Titel: | Neue Einrichtungen und Nebenvorrichtungen zur Zugsicherung auf Eisenbahnen. |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 346 |
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Neue Einrichtungen und Nebenvorrichtungen zur
Zugsicherung auf Eisenbahnen.
(Schluss von S. 331 d. Bd.)
Neue Einrichtungen und Nebenvorrichtungen zur Zugsicherung auf
Eisenbahnen.
VIII. Georg Schreibers selbsttätige Zugsicherung.
Eine von Georg Schreiber erdachte und hergestellte
Zugsicherungseinrichtung, welche seit verflossenem Jahre auf der 5,3 km langen
Werksbahn Bannstein-Muttershausen in Lothringen praktisch angewendet wird, erteilt das
Fahrverbot zur Deckung der Züge auf doppeltem Wege, nämlich durch ein sichtbares
Signal mittels einer oder mehrerer, in einer flachen Laterne untergebrachter
Glühlampen und zugleich durch selbsttätiges Auslösen der Lokomotivpfeife oder der
Zugbremse. Zu dem Ende besteht die Ausrüstung jeder einzelnen Blockstelle aus der
Signalvorrichtung im engeren Sinne und einem Stromschliesser. deren wesentliche Anordnung sich aus
der schematischen Skizze, Fig. 11, ersehen lässt,
welche die Anlage einer vollständigen, zwischen der Station A und der Station B durchgeführten
Blockeinrichtung des einen Gleises einer doppelspurigen Eisenbahnlinie
darstellt.
Hinsichtlich des Betriebes ist zuvörderst vorausgesetzt, dass sich in einer der
beiden Stationen eine bestimmte Stromquelle, nämlich eine Speicherbatterie b befindet, welche einen Strom von annähernd 120 Volt
und 1 Ampère liefert. Von den beiden Polen gehen zwei Leitungen l1 und l2 aus, welche von A bis B der ganzen Strecke
entlang laufen, und an denen bei den einzelnen Blockstellen die erforderlichen
Abzweigungskabel angeschlossen sind. Die Stromquelle wirdnur dann in Anspruch
genommen, wenn und so lange an einer der Blockstellen das Fahrverbot besteht.
Das Einstellen der Signal Vorrichtung auf „Halt“
und „Frei“ geschieht mit Hilfe eines knapp
ausserhalb des Gleises, parallel zum Schienenstrang eingebauten, liegend
angeordneten, kräftigen Solenoides s1, s2, s3 ..., dessen Ankerkern, wenn der
vorerwähnte Strom die Spulen durchfliegst, vermittels einer Verbindungskette und
eines zugehörigen Kettenrades eine wagerechte, zum Gleis senkrecht gerichtete Welle
dreht, wobei durch ein auf dieser Stellwerkswelle sitzendes Kammrad ein Hemmknopf
k1, k2, k3 ... gehoben
und ausserdem durch eine Kegelradübersetzung die Stiellaterne t1, t2, t3 ... um 90°
gedreht wird. Der benannte Hemmkopf hat seinen Platz innerhalb des Gleises und liegt
für gewöhnlich so niedrig, dass sein Kopf von einem drehbaren, in einer Führung
laufenden Bügel, womit jede Lokomotive an ihrem Untergestelle versehen ist, nicht
berührt werden kann; befindet sich jedoch der Hemmkopf infolge der vorgedachten
Solenoidwirkung in der hochgehobenen Lage, so gleitet über ihn der Lokomotivbügel
derart hinweg, dass letzterer nach oben gedrückt wird, demzufolge sein freies Ende
auf einen Winkelhaken einwirkt, der einen zweiten, durch eine Stange mit dem
Dampfpfeifenhebel oder den Anlasshahn der Druckluftbremse verbundenen Doppelhebel
freigibt. Durch das nunmehr niedergehende Gestänge gelangt sonach die Dampfpfeife oder
die Zugbremse in Tätigkeit. Die Rückstellung hat dann der Lokomotivführer mit der
Hand auszuführen, wobei sich unter dem Lokomotivgestelle der Winkelhaken und Bügel
wieder in die Grundstellung zurückbegibt und somit für eine nächste Auslösung neu
vorbereitet.
