Titel: | Die künstliche Kälte im Handel und Gewerbe. |
Autor: | W. M. Lehnert |
Fundstelle: | Band 318, Jahrgang 1903, S. 636 |
Download: | XML |
Die künstliche Kälte im Handel und
Gewerbe.
Von W. M. Lehnert.
Die künstliche Kälte im Handel und Gewerbe.
Das Bestreben, die schädlichen Einflüsse, welche die uns umgebende Atmosphäre
auf Nahrung- und Genussmittel auszuüben vermag, hintan zuhalten, war es, welches
schon die Völker des Altertums bestimmte, gewisse Grundsätze für die Beschaffenheit
aller dem menschlichen Genüsse dienenden Stoffe festzulegen, und müssen wir heutigen
Kulturmenschen verwundert aufschauen bei der Mitteilung, dass, trotzdem das
Bedürfnis, Kälte zur Konservierung der Lebensmittel heranzuziehen, als ein lange
bestehendes angesehen werden muss, die Zeiten, in denen das Kältemachen aus dem
Rahmen der physikalischen Experimente heraustrat und als eine bedeutungsvolle
Errungenschaft der modernen Technik betrachtet wurde, nur wenige Dezennien hinter
uns liegen.
Frühzeitig mühten sich zahlreiche Erfinder ab mit der Konstruktion von Maschinen und
Apparaten, welche Kälte auf künstlichem Wege so billig herzustellen gestatten
sollten,dass eine Konkurrenz derselben mit dem von der Mutter Natur gespendeten
Produkte, Eis, möglich sei. Es entstanden zur Lösung dieser Aufgabe die Maschinen
von Carré, Kirk, Windhausen, Siebe, Tellier u.s.w. und
können wir mit Rücksicht darauf, dass alle diese Maschinen daran krankten, dass sie
entweder, wie die von Carré, lediglich eine Vorrichtung
für Eisersatz, oder die von Windhausen, eine solche zur
Erzeugung gekühlter Luft, also Spezialmaschinen waren, von einer allgemeinen
Verwendung maschineller Kälte in Handel und Gewerbe erst sprechen, nachdem Mitte der
siebziger Jahre Professor Dr. von Linde mit seinem
Systeme an die Oeffentlichkeit trat. Eingehende Studien liessen Linde die Vorzüge des Kompressionssystems und des
Ammoniaks als Kältemedium erkennen, und darf ohne Uebertreibung behauptet werden,
dass ohne ihn und die vergleichenden Versuche, welche auf seine Anregung durch eine
Anzahl von Autoritäten, wie Zeuner, Schöttler, Schröter, Brauer u.a. in
einzelnen Anlagen und der Versuchsstation des Polytechnischen Vereins in München an
Kältemaschinen der verschiedensten Systeme gemacht wurden, lange nicht die heutige
Vollkommenheit erreicht worden wäre.
Textabbildung Bd. 318, S. 637
Fig. 1. Kälteanlage nach Linde.
Während bis dahin die Kältetechnik unbeackertes Feld, bezw. Literatur hierüber kaum
zu finden war, blühte nach diesem jenes Gefilde mächtig empor, und es ist wohl nicht
unbillig, des Mannes zu gedenken, dessen Anregungen noch heute in allen
Kälteerzeugungsanlagen sich finden lassen.
Eine Kälteerzeugungsanlage der modernen Technik, d.h. eine solche nach dem
Kompressionssystem, beruht auf der Eigenschaft leicht flüchtiger Flüssigkeiten, bei
ihrer Verdampfung die hierzu erforderliche Wärme der Umgebung zu entziehen. Da nun
ein freies Verdampfenlassen des Mediums mit Rücksicht auf dessen Kostbarkeit und
sonstige Eigenschaften nicht gut angängig ist, so besteht eine derartige Anlage im
wesentlichen aus:
einem Verdampfer, einem
Röhrenapparate, in welchem die eintretende Flüssigkeit, der Umgebung Wärme
entziehend, verdampft,
einem Kompressor, einer Pumpe, welche
die im Verdampfer entstandenen Dämpfe absaugt und soweit komprimiert, dass sie in
einem zweiten Röhrenapparate,
einem Kondensator, durch zugeführtes
kaltes Wasser in den flüssigen Zustand zurückgeführt und immer aufs neue verwendet
werden kann.
In dem Verdampfer der Kühlmaschine vollzieht sich also die eigentliche
Wärmeentziehung und erfolgt von hier dieKälteübermittlung auf die zu kühlenden
Räume bezw. Stoffe dadurch, dass zwischen diesen und dem Verdampfer eine
übertragende Flüssigkeit zirkuliert oder der Verdampfer unmittelbar als Kälte
Verteiler dient.
