Titel: | Das Unterseebootwesen im Jahre 1902. |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 285 |
Download: | XML |
Das Unterseebootwesen im Jahre 1902.
Das Unterseebootwesen im Jahre 1902.
Frankreich, die Vereinigten Staaten, Italien und in neuester Zeit
Grossbritannien sind die Staaten, welche in ihren Kriegsmarinen ein
Unterseebootwesen besitzen und dasselbe ausbauen. In anderen Kriegsmarinen hat man
einzelne Unterseeboote eingeführt oder will solche beschaffen. Es sind dies die von
Russland, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Brasilien. Daneben gibt es
Gesellschaften und Privatleute, die sich mit dem Bau von Unterseeboten oder mit dem
Entwerfen solcher beschäftigt haben, wobei nicht immer das Boot als Träger eines
Zerstörungsmittels gegen feindliche Schiffe gedacht ist, sondern friedlichen Zwecken
dienen soll, in welchen die Hebung von Schätzen aus dem Meeresgrunde eine bedeutende
Rolle zu spielen pflegt. Die deutsche Marineleitung verfolgt die Fortschritte auf
diesem Gebiet aufmerksam, hält dieselbe aber noch für derartig im
Entwicklungszustand, dass von einer Beschaffung abzusehenist, solange das
Unterseeboot sich nicht als eine zuverlässige Seekriegswaffe in höherem Grade
erwiesen hat, als das bis jetzt erreicht worden ist.
Frankreich.
Frankreich ist das erste Land, das praktisch herangegangen ist, sich eine ganze
Flotte von Unterseebooten zu beschaffen, und die Zahl der fertigen, in Bau
befindlichen und projektierten Fahrzeuge nähert sich bereits dem halben Hundert. Der
neue Marineminister Pelletan gilt als eifriger
Vertreter der Ansichten der jeune école, welche die Linienschiffe als kostspielige,
unbrauchbare Mastodontes bezeichnet und Frankreich durch grosse und kleine Kreuzer,
schwerbewaffnete, flachgehende Kanonenboote, Torpedoboote und Unterseeboote in
seiner Seemachtstellung zu erhalten und zu verstärken wünscht. Danach war zu
erwarten, dass Pelletan dem Unterseebootwesen sein
besonderes Interesse zuwenden und es nach Kräften fördern würde. Es überraschte daher
nicht, dass die Linienschiffbauten eingestellt werden sollten, was allerdings nur
soweit durchführbar war, als dieselben auf Staatswerften ausgeführt wurden, denn die
Privatwerke, welchen solche Bauten zugewiesen waren: La Sayne mit „Justice“,
Forges et Chant. de la Loire mit „Liberté“ und la Gironde mit
„Vércité“Mitteilungen a. d.
Gebiet d. Seewesens 9. 1902. „Schiffbau“ No. 18. 1902.
sträubten sich gegen diese Maassnahme.„Marine-Rundschau“ 10. 1902. Aber auch der Bau
von Unterseebooten wurde eingestellt, und das schien auffällig. Frankreich baut alle
seine Unterseeboote, abweichend von den Vereinigten Staaten und Grossbritannien, die
sie durchweg Privatwerken überweisen, auf Staatswerften. Diese Baueinstellung betraf
folgende unterseeische Fahrzeuge: „Grondin“, „Anguille“,
„Alose“, „Truite“ alle zu Toulon; „Najade“,
„Protée“, „Lynx“, „Ludion“ zu Cherbourg; „Phoque“,
„Otavie“, „Meduse“ und „Ourzin“ zu Rochefort, im ganzen 12,
deren Bau 1901 angeordnet wurde und die im Etat 1902 standen.„Mitteilungen“. Heft 7. 1901 und 10.
1901. Diese Boote sollten bei 68 t Ladefähigkeit 77 Fuss (engl.)
lang 7½' breit 8' hoch werden, 8 Meilen mit elektrischen Akkumulatoren Fahrt machen
können (unter Wasser), einen Offizier, vier Mann Besatzung erhalten und je 295000
Mk. (14616 Pfd. Sterl.) kosten.„Royal
United Service Institution“ 12. 1901. Es waren dies
Fahrzeuge, welche ausgesprochenermaassen zur Küstenverteidigung zu dienen hatten.
Ausserdem aber sollten noch drei weitere Versuchsboote gebaut werden, nämlich „Q
35“, nach Plänen von Romazolli zu Cherbourg,
später als „H“ bezeichnet; „Q 36“ nach Plänen von Mangas zu Rochefort, jetzt „Y“ und „Q 37“
nach Plänen von Bertin zu Toulon, jetzt „Z“.
Diese Fahrzeuge sollten der Offensive dienen, 20000, 32000 und 37000 Pfd. Sterl.
kosten, und 1901/02 wurde gemeldet, dass mit ihrem Bau begonnen sei.„Marine-Rundschau“ 8. 1901.
