Titel: | Zweiter Bericht über den V. Internationalen Kongress für angewandte Chemie. |
Autor: | Kurt Arndt |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 427 |
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Zweiter Bericht über den V. Internationalen
Kongress für angewandte Chemie.
Zweiter Bericht über den V. Internationalen Kongress für angewandte
Chemie.
Elektrochemie und physikalische Chemie.
Sektion X.
Den ersten Vortrag hielt Professor J. Traube (Berlin)
über einen „Versuch über die kritische Dichte“,
der durch Herrn Gustav Teichner vorgeführt wurde und
folgenden Gegenstand betraf: Komprimiert man ein Gas stark, so kann es verflüssigt
werden, wenn man seine Temperatur unterhalb einer Grenze hält, die z.B. für
Kohlensäure bei 31°C. liegt. Oberhalb 31° C, der kritischen Temperatur, kann Kohlensäure durch keinen noch so hohen Druck
verflüssigt werden. Füllt man ein dickwandiges Glasrohr zum Teil mit flüssiger
Kohlensäure, schliesst das Rohr und erwärmt es, so verschwindet bei 31 °C. die
Trennungsfläche zwischen Flüssigkeit und Gas, der sogenannte Meniskus, und der Inhalt der Möhre erscheint gleichförmig. Man nimmt an,
dass bei der kritischen Temperatur der Unterschied zwischen Flüssigkeit und Gas
verschwindet, dass die Dichte von Flüssigkeit und Gas bei dieser Temperatur gleich
ist.
Teichner projizierte nun auf einen Wandschirm das Bild
eines solchen Röhrchens, das zur Hälfte mit Tetrachlorkohlenstoff, einer aus 4
Atomen Chlor und 1 Atom Kohlenstoff bestehenden, leichtflüchtigen Flüssigkeit
gefüllt war, und erwärmte langsam auf die kritische Temperatur, in diesem Falle 280°
C. In der Röhre befanden sich kleine Glasballons von verschiedenem spezifischen
Gewichte. Nachdem der Meniskus verschwunden war, sah man die meisten Kügelchen an
der Stelle, wo der Meniskus verschwand, sich ansammeln. Eis waren also auch bei der
kritischen Temperatur, ja noch erheblich über ihr, Dichteunterschiede im Rohr
vorhanden.
An diesen hübschen Versuch knüpfte Traube theoretische
Erörterungen, in denen er im Gegensatz zu den üblichen Anschauungen keinen scharfen
Unterschied zwischen den Begriffen Flüssigkeit und Gas (unterhalb der kritischen
Temperatur) annimmt, sondern Flüssigkeit als Lösung von Gasteilchen
(„Gasonen“) in Flüssigkeitsteilchen („Fluidonen“), und umgekehrt
gesättigten Dampf als Lösung von Fluidonen in Gasonen ansieht. Er berechnet, dass
bei gewöhnlicher Temperatur in der Flüssigkeit 10 v. H. Gasonen enthalten sind.
In der anschliessenden, kurzen Diskussion bestritt Professor Tamman (Göttingen) die Notwendigkeit einer solchen neuen Theorie und
erklärte die beobachtete Erscheinung durch die grosse Veränderlichkeit der Dichte in
der Nähe der kritischen Temperatur.
Sehr interessant war der nun folgende Vortrag von Professor Dr. W. Kernst (Göttingen) „Ueber
Dampfdichtebestimmungen bei sehr hohen Temperaturen“.
Ich habe kürzlich in dieser ZeitschriftD. p.
J. 1903, 318, S. 416. über Versuche
mit elektrolytischen Glühkörpern berichtet und erwähnt, dass Rasch aus solchen Körpern, d.h. den Erden, wie sie in der Nernstlampe als Leuchtkörper dienen, einen elektrischen
Widerstandsofen konstruiert hat.
Auch Nernst ist dazu gelangt, eine kleine Röhre aus
solchen Substanzen, und zwar aus einer Mischung von Zirkon und Yttriumoxyd, als
elektrischen Ofen zu verwenden. Der von ihm vorgeführte Ofen hat freilich sehr
kleine Abmessungen, weil Material Schwierigkeiten bisher die Ausführung in grösserem
Masstabe verhinderten. Als Zuleitungen dienen Platinelektroden. Nachdem durch
Erhitzen mit einer Gasflamme die Substanz leitend geworden war, wurde ein Strom von
110 Volt und 2-4 Amp. hindurchgeschickt, der das Röhrchen zu blendender Weissglut
erhitzte. Das Ende eines hineingehaltenen, dicken Platiniridiumdrahtes
schmolzsofort zu einer kleinen Kugel. Aus der Lichtausstrahlung berechnet Nernst die Temperatur im Innern des Ofens zu 2500°
C.
