Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 87 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 72 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
Ein zweites Muster der im vorstehenden beschriebenen Bauart ist:
3. Die Schnellzaglokomotive der Ungarischen Staatsbahn;
gebaut 1891 bis 1895 in grosser Zahl in den Bahnwerkstätten
Budapest, zu den Normalien der Bahn gehörend, ist sie in
Leistungsfähigkeit und Abmessungen der vorigen fast gleich, nur in der Bauart
verschieden (Fig. 66).
Textabbildung Bd. 319, S. 87
Fig. 66. Ungarische Staatsbahn.
Sie ist bestimmt, auf wagerechter Strecke einen Zug von 360 t h. T. mit 70 und einen
solchen von 160 t h. T. mit 90 km/Std. zu befördern, wozu in beiden Fällen eine
Leistung von etwa 700 PS gehört; die Fähigkeiten des Kessels, bis 1060 PS gehend,
sind daher nur sehr massig ausgenutzt. Dabei ist aber zu bedenken, dass die
verfügbare Leistung von 1060 PS für Steinkohlenfeuerung gerechnet ist, während diese
Lokomotive schlechte Braunkohle verfeuern soll. Dem um 50 v. H. geringern Heizwert
derselben entspricht dann auch eine um 30 v. H. geringere Leistung, welche immer
noch so hoch ist, dass sie bei gleichem Brennstoffe von einer einfachen
Zwillingslokomotive nicht erzielt werden könnte. Die spezifische Leistung von 5,3
PS/qm ist
daher in diesem Falle sogar gut zu nennen; ohne Anwendung einer grossen Rostfläche,
teils zur Schwächung des Luftzuges, teils zur Vergrösserung des möglichen
Brennstoffverbrauches in der Zeiteinheit, wäre nicht einmal diese Zahl zu erwarten
gewesen. Setzt man nämlich gleiche Umstände voraus, so verhalten sich jedenfalls die
möglichen Leistungen einerseits wie die Heizwerte der Kohlen, andererseits wie die
Rostflächen; da die Heizflächen der vorigen und dieser Lokomotive gleich sind, so
kann daher gesetzt werden:
\frac{N_1}{N_2}=\frac{\frakfamily{w}_1}{\frakfamily{w}_2}\,\cdot\,\frac{R_1}{R_2},
oder für
w1 =
4000
Cal./kg
(Braunkohlen)
w2 =
7500
„
(Steinkohlen)
R1 =
3
qm
(ungar. St.-B.)
R2 =
2,6
„
(russ. St.-B.)
N2 =
1060
PS
„ „
wird N_1=\frac{4000}{7500}\,\cdot\,\frac{3}{2,6}\,\cdot\,1060=660\mbox{ PS}.
Da aber tatsächlich etwa 700 PS zu leisten sind, so ist entweder die Lokomotive
vorzüglicher, oder die Kohle besser als hier angenommen.
Besonderheiten sind: Die Zylinderanordnung ist dieumgekehrte von der vorigen;
der Hochdruckzylinder liegt nämlich hinten, der Niederdruckzylinder vorn, die
gemeinsame Achse wagerecht, was bei den äusseren Rahmen möglich war. Nach veraltetem
süddeutsch-österreichischen Muster liegt alles aussen: Zylinder, Rahmen, Federn,
Steuerung, Schieber, was wohl für die Zugänglichkeit bei Reparaturen gut, sonst aber
zu verwerfen ist. Bei einem Zylinderraumverhältnis von 2,35 ist infolge der
kongruenten Füllungen ebenfalls noch keine günstige Dampfausnützung zu
erreichen.