„Mitteilungen“ X. 1901. „Royal United Service Institution“
12. 1901.
„Marine-Rundschan“, Februar 1903 teilte aber mit, dass mit ihrem Bau erst
begonnen werden soll, und dass zu ihnen noch ein viertes Fahrzeug Typ
„Narval“ trete, konstruiert von Laubeuf.
Dem Marineminister Pelletan war jedenfalls die
Bestimmung der Boote, wenigstens der zwanzig kleinen, nur als Küstenverteidiger
mitzuwirken, nicht genügend weit, und sein Streben dahin gerichtet,
Offensivfahrzeuge zu schaffen, die befähigt sein sollen, den Gegner auf weite
Entfernungen aufzusuchen. Es wurden daher andere Boote in Bau gelegt, deren Zahl
vorläufig noch nicht festzustehen scheint, die an Grösse alle bisherigen
übertreffen. Sie erhalten bei 48,9 m Länge, 4,2 m Breite, 2,765 m Tiefgang in
aufgetauchtem Zustande, 301 t Laderaum, übertreffen also das grösste Unterseeboot,
den „Gustave Zéde“ von 266 t noch um 37 t, werden eine Besatzung von 2
Offizieren, 18 Mann aufnehmen, durch zwei Schrauben getrieben und 11 Meilen Fahrt
machen (unter der Oberfläche?). Der Antrieb erfolgt durch zwei Explosivmotoren„Schiffbau“ No. 10. 1903.,
die Armierung wird aus zwei Torpedo-Lancierstationen bestehen.
Pelletan, der auf „Corrigan“ ein
Unterseebootfahrt selbst mitgemacht hat,„Mitteilungen“ XI. 1902. ist demnach der
Vermehrung der Unterseebootflotte Frankreichs durchaus nicht entgegen, nur wünscht
er hauptsächlich Offensivfahrzeuge, weniger Küsten- oder besser gesagt,
Hafenverteidiger.
Die fertigen Unterseeboote haben im Laufe des Jahres 1902 zahlreiche Uebungen, auch
zu mehreren, vorgenommenen, mit aber auch ohne Begleitung von Hilfsschiffen, und der
Marine Präfekt von Brest erliess zu Anfang des Jahres eine Anzahl Bestimmungen über
Tag- und Nachtsignale für die Boote, deren Begleitschiffe und die Küstenwerke
während der Uebungszeit.„Marine-Rundschau“ 3. 1902.Ob die Berichte
über den Verlauf der Uebungen, die vielfach sehr günstig für die Boote, teilweise
sogar enthusiastisch gehalten sind, als völlig unparteiisch und zuverlässig
anzusehen sind, darf wohl etwas angezweifelt werden, denn die
Unterseeboot-Litteratur ist von jeher in ihren Erzeugnissen die Wirklichkeit stark
beeinträchtigend aufgetreten. Von den Gefechtsübungen seien einige erwähnt.
Anfang 1902 machten Unterseeboote zu Cherbourg einen Angriff auf das Geschwader der
Küstenpanzer „Bouvines“, „Amiral Trétouert“ und den Kreuzer
„Cassini“. Alle drei Schiffe sollen von den Uebungstorpedos der Boote
getroffen sein, die sich so gelegt hatten, dass der Kurs vorüberführen musste, und
die ohne Bewegung lagen. Nur Unterseeboot „Triton“ soll entdeckt sein.„Schiffbau“ 9. 1902.
„La Siréne“ fuhr ohne Begleitschiff von Cherbourg nach St. Waast – 40 Meilen –
und tauchte während der Fahrt mehrmals.„Marine Rundschau“ 4. 1902.
„Silure“ unternahm einen Tauchversuch und ging in 41 m Tiefe, wobei ein
Zusammendrücken des Schiffskörpers von 1 mm (!) stattfand.„Schiffbau“ 15. 1902,
„Mitteilungen“ 6. 1902. Es ist nicht ersichtlich,
welchen Zweck für das Unterseeboot als Kriegswaffe das Hinabgehen auf solche Tiefen
haben sollte.
„Espadon“ lauerte dem von Havre kommenden Postdampfer „Champagne“ der
Comp. Transatlantique versenkt vor Cherbourg auf und tauchte in dessen Nähe
plötzlich auf, was grosse Begeisterung unter den Passagieren hervorrief.„Marine-Rundschau“ 4. 1903,
Tagesblätter.
Das Jahr ist auch für Frankreich nicht ohne zahlreiche neue Erscheinungen im
Unterseebootwesen vorübergegangen, die teils als Projekte auftauchten, teils in
gewissen Beziehungen zur Unterseeschiffahrt stehen.