Etwas grössere Abmessungen hat ein anderer, von Nernst
vorgezeigter elektrischer Ofen, der aus einem weiten Rohre von Iridium besteht, dem
an Elektroden aus Platin ein sehr starker Strom zugeleitet wird. Die obere Zuleitung
wird aus biegsamem Kupferband gebildet, weil sich das Iridiumrohr beim Erhitzen
erheblich ausdehnt. Um auf die höchste, ohne Gefährdung des Apparates erreichbare
Temperatur zu erhitzen, das sind 1950° C, wird aus einem Transformator ein Strom von
1000 Amp. und 2-3 Volt entnommen. Zur Verminderung von Wärmeverlusten ist der Ofen
mit Magnesia und Asbest umpackt.
Diesen Ofen benutzt Nernst, um Dampfdichtebestimmungen
bei 1950° C. auszuführen.
Dampfdichtebestimmungen haben für den Chemiker grossen
Wert, weil nach der von Avogadro 1811 aufgestelltenaufgegestellten und später allgemein angenommenen Hypothese alle Gase in gleichem Volumen
bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleichviel kleinste, selbständig
existierende Teilchen (die man Moleküle nennt) enthalten. Demgemäss verhalten sich
die Gewichte der Moleküle verschiedener Stoffe in gasförmigem Zustande wie die
spezifischen Gewichte der Gase, d.h. wie die „Dampfdichten“. Bezieht man auf
ein bestimmtes Gas z.B. Sauerstoff, (dessen Molekulargewicht = 32 gesetzt wird), so
erhält man aus der Dampfdichte das „Molekulargewicht“ der betreffenden Substanz im Gaszustande. Kennt
man nun aus chemischen Analysen das relative Gewicht eines Atomes des betreffenden Stoffes, so ergibt sich auch, wieviel Atome das
Molekül des betreffenden verdampften Stoffes bilden.
Als Gefäss, in dem die zu untersuchenden Substanzen verdampft werden, dient ein
länglich birnenförmiges Gefäss von Iridium, an das ein
engeres Platinrohr angeschweisst ist. Dieses Gefäss wird in das Iridiumrohr
eingesenkt und auf 1950° C. erhitzt, dann die abgewogene Substanz hineingebracht und
das entwickelte Gasvolumen bestimmt. Durch ein von Wasser durchströmt es Kupferrohr
wird der obere Teil des Apparates gekühlt, so dass ein Gummischlauch angesetzt
werden kann.
Da Iridium äusserst spröde ist und sich nur bei 1)1 endender Weissglut einigermassen
bearbeiten lässt, so ist die Herstellung der beschriebenen Apparate ein neuer,
schöner Erfolg, den die berühmte Firma Heraus in Hanau
errungen hat.
Freilich sind auch die Abmessungen dieses Iridiumglühofens bescheiden und nur sehr
kleine Substanzmengen können in der Iridiumbirne verdampft werden, weil der
Rauminhalt der Birne nur wenige Kubikzentimeter beträgt und die Stoffe in Dampf form
einen sehr grossen Raum einnehmen, zumal bei so hoher Temperatur.
Kaum mehr als 1 Milligramm oder weniger Substanz verwandte Nernst zu seinen Dampfdichtebestimmungen.
Um so winzige Gewichte noch genau zu bestimmen, konstruierte sich Nernst eine besondere Wage. Um einen kurzen, haarfeinen
Quarzfaden als Achse schwingt ein langer Glasfaden als Wagebalken, dessen rechter
Arm am Ende ein Häkchen trägt, während der linke Arm schräg nach unten gebogen ist
und mit seiner Spitze als Zeiger vor einer Skala spielt. Die Wage wird derart
geaicht, dass man in das Häkchen ein bekanntes Gewicht hängt und den Ausschlag an
der Skala beobachtet. Als solche Normal gewichte benutzt Nernst Bügel aus feinem Draht, die ⅕ mg wiegen. Die zulässige
Höchstbelastung der Wage beträgt nur 2 mg, die Empfindlichkeit 1/1000 mg. Letztere ist also 100mal
grösser als die der üblichen chemischen Wagen, auf denen doch ein kleiner
Papierschnitzel schon einen grossen Ausschlag verursacht. Die zur Vergasung
bestimmten Substanzmengen werden in winzigen Eimerchen aus Platin oder seltenen
Erden abgewogen. Trotz ihrer Zierlichkeit ist die Wage so gut transportabel, dass
sie Nernst ohne Schaden auf seinem Automobil von
Göttingen nach Berlin mitnehmen konnte.