Textabbildung Bd. 318, S. 347
Fig. 11.
Durch die weiter oben erwähnte Drehung der Stiellaterne t1, t2, t3 ..., deren Lampen gleichzeitig
mit den ihnen parallel geschalteten Solenoidspulen s1, s2, s3 ... Strom erhalten, wird die allenfalls
rot verglaste und durch einen Trichterrahmen gut wahrnehmbar gemachte, nunmehr
erleuchtete Laterne zur Gleisachse senkrecht gestellt, d.h. einem sich etwa der
Signal stelle nähernden Zuge voll zugekehrt. Diese „Haltlage“ des sichtbaren Signals und das
Brennen der Lampen, desgleichen die Auslösestellung des Hemmkopfes hören aber sofort
wieder auf, wenn der Strom im Solenoid eine Unterbrechung erleidet, weil dann eine
auf eine Scheibe der Stellwerkswelle tangential einwirkende Feder die ganze
Signalvorrichtung in die gewöhnliche Grundstellung zurückführt, bei welcher die
unbeleuchtete Laternen Scheibe parallel zum Gleis steht und auch der Hemmkopf so
weit niedergegangen ist, dass er vom Auslösebügel der Lokomotiven nicht erreicht
wird.
Zur Steuerung der Stromschlüsse dienen Kontaktvorrichtungen, die aus einem Lagerbocke
bestehen, in welchem eine wagerechte Drehachse ruht, auf welcher die Nabe eines
Daumens d1, d2, d3 ... lose
steckt, welch letzteren in der senkrecht aufrecht gerichteten Lage festzuhalten eine
Kerbfalle und eine Feder f1, f1
f1 ... dauernd
bestrebt sind. Auf derselben Drehachse sitzt auch eine Scheibe x1, x2, x3 ..., mit
welcher der Daumen hinsichtlich der Linksdrehung durch einen einfachen
Mitnehmerbacken und eine tangential wirkende Feder f2, f2
f2 ...
gekuppelt ist. Am Rande der Scheibe x1, x2, x3 ... steht ein Zahn i1, i2, i3 ... vor, sowie eine kürze Speiche z1, z2
z3 ..., gegen
welche sich das als Rolle ausgebildete Ende des kürzeren Armes eines Winkelhebels
h1, h2, h3 ... lehnt,
dessen längerer Arm eine Platte trägt, in die eine Anzahl nach abwärts gerichteter,
angemessen isolierte Kupferstifte eingesetzt ist. So lange sich, wie beispielsweise
auf dem Signalposten II, die Scheibe x1 in ihrer
Ruhelage befindet, welche die Zeichnung ersehen lässt, ist der längere Arm des
Hebels h1 hochgehoben,
wird jedoch der Daumen d1 in der Pfeilrichtung gedreht, dann nimmt
er die Scheibe x1 mit sich und diese fängt sich hierbei mit dem Zahn i1 an dem
hakenförmigen Ende der Klinke n1, so dass sie von dieser festgehalten nicht
mehr in die Ruhelage zurückkehren kann, wenn auch die ablenkende Wirkung auf d1 aufhört und
dieser Daumen seine aufrechte Grundstellung wiedergewinnt. Bei der vorgedachten
Drehung von x2
ist die Speiche z1 nach aufwärts ausgewichen und daher der freigewordene Winkelhebel h1 nach rechts,
bezw. abwärts gekippt, so dass die eingesetzten Kupferstifte in Quecksilbernäpfe 1, 2, 3, 4, 5, 6 ... eingetaucht werden und in dieser
Lage, vermöge welcher sie verschiedene Stromwege herstellen, durch das natürliche
Uebergewicht des Hebels h1 und des Zuges einer Feder f3natürlich eben so lange verharren, als
die Scheibe x1
von der Sperrklinke n1
festgehalten bleibt.
