Titel: | Die Weltausstellung in St. Louis 1904. |
Autor: | Georg v. Hanffstengel |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 402 |
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Die Weltausstellung in St.
Louis 1904.
Vorbericht. Von Georg v. Hanffstengel,
New York.
Die Weltausstellung in St. Louis 1904.
Es ist bekanntlich ungemein schwer, den richtigen Nutzen von einer Ausstellung
zu ziehen. Dazu gehört besondere Veranlagung, vor allem ist rasche und nicht
ermüdende Auffassungsgabe nötig, sowie die Fähigkeit, aus der Masse das Wesentliche
herauszufinden. Am leichtesten erreicht seinen Zweck der eigentliche Fachmann, der
nur studieren will, was in seiner Spezialität Neues geleistet wird. Der jüngere
Techniker hingegen, der noch nicht in ein eng begrenztes Fach hineingeraten ist,
steht leicht vollkommen ratlos da vor der Fülle der Erscheinungen. Er darf sich
nicht zu sehr in Einzelheiten vergraben – sonst bringt er nichts nach Hause als eine
unbestimmte Erinnerung an Springbrunnen und Feuerwerke und vielleicht die nie
verwertbare Skizze einer neuen Fräsmaschine. Er wird sich selbst und der heimischen
Industrie einen bessern dienst erweisen, wenn er sichs in erster Linie angelegen
sein lässt, seinen Gesichtskreis zu erweitern und beim besuch der Ausstellung in St.
Louis einen Begriff zu bekommen von den Grundlagen, auf denen die amerikanischen
Industrie sich aufgebaut hat. Mit anderen Worten, er sollte versuchen, die
natürlichen Bedingungen ihrer eigenartigen Entwicklung kennen zu lernen, die
Umstände zu studieren, die sie fördern und zurückhalten, vor allem aber einen
Einblick zu bekommen in die inneren geistigen Triebhafte, die hier am Werke
sind.
Wenn ein Mensch die Ueberlegenheit eines anderen in gewissen Dingen anerkennen muss,
so regt sich in ihm naturgemäss der Wunsch, von diesem zu lernen. Er würde aber
verkehrt daran tun, den andern zu beobachten und seine guten Eigenschaften
nachzuahmen. Dabei kommt nur lächerliches Flickwerk heraus. Er muss vielmehr den
Verkehr des Betreffenden suchen und sich Mühe geben, in seine Anschauungsweise
einzudringen. Dann ergibt sich eine Beeinflussung von selbst. Genau so ist es mit
Völkern. „Das Gute von den Amerikanern annehmen, das Schlechte fortlassen“ –
das ist ein billiger Rat, der denselben Erfolg haben wird, wie etwa der Versuch,
griechischen Baustil in eine moderne Grossstadt zu verpflanzen. Verstehen und aus
dem Verstehen heraus etwas Neues schaffen, das ist der Gedanke, mit dem man an alles
Fremde herantreten muss, und das ist eine Aufgabe, die das deutsche Volk zu seinem
Glücke schon unzählige Male gelöst hat. Die Deutschen haben vor den meisten Völkern
der Erde die Fähigkeit voraus, fremde Einflüsse aufzunehmen und zu etwas Eigenem zu
verarbeiten. Diese so oft gescholtene Eindrucksfähigkeit hat dem deutschen Volk
seine Jugend erhalten. Eine Nation, die nur noch sich selbst kennt, wird alt.
Es ist sehr schwer, ein Volk kennen zu lernen, und schiefe Urteile über Amerika,
durch Zufälligkeiten hervorgerufen, sind daher ausserordentlich häufig. Die
folgenden Zeilen sollen den Karakter des amerikanischen Volkes sowie die Zustände,
soweit sie für den Techniker Interesse haben, kurz beleuchten und mögen nützlich
sein, einerseits den Besucher vor vorschnellem Urteil zu behüten, andererseits ihm
eine Anleitung zu eigenem Lernen zu geben, sie sollen dieses aber keineswegs
ersetzen. Es sei ausdrücklich bemerkt, dass, wenn der Kürze wegen von „dem
Amerikaner“ gesprochen wird, damit nur der typische Amerikaner gemeint ist.