Mit diesen Apparaten erhielt Nernst unter anderen
folgende Zahlen. Als er 0,1961 mg Wasser vergaste, berechnete sich aus dem
gemessenen. Dampfvolumen ein Molekulargewicht (17,1), das kleiner ist, als der
Formel des Wassers (H2O = 2 + 16 = 18) entspricht. Er schliesst
daraus, dass Wasserdampf bei 1950° C. sich schon ein wenig zersetzt. Den gleichen
Schluss ergaben die Messungen für Kohlensäure.
Sehr interessant ist das Ergebnis bei Schwefel, dessen Dampfdichte bei 1950° das
Molekulargewicht 36-38 entspricht; da das Atomgewicht des Schwefels = 32 ist, so
folgt, dass Schwefel dampf bei dieser hohen Temperatur grossenteils in Atome
zerfallen ist.
Schon die Versuche des berühmten Chemikers Viktor Meyer,
der selber viel Dampfdichtebestimmungen bei möglichst hoher Temperatur anstellte,
lehrten, dass, je höher die Temperatur, um so einfacher die Moleküle der Stoffe
aufgebaut sind, eine Erfahrung, die durch die neuen Versuche von Nernst eine wertvolle Bestätigung erfährt.
Dr. O. Fröhlich (Berlin) berichtete „über einen neuen elektrischen Widerstandsofen“. Er
beschränkte sich darauf, ausführlich die Anforderungen zu erörtern, die man an
Konstruktion und Wirtschaftlichkeit eines elektrischen Widerstandofens stellen muss;
nähere Angaben aber über das Material, aus dem er seinen Ofen aufbaut, verweigerte
er aus patentrechtlichen Gründen. Auch die Besichtigung des Ofens lohnte sich
infolgedessen nicht sehr. Das Material besteht aus grossen weissen Platten, der
Strom wird ihm durch eingeschmolzene. Kohlenstäbe zugeführt. Hoffentlich entsprechen
die Leistungen des Ofen den vom Erfinder gehegten Erwartungen. Sollten genauere
Angaben später zu erlangen sein, so behalte ich mir vor, in dieser Zeitschrift
weiter über die Sache zu berichten.
Prof. Dr. F. W. Küster (Clausthal) sprach über:
Dissoziationsdruck von Sodalösungen“. Aus diesem Vortrage sei erwähnt,
dass es dem Vortragenden nach seiner Angabe gelang, aus Sodalösung (Soda =
kohlensaures Natron Na2CO3), die auf 90°
erwärmt war, etwa die Hälfte ihrer Kohlensäure zu entfernen, indem er sie in eine 7
m lange Silberrohrspirale füllte und monatelang kohlensäurefreies Gas
hindurchstreichen liess.
Doppelkohlensauren Salzen,
den Bikarbonaten, (z.B. doppelkohlensaurem Natron, Na H CO3) lässt sich bekanntlich sehr leicht Kohlensäure
entziehen; so kann, wie auch in der Diskussion erwähnt wurde, aus hartem Wasser, der
als doppelkohlensaurer Kalk (Calciumbikarbonat), in Lösung befindliche Kalk durch
Einleiten von Luft als unlöslicher (einfach) kohlensaurer Kalk [Calciumkarbonat CaCO3) ausgefällt werden. Eine Lösung von Natriumbikarbonat
gibt beim Kochen Kohlensäure ab; Küster hatgezeigt dass
die Zersetzung unter besonderen Umständen noch erheblich weiter getrieben werden
kann.
Professor Guntz (Nancy) zeigte Bariummetall, dass er durch Erhitzen von Bariumamalgam gewonnen hatte.