„Le Yacht“ sprach anfangs des Jahres von einem neuen Unterseeboot, das mehr
als 20 Meilen über Wasser, 12 Meilen unter der Oberfläche zurücklegen und einen viel
grösseren Aktionsradius als die bisherigen Boote besitzen soll.
Ein neuer Typ Boote, deren Motor durch flüssige Luft getrieben werden soll, wird zurzeit studiert,„Mitteilungen“ 1. 1903. ebenso die Frage der
Beschaffung einsetzbarer Unterseeboote, von denen bereits gesagt wird, dass die
Linienschiffe „Republique“ und „Patrie“ sie vielleicht schon erhalten
werden.„Mitteilungen“ 8. 1901.
Ende 1901 wurde das Unterseeboot „Goubet II“ von der Regierung endgiltig
zurückgewiesen. Goubet bemühte sich, dasselbe an
England zu verkaufen und soll auch bereits, nach Meldungen Berliner Blätter,
Aussicht gehabt haben, dasselbe für 100000 Anzahlung und 4500 fr. Monatsgehalt an
eine Gesellschaft loszuschlagen, die auch sogleich 22 solcher Fahrzeuge bauen lassen
wollte. Der französische Senator Brissenit schrieb
daraufhin an den damaligen Marineminister de Lannessan,
dass er durch Zulassung des Verkaufs seine Pflicht verletzt und die heiligsten
Interessen des Landes aufs Spiel gesetzt habe. „La France militaire“ führte
darauf aus, dass die Einzelheiten des „Goubet“ Allgemeingut seien; er sei
veraltet und hinter den heutigen Unterseebooten zurückgeblieben, zum Einsetzen in
Schiffe sei er zu schwer usw.„Marine-Rundschau“ 6. 1902. Jedenfalls zerschlug
sich der Verkauf an England, „Goubet II“ ging auf öffentlicher Auktion für
45000 fr. in die Hände eines Herrn May über, der mit dem Fahrzeug auf dem Genfer See
gegen Entgelt Taucherfahrten machen will. Goubet, der
Konstrukteur von „Gymnote“ und einstige Schützling des Admiral Aube, auf dessen Veranlassung 1887 „Gymnote“
entstand, ist am 15. Januar 1903 zu Paris, 60 Jahre alt, gestorben.
Textabbildung Bd. 319, S. 287
No.; Name; Konstrukteur; lang;
breit; hoch; Depl.; Betriebskraft; über Wasser; unter Wasser; Stapellauf;
Bemerkungen; „Gymnote“; „Gustave Zéde“; „Morse“;
„Narval“; „Le Français“; „L'Algérien“; „La
Siréne“; „Farfadet“; „Gnome“; „Corrigan“;
„Lutin“; „Silure“; „Espadon“; „Triton“; Typ
„Perle“; ProjektiertEs
sollen die Nummern 38–50 Typ „Aigrette“ 1902 projektiert sein,
Fahrzeuge von 175 t Deplacement nach Moniteur de la flotte 2. 03. Nach
B. Weyer Ende 1902 ebensowenig wie
„H. Y. Z.“ begonnen. neue Boote;Goubet Romazotti; Romazotti Laubeuf; Laubeuf; Maugas;
Bertin; Elektrizität; Petr.-Motor; Gasolin; Cherbourg; Pferdekräfte
starke Maschinen; Kann über Wasser die Akkumulatoren laden; Durch Sammlungen des
Pariser „Matin“ wurden die Mittel – ca. 60000 fr. – aufgebracht. Besatz.:
1 Offizier, 6 Mann; 1 Offizier, 4 Mann Besatzung; 2 Explosionsmotoren z.
Antrieb, 2 Schraubenwellen, 2 Lancierstationen
In Frankreich haben seit einem Jahrzehnt gewisse Beziehungen zwischen Torpedo- und
Unterseebootwesen einerseits und dem Ballonwesen andererseits bestanden. Leutnant
Kopette machte bereits Anfang der neunziger Jahre
interessante Uebungen be Toulon, indem er seinen Fesselballon von Torpedobooten
schleppen liess, dann frei flog, sich mit dem Wasseranker festlegte und dann der
erste war, der feststellte, dass man vom Ballon aus die Bewegungen von
unterseeischen Fahrzeugen (es war „Gustave Zede“ damals „La Siréne“
benannt) verfolgen könne. Nach dieser Richtung hin bewegen sich seither auch die
Ballonübungen an der Küste, wenn Unterseeboote vorhanden sind. Im Sommer wurde
„Gustave Zede“ zu weiteren Versuchen herangezogen. Es handelte sich
nicht, wie Laffans Bureau mitteilte,Laffans
Bureau, London. Von dort ist die Meldung in viele grosse Blätter
übergegangen, so Berliner Tageblatt No. 426. 1902. darum,
festzustellen, ob man von einem Ballon ein versenktes Unterseeboot sehen kann, denn
dass das namentlich bei dem klaren Wasser des Mittelmeeres und guter Beleuchtung,
keine Schwierigkeiten hat, war längst bekannt, sondern es sollte versucht werden,
zwischen dem Unterseeboot und dem Ballon telephonische Verbindung herzustellen.