Die, wie erwähnt, für Braunkohlenfeuerung eingerichtete Feuerbüchse ist niedrig, sehr
lang, und der schräge Rost liegt noch über der hinteren Triebachse. Die Rauchkammer
hängt weit über das Drehgestell vor, ist vor dem Kamin ziemlich verlängert und trägt
ein langes, weites, zylindrisches Kamin, welches sich unten erweitert, so dass die
Bedingungen des sanften Luftzuges alle vorhanden sind, und von dem früher üblichen
Funkenfangaufsatz auf dem Kamin sogar abgesehen werden konnte. Dem zehnjährigen
Bestehen der Bauart zufolge liegt der Kessel noch ziemlich tief. –
Was die Ruhe des Ganges bei der Tandem-Bauart im
allgemeinen betrifft, so ist die letztere vom theoretischen Standpunkte immerhin in
einer Hinsicht besser dran als die Vauclainsche. Mit
derselben hat sie gemeinsam die Anbringung der hin- und hergehenden Massen auf einem
einzigen Kreuzkopf, was zur Vermeidung des Schlingerns angemessen hohen Ausgleich
durch drehendes Gegengewicht erfordert und entsprechend hohe Schwankungen des
Raddruckes hervorbringt; jedoch unterscheidet sie sich von derselben dadurch, dass
die Kolben hintereinander auf einer Stange sitzen und in dieser nur Zug und Druck
erzeugen, so dass besondere Beanspruchungen bezw. Verstärkungen ausgeschlossen sind.
Die Tandem-Bauart nimmt daher zwischen Zwillings- und Vauclainscher Bauart in bezug auf Massenausgleich gerade die Mitte ein.
Für Schnellbetrieb sollte sie also nicht mehr angewendet werden, da es sich darum
handelt, die Zwillingsmaschine nicht nur in ökonomischer (Verbundsystem), sondern
auch dynamischer (Massenausgleich) Beziehung zu verbessern, aber nicht sie zu
verschlechtern. Dem kann entgegengehalten werden, dass es für Russland wenigstens
auf Schnellfahren überhaupt nicht ankommt, sondern auf Sparsamkeit und leichte
Reparaturfähigkeit, und dass. in Ungarn, welches nebenbei gesagt, trotz seiner
grossen Tiefebene im Schnellfahren ebenfalls gar nichts leistet, die Tandem-Bauart
bereits wieder ausgelebt hat.
Endlich ist noch dazu zu bemerken, dass die russische Bauart das Aeusserste zeigt,
was das System Tandem an Ausbildung zulässt, und dass
sich damit bedeutend leichter das Schnellfahren riskieren liesse als mit der
ungarischen. Die letztere zeigt äussere Rahmen, durch welche die Zylinder weit
auseinander geschoben und die Schlingermomente, ohnehin schon gross genug, noch
verstärkt werden; der Radstand ist ferner verhältnismässig kurz, so dass die
widerstehenden Querkräfte des Geleises keine gehörig langen Hebelarme haben, und die
schweren Niederdruckzylinder hängen endlich frei über; alles zusammen muss zu dem
Urteil führen, dass sich eine solche Anordnung wohl für Güterzug-, aber nicht im
geringsten für Schnellzuglokomotiven eignet.
Grundsätzlich richtig sind nur die beiden Systeme: de
Glehn und Webb – v. Borries.
Betrachtet man diese beiden Systeme in der Reihenfolge ihrer Entstehung, so ist das
auch zur grössern Verbreitung gelangte System de Glehn
vorauszunehmen. Dasselbe kennzeichnet sich durch natürlichen Massenausgleich mittels
gegenläufiger Kolben, welche an zwei verschiedenen, aber unter sich gekuppelten
Achsen angreifen. Diese Art des Antriebs ist rein geschichtlich begründet und hat
keineswegs irgendwelche theoretischen oder konstruktiven Vorteile vor dem System Webb – v. Borries, wo alle vier Kolben auf dieselbe
Achse wirken. Im Gegenteil, die ganze Anordnung des Triebwerks, Rahmens und der
Steuerung ist verwickelter und der Ausgleich der Massen und Kräfte durchaus nicht
einheitlich.
Es ist sonderbar, dass der Ausgangspunkt der beiden Systeme, welche die grösste Rolle
im Schnellbetrieb spielen und noch spielen werden, die Webbsche Bauart war; an sich nicht weiter brauchbar, und auf das Gebiet
der engl. Nordwestbahn beschränkt, gelangte dieselbe durch eine kleine Aenderung in
ihrer neuen kontinentalen Form zur heutigen Bedeutung.