Selbstverständlich aber vereinigt nicht jeder Bewohner dieses von fremden, noch
nicht assimilierten Elementen durchsetzten Landes in sich alle diese typischen
Eigenschaften, und der flüchtige Besucher mag vielleicht finden, dass die
Erfahrungen, die er zufällig macht, keineswegs mit den folgenden Ausführungen
übereinstimmen.
Karakteristisch für amerikanische Auffassungsweise ist das Zurücktreten des
Berufslebens. Es gibt zwar eine englische Uebersetzung für das Wort „Beruf“,
dieselbe wird indessen nie angewandt und immer durch „Geschäft“ ersetzt. Der
Amerikaner ordnet sich nicht seiner Tätigkeit unter, indem er sich ihr hingibt und
in ihr seine Lebensaufgabe erblickt, sondern er stellt sich über sie und benutzt sie
nur als Mittel zum Zweck, der fast ausnahmslos im „Geldmachen“ besteht. Es
ist damit nicht gesagt, dass persönliche Neigung keinen Einfluss auf die Wahl der
Tätigkeit hätte, ist es doch natürlich, dass jeder eine Vorliebe für diejenige
Arbeit fasst, mit Hilfe deren er seine Fähigkeiten am nutzbringendsten verwerten
kann. Für ein „Geschäft, in dem kein Geld ist“, wird sich jedoch der junge
Amerikaner schwerlich begeistern, und er wird sich selten bedenken, eine Tätigkeit,
die sich nicht mehr bezahlt, gegen eine andere, von der ersten oft sehr
verschiedene, umzutauschen. Trotz der ungeheuren Ertragsfähigkeit des Landes gibt es
keine eigentlichen produktiven Stände in unserm Sinne, denn Produktion ist in
Amerika nie Selbstzweck, sie ist nur ein Teil eines Geschäftsunternehmens und erhält
darin die ihr gebührende Stellung zugewiesen. Nicht nur bei dem amerikanischen
Volke, sondern bei der angelsächsischen Rasse überhaupt ist die Fähigkeit hoch
entwickelt, das Einzelne als Glied eines Ganzen zu nehmen und ihm unterzuordnen.
Diesem Organisationstalent hat England seine kolonialen Erfolge, haben die
Vereinigten Staaten ihre Existenz und ihre Blüte zu danken.
Der Amerikaner ist durch und durch Geschäftsmann mit allen guten und
schlechten Eigenschaften eines solchen. Er weiss seinen Vorteil mit Sicherheit
wahrzunehmen und rücksichtslos durchzusetzen, ist aber entgegenkommend im Verkehr,
erkennt bei seinen Mitmenschen das gleiche egoistische Streben vollkommen an und
erwartet von ihnen nur, dass sie ihn in Verfolgung seiner Ziele nicht zwecklos
hindern. Er weiss mit grossen Zahlen zu rechhnen undhat einen vorurteilslosen,
weiten Blick, dem kleinliche Krittelei fern liegt. Seine Ware bietet er mit sehr
viel Ruhmredigkeit an, hat aber zu viel Ehrgefühl und zu viel Verstand, um sich
einem zurückhaltenden Käufer aufzudrängen. Kenntnisseund Nachdenken sind dem
Amerikaner in allererster Linie Mittel zum Geldverdienen, und er ist daher in der
Regel ziemlich oberflächlich.
Durch das amerikanische Volk geht ein Zug zum Grossen, während in dem engen Europa
der Blick naturgemäss schneller seine Grenzen findet. Das zeigt sich in den
verschiedensten Formen. Der Deutsche kann ausserordentlich erregt werden über ein
kleines Unrecht, das ihm geschieht. Der Amerikaner fragt sich zuerst nach der Grösse
des Schadens, und wenn derselbe sich als unbedeutend erweist, so geht er mit einem
Scherz darüber hinweg. Das erleichtert den geschäftlichen Verkehr ganz
ausserordentlich. Handelt es sich um wesentliche Nachteile, so wird er die nötigen
Gegenschritte tun, aber ohne sich zu erregen. Er ist ein Meister sachlicher
Denkweise, die persönliche Auffassung, die der Deutsche allem entgegenbringt, was
ihn berührt, kennt er nicht. In der Technik zeigt sich die Neigung zum Grossen sehr
deutlich, schon in der Ausdrucksweise. Was in Deutschland den Namen „Anlage“
erhält, bezeichnet man hier sehr häufig einfach als „Maschine“. Durchweg wird
mit höheren Einheiten gerechnet.