Ebenso wie im Kupfervitriol, dem schwefelsauren Kupfer, das Kupfer, so ist im
Schwerspat, dem schwefelsauren Baryt, das Bariummetall enthalten. Dieses Metall ist
ebenso wie das des Kalks, das Calcium, schwer abzuscheiden, weil es sich leicht mit
dem Sauerstoff der Luft verbindet. Beim Barium kommt noch die Schwierigkeit hinzu,
dass es sich mit der Kieselsäure sehr leicht verbindet, also Porzellangefässe
angreift; auch mit Wasserstoff verbindet es sich.
Um Bariumamalgam zu gewinnen, leitet man einen elektrischen Strom durch eine wässrige
Lösung von Chlorbarium; dann scheidet sich am negativen Pol Barium aus, das sofort
das Wasser zersetzen würde, wenn man nicht als negativen Pol eine Quecksilberschicht
anwendet, in der das Bariummetall als Amalgam gelöst wird. So erhielt Guntz eine 3 prozentige Lösung von Barium in
Quecksilber. Durch Abdestillieren des Quecksilbers in besonders
konstruierten,luftleer gepumpten Retorten konnte er stufenweise 10 prozentiges,
60 prozentiges, 95 prozentiges Amalgam und schliesslich Bariummetall erhalten, dass
nur noch 0,8 v. H. Quecksilber enthielt. Das erhaltene schwere Metall ist
silberweiss.
In seinem Vortrage: „Ueber elektrische Masseinheiten“ berichtete Professor Nernst (Göttingen) über die Vorschläge der Deutschen Bunsengesellschaft für angewandte physikalische
Chemie (früher Deutschen elektrochemischen
Gesellschaft), die eine einheitliche Festsetzung der Zeichen für häufig
vorkommende Begriffe, wie Zeit, Temperatur, Leitfähigkeit usw. bezwecken. Im
Anschluss daran gab Ch. Marie (Paris) den Bericht der
auf dem Pariser Kongress im Jahre 1900 ernannten Masseinheitenkommission, der manche
Meinungsverschiedenheiten enthüllt. Gegen die Vorschläge der Bunsengesellschaft sprach Prof. Dr. A. A.
Noyes (Boston, Mass.), der ein ganz neues in sich abgeschlossenes und
folgerichtiges System der Bezeichnung durch Buchstaben für zweckmässiger hält und
die Einsetzung einer internationalen Kommission beantragt, die ein solches System
ausarbeiten soll. Dieser Antrag von Noyes wurde mit
grosser Mehrheit abgelehnt und die von der Deutschen Bunsen
gesellschaft zusammengestellte Tabelle angenommen, mit der Massgabe, dass
ihre Benutzung zwar nicht erzwungen, wohl aber allen Fachgenossen angelegentlichst
empfohlen werden soll. Hiernach sollen künftig folgende Buchstabenbezeichnungen
gelten:
Variable.
p, P
gewöhnlicher und osmotischer Druck.
v
Volumen.
T
abs. Temperatur.
Θ
Celsiustemperatur.
t
Zeit.
δ
Dichte.
Δ
Dampf dichte, bezogen auf Luft.
Π0, φ0, ϑ0
kritische Grössen (Druck, Volum, Temp.)
Π, φ, ϑ
reduzierte Zustandsgrössen (Druck, Vol., Temp.)
Q
Wärmemenge.
U
innere Energie.
a
Atomgewicht (0 = 16).
M
Molekulargewicht (O2 = 32).
c
spez. Wärme.
cp, cv
spez. Wärme bei konst. Druck, bezw. Volum.
Cp = c
p
M
C
v
= c
v
M
Molekularwärme bei konst. Druck, bez. Volum.
N
Brechungskoeffizient.
ϰ
Leitfähigkeit in reziproken Ohm f. d. cm-Würfel.
η
Konzentration (gr.-Aequivalente f. d. ccm).
A=\frac{\kappa}{\eta}
Aequivalentes Leitvermögen.
Λ
∞
Aequivalentes Leitvermögen bei unendlicher Verdünnung.
γ
Dissoziationsgrad.
K
Gleichgewichtskonstante des Gesetzes der
chem. Massenwirkung.
E
Spannung.
W
Widerstand.
I
Stromintensität.
ε
Einzelpotential, Zersetzungsspannung.
ε
h
Potential gegen eine normale Wasserstoff- elektrode.
ε
c
Potential gegen eine normale Calomelelektrode.
Konstante.
R
Gaskonstante auf 1 Mol bezogen.