Ausgehend vom altern System Webb mit zwei freien
Triebachsen, deren hintere von den zwei aussen liegenden H. D. Z., und deren vordere
von dem inneren N. D. Z. angetrieben wurde (Kl. IIb), während die Rauchkammer von
einer Laufachse getragen war, Entstehungsjahr 1882, schuf die elsässische
Maschinenbaugesellschaft Grafenstaden–Mülhausen–Belfort im Jahre 1886 eine in der
Achsanordnung gleiche Schnellzuglokomotive für die französische Nordbahn. Die
Triebachsen waren ebenfalls nicht gekuppelt; jedoch wurde die vordere von zwei
inneren H. D. Z. (unter der Rauchkammer untergebracht), die hintere von zwei
äusseren N. D. Z. angetrieben; die Schieberkästen der letztern lagen wie bei den Webbschen Maschinen, unter denselben. Diese Maschine
zeigte sich auf der Pariser Ausstellung 1889. Im Jahre 1891 wurde dann die erste 2/4 gek.
Vierzylinder-Verbundmaschine vom gleichen Werk an die Nordbahn geliefert, wobei die
vordere Laufachse der vorigen durch ein Drehgestell ersetzt, die beiden Achsen
gekuppelt, und die Zylinderpaare miteinander vertauscht, also die H. D. Z. nach
aussen, die N. D. Z. nach innen gelegt waren. Nun begann die Reihe der grossen
Leistungen, welche dieser Verbundbauart zu allgemeiner Anerkennung verhalfen und ihr
einen solchen Namen machten, dass nach kurzer Zeit sämtliche französischen
Hauptbahnen zu ihr übergingen; die Abmessungen wurden immer mehr verstärkt und so
entstand die heutige französische Schnellzuglokomotive, welche
Geschwindigkeitsrekorde für die ganze Erde geschaffen hat und, obwohl nur
vierachsig, Leistungen bis 1200 PS dauernd entwickelt. Im französischen
West
Staat
Nord
P. L. M.
P. O.
Süd
Ost
Zylinderdurchm. \frac{d_1}{d_2}
mm
340/530
340/530
340/530
340/540
340/550
340/550
340/550
Kolbenhub s
„
640
640
640
620
640
640
640
Triebraddurchm. D
„
2010
2130
2130
2000
2090
2130
2070
Kesseldruck p
at
14
15
15
15
15
15
15(16)
Heizfläche H
qm
133,7
157,5
173,0
189,5
175,6
173,3
184,7
Rostfläche R
„
2,4
2,05
2,3
2,48
2,46
2,49
2,52
Dienstgewicht Q
t
43,5
50,0
52,4
55,5
55,0
56,6
59,2
Adhäsionsgewicht Qa
„
31,0
32,1
32,4
33,5
33,5
34,0
33,8
Fahrplan wird etwa in 30 Fällen die durchschnittliche
Geschwindigkeit von 90 km/Sd. überschritten, und darunter sind mehrere über
100 km/St. Auf
derPariser Weltausstellung 1900 waren allein von 2/4 gek. Lokomotiven 6 Stück des Systems
de Glehn ausgestellt, von den ⅖ und ⅗
abgesehen.
Von den französischen modernen Mustern dieser Art sind
hier die Hauptabmessungen des Vergleichs wegen in vorstehender Tabelle
zusammengestellt.
