Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 137 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter
Bingen.
(Fortsetzung von S. 122 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
4) Die Schnellzuglokomotive der Schweizer
Zentralbahn, gebaut 1899 von der Lokomotivfabrik
Winterthur, ist die dritte, letzte Stufe der im Jahre 1888 eingeführten
Gattung. Sie zeichnet sich aus durch Einfachheit, hohe Eleganz und verhältnismässige
Stärke (Fig. 76).
Textabbildung Bd. 319, S. 137
Fig. 76. Schweizer Zentralbahn.
Die Bauart ist normal: Bisselgestell; äussere
Zwillingszylinder; Kessel massig hoch; doppelte Sicherheitsventile, eines über der
Feuerbüchse, eines auf dem Dom; Regler mit äusserer Zugstange nach österreichischer
Art. Stützung der Lokomotive auf vier Punkten.
Die Maschinen dieser Gattung befördern hauptsächlich die Schnellzüge
Basel–Olten–Luzern. Auf der Linie Basel–Olten hat die Zufahrt zum Hauenstein-Tunnel
von Basel her eine etwa 9 km lange Steigung von 1 : 50, von Olten her eine etwa 8 km
lange Steigung von 1 : 38, welche beide auf- und abwärts mit 40 km/Std. befahren
werden müssen; bei schweren Zügen ist Nachschub erforderlich.
Die sehr schwierige Strecke Basel–Olten 39,3 km, wird ohne Anhalten in 53 Min., also
mit 44,5 km/Std.,
und bei viermaligem Halten in 1 St. 4 Min. (aufwärts) befahren, was bei den oft sehr
schweren Zügen eine gute Leistung ist. Die Strecke Olten-Luzern (und zurück), 54,8
km, wird ohne Aufenthalt in 56 Min., also mit 58,8 km/Std., und die Teilstrecke
Zofingen–Luzern, 46,7 km, in 51 Min., also mit 55 km/Std. im Durchschnitt zurückgelegt. Die
Geschwindigkeit auf freier Strecke geht nicht über die zulässigen 75 km/Std., sondern
schwankt zwischen 60 und 75, entspricht also derjenigen der deutschen Personenzüge;
der Unterschied liegt nur im Anfahren, welches besonders bei kleinen Bahnhöfen
regelmässig mit sehr grosser Beschleunigung stattfindet; es ist daher häufig zu
beobachten, dass im „Bummelzug“ schärfer gefahren wird als im Schnellzug, und
dass zwischen zwei aufeinanderfolgenden Haltepunkten in einer Entfernung von nur 3
bis 4 km ein Durchschnitt von 60 km/Std. erzielt
wird.
5) Die Schnellzuglokomotive der Jura-Simplon Bahn (Fig. 77), gebaut von Winterthur 1898–1900, 44 Stück im ganzen, war in Paris 1900 ausgestellt
und ist äusserlich der vorigen sehr ähnlich. Auch diese Form ist wieder die dritte,
letzte Stufe der Entwicklung der Mogul-Lokomotive auf dieser Bahn und ist im Jahre
1896 entstanden; das damals versuchsweise gebaute Muster unterschied sich von den
zwei Jahre später folgenden Ausführungen nur durch Laufräder von um 300 mm grösserem
Durchmesser und durch zweiachsigen Tender.
Die Maschine ist eine dreizylindrige Verbundmaschinenach Weyermannscher Anordnung, dem Triebwerk nach zu System Sauvage gehörend, wie die früher besprochene Lokomotive
der Midlandbahn, Kl. II a der Tabelle S. 54. Der innen über der Mitte der Laufachse
liegende geneigte Hochdruckzylinder treibt die vordere, die beiden wagerecht aussen
liegenden Niederdruckzylinder die mittlere Triebachse an. Die Kurbeln sind um je
120° versetzt, was, wie bereits erwähnt, gleichmässiges Moment und schwaches Zucken,
dafür aber ungleichmässigen Auspuff und stärkeres Schlingern ergibt.
Textabbildung Bd. 319, S. 137
Fig. 77. Jura-Simplon Bahn.
Die Schieber sind sämtlich entlastete Flachschieber. Die Steuerungen des inneren und
äusseren Triebwerks sind miteinander verbunden und zwar so, dass die
Niederdruckfüllung stets 10 % grösser ist als die Hochdruckfüllung. Der Verbinder
besitzt ein vor dem Kamin befindliches Luftsauge- und Sicherheitsventil.
