Titel: | Die Vauclusischen Quellen und die Wasserversorgung der Städte. |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 194 |
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Die Vauclusischen Quellen und die
Wasserversorgung der Städte.
Die Vauclusischen Quellen und die Wasserversorgung der
Städte.
1. Die Vauclusischen Quellen.
Noch vor kurzer Zeit hielt man für das Ideal der Wasserversorgung einer Stadt die
möglichst „einheitliche“ Versorgung mit Quellwasser, das mittels natürlicher
Gravitation, also ziemlich kostenlos, in die Stadt geleitet werden konnte.
Man sah sich zu diesem Zwecke in der Umgebung der Städte, gewöhnlich in den höheren
Lagen nach „Quellen“ um, deren Gefälle brauchbar wäre, um in die Stadt
geleitet zu werden und nannte diese Quellen: „Hochquellen“.
Grössere Städte forschten selbst in bedeutender Entfernung, am Rande der Gebirgszüge
nach möglichst grossen Quellen, welche die Mühe der Fassung und langen Zuleitung
lohnten, um die Städte mit „Quellwasser zu versorgen.
Man bezeichnete mit Quellen alles, was nur da „quoll“, ohne sich um die nähere
Herkunft dieser Quellen zu kümmern und dachte so die Städte mit
„Hochquellwasser“ am besten versorgt.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben jedoch in diesen Anschauungen eine grosse
Wandlung geschaffen. Bei der Errichtung der grossen, kostspieligen Wasserleitungen
in den meisten grösseren Städten in der letzten Zeit ist man von der richtigen
Ansicht ausgegangen, dass durch die immer fortschreitende, engere Verbauung der
Städte deren Untergrund durch Abwässer und Verunreinigungen bereits so infiziert
ist, dass das Grundwasser der Städte zu jedem menschlichen Gebrauche völlig
unbrauchbar geworden ist. Die Fortschritte der Wissenschaft in bezug auf die
kleinsten Lebewesen, die Bazillen, und besonders der krankheitserregenden pathogenen
Arten derselben, haben die Bevölkerung der Städte in einen heilsamen Schreck
versetzt und dazu bewogen, selbst die Aufwendung grosser Mittel nicht zu scheuen, um
die Städte mit ausreichenden Wasserleitungen zu versorgen. Grosse Mittel wurden auch
angewendet und gigantische Bauwerke geschaffen, welche sich getrost ähnlichen
grossartigen Bauwerken der alten Römer an die Seite stellen könnten. So leitete Wien
sein Wasser vom Fusse der Hochalpen, Paris von den Pyrenäen her, indem die dortigen
„Hochquellen“ gefasst und in die Städte geleitet wurden. Beschleunigend
wirkte auf die Errichtung der grossen Hochquellenwasserleitungen vorzüglich das
Gespenst des Typhus, indem man der sicheren Ueberzeugung war, dass durch die
Errichtung von Wasserleitungen und die Zuleitung von einwandfreiem Wasser aus so
weiter Ferne der Typhus für alle Zeit gebannt sein werde. Allein in dieser Beziehung
gab man sich einer grossen Täuschung hin, wie die letzten Typhusepidemien einiger
Städte des Kontinentes, besonders die grosse Typhusepidemie in Paris, bewies.Es
zeigte sich nämlich, dass in einigen Städten des Kontinentes durch die Anlage von
Wasserleitungen die Typhusgefahr nicht nur nicht beseitigt, sondern derselben im
Gegenteil grosser Vorschub geleistet wurde. Dies bewog namhafte Gelehrte und
Sachkundige, sich mit der Provenienz der Quellen näher zu beschäftigen und
gründliche Untersuchungen über dieselben anzustellen. Wir verdanken Licht in dieser
Sache vorzüglich den grundlegenden Arbeiten des französischen Forschers Daubrée, der in seinem grossen Werke: „Les eaux
souteraines“ uns hochinteressante Aufschlüsse über die Arten und
Eigenschaften der unterirdischen Wässer gegeben hat.
