Titel: | Neuerungen im Wagenbau. |
Autor: | Kurt Arndt |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 373 |
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Neuerungen im Wagenbau.
Von Dr. Kurt Arndt.
(Schluss von S. 361 d. Bd.)
Neuerungen im Wagenbau.
Hatten alle die besprochenen Hilfsvorrichtungen das Ziel, die Bequemlichkeit des Wägens zu fördern, so wollen wir nun
uns zu solchen wenden, die die Genauigkeit der Wägung
erhöhen. Dasind Zunächst verfeinerte Ablesevorrichtungen zu nennen.
Textabbildung Bd. 319, S. 373
Fig. 28.
Textabbildung Bd. 319, S. 373
Fig. 29.
Textabbildung Bd. 319, S. 373
Fig. 30.
Nicht selten bringt man vor der Skala eine Lupe an, die die Teilung vergrössert,
sodass Zehntel der Entfernung zwischen zwei Teilstrichen leicht geschätzt werden
können. Die Lupe vergrössert aber auch bedeutend den Fehler, den eine nicht
senkrechte, sondern schräge seitliche Teilung des Auges zur Skala beim Ablesen
verursacht. Dieser Fehler der „parallaktischen“Ablesung ist viel
verbreiteter als man gewöhnlich meint. Um festzustellen, ob man das Auge in die
richtige Stellung gebracht hat, ist ein kleiner Spiegel zweckmässig, der dicht
hinter der Zunge parallel ihrer Schwingungsebene angebracht wird. Deckt sich die
Zunge mit ihrem Spiegelbilde, dann steht das Auge in der richtigen senkrechten
Stellung. Empfindet man solche Spiegelung beim Wägen als störend, so kann der
Spiegel leicht zum Zurückklappen eingerichtet werden. Die Skala selber als Spiegel
einzurichten, wäre nicht ratsam, weil Ablesen einer auf Spiegelglas angebrachten
Teilung das Auge ermüdet. Den gleichen Zweck, das Auge in die rechte Lage zu bringen, würde eine Marke
auf der Vorderwand des Gehäuses erfüllen.
Textabbildung Bd. 319, S. 374
Fig. 31.
Um die optischen Fehler eines gewöhnlichen Vergrösserungsglases zu vermeiden, bringt
Bunge einen Linsenspiegel (achromatisches Objektiv mit Silberbelag) an, der eine in
⅕mm geteilte, über der üblichen Elfenbeinskala befindliche Milchglasteilung in ihrem
ganzen Umfange ohne Verzerrung fünfmal vergrössert (Fig.
28). Bedeutend feiner ist die Ablesung durch ein Mikroskop (Fig. 29). An der Zunge ist
unter einem Winkel von 45° ein weisses Glasmikrometer befestigt, auf dem 10 mm in
100 Teile geteilt sind und das durch ein zehnmal vergrösserndes Mikroskop mit
Fadenkreuz betrachtet wird.
Textabbildung Bd. 319, S. 374
Fig. 32.
Eine Ablesung durch Fernrohr besitzt die Wage No. 8 des Bungeschen Preisverzeichnisses, dem auch die vorige Abbildung entstammt.
Das Fernrohr kann seitlich angebracht werden (vergl. Fig.
23), wenn durch Spiegelung das Bild einer auf dem Balken angebrachten
Marke auf eine im Fernrohr angebrachte Skala geworfen wird. Die Wage No. 8 (Fig. 30) ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie die
Gattung der feinen Wagen darstellt, die schwere Belastung, in diesem Falle 5
kg,ohne Schaden vertragen. Im Fernrohr entspricht ein Milligramm fünf Grad
Ausschlag. Da man noch ein Zehntel Grad schätzen kann, so würde hier die
Empfindlichkeit 0,02 mg, das ist 0,02 : 5000000 = 1 : 250000000 der Höchstbelastung
betragen. Die üblichen chemischen Wagen haben meist eine Empfindlichkeit von 0,1 mg,
das ist bei einer Tragfähigkeit von 200 g 0,1 : 200000 = 1 : 2000000 der Belastung.
Schon auf einer solchen Analysenwage gibt ein Papierschnitzel einen überraschend
grossen Ausschlag. Eine Wage, die 5 kg tragen soll, muss viel kräftiger gebaut sein;
kann man an ihr noch Bruchteile der Zehntelmilligramme messen, so ist das eine
ausgezeichnete Leistung menschlicher Erfindungsgabe und Geschicklichkeit.