Die schöne, lange Feuerbüchse, welche von hinten eingesetzt ist, besitzt vor dem
geneigten Hauptrost noch einen kurzen Kipprost. Die Zugstange des Reglers ist auch
in diesem Fall wieder ausserhalb des Kessels angebracht.
Die vordere Laufachse hat Adamssche Achsbüchsen mit 1800
mm Krümmungshalbmesser und amerikanisches Schraubenfedergehänge; die Lokomotive ist
mit Hilfe der Längshebel in vier Punkten gestützt.
Diese, für den Dienst auf der Strecke Basel–Biel–Bern–Lausanne–Brieg bestimmte
Gattung, erreichte auf den Probefahrten die Geschwindigkeit von 95 km/Std., was einer
Umdrehungszahl von 331 in der Minute entspricht; dabei blieb der Gang ganz ruhig.
Das beim Entwurf aufgestellte Betriebsprogramm ist:
mit 30 km/Std.
einen Zug von 200 t h. T. auf 1 : 50 und von 160 t h. T. auf 1 : 40 zu
befördern.
Die dazu erforderlichen Leistungen sind, wie folgt,
berechnet:
\left\{{{W_1=(200+90)\,\left(2,4+\frac{30^2}{1300}+20\right)=290\,\cdot\,23,1=6700\mbox{ kg}}\atop{N_1=6700\,\cdot\,\frac{30}{270}=745\mbox{
PS}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ }}\right.
\left\{{{W_2=(160+90)\,\left((2,4+\frac{30^2}{1300}+25)\right)=250\,\cdot\,28,1=7050\mbox{ kg}}\atop{N_2=7050\,\cdot\,\frac{30}{270}=784\mbox{
PS}\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ }}\right.
Bei 30 km/Std. ist
die Tourenzahl
n=5310\,\frac{30}{1520}=105
folglich die verfügbare
spezifische Leistung:
\frac{N}{H}=0,1\,\left(7-\frac{105}{100}\right)\,\sqrt{105}=0,6\,\cdot\,10,21=6,15\mbox{ PS}/\mbox{qm}.
Da nun die innere Heizfläche H = 128,9 qm ist, so wird die verfügbare Gesamtleistung
bei 30 km/Std.
N = 6,1 –
128,9 = 787 PS.
Eine geradezu verblüffende Uebereinstimmung mit dem vorigen Wert! Die Lokomotive
leistet auch tatsächlich die verlangten Bedingungen glänzend.
Auf wagerechter Strecke leistet dieselbe bei der höchst zulässigen, aber auch dauernd
eingehaltenen Geschwindigkeit von 75 km/Std. etwa 900 PS. Mit Leichtigkeit holt sie auf den
schwierigsten Strecken Verspätungen ein, so z.B. sind auf der Jura-Strecke
Sonceboz–Délémont 36 km, wo an Krümmungen und Steigungen kein Mangel ist, an der
fahrplanmässigen Zeit von 53 Min., was einem Durchschnitt von rund 41 km/std. gleichkommt, schon 10 Minuten eingeholt,
also ein Durchschnitt von 50 km/Std. erzielt worden, ohne talwärts wie toll zu
fahren; im Gegenteil wurde der gute Durchschnitt durch scharfes Anfahren und
Ausdauer auf der Steigung errungen, aber nicht durch Ausserachtlassen der gewohnten
Vorsicht bei der Talfahrt.
6) Die Schnellzuglokomotive der Nikolai-Bahn, Russland,
gleicht der zuerst aufgeführten amerikanischen Lokomotive ziemlich. Sie
unterscheidet sich von ihr in folgenden Punkten:
Die Maschine hat Verbundwirkung, Bauart Gölsdorf. Die
Steuerung ist die Joysche, Die vordere Laufachse hat
Aussenrahmen mit Webbschen Achsbüchsen. Die ziemlich
kleine Feuerbüchse ist sowohl für Naphta- als auch Holzfeuerung eingerichtet. Der
Kesseldruck beträgt nur 11 Atm.
Der mit dieser an sich bemerkenswerten Lokomotive ausgeführte „Schnellbetrieb“
reiht sich an den allgemeinen russischen Schnellzugsverkehr mit seinen 35 bis 45 km
stündlicher Reisegeschwindigkeit so würdig an, dass man auf ihn nicht weiter
einzugehen braucht,
7) Die Personen- und Güterzuglokomotive der Preussischen
Staatsbahn, gebaut 1902 von Hohenzollern,
Düsseldorf, mit Ueberhitzer System W. Schmidt, ist das
stärkste von sämtlichen angeführten Beispielen, besitzt die Verwendbarkeit der
Schweizer Lokomotiven für alle Zugsgattungen, die Schnelligkeit der amerikanischen,
ist aber viel leichter als die letztere und trotz ihrer grossen Leistung nicht
schwerer als die ersteren; dabei ist sie aber im Kohlen- und Wasserverbrauch
denselben jedenfalls weit überlegen und beansprucht den Oberbau weniger.