Hand in Hand gingen auch in letzter Zeit die Untersuchungen über das Wesen, die
Fortpflanzungsfähigkeit und die Virulenz der Bazillen, besonders der so gefürchteten
Typhus- und Cholerabazillen. Besonders die Untersuchungen eines Robert Koch haben in letzter Zeit überraschende
Ergebnisse in dieser Richtung zu Tage gefördert. Geologische und hydrologische
Untersuchungen und Forschungen haben dieselben gefördert und die Ergebnisse der
Bohrtechnik und Mechanik der letzten Jahre haben die Untersuchungen und Forschungen
derart unterstützt, dass wir heute bereits zu einem abschliessenden Urteil über das
Wesen und die Arten der Quellen gelangen können, welches alle bisherigen Rätsel löst
und alle Unklarheiten auf diesem Gebiete vollkommen beseitigt.
Ich will es versuchen, dieses Urteil, soweit es bisher auf positive Tatsachen
gestützt werden kann, möglichst zusammenzufassen und besonders eine der wichtigsten
Arten der Quellen, das sind die „Vauclusischen Quellen“, näher zu
beleuchten.
Hippolyt J. Haas sagt in seiner
„Quellenkunde“:
„Langsamer bemerkbar wird eine vermehrte Niederschlagsmenge sich bei derjenigen
Gattung von Quellen machen, welche nach dem Typus derjenigen von Vaucluse im
gleichnamigen Departement Südfrankreichs genannt sind und wofür Desor schon vor Jahren die Namen „doues“
oder „sources vauclusiennes“ vorgeschlagen hat.
Dieselben unterscheiden sich von den unterirdischen Bächen dadurch, dass ihr
Sammelgebiet mit ihrem Austrittspunkte nicht durch einfache Spalten und Klüfte
in Verbindung steht, sondern dass sich zu diesen unterirdischen Kanälen noch
grössere und kleinere Höhlungen hinzugesellen, welche die Gewässer erst
durchlaufen müssen, ehe sie als Quellen hervortreten können. Dadurch wird,
besonders wenn diese Höhlenreservoirs sehr umfangreich sind, der Lauf des
Wassers natürlich verlangsamt und das feuchte Element kann sich reinigen, indem
die ersteren gewissermassen die Rolle der Abklärungsbassins für die letzteren
übernehmen. Zuweilen sind diese unterirdischen Behälter so sehr beträchtliche und es sammeln
sich in niederschlagsreichen Zeiten derartige Mengen Wassers an, dass diese
Quellen selbst während unverhältnismässig langer Trockenperioden dennoch ruhig
weiter fliessen können und dass sich zwischen ihrem Absatz während solcher und
demjenigen regenreicher Perioden nur geringe Unterschiede fühlbar machen.
Zu diesen, nach dem Vaucluse-Typus gebauten Quellen gehören beispielsweise
diejenigen der Serriere bei Neuenburg in der Schweiz, der Blautopf bei
Blaubeuren usw.“
Durch die neueren Forschungen auf diesem Gebiete wurde durch viele Fälle
nachgewiesen, dass den Charakter der „vauclusischen Quellen“ alle Wässer mehr
oder weniger annehmen, welche einem Kalkgebirge entstammen, mag dasselbe welcher
Formation immer angehören. Vorzüglich ausgebildet sind diese Quellen im Kalkgebirge
der Kreideformation, denn der Plänerkalk, welcher den Hauptbestandteil der
Kreideformation bildet, ist schon von Natur aus nach allen Richtungen zerspalten und
zerklüftet; das Wasser, besonders wenn es mit Kohlensäure gesättigt ist, hat
bekanntlich die Eigenschaft, den Kalk aufzulösen und in ihm grosse Hohlräume zu
bilden. Diejenigen Hohlräume, welche nahe der Oberfläche liegen, sind bei diesem
Jahrtausende langen Auslaugungsprozess eingestürzt und bilden die für das
Kalkgebirge charakteristischen Trichter, welche alles Oberflächenwasser der Umgebung
aufsaugen und völlig unfiltriert in die Tiefe leiten. Ist dieses Oberflächenwasser
rein, und durchfliesst es ein reines Niederschlagsgebiet wie z.B. den reinen
Gletscherboden des Hochgebirges, so sind diese Quellen völlig gefahrlos, wie z.B.
die Hochquellen der Wiener Wasserleitung, welche auch nichts anderes als
vauclusische Quellen sind.