A
mechan. Wärmeaequivalent, 41.98 . 106
erg auf die 15° – gr – cal.Valenzladung (96540 Coulombs f.
d. gr – Aequi- valent).
Abkürzungen un Text.
2nH2SO4
usw. für zweifach aequivalent normale Schwefel- säure usw.
H, Cl', Ba
usw. für einfach positiv geladenes H-Jon,
ein- fach negativ geladenes Cl-Jon,
doppelt positiv geladenes Ba-Jon
usw.
Der nächste Vortrag: „Ueber die Spaltung des
Kohlenoxyds“ von Privatdozent Dr. Rudolf
Schenck (Marburg) behandelt den Zerfall des Kohlenoxyds in Kohle und Kohlensäure
bei Gegenwart fein verteilter Metalle, insbesondere von Eisen und von Nickel und
teilte viele Zahlenbelege über die Geschwindigkeit der Reaktion mit, aus denen sich
aber kein klares Bild über den eigentlichen Verlauf der Zersetzung gewinnen lässt.
In der Diskussion wird auf verschiedene Fehlerquellen, die in der Versuchsanordnung
beruhen, aufmerksam gemacht.
Dann sprach Ingenieur L. Ancel (Paris) über: „Sur les variations de resistance électrique, sous
l'influence de la lumière, des corps autres que le selenium (par exemple
noir de fumée etc.)“ Das dem Schwefel verwandte chemische Element
Selen hat die merkwürdige Eigenschaft, dass seine Leitfähigkeit für den elektrischen
Strom durch Belichtung bedeutend erhöht wird. Diese Eigenschaft hat man zu einer Art
Telephonie ohne Draht verwertet, indem man das Licht eines elektrischen
Scheinwerfers, dessen Lichtbogen durch Töne in Schwingungen versetzt ist, auf eine
„Selenzelle“ fallen lässt, die mit einem Telephon zusammen in den
Stromkreis einer galvanischen Batterie geschaltet ist. Der Widerstand des Selens
ändert sich dann in gleichem Masse wie die Belichtung, damit auch der Strom, der das
Telephon durchfliesst und zum Tönen bringt.
Eine solche Uebertragung auf mehrere Kilometer wurde z.B. vor zwei Jahren der
Naturforscherversammlung in Hamburg vorgeführt und gelang ausgezeichnet.
Ancel versuchte das Selen durch andere Stoffe zu
ersetzen und untersuchte auch Russ, der sich bedeutend weniger empfindlich als Selen
zeigte. Dagegen ist die Empfindlichkeit einer mit Russ bedeckten Selenschicht
grösser als die jedes der Körper einzeln.
Zur theoretischen Erklärung nimmt Ancel an, das Licht
wirke ähnlich wie elektrische Wellen auf den „Kohärer“ in der Telegraphie
ohne Draht.
Erwärmung erhöht gleichfalls die Leitfähigkeit berusster Selenschichten, während auf
Tellur und Metallfolie die Wärme entgegengesetzt wie das Licht wirkt.
Die Vorträge von Privatdozent Dr. Max Bodenstein
(Leipzig) und Professor Dr. Guido Bodländer
(Braunschweig) über die „Chemische Kinetik der
Kontaktschwefelsäure“ behandeln die theoretische Seite eines
gegenwärtig in grossem Masstabe in der Technik ausgeübten Verfahrens. Ein grosser
Teil der konzentrierten Schwefelsäure des Handels wird nämlich nicht mehr nach dem
alten Bleikammer verfahren, sondern durch Ueberleiten von schwefliger Säure und Luft
über erhitztes fein verteiltes Platin und Auflösen des entstandenen
Schwefelsäureanhydrids gewonnen.
Auch hier begegnet die theoretische Verwertung der experimentellen Zahlenergebnisse
Schwierigkeiten, sodass in der Diskussion die prinzipielle Frage aufgeworfen wurde,
ob überhaupt die geltenden Gesetze auf derartige Probleme angewandt werden
dürfen.
Professor Dr. G. Zingelis (Athen) machte interessante
Mitteilungen „Ueber die chemischen Reaktionen bei den
höchsten Temperaturen und Ihre industrielle Anwendung“.