Die Tabelle zeigt, dass die Unterschiede nicht gross sind; ebensowenig ist in der
äussern Form Abwechslung vorhanden. Es laufen jetzt etwa 260 Stück im ganzen, welche
folgende Punkte gemeinsam haben:
Sämtliche Kessel haben 94 bis 133 Serve-Rohre, wodurch eine bedeutende Vermehrung der
Heizfläche bei gleichzeitiger Gewichtsverminderung erzielt wird. Obwohl von ersterer
nur 75 v. H. als wirksam angenommen werden sollen, ist die letztere doch derartig,
dass das Verhältnis \frac{H}{Q} (qm/t) sehr zu Ungunsten der deutschen Lokomotiven
ausfällt, wobei noch zu bedenken ist, dass für das angezogene Beispiel No. 1 die
Hälfte der Zylinder nebst Triebwerken deutscherseits fehlt; nämlich:
Bauart
Bahn
HeizflächeH
(qm)
Dienst-gewichtQ
(t)
\frac{H}{Q}qm/t
2/4 Heissdampf
Preuss. St. B.
105 + 30
55
2,46
2/4 4 Zyl.-Ver- bund
„
119
51
2,34
„
Paris-Lyon-Mittelmeer
190 . 0,75
56
2,56
Die französische Bauart muss daher vorteilhafter erscheinen, um so mehr, als sie
imstande war, „Rekorde“ zu schaffen und die Fahrpläne endgültig zu
beeinflussen, während in Deutschland, von dem Verhältnis \frac{H}{Q} einmal
abgesehen, von der Existenz auch der besten und grössten Lokomotiven im Fahrplan
ebensowenig eine Spur zu bemerken ist, als in Oesterreich; dafür liefert die
badische Staatsbahn das beste Beispiel.
Hinsichtlich der Maschine ist zu bemerken, dass stets die H. D. Z. aussen, die N. D.
Z. innen liegen. Ausgleich der hin- und hergehenden Massen durch Gegengewicht ist
meist vernachlässigt. Häufig sind die Kurbeln nicht um 180, sondern um Winkel von
162° versetzt, was das Anfahren erleichtert. In betreff der Steuerungen, Umsteuerung
und Anfahrvorrichtungen im allgemeinen sei auf den Anfang des Kapitels verwiesen.
Die elsässische Maschinenbau-Gesellschaft Grafenstaden erlässt in bezug auf die
zusammengehörigen Füllungsgrade zur Erleichterung der Bedienung die Vorschrift, dass
beim Schnellfahren die Füllung des N. D. Z. immer um 20 v. H. grösser als die des H.
D. Z. und überhaupt nie kleiner als 45 v. H. sein soll; dadurch ist wenigstens das
Ausprobieren für die Mannschaft erspart. –
4. Die Schnellzuglokomotive der französischen Südbahn
ist im Jahre 1896 bei Schneider, Creusôt, entstanden
und in verschiedenen Serien mit wachsender Verstärkung gebaut worden. Im Jahre 1900
war eine Maschine der vorletzten Serie in Paris ausgestellt. Die letzten 10 Stück
von der stärksten Sorte stammen aus Belfort vom Jahre 1900; diese sind in der
Tabelle enthalten und durch Skizze und Bild wiedergegeben (Fig. 67a, b).
Einzelheiten: Feuerbüchse mit Tenbrink-Sieder als
Feuerbrücke; langer Rost, über die Hinterachse hinausgehend, ziemlich geneigt, im
vorderen Teil mit Klapprost; Kessel teleskopisch, weitester Schuss an der
Rauchkammer; letztere 2 m lang, weit vor das Kamin hinausragend, 111 Serve-Rohre.
Drehgestell mit Aussenrahmen, Federn sämtlich unabhängig, daher Stützung in 8
Punkten.
Die Kurbeln einer Seite sind um 162°, die beiden Seiten um 90° versetzt. Die
Umsteuerung kann für beide Maschinen gleichzeitig oder getrennt nach Belieben
erfolgen, so dass alle möglichen Füllungsverhältnisse vorkommen. Die
Anfahrvorrichtung ist der „servo-moteur“, ein durch Dampf bewegter
Wechselschieber. Sicherheitsventil am Verbinder auf 6 Atm.
Wengerbremse bei den früheren, Westinghouse- bei den zehn letzten Maschinen, auf jede Triebachse
einseitig, und auf die vordere und hintere Tenderachse zweiseitig wirkend.
Textabbildung Bd. 319, S. 89
Fig. 67a.Französische Südbahn.