Dieser Versuch soll glänzend gelungen sein, denn in wenigen Minuten – so sagt der
Bericht – sei das zehn Fuss unter der Oberfläche fahrende Boot entdeckt und die
telephonische Verbindung hergestellt. Leider ist nur gesagt, dass zu diesem Verkehr
ein „sinnreich konstruierter Apparat“ benutzt sei, aber nicht welcher Art
dieser Apparat gewesen ist, beispielsweise nicht, ob die Verbindung drahtlos
war.
Weitere Uebungen mit Ballon unternahm „Morse“, um sichals versenktes Boot
in der Ruhelage zu erhalten. Der Ballon wurde mit dem versenkten Fahrzeug durch
Stahltrossen verbunden, und der zigarrenförmige Körper des Ballons schwamm auf dem
Wasser. Er konnte vom Boot aus aufgeblasen werden und durch besondere Vorrichtungen
waren auch Veränderungen der Tiefenlage des Bootes möglich.„Marine-Rundschau“ 6. 1902.
So interessant die Uebung sein mag, so dürfte die Oberfläche des Wassers, auf
welcher der Ballon schwimmt, bewegter sein, wie die Tiefe, in der das Boot
liegt.
Ueber die Sehvorrichtungen, welche, wie sich der ehemalige Marineminister Lockroy im Parlament mehrfach geäussert hat, bei den
Unterseebooten vortrefflich sind, brachte „Revue Industrielle“„Revue Industrielle“ 18. 1.
1902. einen längeren Aufsatz: „La vision dans les bateaux
sousmarins et les submersibles“, der die bekannten Apparate teilweise mit
Abbildungen anführt. Als bester ist der von Drzewiecki,
einem russischen Ingenieur, dem die französische Marine bereits einen Lancierapparat
für Fischtorpedos aussen-bords der unterseeischen Fahrzeuge verdankt, genannt, aber
auch noch nicht als vollkommen bezeichnet.
Ob Drzewiecki seinen Apparat inzwischen vervollkommnet
hat, ist nicht bekannt, dagegen soll ein Oberleutnant 5. ein verbessertes Periskop
konstruiert haben, das nach Art der Fernrohre verschiebbar ist, und durch das sich
Sehhöhe und Sehweite verändern lassen.„Marine-Rundschau“ 6. 1902.
Ueber den Wert der Unterseeboote hat sich Lockroy, in
dem das Unterseebootwesen Frankreichs einen eifrigen Förderer gefunden hat, im
Pariser „Matin“ geäussert.„Schiffbau“ 23. 4. 1902. Der „Matin“ ist
das Blatt, welches durch Sammlungen die Mittel zum Bau von „Français“ und
„Algérien“ in kurzer Zeit zusammenbrachte. Lockroy spricht sich dahin aus, dass die Unterseeboote neusten Typs im
allgemeinen brauchbar seien, doch bedürfe noch manches der Verbesserung, namentlich
betreffs der Wohnlichkeit und des Aktionsgebietes Die eigentlichen Unterseeboote
(sousmarins) seien für die Küstenverteidigung, die Ueberflutungsboote (submersibles)
für weitere Operationen. Die Tauchzeit von acht später fünf Minuten sei kurz genug.
Als einzig brauchbares Abwehrmittel sei der Luftballon anzusehen, mit diesem könne
man, wenigstens bei Tage, das Unterseeboot erkennen.
Die Ausführungen muten etwas eigenartig an, denn die weitesten Operationen, die
vielbeschriebene Fahrt nach Korsika, hat „Gustave Zédé“ 1901 ausgeführt, und
„Zédé“ ist ein sousmarin,kein submersible. „Narval“,
abgelaufen 27. Oktober 1899, braucht zum Tauchen 20 bis 30 Minuten Zeit„Schiffbau“ 8. 11. 1901. als
submersible; „Siréne“ erst am 4. März 1901 abgelaufen, 20 Minuten„Mitteilungen a. d. Gebiet d.
Seewesens. 8. 1901. und wie der Luftballon das
Unterseeboot „abwehren“ soll, ist nicht recht klar. – Jedenfalls sind die
Anhänger der Unterseeboote in Frankreich so einflussreich, dass die französische
Marine in wenigen Jahren über ein halbes Hundert unterseeischer Fahrzeuge
verschiedener Grössen und Typen verfügen wird.
(Schluss folgt.)