Der Ueberhitzer ist genau derselbe wie der bei Fig. 50 1903, 318, 165 beschriebene; ebenso ist auch die Dampfmaschine von
derselben Bauart wie dort. Die vordere Laufachse ist mit der ersten Triebachse zum
Kraussschen Gestell vereinigt und damit hat gerade
im Schnellbetrieb diese Maschine vor allen anderen Mogul-Locomotiven den grössten
Vorsprung, abgesehen davon, dass sie bei verhältnismässig geringem Dienstgewicht
eine sehr grosse Leistung, nämlich bis zu 1300 PS erzeugt.
Die erste Maschine dieser Art war in Düsseldorf 1902 ausgestellt; sie besass
Triebräder von 1550 mm und Kolben von 520 mm Durchmesser; der Kessel lag 2520 mm
über S.-O. Die sehr zufriedenstellenden Probefahrten brachten weitere
Verbesserungen: für weitere Ausführungen nahm man 1600 mm Triebrad und 530 mm
Kolbendurchmesser, wodurch einerseits bei 90 km/Std. die Tourenzahl auf 300 sank,
andererseits noch geringere Füllungen als bisher in Anwendung gebracht werden
können; ferner wurde die Höhe des Kessels auf 2550 mm über S.-O. gebracht, der
Radstand des Vordergestells um 50 mm vergrössert und die Rauchkammer verlängert, um
mehr Raum für die Ablagerung der Flugasche undfür ein weiteres Aschfallrohr zu
erhalten. (Fig. 78.) Endlich wurde eine Verminderung
des Dienstgewichts von 58,6 t auf 56 t und eine andere Lastverteilung erstrebt, um
den Achsdruck nicht über 14 t zu steigern, so dass die Lokomotive auch auf
Nebenbahnen übergehen und daselbst z.B. Militärzüge befördern kann.
Textabbildung Bd. 319, S. 138
Fig. 78. Preussische Staatsbahn.
Im grossen Ganzen ist die Lokomotive den anderen von Mogul-Bauart ganz ähnlich; die
erste und zweite, sowie die dritte und vierte Achse haben durch Längshebel
verbundene Federn, so dass die Maschine auf vier Punkten ruht. Die aussen liegende
Heusinger-Steuerung wird durch Steuerhebel
betätigt. Die Bremse ist die Schleifersche, die
Schmierung erfolgt durch die Rittersche Schmierpresse;
ausserdem ist die Langer-Marcottysche Rauchverzehrung
eingerichtet. Der dreiachsige Tender ist normal.
Aus den Probefahrten ist mitzuteilen, dass diese Lokomotive nicht nur in
theoretischer und ökonomischer, sondern auch in konstruktiver Beziehung als ein
vorzügliches Erzeugnis sich erwiesen hat. Es konnte zwar nur eine einzige wirkliche
Probe-Leerfahrt stattfinden, während alle anderen Fahrten vor der Einsendung auf die
Düsseldorfer Ausstellung in fahrplanmässigen Zügen stattfanden, aber trotzdem
verliefen diese sämtlich ohne Störung und liessen die gehegten Erwartungen
übertreffen.
Die Probefahrten fanden statt im Bezirk der Eisenbahn-Direktion Elberfeld, und zwar
auf den Strecken Köln–Elberfeld, Köln–Rittershausen, Elberfeld–Aachen,
Elberfeld–Paderborn.