Während Goldschmidt in seinem bekannten
Schweissverfahren dem verbrennenden Aluminium den nötigen Sauerstoff durch
beigemengtes Eisenoxyd liefert, verbrennt Zingelis
Aluminiumpulver durch Zuleiten eines reichen Stromes von Sauerstoffgas. Bei der
entstehenden enormen Hitze, die der des elektrischen Ofens vergleichbar ist,
schmilzt Tonerde und verdampft; das gleiche Schicksal erleiden Magnesia und Kalk.
Platin verdampft sofort. Leitet man Stickstoff über das hocherhitzte Aluminium, so
bildet sich seine Stickstoff-Verbindung Aluminiumnitrid. Wegen der bei dieser
Vereinigung verbrauchten Wärme kühlt sich das Aluminium ab, sodass von neuem
Sauerstoff zugeführt werden muss, um die nötige hohe Temperatur zu erhalten. Durch
abwechselndes Zuleiten von Sauerstoff und Stickstoff kann man ein Drittel des
Aluminiums in die Stickstoffverbindung überführen.
E. Solvay (Brüssel) entwickelte in seinem Vortrage: „Sur une formule rélative à la gravité, appicable aux
phénomènes de diffusion“ interessante Anschauungen, in denen er die
Kraft, die zwischen Lösungen von verschiedener Konzentration wirksam ist, mit den
Gesetzen, die für die Wirkung der Schwerkraft gelten, in Beziehung bringt.
In der Diskussion erinnerte Bredig an die alten Versuche
von Gay-Lussac, der Salzlösung in eine senkrechte, 2 m
langeRöhre füllte, um zu prüfen, ob unter dem Einfluss der Schwerkraft am
unteren Ende der Flüssigkeitssäule die Konzentration des Salzes grösser würde. Er
erhielt ein negatives Resultat; nach neueren Berechnungen ist der Einfluss der
Schwerkraft zu klein, als dass er sich experimentell nachweisen liesse. Dagegen
konnte Bredig Aenderungen der Konzentration durch die
Zentrifugalkraft nachweisen, als er ein Gemisch des
schweren Jodwasserstoffgases mit dem äusserst leichten Wasserstoffgas
zentrifugierte. Bei etwa 2000 Umdrehungen in der Minute wurde in einem 15-18 cm
langen radial angebrachten Glasrohr nach 1 ½ Stunden ein Konzentrationsunterschied
von 3 v. H. gefunden. Haben die Gase nahe gleiche Dichte, wie z.B. Sauerstoff und
Stickstoff, so kann man vielleicht durch Anwendung des Gegenstromprinzips eine
gewisse Scheidung erreichen. Das würde eine Lösung des vielfach angestrebten
Problems bedeuten, Sauerstoff aus der Luft durch Zentrifugieren zu gewinnen.
Professor Dr. G. Bredig (Heidelberg) sprach über: „Die Anwendungen der elektrischen Endosmose und die damit
zusammenhängenden Erscheinungen des kolloidalen Zustandes“.
Es ist eine altbekannte Erscheinung, dass bei Elektrolysen, wenn Anodenflüssigkeit
und Kathodenflüssigkeit durch ein Diaphragma, z.B. eine poröse Tonzelle, getrennt
sind, ein Niveauunterschied zu beiden Seiten des Diaphragma auftritt, weil
Flüssigkeit durch die poröse Wand vom Strome hindurchgeführt wird. Diese „elektrische Endosmose“ hat mit der „Ionenwanderung“, die z.B. aus
Kaliumchloridlösung Kaliumionen an die Kathode führt und dort die Flüssigkeit
alkalisch macht und Chlorionen an die Anode bringt, wo Chlorgas entweicht, nichts zu
tun; im Gegenteil macht sie sich bei Nichtleitern, wie Alkohol und Terpentinöl,
besonders stark geltend.
Auch mit dem osmotischen Druck hat diese Erscheinung
nichts zu schaffen, der durch eine halbdurchlässige Membran nur Wasser, nicht aber
z.B. im Wasser gelösten Zucker hindurchlässt; bei der elektrischen Endosmose dagegen
braucht die Zusammensetzung der übertretenden Lösung sich nicht zu ändern.
Als „scheinbare elektrische Endosmose“ bezeichnet
Bredig einen Vorgang, den er am frisch
ausgeschnittenen Darm der Seegurke (Holothurie)
beobachtete, als er ihn mit Seewasser gefüllt in ein Gefäss setzte, dass auch mit
Seewasser zur gleichen Hohe gefüllt war. Nach einiger Zeit fand sich, dass alles
Seewasser aus dem Inneren des Darmes ausgetrieben war. Tötete man aber den Darm
durch Chloroform, so blieb diese Erscheinung aus.