Wird jedoch durch die Spulen des Solenoides s'1 ein Strom gesendet, der eine kräftige Einziehung
des Ankerkernes bewirkt, so zieht dieser mittels einer Kette den in einer
Schlittenführung beweglichen und durch die Feder f4 nach links, d.h. nach rückwärts gezogenen
Keil v1 nach rechts
bezw. nach vorwärts, so dass er an den unteren Arm des Sperrklinkenhebels stösst und
diesen ausrückt, worauf die Scheibe x1 dem Zuge der Feder f2 folgend sich in ihre
Grundstellung zurückbegibt, also auch den Hebel h1 hochhebt, mithin die Kupferstifte aus den
Quecksilbernäpfen entfernt und die dort bestandenen Stromwege wieder
unterbricht.
Zum Umlegen des Stromschliesserdaumens d1, d2, d3 ... ist jede Lokomotive an ihren beiden
Längsseiten mit je einer sanft gebogenen, 1850 mm langen Gleitschiene ausgestattet,
von denen die eine oder die andere beim Ueberfahren der Kontakt Vorrichtung den
verstärkten und gehärteten Daumenkopf erfasst und so weit niederbeugt, dass er etwa
30 mm tiefer zu liegen kommt als während der Ruhelage. Die Einklinkung der Scheibe
x1, x2, x3 ... erfolgt
jedoch bereits bei einer Daumenkopfbeugung von bios 20 mm und das tiefere
Herabdrücken hat lediglich allfällig vorhandene, kleine Unterschiede in der Lage der
Lokomotivgleitschiene auszugleichen, ohne jeder sonstigen Nebenwirkung. Die einmal
erfolgte Einklinkung der Stromschliesserscheibe kann durch keine weitere Betätigung
des zugehörigen Daumens d1, d2, d3 ... mehr aufgehoben werden und selbst beim
Rückwärtsfahren der Lokomotive wird nur der obere Teil des Daumens leer nach rechts
gedreht, ohne jeglicher Beeinflussung der Scheibe x1, x2, x3 ... Die beiden zur Betätigung der Daumen
bestimmten Gleitschienen der Lokomotiven hängen mit ihrem rückwärtigen Ende drehbar
in einem Gelenksrahmen, während sie am vorderen Ende mit einem Hebelmechanismus in
Verbindung gebracht sind, der mittels einer Schraubenspindel vom Führerstande aus
derart bedient werden kann, dass durch Rechtsdrehen die rechtsseitige, durch
Linksdrehen die linksseitige Gleitschiene gesenkt, d.h. in Dienst gesetzt und
gleichzeitig die andere gehoben, d.h. ausser Wirksamkeit gebracht wird. Ersteres ist
beim Dienste auf zweigleisigen Bahnen die gewöhnliche Grundstellung für Vorwärts-
und Rückwärtsfahren, letzteres die Ausnahmsstellung für die Fahrt mit dem Tender
voraus.
Dem in Fig. 11 dargestellten Stromlaufschema liegt die
Voraussetzung zu Grunde, dass das Ausfahrtsignal II in
der Anfangsstation A, ebenso wie das Einfahrtsignal IV vor der Endstation B
dauernd auf Halt stehen und nur für die Zugfahrten auf
freie Fahrt gestellt werden sollen, zu welchem
Behufe in den beiden Stationen die besonderen Handumschalter I und II vorhanden sind, welche von dem
Weichenstellwerk in geeigneter Abhängigkeit stehen, und lediglich von den
Stationsbeamten benutzt werden dürfen. Auf der Streckenblockstelle III – gleichwie auf jeder andern solchen Blockstelle,
falls noch weitere vorhanden sind befindet sich jedoch die Signalvorrichtung für
gewöhnlich in der Lage für Freie Fahrt. So lange von Station A kein Zug abgeht, liegt die Umschalterkurbel u1 in I auf 7; in diesem Falle
steht ersichtlichermassen die Betriebsbatterie b über
10, u1, 7, s1, und 9 dauernd im Schluss und der eingezogene Solenoidkern
a1 hält
demgemäss die Signalvorrichtung in der Haltlage, wie sie z. B, bei IV ersichtlich gemacht ist, fest. Soll aber einem Zuge
die Ausfahrt erlaubt werden, so hat der Stationsbeamte vorher die Schalterkurbel u1 auf 8 umzustellen, d.h. den durch s1 laufenden Strom zu
unterbrechen, demzufolge sich die Signalvorrichtung des Ausfahrt Signals II auf Freie Fahrt, d. i.
in jene Lage einstellt, welche in der Zeichnung dargestellt erscheint.
