Titel: | Einiges über den Einfluss der Wärmebehandlung auf die Festigkeitseigenschalten von weissem Eisen. |
Autor: | A. Kessner |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 383 |
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Einiges über den Einfluss der Wärmebehandlung auf
die Festigkeitseigenschalten von weissem Eisen.
Von A. Kessner,
Charlottenburg.
Einiges über den Einfluss der Wärmebehandlung auf die
Festigkeitseigenschaften von weissem Eisen.
In den Werken von Whitney and Sons in
Philadelphia bemerkte man im Jahre 1882 bei der
Herstellung von Eisenbahnrädern in Hartguss, dass die in einer Charge gegossenen
Räder wesentliche Verschiedenheiten unter einander zeigten.The Foundry. März 1903. Man
untersuchte zuerst die Veränderungen, die mit den einzelnen Gusstücken beim Glühen
in Ausgleichgruben vorgegangen waren. Die Härte der abgeschreckten Lauffläche des
Rades wurde wie gewöhnlich dadurch geprüft, dass man mit einem Kaltmeissel das Rad
an denjenigen Stellen zu bearbeiten versuchte, wo die Lauffläche in den Spurkranz
übergeht. Hierbei fand man eine Anzahl Güsse, bei denen das Material des Kranzes
stellenweise über die ganze Breite der Lauffläche hinweg weich war, während an
anderen Stellen das abgeschreckte Metall so hart war, dass der Meissel darüber
hinweg glitt, ohne einzuschneiden. Um diese eigenartige Erscheinung näher zu
untersuchen, wurden die Räder an den weichen Stellen gebrochen. Die Bruchflächen
liessen erkennen, dass das weisse Eisen vollständig in graues übergegangen war.
Diese Veränderung trat nicht in allen Gusstücken gleichmässig deutlich hervor und
die weichen Stellen waren abwechselnd grösser oder kleiner. In allen Fällen war
jedoch die Begrenzung zwischen Weiss- und Graueisen scharf gekennzeichnet.
Die Entstehungsursache der Fehlgüsse wurde nun in folgendem gefunden: In dem Werke,
wo diese Räder gegossen waren, wurden die Ausgleichgruben mittels Steinkohlenfeuer
bis kurz vor dem Einsetzen der Gusstücke leicht vorgewärmt.Durch irgend ein
Versehen war hierbei die Klappe, welche den Zutritt der Heizgase nach der Grube
absperren sollte, nicht dicht geschlossen worden, so dass die soeben eingebrachten,
noch rotwarmen Räder an einigen Stellen nochmals eine Temperatursteigerung erfuhren,
wodurch das weisse Eisen in graues umgewandelt wurde.
Nun wurden für die Analyse Bohrspähne, sowohl von den weichen, als auch von den
anderen Teilen der abgeschreckten Lauffläche genommen, und zwar möglichst von allen
Rädern, die in einer Charge gegossen waren. Ebenso untersuchte man einige Proben aus
dem Giesslöffel. Die Analysen ergaben, dass das Eisen von normaler Zusammensetzung
war, und dass die einzige Veränderung, die das Metall an den weichgewordenen Stellen
erfahren hatte, in der Form des Kohlenstoffs lag. Dieser war vom „gebundenen“
Zustand in den „freien“ übergegangen, und man konnte annehmen, dass der
Kohlenstoff im vorliegenden Falle sich nicht in dem gleichen Zustand befand, wie
sonst unter gewöhnlichen Umständen im grauen Eisen.
Bestimmungen des spezifischen Gewichtes zeigten, dass das graue Gusseisen, welches
von der zufälligen Glühung des Weisseisens herrührte, in der Dichtheit wesentlich
von dem normalen Graueisen, das sich an den nicht abgeschreckten Teilen desselben
Gusstücks vorfand, verschieden war. Das spezifische Gewicht des ersteren betrug etwa
7,8, während man für normales Graueisen etwa 7,2 annehmen kann. Ferner war der
Bruch, des durch Glühen grau gewordenen Eisens, viel feinkörniger als beim normalen
Graueisen und die Bohrspähne des ersteren unterschieden sich in Gestalt und Aussehen
stark von den
Spähnen des mit demselben Bohrer bearbeiteten normalen Graueisens.
Obgleich diese zufällige Entdeckung vom Tempern des Weisseisens an den Laufflächen
der Eisenbahnräder zu jener Zeit wohl als eine interessante Neuheit angesehen wurde,
schenkte man ihr dennoch keine weitere Beachtung. Man war im Gegenteil darauf
bedacht, eine Wiederholung dieser Veränderung in den Ausgleichgruben nach
Möglichkeit zu verhindern.
