Titel: | Elektro-pneumatische Stellwerksanlagen, Bauart Westinghouse. |
Autor: | Hans Martens |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 565 |
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Elektro-pneumatische Stellwerksanlagen, Bauart
Westinghouse.
Mitgeteilt vom Regierungs-Baumeister Hans
Martens.
(Schluss von S. 550 d. Bd.)
Elektro-pneumatische Stellwerksanlagen, Bauart
Westinghouse.
Das Stations-Freigabewerk enthält die einzelnen Freigabehebel, die, in der
Ruhelage senkrecht stehend, nach 2 Seiten umgelegt werden können, sodass also mit
jedem Hebel 2 sich gegenseitig ausschliessende Signale freigegeben werden können.
Die Freigabehebel können ebenfalls, wie früher mitgeteilt, zur Festhaltung und
Entriegelung der Fahrstrasse, nachdem der Zug sie verlassen hat, benützt werden.
Durch Farbschilder wird die jeweilige Lage der Hebel noch besonders gekennzeichnet.
Die konstruktive Ausführung ist in Fig. 5
dargestellt. Der durch den Hebel c bewegte horizontale
Schieber e trägt ein Kontaktstück f, das bei jeder Umlegerichtung des Hebels je 2
Kontakte schliesst wodurch einerseits der zur Freigabe des Fahrtrassenhebels im
Stellwerk dienende Stromkreis geschlossen und andrerseits eine leitende Verbindung
zur Führung des Betriebsstroms, der zum Stellen des Signals auf Fahrt dient,
hergestellt wird. Der Elektromagnet k hält den Schieber
edurch seinen Anker bei Ruhelage der Hebels
fest. Für gewöhnlich ist der Freigabehebel beweglich, da der Magnet Strom führt und
seinen Anker angezogen hat. Nur wenn der Freigabehebel nach Durchfahrt des Zuges
zurückgelegt worden ist, bleibt er in der Haltlage solange gesperrt, bis im
Stellwerk die Fahrstrasse aufgelöst worden ist, d.h. bis dort der Fahrstrassenhebel
in die Ruhelage gelegt ist. Eine Sperrung tritt ferner auch durch Stromloswerden von
k ein, wenn ein feindlicher Freigabehebel vorher
umgelegt worden ist. Unterhalb des Schiebers e ist noch
ein zweiter Elektromagnet l eingebaut, der den
elektrischen Ausschluss zwischen mehreren feindlichen Freigabehebeln herzustellen
und zu erhalten hat, solange die hergestellten Fahrstrassen nicht wieder aufgelöst
sind. Im Regelzustande ist Magnet l stromlos, wird aber
erregt, nachdem der Hebel umgelegt ist; dadurch wird durch seinen Anker bei n Kontakt hergestellt, der alle die Stromkreise
unterbricht, die durch die Elektromagnete k der feindlichen
Freigabehebel führen. Folgedessen fallen deren Anker ab und sperren die zugehörigen
Freigabehebel.