Gefährlich wird aber der Zustand, wenn die vauclusischen Quellen einem Kalkgebirge im
Hügellande entstammen, und das sind wieder vorzüglich die Kalkgebirge der
Kreideformation. Die Hügel und Abhänge dieser Kalkgebirge sind zumeist angebaut und
gewöhnlich auch dicht bevölkert. Hier ist das Niederschlagswasser nicht mehr
unschädlich, sondern gewöhnlich stark verunreinigt, indem es die Bestandteile des
Düngers der angebauten Felder und alle Unreinigkeiten der Oberfläche aufnimmt und in
die Tiefe leitet.
Alle Abwässer und die Bestandteile der Senk- und Düngergruben der Ortschaften
fliessen auch bei dem vielfach zerklüfteten Boden unfiltriert und ungereinigt in die
Tiefe, desgleichen auch alle pathogenen Keime, welche auf diesen zerklüfteten Boden
gelangen.
In normalen Zeiten funktionieren die natürlichen Filter der vauclusischen Quellen
wohl ziemlich gut, jede Ueberlastung derselben jedoch infolge grösserer
Niederschläge usw. kann bewirken, dass die pathogenen Keime bis zur Quellmündung
gelangen.
2. Das Wesen und der Ursprung der Quellen.
Durchforscht man die Oberfläche der Erde nach Quellen, so wird man überall dieselben
Beobachtungen machen.
Der Ursprung der grossen Ströme und Flüsse reicht überall ziemlich weit in das
Hochgebirge hinein. Ihre Quellen werden zumeist von abschmelzenden Gletschern
gespeist, sind in der Regel sehr reichhaltig, haben die unschätzbare Eigenschaft,
gerade im Hochsommer wenn andere Quellen zum Teil oder gänzlich versiegen, die
grösste Menge Wassers zu liefern und sind auch in qualitativer Beziehung, da das
Hochgebirge unbesiedelt ist, vollkommen einwandfrei.
Diese Quellen werden deshalb mit Vorliebe inneuerer Zeit von grossen Städten,
welche grosse Mengen konstanten Wassers erfordern, zur Anlage von Wasserleitungen
benutzt. Einen grossen Uebelstand bildet jedoch ihre grosse Entfernung von den
Städten und die dadurch bedingte Kostspieligkeit der Leitungen, die durch das
Gebirge bedingten kostspieligen Kunstbauten, Tunnels, Aquädukte usw.
Steigen wir ins Hügelland herunter, so finden wir am Rande der Hügel und in den
Seitentälern zahlreiche, jedoch bereits nur kleinere Quellen, welche im Verhältnis
zum Niederschlagsgebiet der betreffenden Gegend stehen und deren Wasserreichtum auch
im Verhältnis zur Niederschlagsmenge des betreffenden Gebietes steigt und fällt.
Manchmal jedoch findet man im Hügellande mächtige Quellen, deren Wasserreichtum in
gar keinem Verhältnis zu ihrem Niederschlagsgebiete steht, Quellen, welche sofort
bei ihrem Austritt imstande sind, Mühlen zu treiben und welche auch in der Regel
ziemlich gleichbleibende Mengen Wassers liefern. Die Wasserbeschaffenheit dieser
Quellen ist im vornhinein mit grossem Misstrauen zu betrachten, denn es sind dies
keine echten Quellen, keine Wässer, welche die kapillaren Hohlräume der Erde
durchlaufen haben, sondern es sind in der Regel nur Oberflächenwässer, welche gewiss
irgendwo höher aufwärts im Gebirge in die Erde versunken sind, und nun hier zum
Vorschein kommen.
Sie haben die charakteristischen Eigenschaften, dass sie stets eine höhere Temperatur
als die mittlere Jahrestemperatur der Gegend haben, sehr viel Kalkgehalt und wenig
Kohlensäure besitzen.