Eine so liebevolle Sorgfalt, wie sie der deutsche Ingenieur seinen Erzeugnissen
widmet, kann dabei nicht bestehen. Der Deutsche möchte am liebsten jede Maschine so
bauen, dass sie unbegrenzte Lebensdauer hat. Der maerikanische Käufer würde dem
nicht viel Verständnis entgegenbringen. Er kauft seine Maschinen so billig wie
möglich, wenn er nur sicher ist, dass sie eine gewisse Anzahl von Jahren ihren
Dienst tun. Denn wie lange er überhaupt Verwendung dafür hat, das ist bei der
schnellen Entwicklung dieses jungen Landes schwer vorauszusehen. Vielleicht ist auch
in einigen Jahren die betreffende Bauart schon überholt. Die grosse Verbreitung von
Holzkonstruktionen in Amerika erklärt sich vor allem hieraus, nicht nur aus dem
relativ geringeren Preise des Holzes. Auf allen Gebieten spielt der Verbrauch eine
ungleich stärkere Rolle als in Europa.
Dass die wissenschaftlich berufmässige Auffassung der deutschen Industrie grosse
Vorteile bringt, ist leicht nachzuweisen. Es zeigt sich z.B. beim Bau von
Kraftmaschinen. Den amerikanischen Schulen wird es schwer möglich sein,
wissenschaftlichen Geist zu pflanzen, solange sich nicht die Masse der Gebildeten
anders stellt. Für reine Wissenschaft ohne sichere kommerzielle Vorteile hat ein
junger Mann hier sehr selten Verständnis.
Andererseits ist die rein geschäftliche Auffassung für den Fortschritt der Technik in
Amerika ausserordentlich fördernd. In Deutschland wird mancher Fabrikant durch einen
gewissen Stolz daran gehindert, seine Artikel als veraltet anzuerkennen und sich
nach Neuem umzusehen. Wenige Amerikaner werden sich durch solche Pietätsgründe
zurückhalten lassen. Wenn der einzelne schon seinen Beruf, oder, besser gesagt,
seine Beschäftigung in der vorurteilslosesten Weise wechselt, so muss ihm ein
Wechsel in einem beliebigen Handelsartikel noch viel leichter fallen. Gegenstände,
die zum erstenmale auf den Markt kommen, werden trotz des Risikos entschieden
bevorzugt, da Nachahmungen vorhandener Artikel seltengrossen Gewinn
versprechen, und an kleinem Gewinn ist dem Amerikaner nicht gelegen. Dadurch wird es
dem Erfinder leichter, seine neuen Ideen zu verwirklichen. Eine weitere Folge ist,
dass die Konkurrenz nicht so scharf auftritt, wie in Deutschland. Sie mag auch
dadurch eingeschränkt werden, dass es tüchtige Maschineningenieure in unserem Sinne
hier noch wenige gibt und daher alle Konstruktionen einer breiteren
Erfahrungsgrundlage bedürfen, so dass der Vorsprung, den eine Firma gewonnen hat,
nicht leicht eingeholt wird.
Eine so weit gehende Spezialisierung, wie man in Deutschland gewöhnlich annimmt,
herrscht übrigens in den amerikanischen Maschinenfabriken, wenigstens in den
grösseren Werken, nicht. Denn diese sind, nachdem ihre ursprünglichen Patente
abgelaufen oder überholt sind, in der Regel gezwungen, ihre Fabrikation zu erweitern
und minder lohnende Gegenstände aufzunehmen, damit die Werkstatt beschäftigt
bleibt.
Immerhin bleibt der Unterschied zwischen beiden Ländern beträchtlich. Die Arbeit des
Ingenieurs trennt sich in Amerika viel schärfer von der Fabrikation und wird, weil
sie die Maschinen teuer macht, überhaupt so weit wie möglich beschnitten. In allen
Fällen, die nicht speziellen Entwurf unbedingt verlangen, wird normale Maschinerie
verwandt und vom Ingenieur nur auf den richtigen Platz gesetzt und zum
Zusammenarbeiten gebracht. Die Zeichenarbeit, die sich vielfach, z.B. bei
Eisenkonstruktionen, nicht einschränken lässt, wird dadurch verbilligt, dass man den
„draftsman“„Zeichner“
ist eine wörtliche, aber nicht sinngemässe Uebersetzung von
„draftsman“. Unter diesem Namen werden vielmehr alle mit der
Anfertigung von Zeichnungen beschäftigen Personen, also auch selbständig
arbeitende Ingenieure sammengefasst. zum maschinenmässigen
Routinearbeiter heranzieht, der in seinem eng begrenzten Felde schnell und
zuverlässig arbeitet. Sonst wird aber an der Herstellung der Zeichnungen nicht
gespart, denn der geschäftsmännische Blick des Amerikaners hat längst erkannt, dass
ein Mehraufwand für korrekte Zeichnungen sich durch schnellere und bessere
Werkstattarbeit reichlich bezahlt macht. Daher wird jede vom draftsman abgelieferte
Zeichnung, ehe sie in die Werkstatt kommt von einem eigens dafür angestellten, gut
bezahlten Mann sorgfältig nachgeprüft.