Nunmehr kann der Zug seine Fahrt antreten und derselbe wird, sobald seine Lokomotive
mit der Gleitstange den Daumen d1 umlegt, die selbsttätige Rückstellung des
Ausfahrtsignals auf Halt bewirken, indem der
niederkippende Hauptarm des Winkelhebels h1 durch die eingesetzten Kupferstifte
zwischen den beiden aus Rotguss hergestellten Quecksilbernäpfen 1 und 2 eine leitende
Verbindung vermittelt, vermöge welcher ein Strom von b
über l1, 11, 1, 2, s1
und 9 in die Solenoidspule s1 und in die Lampe t1 gelangt, der die Einziehung des
Ankerkerns a1,
und also die Haltlage der Stiellaterne t1 und des Hemmknopfes k1 bewirkt.
Signalvorrichtung und Stromschliesser haben sonach durch den vorbeigefahrenen Zug in
II dieselbe Lage erhalten, wie sie in der Zeichnung
bei III und IV dargestellt
erscheint. Hinsichtlich dieses Vorganges bleibt nur noch besonders hervorzuheben,
dass der Hebel h1 ausser dem Stromwege zwischen 1 und 2 vermittels eines zweiten Stiftenpaares auch noch die
leitende Verbindung zwischen 3 und 4 herstellt, welch letztere späterhin für die durch den
Zug zu bewirkende Aufhebung des Fahrverbotes von Belang ist.
Gelangt der ins Auge gefasste Zug nach III, so muss er
auch hier, um seine Fahrt fortsetzen zu dürfen, die Signallage Freie Fahrt vorfinden, welche er beim Ueberfahren der
Blockstelle ebenso wieder in Halt umwandelt, als vorhin
an der Signalstelle II. Auch diesmal wird durch die
Kupferstifte des niedergekippten Hebels h2 nicht blos der Stromweg 1, 2 sondern zugleich jener von 3 nach 4 hergestellt, von wo ein
Anschlusskabel zur Solenoidspul s'2 weitergeht. Findet sodann der Zug auch an der
Blockstelle IV die Erlaubnis zur Einfahrt vor, so
stellt er daselbst bei der Vorbeifahrt, ganz wie in den vorbesprochenen Fällen, die
Signalvorrichtung auf Halt zurück. Gegen früher besteht
diesmal der einzige Unterschied, dass der Kontakthebel h3 nebst den Verbindungen 1, 2 und 3, 4 mittels
eines dritten Stiftenpaares auch noch einen dritten Strom weg 5, 6 herstellt. Infolge dieses Kontaktes gelangt von
b über l1, 15, 5 und
6 in IV, l3, 3 und 4 in II und 9 ein Strom in Schluss, der in II das Solenoid s'1 erregt, also die Einziehung des Ankerkerns
a'1
bewirkt, sodass der gegen den unteren Arm der Klinke n1 stossende Keil v1 die Hemmung
der Scheibe x1
bei i1 löst und
die letztere durch die Feder f2 in ihre Ruhelage zurückgeführt wird.
Demgemäss geht auch der Stiftenarm des Winkelhebels h1 wieder hoch und die Strom wege
1, 2 und 3, 4 hören in
II auf. Nach diesen Stromunterbrechungun hat also
die ganze Signalvorrichtung nebst dem Streckenstromschliesser in II die Lage für Freie
Fahrt zurückgewonnen. Der Kontakt 3, 4 ist
ersichtlichermassen lediglich zu dem Zwecke da, die zur Rücknahme des Fahrverbotes
dienende Stromgebung nur genau so lange andauern zu lassen, als zum Vollzuge dieser
Aufgabe tatsächlich geboten erscheint.