Fig. 1 zeigt in Grund- und Aufriss eine Kälteanlage
nach. dem Lindeschen Systeme, bei welcher zur
Kälteübertragung nach der Verwendungsstelle im Verdampfer zwischen diesem und dem
Raume bezw. Stoffe zirkulierendes Salzwasser gekühlt wird. Das in die
Flüssigkeitsleitung vom Kondensator zum Verdampfer eingeschaltete Regulierventil
dient zur Einstellung der übertretenden Flüssigkeitsmengen, bezw. der erzeugten
Kälte.
Zum Unterschiede von der Kälteerzeugung, bei welcher die Verdampfer unmittelbar in
den zu kühlenden Räumen untergebracht sind, also das Kältemedium, in den Röhren
verdampfend, unmittelbar der zu temperierenden Abteilung Wärme entzieht, pflegt man
die Kälteübermittlung durch gekühltes Wasser als „indirekte Kühlung“ zu
bezeichnen, also „direkte“ und „indirekte“ Kühlung zu unterscheiden.
Theoretisch günstiger erscheint infolge des Wegfalls des Zwischenmittels die direkte
Verdampfung, und muss es in jedem Falle dem Fachmann überlassen bleiben, das System
zu bestimmen. Viel gesündigt wird in Bezug hierauf mit der Bemerkung, dass
namentlich bei grossen und in mehreren Stockwerken liegenden Anlagen direkte
Verdampfung deshalb unmöglich wäre, weil eine Verteilung der geringen
Ammoniakmengen, entsprechend der erforderlichen Kälte, nicht durchführbar sei;
Hunderte gut arbeitende grössere Anlagen widersprechen dem, und werden in jedem
Falle, neben der Beschaffenheit und Lage der zu kühlenden Räume, die zum Betriebe
zur Verfügung stehende Zeit, die Betriebsmittel und die zu kühlenden Waren
massgebende Faktoren sein. Angefügt sei nur, dass bei direkter Verdampfung die
Wärmeabfuhr mit dem Stillstande der Maschine beendigt ist und bei der indirekten
Verdampfung dann aufhört, wenn der in dem gekühlten Wasser aufgespeicherte
Kältevorrat erschöpft ist. Die letztere Methode gewährt also die Möglichkeit, nach
dem Stillsetzen der eigentlichen Kälteerzeugung die Räume noch so lange zu kühlen,
als die durch Pumpen vom Verdampfer durch die Kühlsysteme beförderte Soole eine
Rücklauftemperatur besitzt, welche Wärmeaufnahme gestattet.
Textabbildung Bd. 318, S. 637
Fig. 2. Zelleneisgenerator.
Direkte Kühlung dürfte dort nicht zweckmässig sein, wo nebenbei Eiserzeugung
betrieben werden soll, und hinsichtlich der Anlagekosten vorteilhaft nur dann sich erweisen,
wenn kleine und mittlere Anlagen mit günstiger Grosse und Lage der zu kühlenden
Räume in Frage kommen.
Eine Kombination der direkten mit der indirekten Kühlung ist das seitens der
Gesellschaft für Lindes Eismaschinen in Wiesbaden
angewendete Trogsystem und mit ihm namentlich für kleine Anlagen, die billig
herzustellen und zu betreiben sind, viel Vorteil verknüpft. Nach übermittelten
Betriebsbeobachtungen waren zur Kühlung einer nach diesem Prinzipe eingerichteten
Hotelanlage in München, welche bei 2,7 m lichte Hohe 76 qm Grundfläche umfasste,
durchschnittlich täglich nur sechs Betriebsstunden erforderlich, und, mitten im
Juli, während einer achtstündigen Betriebspause, in den einzelnen Abteilungen nur
Temperaturzunahmen um 1, 2, 1, 3, 0,8, 1, 1,5 und 2 Grad R. zu konstatieren.
Textabbildung Bd. 318, S. 638
Fig. 3. Platteneisgenerator.
Die Herstellung künstlichen Eises, dessen Erzeugung den ersten Anlass zur Betätigung
auf dem Gebiete der Kälteerzeugung gegeben hat, geschieht in Europa hauptsächlich
dadurch, dass in das gekühlte Salzwasser des Verdampfers dünnwandige, mit
Gefrierwasser gefüllte Gefässe eingesetzt werden (Fig.
2); in Amerika dadurch, dass die Verdampferspiralen b in flache Taschen, deren nicht von den Rohren
beanspruchter Raum von Soole eingenommen wird, in das Gefrierwasser eingebaut werden
(Fig. 3), und durch die Kältewirkung das Eis a in Form von Platten sich an den Taschen ansetzt.
Je nach der Grösse des Eisblockes ist die Gefrierdauer verschieden und rechnet man
unter normalen Verhältnissen für Zelleneisblöcke von 12 ½ kg etwa 12 Stunden, für
solche von 25 kg etwa 24 Stunden; Platteneis benötigt bei Dicken bis 0,35 m und
Längen bis 3 ½ m 10-12 Tage. Das Abtauen der Eisblöcke von den Zellenwänden
geschieht bei Zelleneisfabrikation durch Eintauchen der Zellen in warmes Wasser, bei
der Platteneisfabrikation dadurch, dass entweder in die Verdampferspirale warme
Ammoniakdämpfe eingeblasen werden, oder warme Salzsoole durch die Taschen
zirkuliert.