In der gemässigten Zone im Hügellande rechnet man fast überall mit einer
durchschnittlichen Regenmenge von nur 500–600 mm jährlich, das gibt auf den qkm
16–19 l''.
Von diesen 16–19 l'' verdunstet in der Regel ein Drittel und ein Drittel wird
oberflächlich abgeführt, mithin kann ein qkm im besten Falle nur etwa 6 l''
Quellwasser liefern, welche jedoch selten vereinigt zum Vorschein kommen. Finden wir
mithin ein Gebiet, welches auffallend mehr Quellwasser liefert, so ist dies auf
jeden Fall verdächtig und solche Quellen erfordern unbedingt eine nähere
Untersuchung bezüglich ihres Ursprungs.
Befindet man sich im Kalkgebiete, einerlei welcher geog. Formation der Kalk angehört,
so kann man bereits sicher sein, dass diese abnormen Quellen keine wirklichen
Quellen, sondern Oberflächenwässer sind.
In neuerer Zeit, als man infolge von Typhusepidemien, welche durch solche Quellen und
die aus diesen gebildete Wasserleitungen entstanden sind, bemüssigt war, diesen
Wässern eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, ist man in dieser Richtung zu
überraschenden Ergebnissen gelangt.
Prof. Dr. A. Gärtner in Jena hat in einer ausführlichen
Denkschrift: „Die Quellen in ihren Beziehungen zum Grundwasser und zum
Typhus“ (mitgeteilt im klinischen Jahrbuch Bd. IX.)Diese Abhandlung ist auf dem praktischen Boden
des Wasserbautechnikers entstanden und zwar vorzüglich angeregt durch die
Uebelstände unserer eigenen Wasserleitung in Brunn und die wiederholten
Typhusepidemien, welche wir hier zu bestehen hatten Da mir
selbstverständlich als Techniker die eigene praktische Erfahrung, auf dem
Gebiete der Hygiene mangelt, musste ich die so schätzenswerte Abhandlung
Prof. Gärtners mit Freude begrüssen, als
dieselbe mir vollkommen geeignet erschien, meinen Ausführungen über die
vauclusischen Quellen nach der hygienischen Seite hin, die nötige Ergänzung
und Unterstützung zu geben. in musterhafter Weise, gestützt auf
ein umfassendes Material, Tatsachen mitgeteilt, welche solche Quellen in einem
eigentümlichen Lichte erscheinen lassen.
Ich will in vorliegendem den Ausführungen des geschätzten Autors, besonders was
die hygienische Seite dieser Frage anbelangt, möglichst wortgetreu folgen, besonders
insoweit er über die Typhusepidemien in Paris, Soest und Paderborn berichtet.
3. Die Typhusepidemien von Paris.
Den Hauptanstoss für die Untersuchungen von Prof. Gärtner bildeten die Typhusepidemien der Stadt Paris, welche sich erst
dann in bedrohlicher Weise einstellten, als die neuen Wasserleitungen in Paris
fertig geworden waren.
Prof. Gärtner schreibt hierüber:
„Die Stadt Paris ist mit Wasser nicht einheitlich versorgt, sondern besitzt eine
getrennte Wasserversorgung mit Nutzwasser aus dem Canal de l'Qurcq, aus der
Marne und der Seine und eine dreifache Wasserversorgung mit Trinkwasser und zwar
aus den Quellen der D'huis, der Vanne und der l'Arvre.
Bis zum Jahre 1866 war Paris nur auf die erstgenannten Wässer angewiesen, welche
oberflächlich filtriert zum Verbrauch gelangten, erst im Jahre 1866 wurde das
Hochquellwasser der D'huis, im Jahre 1874 wurden die Hochquellen der Vanne in
die Stadt eingeführt und im Jahre 1893 wurde durch die Zuführung der Hochquelle
der Arvre die Trinkwasserleitung vollendet und die Zuführung des filtrierten
Seinewassers zu Trinkzwecken eingestellt.
Obzwar schon vor der Einführung der neuen Wasserleitung in Paris wiederholt
Typhusfälle vorgekommen sind, so arteten dieselben niemals zu einer förmlichen
Epidemie aus, sondern es kamen Typhustodesfälle vor, ohne im allgemeinen
bedrohlich zu werden.