In gleicher Weise wie der Zug vom Posten IV aus den
Posten II freimacht, würde dies bei allen weiteren etwa
zwischen III und IV
vorhandenen Streckenblockstellen geschehen, derart, dass jeder dieser Posten beim
Befahren durch den Zug den hinter ihm liegenden zweitnächsten Posten entblockt; d.h. sobald ein Zug die erste
Streckenblockstelle erreicht hat, ist er fortlaufend durch je zwei Haltsignale
gedeckt. Die Freistellung der Signalvorrichtung an der Ausfahrtsignalstelle II erfolgt übrigens bei regelrechter Dienstführung
niemals in Wirklichkeit durch den Zug selber, weil der Stationsbeamte in A unmittelbar nach dem Zugabgang seine Umschalterkurbel
auf 7 zurückbringt und auf diese Weise auch seinerseits
die Signalvorrichtung bei II durch einen besonderen
Stromkreis in die Haltlage bannt, der seitens des Zuges nicht unterbrochen werden
kann. Ebensowenig vermag natürlich der Stationsbeamte mit seinem Umschalterdas
Ausfahrtsignal auf Freie Fahrt zu bringen, solange
dasselbe nicht durch den zuletzt abgegangenen Zug vom Posten IV aus regelrecht entblockt worden ist.
Wenn der bisher verfolgte Zug endlich in der Station B
einlangt, überfährt er daselbst bei V noch einen
Stromschliesser, dessen Daumen d4 aber keine Rückstellvorrichtung besitzt,
sondern bei seiner Bestätigung durch die Gleitschiene der Lokomotive einfach nur den
Stromweg 5, 6 herstellt, der einen Strom von b über l1, 16, 5 und 6 in V, l4 nach III und hier
über 3, 4, s'2
und 12 gelangen lässt, die Freigabe der
Signalvorrichtung bewirkt. Die Aufhebung des Fahrverbotes an der letzten
Streckenblockstelle geschieht also auch noch durch den Zug, jedoch erst dann,
nachdem er das Einfahrtsignal IV hinter sich auf Halt gebracht und die Station erreicht hat. Die
Erteilung der Erlaubnis zur Einfahrt ist jedoch, wie bereits oben erwähnt wurde,
lediglich dem Stationsbeamten in B vorbehalten, der zu
diesem Behufe die für gewöhnlich auf 18 ruhende, vom
Weichenstellwerk in angemessener Abhängigkeit stehende Umschalterkurbel u2 einen
Augenblick lang auf 19 einstellt und dadurch den Strom
in s3 und t3 unterbricht.
In diesem Falle, wie auch bezüglich der Rückstellung des letzten
Streckenblockpostens erscheint es nicht mehr notwendig, dass die Leitung l5 bezw. l4 den Stromweg
3, 4 in IV bezw. III durchläuft, weil die Unterbrechungen sowohl in IV als in V eben keine
länger dauernde, sondern bloss eine vorübergehende ist.
Auf der eingleisigen Industriebahn Bannstein-Muttershausen, wo die Schreibersche
Zugdeckungseinrichtung angewendet ist, gehen von der freien Strecke zwei Zweiglinien
ab, welche durch die auf der Hauptstrecke verkehrenden Züge bei der Einfahrt
selbsttätig abgesperrt und bei der Ausfahrt gleichermassen wieder freigegeben
werden, während umgekehrt durch die auf den Zweiglinien verkehrenden Züge die beiden
Enden der Hauptstrecke durch Haltsignale verschlossen werden. Behufs Durchführung
dieses wertvollen Abhängigkeitsverhältnisses sind ganz ungezwungen die
Stiftenkontakte bezw. Quecksilbernäpfe in den Stromschliessern an den Einfahrt- und
Ausfahrtsignalstellen dazu ausgenützt, stets vier Signale gleichzeitig auf Halt zu bringen, wenn ein Zug abgeht oder ebenso diese
vier Signale wieder gleichzeitig auf Freie Fahrt
zurückzustellen, sobald der Zug die Strecke verlässt. Aehnlich wie diese
Signalkupplung durchgeführt ist, so liesse sich auf einfach fortlaufenden
Eisenbahnstrecken eine entsprechende Vermehrung der Stromschlussteilen in den
Kontakt Vorrichtungen allenfalls auch ganz leicht zur Durchführung einer
elektrischen Vormeldung an Bahnüberwegen oder dergl. oder auch zur Anfügung einer
Rückmelde- oder sonstigen Kontrolleinrichtung ausnützen.