Dadurch, dass das Wasser beim langsamen Gefrieren das Bestreben zeigt, Luft,
Fremdkörper und sonstige in Emulsion befindliche Teile auszuscheiden, wird bei
halbwegs gutem Wasser Platteneis leichter ein krystallartiges Produkt ergeben, als
Block- oder Zellen eis und pflegen wir in bezug auf letzteres zwischen Trübeis,
Flosseneis und Klareis zu unterscheiden, d.h. unter Trübeis und Flosseneis Produkte
aus gewöhnlichem, unter Klareis ein Produkt aus destilliertem und entlüftetem Wasser
zu verstehen.
Trübeis entsteht durch direktes Ausgefrierenlassen der eingesetzten Zellen und
bekommt durch die im Wasser enthaltenenUnreinigkeiten und die grosse Zahl
kleiner, beim Erstarren frei werdender Luftblasen ein milchiges, trübes und
undurchsichtiges Aussehen.
Flosseneis, ein Erzeugnis, welches bis auf einen geringen, milchigen Kern völlig klar
ist, erhalten wir aus gewöhnlichem Brunnen- oder Leitungswasser dadurch, dass wir
mittels eines sogenannten Flossenmechanismus, einer Art Rüttelwerk, den Inhalt jeder
Zelle während des Gefrierens entlüften. Selbstverständlich müssen hierbei gegen Ende
des Gefrierprozesses die die Bewegung des Wassers bewirkenden Teile herausgezogen
werden, wodurch dieser Wasserrest, 10-12 v. H., trüb ausfriert. Durch und durch
klare Blöcke ergibt Absaugen jenes Wassers, und Ersatz desselben durch entlüftetes
Destillat.
Klareis, das hygienisch vollkommenste, erfordert neben bester Entlüftung Kochen bezw.
Destillieren des Gefrierwassers bei mindestens 120 Grad C. und können wir zu dessen
Bereitung z.B. unmittelbar das entölte, niedergeschlagene und entlüftete Kondensat
der Betriebsdampfmaschine verwenden, oder durch Auspuffdampf vermittels einer
Destillationseinrichtung erzeugtes Wasser einfüllen u.s.w. Sein Aussehen zeigt Fig. 4.
Textabbildung Bd. 318, S. 638
Fig. 4. Klareis.
Ein Unterschied in bezug auf den Kälteverbrauch zwischen beiden Eissorten besteht
nicht und wird immer mit Rücksicht auf die verschieden lange Gefrierdauer für
gleiche tägliche Produktion eine Blockeiserzeugung kleinere Anlagekosten erfordern,
als eine solche für Platteneis. Als Vorteil steht zu Gunsten des letzteren die
bequemere Möglichkeit der Erzeugung durchsichtigen Eises.Wir entnehmen dazu der „Allgemeinen Brauer-
und Hopfenzeitung“:„Im Laufe der letzten Jahre sind seitens der städtischen Medizinalbehörde in
Dresden zahlreiche Proben von Roheis, teils aus der Elbe, teils aus anderen
Wasserläufen und Teichen in der Umgegend Dresdens, aus denen hauptsächlich
der Stadt Eis zugeführt wird, entnommen und auf Reinheit und Keimgehalt
untersucht worden. Hierbei hat sich ergeben, dass das natürliche Eis, selbst
die am reinsten befundenen Sorten davon, abgesehen von sonstigen
Verschiedenheiten, ein mehr oder weniger unreines Naturprodukt ist, welches
in keinem Falle unbedenklich mit Nahrungs- oder Genussmitteln in
unmittelbare Berührung gebracht, oder wohl gar genossen werden darf. Denn
wenn auch die darin enthaltenen zahlreichen Keime höchst wahrscheinlich
keine Krankheitserreger sind, so bestehen sie doch in der Hauptsache aus
Fäulniserregern, die zu einer schnellen Verderbnis der mit ihnen in
Berührung kommenden Nahrungsmitteln Anlass geben. Wie die Untersuchungen
weiter lehrten, erweist sich auch die Annahme, dass das Eis, wenn es
augenscheinlich klar und rein erscheint, auch wirklich rein sein müsse, und
daher unbedenklich genossen werden könne, als irrig. Denn eine grosse Anzahl
äusserlich sehr rein erscheinender Eissorten zeigte sich bei den
Untersuchungen als sehr unrein. Hierbei ist aber nicht ausser
Acht zu lassen, dass keimfreies Eis nur ein Ergebnis aus Destillat sein kann. Die
Produktionskosten, einschl. Abschreibung, Bedienung, Amortisation usw. sind fast
einander gleich und wird es immer von dem erzielbaren Eispreise, den nötigen
Gepflogenheiten, den klimatischen Verhältnissen usw. abhängen, ob und inwieweit das
eine dem anderen vorzuziehen ist.
(Schluss folgt.)