Jedoch schon im Frühjahr des nächsten Jahres 1894 brach eine Typhusepidemie aus
mit 454 Todesfällen und über 1000 Erkrankungen, welche allein in den Hospitälern
gerechnet wurden, wobei die Zahl der Meldungen häuslicher Behandlung nicht
berücksichtigt ist.
Im Jahre 1899 brach abermals eine grosse Typhusepidemie in Paris aus, bei welcher
über 2000 Fälle zur Meldung gelangten.
Diese wiederholten zwei grossen Epidemien stachelten die Behörde auf das
äusserste auf, um den Grund derselben zu erforschen.
Eine eigene Untersuchungskommission wurde eingesetzt, welche mit Zuziehung von
Fachleuten aller in Betracht kommenden Wissenszweige die eingehendsten
Untersuchungen anstellte, um die Ursachen dieser Epidemien zu erforschen.
Die Resultate dieser Erforschungen sind bereits längst in einwandfreier Weise
abgeschlossen, es ist vollkommen vorurteilslos zu Werke gegangen worden und das
sonst bei solchen Gelegenheiten übliche Vertuschungssystem wurde endlich einmal
über Bord geworfen.“
Die Ergebnisse dieser Untersuchungskommission, wie solche Prof. Gärtner in seiner Denkschrift auführt, sind so
hochinteressant und wichtig, besonders in einer Zeit, wo noch andere grössere
Städte, darunter auch Brunn, sich anschicken, von denselben nichts lernen zu Wollen
und ebenfalls Wasserleitungen von solchen berüchtigten „Hochquellen“
auszuführen, dass es zeitgemäss erscheint, dieselben ausführlicher zu
besprechen.
Die vom Seinepräfekten ernannte Kommission bestand aus den Aerzten Dr. A. J. Martin, und Dr. Thierry, dem Geologen Janet, den
Bakteriologen Dr. Miguel und Combier, den Chemikern Albert Lévy und Marbontin und den Kulturingenieuren Dinert und le Couppey.
Ihre Arbeiten legte die Kommission in einem grossenWerke nieder: „Traveaux
des années 1899–1900, sur les eaux de l'Arvre et de la Vanne“, Paris
1901.
A. J. Martin wurde mit der medizinischen und
epidemiologischen Untersuchung beauftragt.
Er stellte zunächst die vor der Epidemie im Umkreise der Stadt vorgekommenen primären
Typhusfälle fest, welche Veranlasser der Epidemie sein konnten.
Mit vollster Sicherheit wurde nachgewiesen, dass in der Umgebung von Paris und zwar
unmittelbar im Niederschlagsgebiete der Hochquellen wiederholt primäre Typhusfälle
vorgekommen sind.
Bezüglich der ersten Epidemie im Jahre 1893 wurde nachgewiesen, dass in der Ortschaft
Rigny, im Quellgebiete der Vanne, in den Monaten Dezember 1892 bis 1893 drei
Typhusfälle vorgekommen sind und die volle Wahrscheinlichkeit bestand, dass die
Ausleerungen der Kranken, welche völlig undesinfiziert auf die Düngerhaufen kamen,
durch die in der Nähe angelegten Drains in das Leitungswasser gelangt sind.
Die Stadtverwaltung machte einen Färbeversuch mit Fluorescein, hat jedoch von dem
Ergebnis desselben nichts verlauten lassen.
Während der Epidemie von 1899, als bereits die amtliche Untersuchungskommission
ernannt war, gelang der Nachweis über den Ursprung und die Verbreitung des Typhus
bereits mit vollständiger Sicherheit.
Es wurde nachgewiesen, dass unzweifelhaft die Epidemie durch die Vannewasserleitung
aus der Stadt Sens eingeschleppt wurde.