Wie die uns vorliegenden Werkzeichnungen für die Einzelteile der geschilderten
Einrichtung ersehen lassen, sind dieselben sachgemäss zweckdienlich und kräftig
konstruiert, sodass sie auf ein pünkliches, richtiges Arbeiten und einen geringen
Unterhaltungsaufwand rechnen lassen. Nichtsdestoweniger besitzt die
Gesamteinrichtung in ihrer derzeitigen Anordnung nur einen die Zugsfahrten
fördernden, nicht aber einen denselben vollkommen sichernden Karakter, weil die
Haltlage der Vorrichtung das Vorhandensein des Stromes erfordert und sich also das
Haltsignal beim zufälligen Reissen massgebender Leitungen oder beim Versagen der
Elektrizitätsquelle selbsttätig in Freie Fahrt
umwandeln würde. Für die Verwendung auf Bahnen mit strengeren Betriebsanforderungen
müsste sonach die besagte Schaltungsform erst dahin abgeändert werden, dass eine an
der Anlage eintretende Störung eben nur das Erscheinen eines ausser gewöhnlichen
oder das Festhalten des ordnungsgemässen Haltsignals, niemals jedoch ein falsches
Freifahrtsignal zur Folge haben kann.
IX. Vorrichtung zur Bekämpfung des Glatteises auf
elektrischen Eisenbahnen mit Dreischienenbetrieb.
Der bei den elektrischen Leichtbahnen höherer Ordnung in der Regel als Stromzuführung
benützte dritte Schienenstrang kann hinsichtlich der Stromab gäbe, wie unliebsame
Wintererfahrungen wiederholt gezeigt haben, bei gewissen ungünstigen
Witterungsverhältnissen zu ernsthaften Störungen Anlass geben. Wenn nämlich die
Erdoberfläche durch längere, schwere Fröste stark abgekältet ist und inzwischen in
höheren Luftschichten wärmere Strömungen feuchte Niederschläge hervorrufen, so
überziehen diese, sobald sie auf die erwähnte „dritte Schiene“
gelangen, deren Oberfläche mit einer glasharten Eisschichte, die bei längerer
Fortdauer desselben Witterungsverhältnisses an Dicke stetig zunimmt. So lange die
Eiskroste der stromzuführenden Schiene ganz dünn ist, d.h. lediglich eine zarte Haut
bildet, sind die hierdurch entstehenden Uebergangswiderstände allerdings im
Gesamtbetriebe bereits fühlbar, aber zumeist noch nicht störend, weil gewöhnlich die
Stromabnehmer, wenn die Gleitschuhe zweckmässig angeordnet sind und genügendes
Gewicht besitzen, hinreichen, das Eis abzustreifen. Wird das Glatteis stärker, so
stossen es die Gleitschuhe der Stromabnehmer wohl auch zum Teile ab, allein die
hierbei auftretenden grossen Widerstände verursachen unausgesetzt das Auftreten
starker Lichtbogen und ziehen als weitere Folge davon Materialgefährdungen und
Kraftverluste nach sich, welche schliesslich eine den Zugverkehr unsicher oder
überhaupt unmöglich machende Steigerung erfahren können.