Diese leistungsfähigen und hoch eleganten Lokomotiven sind dazu bestimmt, auf den
Linien Bordeaux–Cette und Bordeaux–Irun Züge von 175 t h. T. mit 100 und von 300 t
h. T. mit 80 km/Std. auf Steigungen bis zu 1 : 200 zu befördern, wozu bis zu 1200 PS
erforderlich sind.
Textabbildung Bd. 319, S. 89
Fig. 67b.Französische Südbahn.
Ferner kommen im Betriebe folgende Leistungen vor:
200 t mit 110, 250 t mit 100, 350 t mit 90 km/Std. auf günstigen Strecken, sämtlich Nutzlasten
hinter dem Tender.
Aus den Probefahrten ist mitzuteilen, dass am 27. April 1897 die Strecke
Bordeaux–Morcenx, 109 km, mit einem Zug von 145 t h. T. mit 100 t km/Std. und mit
einem Zug von 300 t h. T. mit 85 km/Std. trotz der endlosen Steigungen von 1: 200
befahren wurde, während man abwärts Geschwindigkeiten von 124 bezw. 110 km/Std.
einhielt.
Ferner werden im Eilgüterzugsdienst mit einem Zuge von 600 t h. T. 40 km/Std. aufwärts
und 64 km/Std.
abwärts auf 1 : 167 gefahren, wozu im ersten Falle trotz der geringen Tourenzahl
etwa 1000 PS erforderlich waren.
Maschine No. 1760 wurde eine Zeit lang im Jahre 1897 auf der französischen Ostbahn
Versuchen zum Vergleich mit der Flaman-Lokomotive (2/4 gek.
Zwillingsmaschine mit Doppelkessel) unterworfen und blieb dabei in jeder Beziehung
Siegerin. Nachdem sie hierauf in Brüssel 1897 ausgestellt worden war, machte sie
einenMonat lang Probefahrten auf der belgischen Staatsbahn zwischen
Schaerbeck–Ostende und Schaerbeck–Ans, wo ein Dynamometerwagen zugezogen war. Dabei
wurde ein Zug von 220 t h. T. von Schaerbeck nach Ans, 93 km in 56 Minuten
befördert, was noch nie vorher einer Lokomotive gelungen war; es entspricht dies
einem Durchschnitt von 99,7 km/Std. und einer wahrscheinlichen Leistung von gegen
1200 PS durchschnittlich.
Aus dem Fahrplan ist endlich zu berichten, dass diese Lokomotiven mit dem Süd-Express
von etwa 160 t Gewicht die Strecke Dax–Bordeaux, 148 km, in 1 Std. 35 Min. abwärts,
bezw. 1 Std. 37 Min. aufwärts, d.h. mit 93,5 bezw. 91,5 km/Std. – und die Strecke Dax–Bayonne, 50
km, in 30 Min abwärts bezw. 33 Min. aufwärts, d.h. mit 100 bezw. 91 km/Std.
durchschnittlich zurücklegen.
Diese Zahlen reden eine deutliche Sprache!
5. Die Schnellzuglokomotive der
Paris-Lyon-Mittelmeerbahn, erbaut in Batignolles 1900, ist die neueste Form
der im Jahre 1892 auf dieser Bahn eingeführten de
Glehnschen Bauart, welche nun im ganzen in 201 Stück daselbst vertreten ist und
in drei verschiedenen Serien sich zu dieser in Paris 1900 ausgestellten Form
entwickelt hat. Das Aeussere unterscheidet sich in mehrfacher Beziehung von den
anderen Lokomotiven dieser Art in Frankreich (Fig.
68).
Textabbildung Bd. 319, S. 89
Fig. 68. Paris-Lyon-Mittelmeer-Bahn.