Und diese Genauigkeit kann noch übertroffen werden, so dass die Wagen, deren
Besprechung wir uns nun zuwenden wollen, ebenso bewundernswerte Werke sind wie die
mächtigen Fernrohre, mit denen der Astronom den endlosen Weltraum durchforscht.
An solchen Wagen ist eine Vorrichtung angebracht, um bei geschlossenem Wagekasten die
Wageschalen zu vertauschen. Trotz aller Sorgfalt bei der Herstellung und Ausrichtung ist
ja eine Wage nie theoretisch genau gleicharmig. Vertauscht man die Belastungen der
Endschneiden, so lässt sich dieser Fehler rechnerisch ausschalten. Wäre etwa der
rechte Balkenarm länger als der linke, so würde man rechts weniger Gewichte
aufzulegen brauchen, um Gleichgewicht mit der linken Belastung zu erhalten, weil
rechts der Hebelarm länger ist. Vertauscht man aber die Belastungen, so tritt der
Fehler doppelt hervor, da nun die kleinere Last auf den linken, kürzeren Arm wirkt,
und man muss links Gewichte zufügen bezw. rechts fortnehmen, um wieder Gleichgewicht
zu erhalten. Das Mittel beider Ablesungen ergibt dann für das Gewicht des gewogenen
Körpers den richtigen Wert wie man ihn mit einer völlig gleicharmigen Wage erhalten
würde. Fig. 31 zeigt eine solche Wage von Bunge für 500 g Höchstbelastung, Fig. 32 eine von Stueckrath für 25 kg. Wie aus den Abbildungen zu ersehen ist, wird die
Vertauschung der Belastungen durch Zahnräder vermittelt.
Bei der eben besprochenen doppelten Wägung verraten sich auch kleine
Temperaturunterschiede zwischen den beiden Hälften der Wage, da der wärmere
Balkenarm länger ist. Von den feinsten Wagen sind deshalb alle Wärmequellen
fernzuhalten; selbst der Beobachter muss einige Meter von der Wage entfernt sein,
mit Gestängen die Wägungsoperationen aus der Ferne vornehmen und durch ein Fernrohr
die Skala ablesen, da seine Körperwärme bei den feinsten Messungen empfindliche und
unberechenbare Störungen verursachen würde.
Solche äusserst empfindlichen Wagen sind nötig,
Textabbildung Bd. 319, S. 375
Fig. 33.
Textabbildung Bd. 319, S. 375
Fig. 34.
Textabbildung Bd. 319, S. 376
Fig. 35.
Textabbildung Bd. 319, S. 376
Fig. 36.
um Normalgewichte zu eichen. Die Einheit der Masse bildet
bekanntlich ein Stück Platiniridium, das zu Sèvres bei Paris im Institut international des poids et mésures aufbewahrt
wird. Nach diesem Urkilogramm sind eine Reihe von Nachbildungen hergestellt worden,
von denen in den einzelnen Ländern je eine aufbewahrt und zur Herstellung weiterer
Kilogrammstücke benutzt wird, nach denen dann erst Stücke für allgemeineren Gebrauch
angefertigt werden. Würde bei der Vergleichung aller dieser Gewichte nicht mit der
äussersten Sorgfalt verfahren, so könnte sich ein Fehler leicht vergrössern und
schliesslich auch für die Praxis bemerkbar werden. So bildet die Ueberwachung und
Vergleichung dieser Normalgewichte eine ständige schwierige Arbeit, die z.B. für das
Deutsche Reich von der Kaiserlichen Normal-Eichungs-Kommission geleistet wird.
Eine Wage, die von der Normaleichungskommission auf der Pariser Weltausstellung 1900
ausgestellt war, zeigt Fig. 33. Sie stammt von Stueckrath und dient zur Vergleichung von Gewichten von
200 bis 1000 g. Um die Schwankungen des Auftriebes in der Luft, die durch Aenderung
des Luftdruckes bewirkt werden, auszuschalten, kann das Gehäuse, das die Wage
umgibt, luftleer gepumpt werden. Die Wage steht deshalb auf einem dicken
Messingteller, auf den eine luftdicht schliessende Kupferglocke mit Glasfenstern
aufgesetzt wird. Durch den Teller reichen durch Stopfbüchsen abgedichtete
Bewegungsstangen, die von einem 3 Meter entfernten Beobachter gedreht und hin- und
hergezogen werden können; durch diese Bewegungen können mittels geeigneter
Uebertragungsvorrichtungen alle nötigen Handlungen vorgenommen werden, wie Drehung,
Hebung und Senkung der Vertauschungsvorrichtung, Auslösen des Balkens und der
Gehänge, Aufsetzen der Zulagegewichte usw. Im Innern enthält die Wage zwei
Thermometer und ein Haarhygrometer. Die Ablesung geschieht durch Prisma und Fernrohr
mit Skala in der bekannten Weise, die als „Spiegelablesung“ vielfach bei
feinen Messungen angewandt wird.