Solche Störungen sind schon in früheren Jahren beispielsweise auf den Stadtbahnen in
Chicago, Boston, Brooklyn, Liverpool u.a.
beobachtet worden und Mitte Dezember verflossenen Jahres namentlich auf der New
Yorker Hochbahn lästig zu Tage getreten. Die Eigentümerin der letztgenannten
Metropolitanbahn, die „Manhattan-Company“, hatte
es nämlich versäumt, sich die älteren Erfahrungen zu Nutzen zu machen, d.h. ihre
Linien bezw. ihren Wagenpark mit angemessenen Abwehrmitteln zu versehen, und ihre
Versuche, dem Glatteisübel erst dann, als es bereits eingetreten war, dadurch
abzuhelfen, dass man Leute ausschickte, die den dritten Schienenstrang für die
ungehinderte Stromabgabe mittels Kratzeisen und Kehrbesen reinfegen sollten, haben
zu ganz ungenügenden, ja geradezu kläglichen Ergebnissen geführt. Mit Rücksicht
darauf und – namentlich angetrieben durch die arge Misstimmung des Publikums und der
Tagespresse, welch letztere den Vorfall ausserordentlich scharf verurteilte, fand
sich die Manhattan-Company zur sofortigen Beschaffung
von Stahldrahtbürsten bestimmt, welche bestimmt sind, an den Fahrzeugen befestigt zu
werden und die Beseitigung der Eiskruste auf der Gleitfläche des stromführenden
Schienenstranges selbsttätig zu besorgen.
Textabbildung Bd. 318, S. 349
Fig. 12.
Textabbildung Bd. 318, S. 349
Fig. 13.
Nach einem Berichte der Zeitschrift „Electrical World and
Engineer“ vom 20. Dezember 1902, erhält jeder Treibwagen vor und
hinter seinen beiden Stromabnehmern eine durch Druckluft betätigte Kratzbürste von
der in Fig. 12 und 13
ersichtlich gemachten Anordnung. Auf jeden Treibwagen entfallen also vier und auf den einzelnen Zug, da in jedem derselben
vier Treibwagen eingestellt sind, zusammen sechszehn Kratzbürsten, welche vom
Zugführer im Bedarfsfall gleichzeitig in Dienst gesetzt werden können. Jede dieser
Vorrichtungen besteht aus der aus Hartholz und Stahldrähten hergestellten Bürste b, welche durch Vermittlung eines Bügels und zweier
Bolzenschrauben von einer Kolbenstange k1, k2 getragen wird. Letztere lagert senkrecht
in einem Zylinder c, der mittels einer vierkantigen Mutter m derart an dem Wagenuntergestelle befestigt ist, dass die Längenachse von
b genau senkrecht oberhalb der Längenachse
desstromzuführenden dritten Schienenstranges zu liegen kommt. An k1
k2 sitzt ein
zylindrischer Kolbenboden c1 fest, der sich in den Hohlraum c2 des
Zylinders cc auf- und nieder bewegen lässt. Eine
Spiralfeder f1
gleicht durch ihre Spannung das Gewicht der Bürste samt der Kolbenstange soweit aus,
dass diese in der gezeichneten, hochgehobenen Lage festgehalten bleibt, wobei der
untere Bürstenrand einige Millimeter höher liegt, als die Oberkante der
Stromzuführungsschiene, und also der erstere die letztere nicht berühren kann. Es
ist dies die gewönliche Ruhelage der Bürste, so lange sie nicht wegen
Glatteisbildung in Dienst gesetzt wird.