Die Organisation „technischer Geschäfte“Im
Englischen: „engineering companies“. – dieser Ausdruck
trifft, wenn die Bureaus einbezogen werden sollen, besser zu, als
„Maschinenfabriken“ – ist bei guten Firmen vorzüglich durchdacht und
derjenigen deutscher Werke entschieden überlegen. Das Ganze arbeitet geräuschlos und
sicher wie eine gute Maschine, und jeder einzelne ist über sein Maass von Rechten
und Pflichten vollständig klar. Es wird sorgfältig darauf gesehen, dass Niemandem
mehr Verantwortung aufgelegt wird als er tragen kann, und überhaupt sucht man die
Zahl der verantwortlichen Leute möglichst zu beschränken. Dass damit der Unterbeamte
zum blossen Werkzeug herabsinkt kümmert den Arbeitgeber wenig, und fast ebensowenig
den Mann selbst. Beide haben den Wunsch, mit möglichst wenig Arbeit viel Geld zu
verdienen, und dem ist ein solches System unbedingt günstig. Die Heranbildung
wirklich fähiger, selbständiger Kräfte wird dadurch natürlich nicht gefördert, und
es scheint fast, als ob mit dem Menschenmaterial gewissermaassen Raubbau getrieben
würde, der sich mit der Zeit durch Unfruchtbarkeit rächen muss. In der
Arbeiterschaft, die noch dazu von den Gewerkschaften in höchst unglücklicher Weise
beeinflusse wird, zeigt sich dieser Schaden schon sehr stark. Tüchtige Mechaniker
gibt es nur noch selten.
Von diesem gewaltsamen Herunierdrücken des geistigen Niveaus abgesehen, ist die
geschäftliche Tätigkeit für jeden Beteiligten ungleich angenehmer als in
Deutschland. Veranlassung zum Tadel findet sich selten, da Niemand über seine Kräfte
beansprucht wird. Kleine Entgleisungen übersieht der Arbeitgeber gern, wenn der
Angestellte sich im allgemeinen gut bewährt. Ein scharfer Tadel, wie er von
aufgebrachten Vorgesetzen in Deutschland häufig mit mehr oder weniger Recht
gespendet wird, wäre hier schon deshalb nicht am Platze, weil der Angestellte sofort
die Arbeit niederlegen würde. Bei schlechten Leistungen wird der Mann einfach
entlassen. Der ganze Verkehr zwischen Vorgesetzten und Untergebenen spielt sich in
anderen Formen ab. Hochmütiges Wesen auf der einen Seite fällt ganz von selbst fort,
weil die Voraussetzung dazu auf der anderen Seite fehlt.
Das Gehalt oder, besser gesagt, der Preis eines Cannes wechselt mit Angebot und
Nachfrage. Während die Arbeiterlöhne durch die Gewerkschaften hoch gehalten werden,
ist das Durchschnittsgehalt eines draftsman im Verhältnis zu den Kosten des
Unterhaltes gleicht geringer als in Deutschland. Dies gilt von dem Mann, der ohne
eigene Verantwortung arbeitet. Verantwortliche Stellungen werden dagegen gut
bezahlt, da zugleich fähige und zuverlässige seltener sind als in Deutschland. Ein
Rechen mit dem Pfennig, wie es bei der Dotierung leitender Stellen in Deutschland
sehr zum Schaden der bebenden Firma noch häufig geschieht, gibt es in Amerika
nicht.
Textabbildung Bd. 319, S. 403
Fig. 1.