In Fig. 6a u. b ist der
Antrieb einer Weiche nebst allen Nebenvorrichtungen dargestellt. Der Arbeitszylinder
b ist auf einem doppelten Flacheisenfundament
gelagert, das einerseits mit der Bockschwelle, andrerseits mit einem starken
eisernen Schutzkasten verbunden ist, dessen eine Hälfte sich nach unten erweitert
und zugleich dem Fundament als Erdfuss dient. Die Kolbenstange des Arbeitskolbens
wirkt auf den Winkelhebel c, der die Bewegung auf die Weichenzungen überträgt. Die
Weiche ist in der Grundstellung gezeichnet. Wird der Weichenstellhebel im Stellwerk
umgelegt, so bewegt sich die Kolbenstange in der angezeichneten Pfeilrichtung und
die Weiche wird umgelegt. Der Zungenanschlag wird durch ein an der Weichenplatte
befestigtes Anschlagstück begrenzt. Die Pressluft wirkt aber auch noch dann auf den
Arbeitskolben, wenn die abliegende Zunge den Anschlag bereits erreicht hat, wodurch
der Verschlusshaken der anliegenden Zunge mit grosser Kraft festgehalten wird. Von
den Zungenspitzen wird durch die Stangen f mit Gelenk
h der Rückmeldeschalter g betätigt: Bei Beginn jeder Umstellbewegung wird ein Kontakt geöffnet,
während ein andrer nur dann geschlossen wird, wenn beide Zungen ihre ordnungsgemässe
Endlage erreicht haben. Die Zuführung der Druckluft erfolgt durch einen kleinen
Schlauch vom I Luftbehälter her. Das Weichensignal wird von dem nach rückwärts
verlängerten Schieber des Rückmeldeschalters angetrieben. Soll die Handbedienung
zunächst noch beibehalten werden, so wird der Stellhebel an den Winkelhebel c angeschlossen. Der Rückmeldeschalter kann aber bei
Handbedienung auch in Tätigkeit bleiben, sodass der Stellwerkswärter immer von der
Lage der Weiche Kenntnis erhält. Wird die Weiche aufgeschnitten, so wird die
Pressluft vom Arbeitskolben in die Leitung zurückgedrückt, bis sie nach Durchfahrt
des Fahrzeuges die Weiche in ihre ursprüngliche Lage zurückdrückt.
In Fig. 7 ist der Arbeitszylinder nebst Steuerung in
grösserem Masstabe dargestellt. Der Arbeitskolben hat doppelte Lederstulpdichtung,
die Stopfbüchse hat ebenfalls Lederdichtung; bei beiden Dichtungen ist eine Feder
zur Erhaltung gleichmässiger Dichthaltung angeordnet. Die Steuerung besteht aus zwei
kleinen Nebenzylindern k1 u. k2 nebst Schieber c. Die beiden Zylinder
werden von 2 Elektromagneten e1 u. e2 beeinflusst. In der Zeichnung steht die
Steuerung so, dass Pressluft aus der Rohrleitung durch den Kanal h1 vor den
Arbeitskolben treten kann; dieser Zustand trat dadurch ein, dass beim Umstellen der
Weiche im Stellwerk der Elektromagnet e1 Strom erhielt und seinen Anker f verschoben hatte. Das obere Ende dieses Ankers f berührt die Spitze eines Stiftes g, der unter Wirkung einer Spiralfeder den Zutritt der
Pressluft zu dem Kolben k1 verhindert. Durch Anheben des Ankers f wurde der auf g lastende
Federdruck überwunden, sodass die Pressluft den Nebenkolben k1 nach links verschieben konnte. Dadurch
wurde Schieber c und Nebenkolben k2 auch nach
links verschoben, sodass nunmehr durch den Schieber eine Verbindung zwischen der
Pressluftzuleitung und dem Kanal h1 hergestellt wurde, durch den die Luft nun
hinter den Arbeitskolben gelangt unddiesen vorstösst, der nun nach Erreichen
der andern Endlage solange unter dem Drucke der Pressluft bleibt, bis der
Weichenstellhebel im Stellwerk wieder umgelegt wird; tritt dies ein, dann wird
Elektromagnet e1 stromlos, dagegen kommt Elektromagnet e2 so zur Wirkung, wie es von Magnet el eben
beschrieben worden ist: Kolben k2 geht nach rechts, wobei Kolben k1 und der
Schieber c mitgehen.
Textabbildung Bd. 318, S. 566
Fig. 5. Stations-Freigabehebel.
Dadurch gelangt die vor dem Nebenkolben k1 vorhandene Luft ins
Freie durch einen Ausweg, der vorher bei hoch gehobenem Anker durch seine konisch
geformte Spitze verschlossen gehalten worden ist. Ferner strömt durch die Oeffnung
i die Luft aus dem Kanal h1 und damit aus dem
Arbeitszylinder ins Freie, während gleichzeitig durch Kanal h2 die Pressluft vor die andre
Seite des Arbeitskolbens tritt, ihn zurückdrückt und damit die Weiche umstellt und in
dieser Lage dauernd festhält, bis die nächste Umstellung erfolgt.