An jede Bürstenhülse schliesst oben bei einer Bohrung a
des Zylinderdeckels d ein Luftleitungsröhrchen an, das
in ein längs des ganzen Zuges geführtes und am Zugsende abgeschlossenes Leitungsrohr
mündet. Letzteres steht im Führerstande des ersten Treibwagens durch einen Hahn – je
nach Einstellung desselben – entweder mit dem Vorratsbehälter für die
Druckluftbremse oder mit der freien Luft in Verbindung, welche Lage natürlich die
gewöhnliche ist und der in Fig. 12 u. 13 gekennzeichneten Grundstellung entspricht. Will der
Zugführer die Kratzbürsten zur Anwendung bringen, so stellt er durch Umlegen des
besagten Hahnes den Weg zur Pressluft her, welche nunmehr auf k2 drückt und
nach geringem Zurückweichen der Kolbenstange auf den Kolbenbock c1 einwirken
kann. Infolge des einseitigen Ueberdruckes in c2 geht c1 samt der Kolbenstange so weit niederwärts,
als es der Absatz im Hohlzylinder c2 gestattet, wonach sich von rechts und
links die federnden Riegel r1 und r2 (Fg. 13) schieben und den Rückgang des Kolbens verwehren, wenn auch der
Zugführer, um nicht überflüssig Druckluft zu verbrauchen, den Anlasshahn wieder in
die Ruhelage zurückstellt. Durch den Niedergang des Kolbens k1k2 wird die Bürste b kräftig auf die Stromleitungsschiene gepresst, somit
in eine Lage gebracht, bei der sie scharf scheuernd auf die Gleitfläche einwirken
und die Beseitigung des Eisüberzuges bewerkstelligen kann. Bis diese Tätigkeit der
Kratzbürsten nicht mehr nötig ist, werden dieselben mit der Hand, nämlich durch
einfaches gleichzeitiges Zurückziehen der Riegelknöpfe r1 und r2 wieder losgelassen, indem dann die verdichtete
Luft im unteren Teil von c2, ferner die Spiralfeder f1 und überdem
noch eine zweite solche Feder f2 gemeinsam den Kolbenboden nebst der
Kolbenstange und der Bürste in die Ruhelage hochheben.
Nach älteren Erfahrungen weiss man jedoch, dass die geschilderten selbsttätigen
Kratzbürsten nur in leichteren Fällen, nämlich nur dann ihrer Aufgabe vollkommen
gerecht zu werden vermögen, wenn das Glatteis nicht zu glasartig hart und namentlich
nicht zu fest an der Stromleitungsschiene haftet. Aus diesem Grunde hat die Manhattan-Company für New-York nebst den geschilderten,
pneumatischen Bürsten auch noch zehn besondere Spritzvorrichtungen angeschafft, nachdem es mehrseits beobachtet und
praktisch festgestellt worden ist, dass auf der Stromführungsschiene ein
wiederholtes Befeuchten derselben mit Oel oder mit Salzwasser oder auch nur mit
Meerwasser die Glatteisbildung teils verzögert, mindestens aber derart beeinflusst,
dass die Eiskrusten nicht so gleichartig dicht werden und sich nicht so fest mit der
Schiene verkitten können, als es ohne dieser Vorbeugemassregel vorkommt. Eine solche
Spritzvorrichtung besteht im wesentlichen aus einem
mit der betreffenden Flüssigkeit gefüllten, luftdicht abgeschlossenen Behälter, der
von den Zügen mit geführt und zu dem Ende auf einem der Fahrzeuge, sei es im
Führerstande, sei es an einer äusseren Wagenwand, angebracht wird. Das
trichterförmige Bodenstück des Gefässes trägt zu unters ein oder mehrere haardünne
Ausflussröhrchen, welche genau oberhalb der Stromzuführungsschiene liegen. Im Deckel
des Behälters mündet eine Luftleitung, durch welche, ähnlich wie bei den
Kratzbürsten Vorrichtungen, Pressluft eingelassen werden kann, deren Druck das
gleichmassige Austreten der Flüssigkeit durch die Haarröhrchen, d.h. ein stetes
Bespritzen der stromleitenden Schiene bewirkt.
Durch das Zusammenwirken dieser beiden Mittel, nämlich der Spritzvorrichtungen und
der selbsttätigen Kratzbürsten hofft man mit Zuversicht die Glatteisfährlichkeiten
unter allen Verhältnissen in New-York so weit bekämpfen zu können, dass ähnliche,
gröbliche Verkehrsstörungen, wie diejenigen, welche zur Beschaffung den Anlass
gegeben haben, für künftighin nicht mehr zu fürchten stehen.