Der ganze Höhenzug südlich der Vanne im Bezirk um die hierliegende Stadt Sens besteht
aus einer mächtigen Kreidebildung, welche auch nach dieser Stadt, weil sie hier
besonders gut entwickelt vorkommt, den Namen Senon führt. Das Gebirge ist, wie die
Gebirge der Kreideformation überhaupt, sehr zerklüftet, die Niederschlagswässer
versinken zumeist sofort nach dem Niederfall in den Boden. Durch Färbungen der
unterirdischen Wässer mit Fluorescein wurde nachgewiesen, dass alle unterirdischen
Wässer, besonders bei hohem Grundwasserstand, daselbst in Verbindung stehen. Durch
Einschütten dieses Farbstoffes in einen Erdfall bei Jouchèry wurde bei einer
kürzesten Entfernung von 11,7 km von der Quelle der Vanne der Farbstoff auf einem
Terrain nachgewiesen, welches eine Basis von 16–17 km und einen oberen Winkel von
90–100° hatte.
Nicht nur das Wasser der grossen Quellen, sondern auch das aus dem Senon
hervortretende Sickerwasser wurde gefärbt.
Von Miguel wurde eine grosse Menge Bierhefe kurz nach
dem Versuch in denselben Erdsturz geschüttet, welche ebenfalls an allen Quellen
zutage trat, nur dauerte es nicht 3½ Tage wie bei dem Fluorescein, sondern 5–6
Tage.
Es gelang beinahe mit mathematischer Sicherheit nachzuweisen, woher die pathogenen
Keime gekommen sind, wann und wo sie in das Leitungswasser gelangten und alle diese
Daten stimmten mit dem Ausbruche der Epidemie in Paris vollkommen überein. Prof. Gärtner schreibt diesbezüglich: „Die Infizierbarkeit
der Quellen sowohl aus der Nähe, z.B. von les Lièges, Vareilles und Vaumont ist
von Albert Levy und Miguel in überzeugendster Weise erwiesen worden.
Von grosser Bedeutung war auch der Nachweis, dass dem, starken Anstieg der
Typhussterblichkeit in Paris und Sens in der Mitte Juli ein starker Regenfall
und damit eine bedeutende Steigung der Keimzahl gegen Ende Juni vorausgegangen
ist; es korrespondieren also Erkrankungszeit und stark bakterienhaltiges
Quellwasser bezüglich der Inkubationszeit sehr gut.“
Martin konstruierte graphische Darstellungen welche zeigten, dass ein
heftiger Niederschlag um diese Zeit mit 48 mm Regenhöhe das Ausschlaggebende gewesen
ist, indem er ohne Zweifel die natürlichen Filter des Bodens allzusehr überlastet
hat.
Miguel gelang es sogar, einen Bazillus aus dem Reservoir
von Montrouge zu züchten, welcher in den Haupteigenschaften in der Agglutination mit
dem Typhusbazillus übereinstimmte.
Prof. Gärtner schreibt: „Die Typhuskeime müssen schon
oberhalb von Sens in der Wasserleitung gewesen sein. Die Rohrstrecke von der
Einmündung des letzten Quellzuflusses bis Paris beträgt annähernd 140 km, welche
bei einer angenommenen Schnelligkeit von 1 m in der Sekunde in 38 Stunden
zurückgelegt wurden.
Hierdurch ist also bewiesen,; dass die Typhusbazillen infektionsfähig auf
mindestens 140 km verschleppt werden können. Nach diesen Ergebnissen wurden
sofort die umfassendsten Sicherheitsmassregeln getroffen, ganze Täler und
Schluchten ausbetoniert, die Drainagen geschützt, die Rieselwiesen im Bereiche
der Drainagen nicht mehr überrieselt und ein umfassender Ueberwachungs- und
Meldedienst innerhalb des tributären Gebietes, bezüglich vorkommender primärer
Typhusfälle eingeführt.
Es ist ein Verdienst Thoinots, dass er mit ganzer
Energie und rücksichtsloser Offenheit die schlechten Verhältnisse der Pariser
Wasserversorgung wiederholt offen darlegte und dem „Service des eaux“ die
Scheuklappen entfernte, mit welchen derselbe schon seit vielen Jahren an den
Fehlern der Versorgung bewusst vorbeigegangen war.“
Allein nicht nur in Paris, sondern überall dort, wo die berüchtigten vauclusischen
Quellen zu Wasserleitungen benützt werden, haben sich diese Wasserleitungen selbst
als die wahren und einzigen Erzeuger und Verbreiter der Typhusepidemien
erwiesen.
