Titel: | Moderne Dampfkesselanlagen. |
Autor: | O. Herre |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 417 |
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Moderne Dampfkesselanlagen.
Von O. Herre, Ingenieur und Lehrer in
Mittweida.
(Fortsetzung von S. 405 d. Ed.)
Moderne Dampfkesselanlagen.
Während die bisher behandelten Zweikammerkessel sämtlich mit beiden
Wasserkammern unmittelbar an den Oberkessel angeschlossen waren, ist dies bei dem
Kessel der Guilleaume Werke in Neustadt a. d. Haardt
nicht der Fall. Wie die Fig. 185 und 186 erkennen
lassen, ist nur die vordere Kammer mit dem Oberkessel starr verbunden, während die
hintere Kammer keine unmittelbare Verbindung mit dem Oberkessel hat und frei auf
leicht beweglichen Rollen gelagert ist. Oberkessel und Röhrenkessel können also
unabhängig von einander und vollständig ungehindert der der jeweiligen Erwärmung
entsprechenden Ausdehnung folgen.
Textabbildung Bd. 318, S. 417
Wasserröhrenkossel mit Ueberhitzer der Guilleaume Werke.
Der Röhrenkessel setzt sich aus den Zuflussröhren und den Siederöhren zusammen.
Erstere sind über den Siederöhren gelagert; ihre Mündungen in der vorderen Kammer
sind von denen der Siederohre durch eine senkrechte, bis in den Oberkessel
hinaufführende Scheidewand getrennt, so dass das von da kommende Speisewasser zuerst
in die Zuflussrohre gelangt.
Durch diese Anordnung wird eine günstige Zirkulation erzielt; das Wasser tritt in den
Oberkessel durch den Vorderen Boden ein und wird durch ein Rohr nach
hintengeleitet, scheidet hier bei der Erwärmung einen erheblichen Teil der
kesselsteinbildenden Beimengungen ab, strömt dann in die Zuflussröhren, gelangt in
die hintere Wasserkammer und steigt in den Siederöhren zur vorderen Wasserkammer
auf. Der entwickelte Dampf wird durch ein im Oberkessel ausgespanntes, perforiertes
Blech vom Wasserspiegel zunächst getrennt. Hierdurch soll eine Wasserabscheidung
bewirkt werden, was aber kaum zutreffen dürfte. Da der Kessel mit einem Ueberhitzer
versehen ist, so kann übrigens mitgerissenes Wasser noch nachträglich verdampft
werden.
Der Ueberhitzer besteht aus ∪förmig gebogenen Röhren, die
teilweise parallel, teilweise hintereinander geschaltet sind. Die Fig. 187 u. 188 zeigen
die Konstruktion der Dampfkammer und die Schaltung der Rohre. Die Kammer wird durch
Zwischenbleche in die notwendigen Abteilungen zerlegt und ist durch drei Reihen
kräftiger Stehbolzen wirksam verankert.
Der doppelt dargestellte Kessel, Fig. 185 und 186, ist für
10 Atm. Ueberdruck bestimmt und hat eine Heizfläche von je 200 qm bei etwa 4 qm
Rostfläche. Die Verbrennungsrückstände und die Flugasche sammeln sich in den
gemauerten Schächten an und können durch Oeffnen des unteren Verschlusses in
bereitstehende Wagen entleert werden.
Textabbildung Bd. 318, S. 418
Ueberhitzer der Guilleaume Werke.
Der Ueberhitzer kann durch zwei Klappen, die gleichzeitig bewegt werden, ganz oder
teilweise aus den Heizgasen ausgeschaltet werden.
Der Wasserkammerverschluss ist in Fig. 189
dargestellt. Die Verschlusscheibe ist mit der Schraube aus einem Stück hergestellt.
Die Dichtung erfolgt durch einen Gummiring mit Drahteinlage.
Auch der Leinhaaskessel (Fig. 190-195) hat die
Eigentümlichkeit, dass die hintere Wasserkammer nicht direkt mit dem Oberkessel
verbunden ist. Um eine sichere Kühlung der untersten Rohrreihen zu erreichen, bringt
die Firma E. Leinhaas, Freiberg i. S., bei ihren
Kesseln an der untersten Stelle der hinteren Wasserkammer einen Wassersack in Form
eines querliegenden Zylinders an und verbindet diesen in passender Weise mit dem
Oberkessel durch weite Rohre.
