatte, befindet sich ein auf einer schnell rotierenden Trommel
aufgespanntes Film. Zwischen Quarzlinse und Trommel, dicht vor dieser, ist ein
Schirm angebracht, der einen senkrechten Spalt trägt. Bei stillstehender Trommel
entspricht die Länge des Bildes der Flammenlänge und
die Breite des Bildes der Breite des Spaltes. Bei schnellaufender Trommel dagegen
verzerrt sich das Bild nach der Breite und gibt dadurch ein Mass der Flammendauer,
da man die Umfangsgeschwindigkeit der Trommel in Millisekunden angeben kann. Mehrere
solcher Flammenbilder sind in Fig. 8–11 wiedergegeben, während die dafür gefundenen
Masszahlen in den Reihen 11 und 12 der Tabelle enthalten sind.
Die Zahlen der Reihe 13 geben uns ein Mass für die Fähigkeit eines Sprengstoffs unter
Ueberbrückung eines Luftraumes auf benachbarte Patronen derselben Sorte seine eigene
Explosion zu
übertragen. Es sind dies Grossen, die sich zwar sehr leicht gewinnen lassen, die
aber einen hervorragenderen Wert zur bestimmten Kennzeichnung von Sprengstoffen kaum
besitzen. Man erkennt dies auch schon daran, dass für die gegen Schlagwettergefahr
sichersten Sprengstoffe ziemlich hohe Werte auftreten.
Textabbildung Bd. 318, S. 249
Fig. 8.
Textabbildung Bd. 318, S. 249
Fig. 9.
Textabbildung Bd. 318, S. 249
Fig. 10.
Textabbildung Bd. 318, S. 249
Fig. 11. Fig. 8–11. Photographische Darstellung der Flammenlänge und
Flammendauer detonierender Sprengstoffe.
Endlich sind noch Masszahlen angegeben, welche in direktem Bezug stehen zu den
deutschen Bestimmungen über die Schlagwettersicherheit: nämlich in Reihe 14a die
Höchstwerte der Sprengstoffmengen, welche 7 v. H. Schlagwettergemische mit
aufgewirbeltem Kohlenstaub gerade nicht mehr zünden; Sprengstoffmengen, welche die
angegebenen Grenzwerte übersteigen, sind also imstande Zündungen unter solchen
Verhältnissen herbeizuführen. Diese Zahlen haben daher als Mass für die
Schlagwettersicherheit zu gelten. Ihre in Reihe 14b zusammengestellten
Reziprokengeben dagegen, unmittelbar den Grad der Schlagwettergefährlichkeit
der betr. Sprengstoffe an.
Es ist zweckmässig, die eigentlichen reziproken Werte durchgängig mit 100 zu
multiplizieren, weil man dann Messzahlen gewinnt, die den Sprengstoff als schlagwettersicher kennzeichnen, bei dem sie Werte
zeigen, die kleiner als die Einheit sind.
Zweifellos sind die zuletzt angegebenen, die Schlagwettergefährlichkeit der
verschiedenen Sprengstoffe nach der deutschen Methode bestimmenden Zahlen nicht ohne
inneren Zusammenhang mit den in den früheren Reihen enthaltenen Zahlen. Formelmässig
lässt sich dieser Zusammenhang freilich noch nicht aufstellen; aber man erkennt ihn
noch deutlicher, als aus der Tabelle, wenn man die wichtigsten Zahlen derselben zu
einem Schaubilde vereinigt (Fig. 12).
Es heben sich die beiden Gruppen der schlagwettersicheren und unsicheren Sprengstoffe
hier deutlich von einander ab; und in den zur letzteren Gruppe gehörenden vier
Sprengstoffen sind wiederum das Schwarzpulver und die Nitroglyzerin enthaltenden
Sprengstoffe deutlich als verschiedenartig untereinander gekennzeichnet. Es genügt
eben nicht, eine einzelne Eigenschaft eines Sprengstoffs ins Auge zu fassen, sondern
man muss ihre Gesamtheit betrachten, wenn man sich ein Urteil über die
Schlagwettersicherheit eines Sprengstoffes aus seinen allgemeinen pyrodynamischen
Eigenschaften bilden will.