So z.B. in der ehemaligen Hansestadt Soest in Westfalen, in Paderborn usw.
4. Typhusepidemien in Soest.
Prof. Gärtner schreibt:
„Die Stadt Soest, in welcher der Typhus früher auch nur endemisch war, wurde nach
Errichtung der neuen Wasserleitung in den Jahren 1889 und 1892 von wiederholten
Typhusepidemien betroffen.
Nach Gutachten des dortigen Medizinalrates Dr. Terholt lag auch dort unzweifelhaft eine Infektion durch Wasser vor.
Für diese Annahme spricht wieder, wie bei Paris, das explosionsartige Auftreten
der Erkrankungen und dass die an die Wasserleitung angeschlossenen Häuser
bedeutend mehr Erkrankungen auszuweisen hatten als die nicht angeschlossenen.
Während bei dem endemischen Auftreten des Typhus diese Krankheit nurbei
einzelnen Personen, vorzüglich durch den Genuss von verdorbenen Nahrungsmitteln
usw. auftritt und direkte Uebertragungen bei Nachbarn und Wartepersonen leicht
nachzuweisen sind, findet bei Infektionen durch die Wasserleitung gewöhnlich
eine Massenerkrankung von Personen zu gleicher Zeit in verschiedenen Stadtteilen
statt und gerade in solchen Häusern, welche an die Wasserleitung angeschlossen
sind.
Man hat sich lange gesträubt, diese gefährliche und verderbliche Tatsache
zuzugeben und die Ursache der Epidemien früher in allen anderen Dingen als in
der Wasserleitung selbst gesucht, z.B. in ehr Milch, in den vom Lande
eingeführten Nahrungsmitteln, als Grünzeug usw.; allein bei näherer Betrachtung
mussten alle diese bei den Haaren herbeigezogenen Ursachen fallen gelassen
werden und die Stadtvertretungen, zum Glücke der Bewohner, sich dazu bequemen,
die Ursachen dort zu suchen, wo sie eben zu finden sind, denn nur so war
überhaupt eine Abhilfe möglich.
Inmitten der Stadt Soest ist ein grosser Teich gelegen, in der Nähe desselben hat
man einen neuen Bohrbrunnen angelegt und durch Pumpen aus demselben das
Trinkwasser bezogen.
Nun ist aber der Untergrund der ganzen Gegend wieder der gefährliche Plänerkalk,
in dessen Klüfte und Spalten alle Oberflächenwässer unfiltriert, oder nur
mangelhaft filtriert, versinken.
So musste es nun kommen, dass bei den sonst immer vorkommenden endemischen
Typhusfällen die Typhusbazillen in die Wasserleitung gelangten, und die Epidemie
war infolge der raschen Verbreitung durch dieses vorzügliche Verbreitungsmittel,
die Wasserleitung, fertig.
Auf welche Art und durch welche primären Typhusfälle die Epidemie entstanden ist,
war bei den Verhältnissen der Stadt Soest, wo jedes einzelne Haus durch undichte
Senkgruben usw. die Ansteckung herbeiführen konnte oder wo durch den grossen
Teich in der Nähe des Pumpbrunnens auf eine sehr einfache Weise derselbe
infiziert werden konnte, nachzuweisen schwer möglich.
Die Abhilfe bestand darin, dass erstens ein langsames Pumpen eingeführt wurde, um
den Wasserspiegel nicht rapid zu senken und das Wasser aus grösserer, reinerer
Tiefe herauszuholen (1894) und zweitens (1896) in der Anlage einer rationellen
Kanalisation und strenger, sanitärer Anordnung in bezug auf die Entfernung der
Abwässer und Fäkalien, bei strengster Meldungspflicht von Typhuskranken,
Isolierung derselben und genauester Desinfizierung.
Seit der Zeit ist die Typhusepidemie in Soest nicht mehr aufgetreten.“
(Fortsetzung folgt.)