Anschliessend an den Vortrag von Bredig führte Dr. Graf Schwerin (Höchst) Versuche vor „Ueber praktische Anwendungen der elektrischen
Endosmose“. Er schlämmte Alizarin, Thon und Torf in Wasser auf und
leitete in diese Suspensionen den Strom ein. Dann klärte sich die Flüssigkeit an der
Kathode und an der Anode setzte sich eine ziemlich trockene Masse an.
Auf die Anfragen von Arndt und Nernst gibt Dr. Graf Schwerin an, dass der
Torf schliesslich noch 65-70 v. H. Wasser enthält, und dass nur ein kleiner
Bruchteil des Stromes zur nebenhergehenden Wasserzersetzung verbraucht wird.
In einem kurzen Vortrage: „Zur physikalischen Chemie des
Weines teilte Professor Dr. G.
Magnanini (Modena) mit, dass er auf physikalisch-chemischem Wege gegipsten
Wein auf die Anwesenheit von saurem schwefelsaurem Kali geprüft habe. Es beobachtete
hierzu die Veränderung von Zuckerlösungen bei Zusatz von gegipstem Wein oder
Schwefelsäure oder saurem schwefelsaurem Kalium. Diese Veränderung lässt sich mit
dem Polarisationsapparat bequem verfolgen. Da sie bei Zusatz von gegipstem Wein viel
langsamer vor sich geht, als bei Zusatz der entsprechenden Menge von saurem
schwefelsaurem Kali oder von Schwefelsäure, so schliesst Magnanini, im Gegensatz zu der üblichen Annahme, dass kein saures
schwefelsaures Salz im gegipsten Wein enthalten ist.
Dr. C. Monti (Turin) berichtete de la concentration des solutions par congélation et de la production du froid
par l'action des solutions concentrées sur la glace (neige).
Um den Gehalt von Wein zu erhöhen, liess er Wasser aus ihm ausfrieren. Zu seiner
Ueherraschung fand sich, dass der gefrorene Anteil an Alkohol und anderen Stoffen
reicher war, als
die zurückgebliebene Flüssigkeit. Liess er ganz gefrieren, so wanderten in dem
erhaltenen Eisblock die gelösten Stoffe allmählich nach unten, sodass oben reines
Eis hinterblieb. Durch Wiederholung des Verfahrens konnte Monti 80 v. H. des Wassers als reines Eis ausscheiden. Der Geschmack des
Weines leidet durch das Gefrieren nicht. Entsprechend lässt sich das Verfahren auf
andere Lösungen anwenden. In der Diskussion wird bestätigt, dass auch der Geschmack
von Bier durch Gefrieren nicht zu leiden braucht, dass im Gegenteil das Gefrieren
zur Konservierung von Münchener Bier benutzt wurde.
Der letzte Vortrag, über den hier berichtet sei, war der von Dr. Werner von Bolton (Charlottenburg): „Ueber
das Leuchten der Ionen“. Leitet man durch eine Elektrode von
geringem Querschnitt einen starken Strom in eine Flüssigkeit, so bildet sich eine
Dampfschicht um die Elektrode und es treten Lichterscheinungen auf. Im Wehnelt Unterbrecher findetdieses Prinzip eine
wichtige Anwendung. Der Vortragende benutzt diese Anordnung zur Erzeugung
lichtstarker Spektra der in den Lösungen enthaltenen Metalle. Ferner zeigt er, dass
eine Bogenlichtkohle, die als Anode langsam in erwärmte Schwefelsäure getaucht wird,
eine glatte, glänzende Oberfläche erhält.
In der Diskussion wird bestritten, dass es sich um ein „Leuchten der Ionen“
handele; es glühe mechanisch zerstäubte Substanz.
Ueber die elektrochemischen Vorträge, die rein technische Gegenstände behandeln, wird
von anderer Seite in dieser Zeitschrift berichtet werden. Das rege Interesse, mit
dem die stets zahlreich anwesenden Mitglieder der Sektion X den vielen Vorträgen
folgten, die zum Teil in französischer und englischer Sprache gehalten wurde,
beweisst, wie grosse Bedeutung dem jüngsten Zweige der Chemie, der
„physikalischen Chemie“, zukommt.
Dr. Kurt
Arndt.