Textabbildung Bd. 318, S. 250
Fig. 12.
Schwarzpulver; Sprenggelatine;
Gelatinedynamit; Guhrdynamit; Donarit; Ammoncarbonit I; Ammoncarbonit;
Thunderite; Carbonit II; Carbonit I; Kohlencarbonit; Carbonite;
Bleiblockausbauchungen; Drucke, gemessen in der 15 l Kammer; Drucke in eigenen
Volumen; Gasmengen a) von 1 kg, b) von 1 l Sprengstoff; Entwickelte Wärmemengen;
Entzündungsgeschwindigkeiten; Dauer der Stichflammen; Länge der Stichflammen;
Schlagwettergefährlichkeit.
Man würde z.B., wenn man beim Schwarzpulver von der Betrachtung der Flammendauer
absähe, wohl geneigt sein, es von vornherein unter die
Sicherheitssprengstoffeeinzureichen. Auch unter den schlagwettersicheren
Sprengstoffen treten die beiden Gruppen der Ammonsalpeter enthaltenden und der
Nitroglyzerin enthaltenden Sicherheitssprengstoffe als zwei Gruppen hervor, von
welchen die letztere den grösseren Grad der Sicherheit bietet.
In den einzelnen Gruppen sind die Sprengstoffe so geordnet, dass, von links nach
rechts fortschreitend, die Werte für die Drucke im eigenen Volumen (7c) abnehmen. Es
bewegen sich dann auch die in der 15 Liter-Kammer, also für alle Sprengstoffe in demselben Volumen gemessenen Drucke (7a) in
absteigender Linie. Dasselbe gilt im allgemeinen für die Bleiblockausbauchungen der
Trauzlschen Methode (6); man kann die hierbei
gewonnenen Zahlen werte also, wie schon gesagt, für ähnlich zusammengesetzte
Sprengstoffe ganz gut als einen ersten Anhaltspunkt für die Beurteilung des
Sprengwertes benutzen.
Für die bei der Explosion entwickelten Wärmemengen (9) zeigt sich, dass sie bei der
Gruppe II wesentlich höher sind, als bei der Gruppe III, und bei dieser wiederum
höher, als bei der Gruppe IV; auch beim Schwarzpulver hat diese Grösse einen im
Verhältnis zu den anderen Grossen noch relativ sehr hohen Wert. Zweifellos ist auch
die Explosionstemperatur von der Grösse der bei der Explosion verfügbar werdenden
Wärmemengen direkt abhängig; und wie man sieht, ist bei Zunahme dieser Grösse auch
die Schlagwettergefährlichkeit eine grössere; aber dennoch kann man nicht sagen,
dass nur von dieser Grösse oder demgemäss von der erreichten Höchsttemperatur die
Schlagwettergefährlichkeit derart bestimmt abhängig angenommen werden kann, wie es
bei den französischen Bestimmungen geschieht.
Die unsicheren Nitroglyzerinsprengstoffe zeigen ausserdem noch hohe Werte für die
Detonationsgeschwindigkeit (10), während für diese Grösse das ebenfalls unsichere
Schwarzpulver den allerniedrigsten Wert unter den betrachteten Sprengstoffen
aufweist. Ausgeglichen wird beim Schwarzpulver die Niedrigkeit dieses Wertes (und
zwar sicherlich auf Grund eines inneren Zusammenhanges zwischen den beiden Grossen)
durch den ganz ausnehmend hohen Wert der Stichflammendauer (11). Und man kann wohl
sagen, dass die riesige Höhe dieses einen Wertes eben
genügt, das Schwarzpulver zu einem für Schlagwetterzündung gefährlichen Sprengstoff
zu machen. Auch Sprenggelatine und Guhrdynamit zeigen sehr hohe Werte für die
Flammendauer. Dass diese Grösse bei dem Gelatinedynamit keinen hohen Betrag
aufweist, kann wohl als eine Ausnahme bezeichnet werden; vielleicht liegen auch noch
nicht genug Beobachtungen hierfür vor, da es sich ja; um eine noch ganz neue, in
Schiebusch zum ersten Male angewendete Methode handelt.