Bei dem Kessel (Fig. 190-193) gehen vom
Oberkessel zwei 350 mm weite Stutzen unter 45° nach aussen und dann vertikal nach
unten bis zum Querkessel der Wasserkammer (Fig. 192). Dieser
Kessel hat 206 qm Heizfläche, 6 qm Rostfläche und arbeitet mit 11 Atm.
Ueberdruck.
Bei dem Kessel (Fig. 194 und 195) geht nur ein 550
mm weites Rohr vom Oberkessel senkrecht nach unten in einen kurzen, 600 mm weiten
Horizontalstutzen, und von hier zu dem 750 mm weiten Querkessel.
Textabbildung Bd. 318, S. 418
Fig. 189. Kammerverschluss der Guilleaume Werke.
Aus dem Querkessel gelangt nun das Wasser zu einem durch die Querschnittsabmessungen
bestimmten Teile in die unterste Rohrreihe, zum anderen Teile in die Wasserkammer;
die letztere verteilt dann das Wasser über die weiteren Rohrreihen nach einem
bestimmten Verhältnis. In der vorderen Wasserkammer vereinigt sich das Wasser wieder
und steigt mit dem Dampf bis zur Glocke der eingebauten Dubiauschen Rohrpumpe, durch welche die Wasserbewegung in der bekannten
Weise kräftig gefördert wird.
Die zweckmässige Verbindung der hinteren Wasserkammer mit dem Oberkessel und die
Anwendung der Rohrpumpe ermöglichen eine starke Beanspruchung des Kessels, ohne dass
die Gefahr des Krummziehens oder des Leckwerdens für die gut gekühlten Rohre
besteht, und ohne dass der Wirkungsgrad des Kesselbetriebes erheblich beeinträchtigt
wird.
Der Kessel (Fig.
194 und 195) besitzt 170 qm Heizfläche, 5,38 qm Rostfläche und arbeitet mit 12
Atm. Ueberdruck. Der mit Hilfe von drei Klappen ausschaltbare Ueberhitzer hat 50 qm
Heizfläche. Der Rost wird durch den bekannten selbsttätigen Leachapparat beschickt.
Alle weiteren Einzelheiten können aus den Zeichnungen ersehen werden.
Auf den Nutzen der Dubiauschen Rohrpumpe war schon im
vorigen Bande S. 45 u. f. näher eingegangen worden. Bei den Wasserrohrkesseln
erscheint nun die Anwendung dieser Vorrichtung auf den ersten Blick überflüssig, da
diese Kessel schon infolge ihrer Konstruktion eine kräftige Wasserbewegung besitzen.
Diese Schlussfolgerung ist auch richtig, so lange die Beanspruchung der
Wasserrohrkessel eine massige ist. Bei hoher Beanspruchung dagegen liegen die
Verhältnisse doch etwas anders.
Hier genügt die durch die Kesselkonstruktion bedingte Wasserbewegung nicht mehr, um
den entsprechend grösseren Wärmedurchgang ohne erheblich grössere
Temperaturdifferenz zwischen Heizgasen und Wasser zu ermöglichen. Die Heizgase
müssen wesentlich heisser an den Heizflächen vorbeigeführt werden, sie treten daher
auch mit erheblich höherer Temperatur in den Fuchs, wodurch eine nicht
unbeträchtliche Vermehrung der Wärme Verluste, also eine Erniedrigung des
Kesselwirkungsgrades veranlasst wird.
Durch die Anwendung der Rohrpumpe wird dieser Uebelstand gemildert. Die durch die
Rohrpumpe gesteigerte Wasserbewegung erleichtert den Wärmedurchgang, d.h. sie
ermöglicht denselben in gleicher Grösse bei geringerer Temperaturdifferenz; es
können also die Heizgase mit geringerer Temperatur in den Fuchs treten.
Diese Folgerung findet ihre Bestätigung durch vergleichende
Textabbildung Bd. 318, S. 419
Wasserröhrenkessel mit Dubiauscher Rohrpumpe von Leinhaas.
Versuche, die an einem und demselben Kessel das eine mal
mit Rohrpumpe, das andere mal ohne Rohrpumpe ausgeführt wurden.