Erst nach Verlauf einiger Jahre versuchte man diese Erscheinung wissenschaftlich zu
erklären und übersandte zu diesem Zweck Herrn A. E.
Outerbridge in Philadelphia eine Anzahl Aexte, und andere schneidende
Werkzeuge, welche in Weisseisen gegossen waren, aber ein Material zeigten, das viele
Eigenschaften mit Stahl gemeinsam hatte.
Outerbridge glühte das Weisseisen in einer Muffel, die
mit einer „chemischen Verbindung“ beschickt war, (gewöhnliches Kochsalz und
Salzsäure waren zwei Bestandteile dieses Zusatzes), von der er annahm, dass sie die
Umwandlung des Gusseisens in Stahl bewirken sollte.
Die Aehnlichkeit zwischen dem hierbei und bei der zufälligen Ueberhitzung der
Eisenbahnräder, von denen eingangs die Rede war, erhaltenen Material, führten zu der
Annahme, dass die zugesetzte chemische Verbindung wahrscheinlich überflüssig sei und
dass das Geheimnis der ganzen Umwandlung nur allein in der Wärmebehandlung zu suchen
sei.
Die Umwandlung des Weisseisens in dichtes Graueisen von hoher Festigkeit die
derjenigen gewisser Stahlsorten annähernd gleichkommt, wurde dann schnell allgemein
bekannt. Die Gussstücke liessen sich härten und nahmen eine scharfe Schneide an. Man
konnte sie nicht zu den Stahlgüssen zählen, obgleich sie verschiedentlich unter
diesem Namen in den Handel gelangten und ebenso wenig sind sie als schmiedbares
Eisen zu betrachten; sie bilden vielmehr eine eigenartige Mittelstufe zwischen
Gusseisen und Stahlguss.
Schon bei seinen ersten Versuchen fand Outerbridge
grosse Verschiedenheiten im Verhalten des Weisseisens. Einige Stücke blieben weiss
und hart, trotzdem sie mehrere Tage in den Ausgleichgruben bis zu den höchsten
Temperaturen, kurz vor dem Schmelzpunkt, geglüht wurden, während andere Stücke von
denselben Abmessungen innerhalb weniger Stunden bei verhältnismässig niedrigen
Temperaturen vollständig in graues Gusseisen umgewandelt wurden. Der Grund hierfür
ist lediglich in dem Siliziumgehalt zu suchen. Diejenigen Gusstücke, welche nur
Bruchteile von 1 v. H. Silizium enthielten, konnten nicht mit Erfolg der
Wärmebehandlung ausgesetzt werden, denn bei ihnen fand selbst durch lang anhaltendes
Glühen bei sehr hohen Hitzegraden nur eine ganz geringe Umwandlung des gebundenen
Kohlenstoffs in freien Kohlenstoff statt. Zwei Weisseisenstangen von etwa 50 mm
Durchmesser und 300 mm Länge wurden in derselben Glühgrube acht Stunden lang
erhitzt. Die eine Stange mit etwa 0,15 v. H. Silizium war in Sand gegossen, die
ändere hingegen mit 1,25 v. H. Silizium musste, um weisses Eisen zu erhalten, in der
Kokille gegossen werden. Beide fangen waren vor dem Glühen gleichmässig hart und
spröde, und zeigten vollständig weissen Bruch; ein leichter Schlag mit dem
Handhammer genügte, um sie zu zerbrechen. Nach achtsündigem Glühen bei hoher
Temperatur und darauffolgendem Abkühlen in der Luft zeigte der Stab mit 0,15 v. H.
Silizium ein unverändertes Bruchaussehen, während der Stab mit 1,25 v. H. Silizium
fast grau geworden war. Letzterer war weich und so dehnbar, dass ein Stück davon
unter dem Dampfhammer kalt gestreckt werden konnte. Die Stangen wurden dann wieder
den Glühofen gebracht, hier sechs Stunden lang einer weiteren Wärmebehandlung
ausgesetzt und abgekühlt wie vordem. An dem Stab mit 0,15 v. H. Silizium zeigte sich
keine merkliche Veränderung, während der andere vollständig in Graueisen mit
gleichmässigem, feinkörnigem Bruch von dunkelgrauer Farbe gewandelt war. Dieser Stab
wurde auf einen Durchmesser von etwa 29 mm abgedreht und zeigte nur. eine
Zugfestigkeit von 33,6 kg/qmm. – Die Dehnung wurde nicht gemessen; siewar
nur sehr klein. Viele ähnliche Versuche lieferten mit Stäben von verschiedenen
Querschnitten durchschnittlich Zugfestigkeiten von 28 bis 35 kg/qmm.