Von Stueckrath stammte auch die Wage, mit deren Hilfe im
vergangenen Jahrzehnt in Spandau die Anziehungskraft der Erde mit der eines
Bleiklotzes von 100000 kg Gewicht verglichen wurde. Die Wage besass zwei Paar
Wageschalen, von denen ein Paar über dem Bleiklotz hing, das andere unter ihm an
langen Stangen, die durch Kanäle im Bleiklotz gingen. Wird ein Gewicht auf eine
obere Wageschale gesetzt, so wird es sowohl durch die Anziehungskraft der Erde als
auch durch die des Bleiklotzes nach unten gezogen; auf ein Gewichtsstück in einer
unteren Schale wirken Erde und Bleiklotz in entgegengesetzter Richtung. Um die hier
sehr einflussreichen Wägefehler auszugleichen,
wurden jahrelange Reihen von Messungen angestellt und dabei die Lage der zu wägenden
Massen auf alle mögliche Weise gewechselt.
Um äussere Störungen auszuschliessen, wurden die Beobachtungen in einer Kasematte der
Spandauer Zitadelle vorgenommen und die Wage samt Bleiklotz in einen Kasten mit
doppelten Zinkblechwänden eingeschlossen. Alle Handgriffe an der Wage wurden aus der
Ferne vorgenommen.
Solche genauen Messungen sind ein unsäglich mühsamer Kampf mit kleinen Fehlern der
Instrumente und der Beobachtung. Bei den obigen Untersuchungen war z.B. nach
Fortnahme der Gewichte noch lange eine Nachwirkung der Belastung auf die Wage zu
spüren. Die Beleuchtung der Skala störte, da die auf den Spiegel am Wagebalken
fallenden Strahlen ungleichmässige Erwärmung des Balkens verursachten, so dass das
Licht abgeblendet und nur für die Ablesungen enthüllt wurde.
Erschütterungen sind natürlich einer solchen Wage, insbesondere den feinen
Schneiden äusserst schädlich; man setzt sie deshalb auf einen gesondert
aufgemauerten Pfeiler.
Bei den Spandauer Messungen ergab sich auch eine deutliche Abnahme der
Empfindlichkeit mit steigender Temperatur. Als ihr Grund wurde ermittelt, dass die
Oberseite und die Unterseite des Balkens durch die Wärme verschieden ausgedehnt
wurden, so dass bei steigender Temperatur der Balken gekrümmt und sein Schwerpunkt
gesenkt wurde. Die eine Seite ist vermutlich bei der Herstellung des Balkens
stärkerem Drucke ausgesetzt worden.
Aus diesen emsigen Messungen ergab sich mit der „Gravitationskonstante“ auch
ein neuer Wert für die mittlere Dichte der Erde, nämlich 5,505 ± 0,009. Er bestätigt
das auffällige Ergebnis früherer Beobachtungen, dass die Dichte der Erde bedeutend
grösser ist als die Dichte der Gesteine, die in dem uns zugänglichen Teil ihrer
Kruste vorherrschen. Da bei festen und flüssigen Körpern durch hohen Druck das
Volumen nur unwesentlich verkleinert wird, so könnte man vermuten, dass im Erdinnern
riesige Massen geschmolzener Schwermetalle liegen.
Auch für chemische Zwecke sind solche haarspaltenden Messungen nötig geworden. Landolt, der bekannte Professor der Chemie an der
Berliner Universität, fand, als er Lösungen von schwefelsaurem Silber und von
Eisenvitriol aufeinander einwirken liess, trotz aller Vorsichtsmaassregeln eine
unzweideutige Gewichtsänderung von 0,13 bis 0,17 Milligramm. Auch einige andere
Forscher fanden in gewissen Fällen sehr kleine Gewichtsänderungen der gesamten
chemisch aufeinander einwirkenden Massen, die nicht durch Beobachtungsfehler zu
erklären waren.
Da nun solche Wahrnehmungen mit dem Grundgesetz der Chemie von der Unveränderlichkeit
der Masse sich nicht ohne unsichere Hilfsannahmen vereinigen lassen, so sind
zahlreiche äusserst genaue Messungen solcher fraglichen Vorgänge nötig, bevor
weitere theoretische Folgerungen gezogen werden dürfen.