In No. 50 der Mitteilungen aus der Praxis des Dampfkessel- und
Dampfmaschinenbetriebes 1902 findet sich folgender Bericht:
„In der Zentrale Moabit der Berliner Elektrizitätswerke fanden im Februar 1902
Vergleichs versuche mit Leinhaas-wasserröhrenkesseln statt, die mit Ueberhitzern und Dubiauschen Rohrpumpen ausgerüstet waren. Durch die
Versuche sollte festgestellt werden, welchen technischen Wert die Rohrpumpe hat.
Die Versuche sind von dem Werke mit allen erforderlichen Vorsichtsmassregeln
ausgeführt worden. Es hat sich ergeben, dass bei normaler Anstrengung (20 kg/qcm
Heizfläche stündlich) mit der Rohrpumpe eine Erhöhung des Nutzeffektes um 3,105
v. H, und eine Kohlenersparnis von 4,5 v. H. erzielt wurde. Bei maximaler
Anstrengung (25 kg/cqm Heizfläche stündlich) wurde mit der Rohrpumpe eine Erhöhung des
Nutzeffektes um 4,265 v. H. und eine Kohlenersparnis von 6,46 v. H.
erzielt.“
Textabbildung Bd. 318, S. 420
Wasserröhrenkessel mit Dubiauscher Rohrpumpe von Leinhaas; Schnitt A-B;
Schnitt C-D
Hierzu bemerkt allerdings die Direktion der Berliner
Elektrizitätswerke in einer, in No. 3 der genannten Zeitschrift, Jahrgang
1903, veröffentlichten Zuschrift das folgende:
„Die angeführten Zahlen sind richtig, doch ist ein wesentlicher Punkt, der für
die Beurteilung der Versuchsergebnisse nicht ausser acht gelassen werden darf,
nicht erwähnt worden. Der Versuchskessel hat 310 qm Heizfläche und 8,25 qm
Rostfläche, sodass bei dem Maximalversuch bei 25 kg Heizflächen und 137 –142 kg
Rostbeanspruchung stündlich im Mittel 1150 kg Kohlen verbrannt werden mussten.
Dies war bloss möglich, weil der Heizer alle zwei Stunden abgelöst wurde. Ebenso
musste bei der kleinerenHeizflächenbeanspruchung von 20 kg f. d. qm der
Heizer zeitweise durch einen zweiten Mann unterstützt werden.
Diese Art Kesselbetrieb kann nicht als normal bezeichnet werden, da ein Heizer
andauernd maximal nur 700-800 kg Kohlen i. d. Stunde verfeuern kann, und sind
daher nachträglich von uns weitere Vergleichsversuche gemacht worden, bei
welchen der Heizer nur entsprechend unserem normalen Kesselbetrieb zu arbeiten
hatte. Die Kesselbeanspruchung betrug hierbei etwa 18 kg f. d. qm
Heizfläche.
Durch diese Versuche wurde festgestellt, dass die Dubiausche Pumpe praktisch und technisch für die Kessel von
obengenannter Grösse keinen Vorteil mehr ergab, infolgedessen wir bei den neu
aufgestellten Kesseln die Dubiaupumpe nicht mehr
zur Anwendung gebracht haben.“
Da die in der Zentrale Moabit der Berliner
Elektrizitätswerke ausgeführten Versuche auch allgemeines Interesse
beanspruchen, so wandte sich der Verfasser an die Direktion der B. E.-W. mit der Bitte um Mitteilung der
Versuchsergebnisse. Dieser Bitte wurde bereitwilligst entsprochen. Die Tabelle S.
422 enthält die wichtigsten Versuchszahlen.
Die ersten 8 Versuche beziehen sich auf den Bericht in No. 50 der Mitteilungen a. d.
Pr. d. Dampfkessel- u. Dampfmasch.-Betriebes 1902, die letzten 4 Versuche dagegen
auf die Zuschrift der Direktion der B. E.- W.
Die Versuche bringen leider die gesetzmässige Abhängigkeit des Kesselwirkungsgrades
von der Beanspruchung der Heizfläche nicht ganz ungetrübt zum Ausdruck, jedenfalls
weil es schwer ist, die Betriebsweise der Feuerung bei allen Versuchen genau gleich zu halten. Auffallend ist auch der relativ
kleine Heizwert der Kohle beim letzten Versuch, der den höchsten Wirkungsgrad von
72,91 v. 11. ergab, allerdings auch bei der kleinsten Beanspruchung der
Heizfläche
Textabbildung Bd. 318, S. 421
Wasserröhrenkessel mit Dubiauscher Rohrpumpe und mit Ueberhitzer von
Leinhaas
Fuchs-Querschnitt für die ersten 2
Kessel; Schnitt A-B; Vorderansicht
mit nur 17,79 kg. Wegen der beträchtlich verschiedenen
Heizflächenbeanspruchung der letzten beiden Versuche ist auch der Vergleich der
Durchschnittswerte 70,74 und 70,65 der Wirkungsgrade nicht ganz einwandsfrei.