Der Rückmeldeschalter besteht aus dem mit den Weichenzungen verschiebbaren Schieber
b, der ein Kontaktstück c trägt, welches mit der nach dem Stellwerk führenden Rückleitung
verbunden ist. Die Schleiffedern d1 und d2 kommen mit dem Kontaktstück c in leitende Verbindung, je nach der Stellung der
Weiche. Die Federn sind mit der Rückmeldeeinrichtung im Stellwerk verbunden und
geben dort die Lage der Weiche sichtbar zu erkennen, sobald beide Zungen ihre
richtige Endlage eingenommen haben.
Die Druckluftantriebe für die Signale sind am unteren Ende des Signalmastes
befestigt. Die Arbeitszylinder stehen senkrecht, die Arbeitskolben bewegen sich beim
Stellen des Signals auf freie Fahrt nach unten. Für jeden Flügel ist ein besonderer
Antrieb angeordnet, der mit ihm durch ein Gasrohrgestänge verbunden ist. Die
Zuleitung der Pressluft zu dem Arbeitszylinder erfolgt von dem nahe dem Signal
aufgestellten Luftbehälter durch ein Gasrohr. Die Rückmeldekontakte befinden sich
unmittelbar an den Flügeln, sodass die Kabelleitungen im Innern des Mastes
hochgeführt werden. In Fig. 8 ist der Antrieb
dargestellt; die Steuerung ist bedeutend einfacher als beim Weichen antrieb, weil
der Arbeitskolben nur von einer Seite beim Stellen des Signals unter Pressluft
gesetzt wird. Beim Umstellen des Signalhebels im Stellwerk erhält der Elektromagnet
e Strom, zieht seinen Anker an, der mittels Stift
g der Pressluft den Eintritt durch den Kanal d zum Arbeitszylinder gestattet, während gleichzeitig
die Oeffnung l durch die Ankerspindel verschlossen
wird; das Signal wird auf Fahrt gestellt. Gleichzeitig mit dem Arbeitskolben wird
die Schieberstange h bewegt, welche den auf ihr
befestigten Kontakt i1 mit der isolierten Feder k in Berührung
bringt; wodurch ein Stromkreis geschlossen wird, der im Stellwerk die Fahrstellung
des Signals anzeigt. Bei Haltstellung geht dieser Meldestromkreis über i – wie gezeichnet – und zeigt die Haltstellung im
Stellwerk an. Die Schaltung der Rückmeldeleitungen ist so ausgeführt, dass bei
Mehrflüglern erst die Meldung eintritt, wenn sämtliche Flügel die jeweilige,
beabsichtigte Endlage eingenommen haben. Bei Zurückgehen in die Haltstellung wird
der Magnet stromlos, die Arbeitsluft strömtdurch l
ins Freie, die Verbindung mit der Leitung wird abgeschlossen und die Flügel fallen
vermöge ihres eigenen Gewichts in die Haltstellung zurück, wobei der Arbeitskolben
in die gezeichnete Lage zurückgedrückt wird.
Textabbildung Bd. 318, S. 567
Fig. 6a.Elektro-pneumatische angetriebene Normalweiche mit Antrieb und
Hakenschloss.
Textabbildung Bd. 318, S. 568
Fig. 6b.Elektro-pneumatisch angetriebene Normalweiche mit Antrieb und
Hakenschloss.
Textabbildung Bd. 318, S. 568
Fig. 7. Druckluftantrieb mit elektrischer Steuerung für Weichen. –
Rückmeldeschalter.
Der Antrieb des Vorsignals ist der gleiche wie der des Hauptsignals.
Das Stationsfreigabewerk ist mit dem Stellwerk, das Stellwerk mit den Weichen- und
Signalantrieben durch die elektrischen Leitungen so geschaltet, dass die
beschriebene Wirkungsweise der einzelnen Teile der gesamten Anlage eintritt. Die
einzelnen Stromläufe an Hand von schematischen Schaltungsskizzen zu verfolgen, kann
nicht im Rahmen dieser Darstellung liegen und unterbleibt deshalb, um so mehr, als
Xeues dadurch nicht geboten wird. Fig. 9a, 9b u. 10 geben eine
Gesamtansicht des Stellwerks und des Stationsfreigabewerks.