Zur Fortführung dieser Arbeit hat sich Landolt eine
besonders geeignete Wage von Rueprecht herstellen
lassen. Bei dieser Wage ist der Gewichtsunterschied zwischen zwei etwa 500 g
schweren, gleichen Raum einnehmenden (um den Einfluss des Auftriebes in der Luft
auszuschalten) zugeschmolzenen Glasgefässen (in deren einem die chemische Umsetzung
vollzogen wird, während das andere zum Vergleich dient), aus drei bis vier
Einzelwägungen auf einige Tausendstel Milligramme sicher zu bestimmen. Der
Beobachter sitzt drei Meter von der Wage entfernt. Fig.
34 und 35 zeigen die Einrichtung einer
solchen Wage, des Gestänges und der Ablesevorrichtung.
Auf eine Wage von ähnlicher Empfindlichkeit, die Bunge
auf die Pariser Weltausstellung schickte, singt Professor Dziobek in seinem Berichte „Ueber den heutigen Stand der
Präzisionstechnik ein begeistertes LobliedMitteilungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbefleisses, 1900, S. 298.:
„Mit unheimlichem Scharfsinn sind hier alle Teile ausgebildet, so dass die Wage
ihre Funktionen verrichtet, als ob sie Leben und Seele hätte und wüsste, was von
ihr erwartet wird.“
Um die Tatsache, dass bei einer solchen Wage der mittlere Fehler einer Wägung
unter ein Hundertstel Milligramm bleibt und bei Verrechnung einer Reihe von
Wägungen eine Genauigkeit von zwei Tausendstel Milligramm erreicht wird, in das
rechte Licht zu setzen, macht Dziobek die Annahme,
dass ein Gewichtsstück von zwei Kilogramm mit zwei Gewichtsstücken von je ein
Kilogramm und vier Zentimeter Höhe zu vergleichen war und dass bei einer ersten
Reihe von vollständigen Wägungen die beiden 1 Kilogrammgewichte nebeneinander,
bei einer zweiten Reihe dagegen übereinander auf die Wageschale gestellt worden
seien. Dann muss diese Kontrollwägung die Summe der beiden Kilogrammgewichte,
verglichen mit dem Gewichte des 2 Kilogrammstückes etwas geringer angeben, weil
– es klingt lächerlich, ist aber durchaus richtig – das obere Kilogrammstück
etwas weiter vom Erdmittelpunkt entfernt war und daher etwas weniger wog. Wer
dies „weniger“ berechnen kann, wird es etwa gleich ein Hundertstel
Milligramm finden, und wenn, wie gesagt, eine Genauigkeit von zwei Tausendstel
Milligramm erzielt wird, so muss es eben durch die Wägungen angezeigt
werden“.
Schliesslich möchte ich noch eine besondere Einrichtung erwähnen, mit der Rueprecht eine gute Analysenwage ausgerüstet hat, um
sie zur Wägung von Gasen besonders geeignet zu machen. Wegen des geringen Gewichtes
der Gase muss man grosse Volumina wägen und zur Ausschaltung des Auftriebes zwei
gleichgrosse Glasballons an die Wageschalen hängen. Die in Fig. 36 dargestellte Wage hat 1 kg Tragkraft und besitzteine
besonders gestaltete Arretiervorrichtung – Durchwiegevorrichtung –, die es gestattet, Drähte oder Zwischengehänge
durch den Boden des Wagekastens und durch die Schalenarretierung an der Unterseite
der Wageschale aufzuhängen; diese Drähte tragen die Glaskugeln. Die Oeffnungen im
Boden des Wagengehäuses und des Tisches sind soweit abgedichtet, dass keine
Luftströmung die Schwingungen der Wage stören kann.
Wie wir sehen, stellt uns an guten Wagen für alle Zwecke und alle möglichen Ansprüche
die deutsche Feinmechanik heute eine reiche Auswahl zur Schau; sie ist stets bemüht,
zu verfeinern und zu verbessern, soweit es überhaupt in der Macht des Menschen
steht.
Eine gute Wage muss aber auf das peinlichste gehütet und möglichst wenig berührt
werden. Ein geschickter Beobachter wird auch auf einer billigen Wage recht genau
wägen können; in unkundiger, schwerer Hand leistet die beste Wage nichts gescheutes.
Leider wird bei der Behandlung oft viel gesündigt, besonders wird durch
unvorsichtiges Arretieren die arme Wage manchmal so gestossen, dass es dem
teilnahmsvollen Zuschauer in der Seele weh tut. Solch rohes Verfahren stelle ich
fast auf eine Stufe mit Tierquälerei.
Charlottenburg.
Dr. Kurt Arndt.