Zunächst fällt die sehr weit getriebene Ausbildung der Luftschneideflächen auf;
sämtliche Vorderflächen sind mit abgeschrägten Blechwänden verkleidet, nicht nur
Rauchkammer und Führerstand, sondern auch Kamin, Dom usw. mit sämtlichem Zubehör;
von dieser strengen Durchführung ist jedenfalls eine fühlbare Verminderung des
Luftwiderstandes zu erwarten. Die erwähnte Bahn ist hierin nicht nur am weitesten
gegangen, sondern sie war auch die erste überhaupt, welche Luftschneideflächen
anwendete und zwar bei der Serie 1894, den Vorläufern der hier zu besprechenden. In
Frankreich wurden diese Maschinen „locomotives à bec“ (Schnabel-Lokomotiven)
getauft.
Ausserdem war die P.-L.-M.-Bahn die erste, welche das heutige de Glehnsche Verbundsystem anwendete, und zwar seit 1889, in welchem Jahre
sie bereits solche Maschinen auf der Pariser Weltausstellung vorführte. Die
Anordnung ist im allgemeinen dieselbe, wie bei den übrigen Lokomotiven dieser Art;
H. D. Z. aussen, N.-D.-Z. innen, Kurbelwinkel 180°. Zum Anfahren dient der
„Servo-moteur“, von Pressluft betrieben. Die H. D. Z. haben Heusinger-, die N. D. Z. Gooch-Steuerung, sämtliche Zylinder haben Trick-Schieber ohne innere
Deckung. Die Umsteuerung erfolgt in der Weise (an Stelle der früheren
Dampfsteuerung), dass die Steuerschraube der H.-D.-Z. einen Schlitten auslöst,
welcher in den beiden Endstellungen durch Federn festgehalten wird und die Steuerzugstangen der
N. D. Z. führt; während daher für die H. D. Z. ganz beliebige Füllung gegeben werden
kann, ist die Füllung der grossen Zylinder für beide Fahrtrichtungen konstant, und
zwar 63 v. H.
Die Feuerbüchse, über der Hinterachse beginnend, hat bei gehöriger Länge und Tiefe
einen stark geneigten Rost, mit kippbarem Schlackenrost an der Rohrwandseite. Die
gemauerte Feuerbrücke reicht, dem Rost parallel gehend, bis in die Mitte der
Feuerbüchse; über dem Feuerloch befindet sich ausserdem ein Blechschirm, welcher die
Heizgase mit verteilen hilft; in diese kann durch einen Gitterschieber in der Tür
Luft geschickt werden. Der Regulator hat äussere Zugstange.
Das sehr weite, zylindrische, zur Dämpfung des Feuers mit drehbarem Deckel versehene
Kamin enthält einen sonderbaren konzentrischen Kern, welcher, in der Mitte
aufgetrieben, sich nach oben langsam, nach unten rasch verjüngt und im Blasrohr
sitzt. Dieser Hohlkörper aus Blech verteilt den auspuffenden Dampfstrahl ringförmig
im Schornstein, wobei noch das Blasrohr selbst verstellbar ist
(„Froschmaul“):
Das Drehgestell erhält Führung und Druck durch einen grossen mittleren Kugelzapfen,
dessen Matrize auf einer grossen dachförmigen Platte mit wagerechten, der
Längsrichtung der Lokomotive nach liegendem Giebel sitzt, so dass die Pfanne bei
einer Seitenverschiebung (beiderseits 15 mm) aufsteigt; durch den Druck dieser
Keilflächen, infolge der Hebung des Vorderteiles der Lokomotive, wird die
Rückstellung bewirkt.
Durch die Einführung dieser grossen Lokomotiven ist es gelungen, die Strecke
Paris-Marseille, 863 km, in 11 Std. 29 Min., d.h. mit einer Reisegeschwindigkeit von
75,2 km/Std.
zurückzulegen, wobei die Teilstrecken Valence–Avignon, 124 km, Dijon–Laroche, 160
km, und Lyon–Valence, 106 km, mit bezw. 85,5, 85,3 und 82,6 km/Std.
durchschnittlich befahren werden, um von den Geschwindigkeiten unter 80 km/Std. nicht zu
reden.