Die Länge der Stichflammen (12) zeigt sich bei allen schlagwettergefährlichen
Sprengstoffen, diesmal auch das Schwarzpulver wieder mit eingeschlossen, wesentlich
höher, als bei den sicheren.
Es darf deshalb wohl auch als ein besonders verdienstliches Ergebnis der Schlebuscher
Untersuchungen hingestellt werden, dass zum ersten Male durch die Mettegangsche Methode der Photographie der Stichflammen
zahlenmässige, und damit für verschiedene Sprengstoffe vergleichbare Wertefür
deren Länge und Dauer gewonnen worden sind. Ihre Bestimmung dürfte nebst der
Bestimmung der Wärmemengen und der Druckgrössen ein wichtiges Kennzeichen für die
Sicherheit von Sprengstoffen gegen Schlagwettergefahr bilden, zumal die Messungen
leicht und ohne Aufwand grösserer Kosten auszuführen sind.
Besonders hervorgehoben muss hier auch noch werden, dass das von Herrn Berthelot als charakteristische Funktion bezeichnete
Volumenverhältnis der Explosionsgase zum festen Sprengstoff (8) durchaus nicht etwa
charakteristisch ist für die Beurteilung von deren Schlagwettergefährlichkeit (14b).
Ein Blick auf das Schaubild beweist das gerade Gegenteil: dies Volumenverhältnis hat
unter den betrachteten Sprengstoffen einen besonders niedrigen Wert bei den
Dynamiten, deren Schlagwettergefährlichkeit sehr gross ist.
Fassen wir am Schlusse unser Urteil über die Schlebuscher Untersuchungen zusammen, so
erkennen wir, dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen zwar nicht ermöglichen, in
eine Formel eingereiht, eine einheitliche Definition irgend eines Sprengstoffes zu
geben, dass sie aber in ihrer Gesamtheit den Charakter eines Sprengstoffes, zumal
für die Verwendung im Bergbau, umfassend genug bestimmen. Ihre Kenntnis ist daher
bei allen Sprengstoffen sicherlich wertvoller, als die nach den französischen
Bestimmungen für die Beurteilung der Schlagwettersicherheit einzig erforderliche
Kenntnis der Explosionstemperatur. Dazu kommt, dass, während diese Zahl überhaupt
nicht direkt durch Versuche bestimmt werden kann, sondern formelmässig errechnet
wird, die aus den Schlebuscher Untersuchungen sich ergebenden Zahlen jederzeit eine
direkte Nachprüfung durch Versuche zulassen.
Und während es als festgestellt gelten muss, dass die Bestimmung der
Explosionstemperatur eines Sprengstoffes – wie es in den französischen Bestimmungen
vorgesehen ist – durchaus nicht hinreicht, ein bestimmtes Urteil über die
Schlagwettersicherheit eines Sprengstoffes auszusprechen, so haben die Schlebuscher
Untersuchungen erwiesen, dass man auch einen neuen Sprengstoff, wenn man ihn den
beschriebenen Untersuchungsmethoden unterwirft, in die Reihe der bisher untersuchten
Sprengstoffe wohl einreihen und ihn damit hinsichtlich seiner Sprengwirkung, also
seines Wertes, und auch hinsichtlich seiner Schlagwettersicherheit vollständig
kennzeichnen kann, und zwar auf jeden Fall besser, als dies durch eine Formel und
eine daraus abgeleitete Zahlengrösse überhaupt
möglich ist.