In sämtlichen Fällen wurde Vorspann bezw. Nachschub, der sonst auf den Steigungen
(bis 1 : 70) erforderlich ist, vermieden, dabei aber trotzdem die grösste Zuglast
und die kürzeste Fahrzeit angewendet; dadurch werden die Leistungen der sonst diesen
Dienst tuenden ⅗ gek. de Glehnschen
Vierzylinder-Lokomotive weit übertroffen, obwohl der Wasserverbrauch ein viel
geringerer war. Die Last betrug im Güterzug 81 Achsen h. T. (660 t), im Personen-
und Schnellzug 38 bis 52 Achsen (230 bis 360 t); es erforderte dies Leistungen von
900 bis 1340 PS und Geschwindigkeiten bis 93 km/Std., wobei aber das Arbeiten tadellos,
der Gang völlig ruhig blieb, so dass von Ueberanstrengung der Maschine nicht geredet
werden kann, sondern die Leistungen als normale zu betrachten sind. Rechnet man den
Ueberhitzer zur Heizfläche des Kessels (was mit Rücksicht auf das aufgewendete
Dienstgewicht geschehen muss), so hat man eine spezifische Leistung von \frac{1340}{135+30}=8\mbox{ PS}/\mbox{qm}
was etwa einer sehr guten Vierzylinder-Verbundlokomotive, die jedoch wesentlich
schwerer würde, gleichkommt.
(Ausführliches über die Düsseldorfer Heissdampflokomotive siehe „Zeitschrift des
Vereins deutscher Ingenieure“ 1903, S. 297 ff.)
Die Hauptabmessungen und Verhältnisse der besprochenen Mogul-Lokomotiven enthält
folgende Tabelle.
Textabbildung Bd. 319, S. 139
Zwilling; Verbund; Heissdampf;
Chicago-Burlington & Quincy; New-York Ontario & Western; Belgische
Staatsbahn; Schweizer Zentralbahn; Preussische Staatsbahn; Nikolai-Bahn;
Jura-Simplon-Bahn; Zylinderdurchmesser; Kolbenflächenverhältnis; Kolbenhub;
Triebraddurchmesser; Kesseldruck; Heizfläche; innen; aussen; Rostfläche;
Adhäsionsgewicht; Dienstgewicht; ohne Tender; mit Tender; Vorräte; Kohlen;
Wasser; Höchste Dauer-Leistung; Adhäsionszugkraft; Maschinenzugkraft;
Kraftziffer; Gewichtsziffer; Ladeziffer; Kraftwerte; Geschw. Werte
Vergleicht man die eingetragenen Verhältniszahlen miteinander, so zeigt sich, dass
die Heissdampflokomotive nicht nur verhältnismässig, sondern auch überhaupt die
stärkste bestehende Mogul-Lokomotive ist. Sie schleudert zwar leicht, da sie die
geringste Kraft- und Gewichtsziffer (erstere kleiner als 1) besitzt, was von der
Bestimmung des Uebergangs auf Nebenbahnen herrührt, zeigt aber dafür auch den
höchsten Kraft- und Geschwindigkeitswert, zudem das Dienstgewicht bei ihr am besten
ausgenutzt ist. Ihr gegenüber erscheinen die an sich wohl ganz guten amerikanischen
Lokomotiven geradezu unwirtschaftlich. Auffallend ist die Uebereinstimmung der
beiden ebenfalls als vorzügliche Maschinen zu bezeichnenden Schweizer-Lokomotiven
mit der Heissdampflokomotive, wenn sie auch naturgemäss bezüglich der Leistung weit
hinter ihr zurückbleiben müssen. Die schlechteste von allen ist die russische,
welche ihre sehr geringe Zugkraft den grossen Triebrädern und dem geringen, für eine
Verbundmaschine ungünstigen Kesseldruck zu verdanken hat; höhere Zugkräfte erfordern
bei ihr ungünstiggrosse Füllungen, wie eine einfache Berechnungergibt. – Noch
höhere Zugkräfte als sie von der Mogul-Lokomotive geliefert werden können, erfordern
die Kupplung einer weiteren Achse; gleichzeitig sinkt bei derselben Grösse des
Kessels, d.h. bei im ganzen vier Achsen, für dieselbe Leistung die Geschwindigkeit
so weit, dass nun die Lokomotive aus dem Rahmen des Schnellverkehrs ausscheidet und
zum reinen „Zugtier“ für Massenbeförderung wird. Durch Zuhilfenahme einer
fünften Achse aber lässt sich das Kesselgewicht, die Heizfläche und dadurch die
Leistung wieder in die Höhe treiben; jedoch ist auch dann aus bereits besprochenen
Gründen ein wirkliches und ausdauerndes Schnellfahren nicht ratsam für eine vierfach
gekuppelte Lokomotive. Was mit einer vierachsigen Lokomotive überhaupt ausgerichtet
werden kann, haben daher die vorausgegangenen Abschnitte eingehend nachgewiesen, und
es handelt sich nun darum, die Fähigkeiten und Aussichten der fünfachsigen
Schnellzuglokomotive zu betrachten.
(Fortsetzung folgt.)