Aehnliches kann von den gleichartigen oder ähnlichen Lokomotiven der übrigen
französischen Bahnen berichtet werden. So z.B. legt die Maschine der Nordbahn mit
Zügen von 160 t h. T. die Strecke Paris–Amiens, 131 km, fahrplanmässig in 1 Std. 25
Min. zurück, d.h. mit 92,5 km/Std., und bei Verspätungen in 1 Std. 20 Min., d.h.
mit 98,5 km/Std.
Die Maschine der Ostbahn ist für die Strecke Paris-
Belfort, welche dauernde Steigungen bis zu 1 : 167 aufweist, bestimmt und hat Züge
von 250 t h. T. mit 90 bis 100 km/Std. zu befördern. Die dazu erforderliche Leistung
ist viel geringer als die der Südbahnlokomotive und übersteigt selten 900 PS, so
dass die grosse Heizfläche von 208 qm (einschliesslich aller Rohrrippen) nur schwach
beansprucht ist, nämlich mit
\frac{900}{0,75\,\cdot\,208}=5,8^{\mbox{ PS}}/_{\mbox{qm}},
was für eine Vierzylinder-Verbundlokomotive für Schnellzüge
sehr gering ist. Trotzdem ist der Kohlenverbrauch auf 1,35, der Wasserverbrauch auf
10,3 kg/PSi
gestiegen; auch keine guten Werte im Vergleich zu den deutschen Lokomotiven.
Die besonderen Unterschiede dieser Lokomotive, von der jetzt 32 Stück laufen,
gegenüber den bisher besprochenen dieser Art sind:
Alle vier Zylinder sind stark geneigt; die schädlichen Räume sind auf 18 v. H. im H.
D. Z. und 12 v. H. im N. D. Z. gebracht, um die Kompression zu verringern. Der
Kurbelwinkel ist 162°. Die Steuerungen sind voneinander unabhängig und zwar beide
Male Heusinger. Zum Anfahren dient eine Art von
Wechselventil, durch welches beliebig Frischdampf in die Niederdruckzylinder
geleitet werden kann.
Der Kessel hat eine Belpairesche Feuerbüchse, welche für
die Verfeuerung von flüssigem Teer eingerichtet ist und deshalb beiderseits vom
Feuerloch einen Injektor für den Teer enthält. Es ist dies jedoch nicht zum Ersatz,
sondern nur zur Verstärkung der Kohlenfeuerung im Gebrauchsfalle vorgesehen,
besonders für das Befahren von Steigungen. Der Teerbehälter befindet sich im Tender
und eine Dampfschlange sorgt für die richtige Verflüssigung seines Inhaltes; jeder
der beiden mit Kesseldampf betriebenen Zerstäuber kann 100 kg Teer in der Stunde
einwerfen, so dass im Notfall bis zu 80 kg/qm stündlich auf der Rostfläche verbrannt werden
können.
Der Kessel, welcher 2,58 m über S. O. liegt, enthält 140 Serve-Rohre und ist für 16
Atm. bestimmt, obwohl die zu beiden Seiten des Domes liegenden Sicherheitsventile
schon bei 15 Atm. abblasen.
Die Probefahrten im Jahre 1900 haben zu sehr wenig befriedigenden Ergebnissen
geführt. Auf der Strecke Paris-Chaumont wurde die mittlere Geschwindigkeit von
aufwärts 78, abwärts 83 km/St. erzielt mit einem Zug von 278 bezw. 286 t hinter
dem Tender. Die Kesselleistung betrug nur 806 bezw. 664 PS, also etwa ⅔ von der zu
erwartenden; vorübergehend war sie 1030 PS; die Formel gibt aber (im Durchschnitt),
wenn
n=5310\,\frac{97}{2070}=248 ist
N=0,1\,\left(7,5-\frac{248}{100}\right)\,\sqrt{248}\,\cdot\,0,75\,\cdot\,208=1230\mbox{ PS},
was für kurze Zeit auf etwa 1,4 . 1230 = 1720 sich hätte
treiben lassen sollen, wenn die Ergebnisse mit der preussischen Lokomotive von v. Borries übertragen werden könnten.
(Fortsetzung folgt.)