Jedenfalls lassen die Versuche erkennen, dass bei kleineren und stark belasteten
Kesseln die Rohrpumpe vorteilhaft ist; ferner wird auch bei den grössten, stark
belasteten Kesseln dieser Vorteil zur Wirkung kommen, wenn die Kessel selbsttätig
beschickt werden können.
Auch in den Simoniusschen Cellulosefabriken in Kelheim a. d. Donau wurden Vergleichsversuche an
einem Leinhaaskessel mit und ohne Rohrpumpe durch den
Bayerischen Dampfkesselrevisionsverein vorgenommen.
Der Kessel hatte eine Heizfläche von 200 qm und war mit einem Ueberhitzer von 53 qm
Heizfläche ausgerüstet. Der Kessel besass ferner einen mechanischen
Rostbeschickungsapparat, welcher gut funktionierte und durch welchen in beiden
Fällen eine gleich gute, von der Tätigkeit der Heizers fast unabhängige Verbrennung
erzielt werden konnte.
Die Betriebsverhältnisse bedingen eine Beanspruchung des Kessels mit etwa 18 kg
f. d. qm Heizfläche und Stunde. Die Versuche wurden jeweils 8 Stunden durchgeführt
und alle Verhältnisse völlig gleich gehalten. Die zur Verwendung gekommene Kohle war
eine Neusatteler Braunkohle, welche etwa 3900 W. E. haben dürfte. Während bei den
Versuchen mit Dubiaupumpe die Abgangstemperatur im
Mittel 330° betrug, stieg diese bei den Versuchen ohne Dubiaupumpe auf 365-370°, die Verdampfungsziffer sank bei letzterem
Versuch von 3,71 auf 3,49. Es entspricht dies einein Mehrverbrauch an Kohle bei den
Versuchen ohne Dubiaupumpe von 6 v. H.
Der Waggon Kohle kostet franko Kelheim 112 M. Bei der Annahme, dass der Kessel 300
Tage à 24 Stunden im Betrieb ist, entspricht dies einer Ersparnis von etwa 5000 M.
zu gunsten der Dubiaupumpe.
(Fortsetzung folgt.)
Textabbildung Bd. 318, S. 422
Normale Leistung; Maximale
Leistung; Normale Leistung Betriebsversuch; Bezeichnung; Mit Dubiau; Ohne
Dubiau; Datum des Versuches; Dauer des Versuches; Heizfläche des Kessels;
Heizfläche des Ueberhitzers; Rostfläche des Kessels; Kohle verfeuert, total;
Kohle f. d. qm Rostfläche; Wasser verdampft, total; Wasser f. d. qm Heizfläche
und Stunde; Wasser verdampft im Mittel f. d. qm und Stunde; Zug über dem Rost in
mm Wassersäule; Zug vor dem Rauchschieber; Temperatur der Rauchgase vor dem
Ueberhitzer; Temperatur der Rauchgase hinter dem Ueberhitzer; Temperatur der
Rauchgase vor dem Schieber CO2 Gehalt der Rauchgase vor dem Schieber; O-Gehalt
der Rauchgase vor dem Schieber; Luftüberschuss-Koeffizient; Dampfspannung,
absolut; Temperatur des überhitzten Dampfes; Temperatur im Mittel; Temperatur
des gesättigten Dampfes; Ueberhitzung des gesättigten Dampfes; Gesamtwärme des
überhitzten Dampfes; Speisewassertemperatur; Jedem kg Dampf zugeführte Wärme; 1
kg Kohle verdampft roh; Heizwert der Kohle; Schlacke in v. H; Asche in v. H;
Schlacke und Asche in v. H; Nutzwirkung der Anlage; Nutzwirkung im Mittel;
Erhöhung der Nutzwirkung durch die Dubiaupumpe; Durch die Dubiaupumpe erzielte
Kohlenersparnis