Textabbildung Bd. 318, S. 569
Fig. 8. Druckluftantrieb mit elektrischer Steuerung für Signale.
So vielteilig die Anlage mit ihren einzelnen Apparaten auch erscheinen mag, so bietet
sie doch gegenüber den mechanischen und rein elektrischen Stellwerken mancherlei
Vorzüge, deren wesentlichste im folgenden zusammengestellt sind.
Den mechanischen Stellwerken ist dies elektropneumatische System in folgenden Punkten
überlegen:
1. Die Gestängeleitungen zu den Weichen und Signalen fallen fort und damit alle mit
ihnen verknüpften Beschwerlichkeiten, wie Wartung, Längenausgleich, Anordnung.
2. Die Weichen und Signale können in beliebiger Entfernung vom Stellwerk aufgestellt
werden, ohne im Betrieb Schwierigkeiten zu bereiten.
3. Mehrere Weichen können mit Sicherheit von einem Stellhebel bedient
werden.
4. Der ordnungsgemässe Zustand, sowie Betriebsstörungen der Weichen und Signale
werden im Stellwerk angezeigt.
5. Die räumlichen Abmessungen der Stellhebel nebst Zubehör im Stellwerk sind kleiner
als beim mechanischen Stellwerk.
6. Die Bedienung des Stellwerks ist ohne erhebliche körperliche Anstrengung
möglich.
7. Die Stellwerke können ohne Rücksicht auf die Leitungen erbaut werden, während bei
mechanischen Stellwerken auf die günstige Führung von Drähten oder Gestängen
Rücksicht zu nehmen ist.
Im Vergleich zum rein elektrischen Stellwerk sind folgende Vorteile anzuführen:
1. Druckluft ist als Arbeitsträger zuverlässiger als Elektrizität und wird durch
Witterungs- und andere äussere Einwirkungen weniger beeinflusst.
2. Während das vorliegende System nur Strom von 15 Volt Spannung verwendet, wird das
rein elektrische Stellwerk mit Strom von 110 Volt Spannung betrieben, der viel
leichter schwer zu erkennenden Störungen aller Art ausgesetzt ist als der niedrig
gespannte. Undichtigkeiten beim
Textabbildung Bd. 318, S. 570
Fig. 9a.Elektrisch gesteuertes Weichen- und Signal-Stellwerk.
Textabbildung Bd. 318, S. 570
Fig. 10. Elektrisch betriebenes Stations-Freigabewerk.
Textabbildung Bd. 318, S. 571
Fig. 9b.Elektrisch gesteuertes Weichen- und Signal-Stellwerk.
Druckluftbetrieb machen sich durch das Geräusch der
ausströmenden Luft bemerkbar.
3. Die pneumatischen Antriebe sind konstruktiv einfacher als die elektrischen; die
Arbeitsbewegung der ersteren ist die naturgemässe, die geradlinige, während bei den
letzteren erst die drehende in eine grade umgesetzt werden muss.
4. Es ist als besonders günstiger Umstand anzusehen, dass die Arbeitskolben der
Weichenantriebe stets unter Druck nach einer Seite stehen, sodass ein sicheres,
festes Anliegen der Zungen an den Mutterschienen gewährleistet erscheint.
Bisher sind meines Wissens Stellwerksanlagen nach diesem Systeme in Deutschland noch
nicht gebaut worden, sodass Erfahrungen aus dem Betriebe noch nicht vorliegen.
Jedoch ist auf Bahnhof Kottbus eine derartige Anlage im Entstehen, um an ihr die
Brauchbarkeit der Konstruktionen und des Systems zu prüfen. Die Veranlassung zur
probeweisen Einführung des Systems mag die Versuchsanlage im Werkhofe der Firma C. Stahmer in Georgmarienhütte gegeben haben, die seit
Dezember 1900 in Betrieb ist und bisher zur Zufriedenheit gearbeitet hat, trotzdem
absichtlich keine besondere Wartung stattgefunden hat. Diese Anlage ist von
zahlreichen Eisenbahntechnikern deutscher Eisenbahnverwaltungen besichtigt und
allgemein günstig beurteilt worden.