Andere interessante Versuche ähnlicher Art veröffentlichte Ch. James in der Sektion Bergbau- und Hüttenkunde des Kongresses des Franklin Institutes 1897. Er benutzte weisses Eisen mit
etwa 2,4 v. H. gebundenen Kohlenstoff und 0,4 v. H. Temperkohle. Die Gusstücke
wurden in einem kräftigem Oxydationsmittel 5 bis 6 Stunden lang bei einer bis dicht
an den Schmelzpunkt heranreichenden Temperatur geglüht. Das so erhaltene Material
liess sich schmieden und härten und zeigte nach dem Glühen eine bedeutende Zunahme
der Festigkeit. Der Gesamtkohlenstoffgehalt schien derselbe geblieben zu sein wie in
dem nicht geglühten Material, jedoch war der gebundene Kohlenstoff der Hauptsache
nach in einen fein verteilten graphitischen übergegangen. Eine Erklärung dieser
Aenderung der Kohlenstofform und der Eigenschaften des Materials ist dann von LedeburLedebur, Handbuch der Eisen- und
Stahlgiesserei. gefunden worden. Er erkannte ebenfalls, dass der
Kohlenstoffgehalt des weissen Roheisens durch anhaltendes Glühen in Temperkohle, das
ist eine dem Graphit ähnliche Kohlenstofform, umgewandelt wurde. Das Eisen verliert
dabei an Härte, wird leichter bearbeitbar, aber ohne weiteres noch nicht schmiedbar.
Findet jedoch während des Glühens eine Berührung mit sauerstoffabgebenden Körpern
statt, so verbrennt die entstandene Temperkohle zu Kohlenoxyd, welches entweicht,
und das Eisen wird kohlenstoffärmer, schliesslich schmiedbar. Ob nun auch die
ursprünglichen Kohlenstofformen, Härtungs- und Karbidkohle, unmittelbar verbrennen
können, oder ob sie stets zuvor in Temperkohle umgewandelt werden müssen, ist bisher
noch nicht mit Sicherheit ermittelt, jedoch hat die letztere Annahme hierfür die
grösste Wahrscheinlichkeit.Ledebur, Eisenhüttenkunde. 3. Aufl. S.
1014. Die Tatsache nun, dass Gusstücke durch die einfache
Oberflächenberührung mit dem Oxydationsmittel bei langer Glühdauer auch in den
inneren Teilen ihres Querschnitts entkohlt werden können, findet ihre Erklärung in
einer Kohlenstoffwanderung.Ledebur, Eisenhüttenkunde. 3. Aufl. S.
1027. Sobald an der Oberfläche Kohlenstoff verbrennt, fliesst von
innen her Kohlenstoff nach, der von Molekül zu Molekül fortwandert, um den Ausgleich
herzustellen. Die erforderliche Zeitdauer für die Entkohlung wächst folglich mit der
Dicke des Querschnitts.
Diese Entkohlung des Roheisens, unter Anwendung vom Oxydationsmitteln, nennt man
„Glühfrischen“. Häufig ist es früher mit dem einfachen Weichmachen des
Roheisens, besonders des durch rasche Abkühlung hart gewordenen Roheisens, durch
Ausglühen ohne Entkohlung verwechselt worden, und daher
wird die hierfür seit altersher übliche Benennung Tempern mitunter auch
fälschlicherweise für das entkohlende Glühen bei der Darstellung schmiedbaren Gusses
benutzt.
Ferner veröffentlichte JamesJournal of the Franklin Institute, Sept.
1900. wenige Jahre später seine längere Zeit in der Praxis
gesammelten Erfahrungen über diese Glühprozesse, die wohl von allgemeinem Interesse
sein dürften. Er benutzte für die Wärmebehandlung ein Material von folgender
Zusammensetzung:
Gebundener
Kohlenstoff.
Temperkohle.
Si.
Mn.
P.
S.
Weisseisen:
3,50
0,50
0,50
0,20
0,08
0,08
Graueisen:
0,50
3,50
1,30
0,30
0,03
0,02
Die Gattierung wurde so gewählt, dass der Siliziumgehalt der einzelnen Sätze 0,90 bis
1,2 v. H. betrug.
Die durchschnittliche Zusammensetzung einer solchen Charge war.
Kohlenstoff
3,40 – 3,80
v.
H.
Silizium
0,90 – 1,20
„
„
Mangan
0,35 – 0,20
„
„
Phosphor
0,04 – 0,03
„
„
Schwefel
0,05 – 0,04
„
„
Das Einschmelzen geschah gewöhnlich in einem Flammofen, bisweilen auch in einem
Kupolofen. Die meisten Gusstücke zeigten dann etwa folgende Zusammensetzung:
Gebundener Kohlenstoff.
Temperkohle.
Si
Mn.
P.
S.
3,02
0,47
0,78
0,12
0,04
0,05
Die Temperatur, bei welcher die Kohlenstoffveränderung in den Ausgleichgruben
stattfand, lag zwischen dem Schmelzpunkt des Silbers und Kupfers und betrug etwa
1000° Celsius. Die Kohlenstoffveränderung selbst hatte in den Gusstücken, welche dem
Glühprozess unterworfen waren, zwar allmählich aber doch vollkommen gleichmässig
stattgefunden, wie Bruchstücke deutlich erkennen liessen. Kein harter Kern, etwa
Weisseisen, welches von weichem Metall umgeben wäre, ist je in den Probestücken
bemerkt worden.
Diese vollkommene Uebereinstimmung der Beobachtungen von James mit denen von Outerbridge bilden gewiss
eine interessante und wichtige Tatsache.
Folgende Analysen von James, die vor und nach dem
Glüh-Prozess angestellt wurden, zeigen ebenfalls deutlich, dass die
Kohlenstoffveränderung nur eine Folge der Wärmebehandlung sein kann.
Gebundener Kohlenstoff.
Temperkohle
Si.
Mn.
P.
S.
Vor dem Glühen
2,60
0,72
0,71
0,110
0,39
0,45
Nach dem Glühen
0,82
2,75
0,73
0,108
0,39
0,40
Allerdings spielt dabei die Gegenwart des Siliziums eine bedeutende Rolle. Ist das
Eisen arm an Silizium, so ist es sehr schwierig, in vielen Fällen sogar, auch bei
noch so langer Dauer des Glühprozesses, durchaus unmöglich, eine
Kohlenstoffveränderung zu erzielen.
An dieser Stelle möge auch ein Fall aus der Praxis Erwähnung finden, der sich
besonders bei der Verwendung der Hartgussräder oft wiederholt. Es ist wohl bekannt,
dass Räder, welche annähernd dieselbe Tiefe der Abschreckung an ihren Laufflächen
zeigen, sich trotzdem beim Gebrauch sehr verschieden abnutzen. Einige behalten ihre
harte Oberfläche, bis dass der weisse Kranz rings herum abgenutzt ist, während
andere sehr schnell weiche Stellen zeigen; wodurch eine
Ausserbetriebsetzungdieser oft noch neuen Räder veranlasst wird. Die Tatsache
lässt sich folgendermaassen erklären.
Durch das Bremsen werden die Laufflächen der Räder stark erwärmt, und es ist nach den
vorhergehenden Betrachtungen nicht unwahrscheinlich, dass dadurch eine nachträgliche
Glühung des abgeschreckten weissen Eisens am Kranze bewirkt wird, vorausgesetzt,
dass der Siliziumgehalt grösser als 0,7 v. H. ist. Durch diese Wärmebehandlung wird
die Form des Kohlenstoffs wieder bis zu einem gewissen Grade geändert und die
abgeschreckten Laufflächen werden dadurch oft viel weicher, als wenn das Eisen
anfänglich weniger Silizium enthalten hätte.
Von Charpy und Grevet sind
nun folgende Schlussfolgerungen, die tatsächlich als Gesetz gelten können,
aufgestellt worden:
1. Die Temperatur, bei welcher der Graphit sich auszuscheiden
beginnt, liegt um so niedriger, je höher der Siliziumgehalt des Eisen
ist.
2. Nachdem die Ausscheidung von Graphit einmal begonnen hat,
setzt sie sich auch fort bei Temperaturen, die unterhalb der Temperatur liegt,
die zur Einleitung der Reaktion nötig war.
3. Bei gleichbleibender Hitze geht die Ausscheidung von Graphit
um so langsamer von statten, je niedriger die Temperatur und je geringer der
Siliziumgehalt ist.
3. Die Menge des gebundenen Kohlenstoffs, welche bei einer
bestimmten Temperatur dem Gleichgewichtszustand entspricht, vermindert sich,
wenn der Siliziumgehalt wächst.
Die Wärmebehandlung veranlasst nun – bei richtiger Zusammensetzung des Materials –
ausser der Aenderung der Kohlenstofform, auch eine erhebliche Aenderung des Gefüges.
Durch das Ausglühen erhält das Gusstück ein gleichmässig feinkörniges Gefüge und
sowohl seine Festigkeit als auch Zähigkeit werden wesentlich erhöht.