Wasser; Festhalle; Restaurant;
Terrasse; Schöne Künste; Erziehung und Sozialökonomie; Elektrizität und
Maschinenbau; Maschinenbau; Kesselhaus; Transportwesen; Verschiedene
Industrieen; Gewerbliche Erzeugnisse; Kunstgewerbe; Bergbau- und Hüttenwesen;
Bergbauausstellung im Freien; Gartenbau; Landwirtschaft; Forstwesen usw.;
Einzelstaaten; Deutschland; Jerusalem; Japan; Frankreich; England; Fremde
Länder; Philippinen; Dienstgebäude; Regierungsgebäude
Die Anstellung und Entlassung des Geschäftspersonals ist mit wenig Umständen
verknüpft. Wie der Schlosser ein Werkzeug zur Hand nimmt und es wieder fortlegt,
wenn es nicht geeignet oder wenn die Arbeit fertig ist, genau so wird der
Angestellte vom Arbeitgeber angenommen und fortgeschickt. Zeugnisse werden sehr
selten ausgestellt oder verlangt, sind auch bei der Leichtigkeit, mit der
ungeeignete Kräfte abgestossen werden können, gar nicht nötig. An ihre Stelle treten
eben als viel sicheres Auskunftsmittel die tatsächlichen Leistungen. Dem Deutschen,
der sich seiner Stelle immer wenigstens für sechs Wochen sicher fühlt, mag dieser
Zustand nicht besonders erwünscht erscheinen, er bringt indessen grosse Vorteile mit
sich, u.a. den, dass niemand durch eine einmalige Ungeschicklichkeit sein weiteres
Vorwärtskommen hindert. Der Angestellte steht daher viel freier seinem Vorgesetzten
gegenüber, dessen Wohlwollen ihm nach Aufgabe der Stellung gleichgültig ist. Der
Arbeitgeber hat von der geschilderten Sachlage entschieden Vorteil, da er die
Hilfskräfte besser dem augenblicklichen Bedarf anpassen kann. Der deutsche
Arbeitgeber ist zwar durch das Gesetz davor gesichert, dass ihn seine teilte
plötzlich verlassen, aber ein wirksamer Schutz ergibt sich daraus kaum.
Für deutsche Techniker, die gelegentlich der Ausheilung herüberkommen und im Lande
bleiben wollen, sei bemerkt, dass Unkenntnis der englischen Sprache es sehr
schwierig macht, eine Stellung zu finden. Im allgemeinen geniesst der deutsche
Techniker einen gutenRuf, doch sagt man ihm wohl nach, dass er ein unruhiger
Geist ist und sich schwer in die Geschäftsorganisation einfügt.
Grosse Schwierigkeiten erwachsen dem Fabrikanten aus den häufigen Streiks der
Werkleute, herbeigeführt durch die labor unions oder Arbeiterfachverbände, deren
Macht in den Vereinigten Staaten enorm ist und rücksichtslos, häufig mit
Despotenlaune, ausgeübt wird. In dem gegenwärtigen unentschiedenen Stadium des
Kampfes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist es äusserst schwer, über die
Berechtigung der beiderseitigen Ansprüche ein sachliches Urteil zu fällen. Am
hässlichsten fallen zurzeit die von den Arbeitern begangenen Ausschreitungen auf und
sie treiben den unbefangenen Beobachter leicht auf die andere Seite. Die Verbände
suchen die Organisation der Betriebe ganz nach ihren Wünschen zu gestalten und
erlassen Vorschriften betreffs Anstellung der Arbeiter, Bezahlungsweise usw., denen
sich der Arbeitgeber – ohne irgendwelche Widerrede – zu fügen hat, will er einen
sofortigen Streik vermeiden. Die sogenannten Wanderdelegierten, Beamte der Verbände,
welche die Betriebe inspizieren, haben diktatorische Rechte und können den Leuten
ohne Angabe eines Grundes Niederlegung der Arbeit befehlen. Das führt sehr häufig
dazu, dass diese Beamten von Firmen den durch Streikdrohungen Geld erpressen. Es ist
sogar umgekehrt vorgekommen, dass Gesellschaften heimlich Wanderdelegierte besoldet
haben, die Streiks anzukündigen hatten, wenn die Firma mit ihren Lieferungen im
Rückstande war, so dass sie auf Grund der Streikklausel ihrer kontraktlichen Strafe
entging. Es dürfte sehr im Interesse des Landes liegen, dass die Verbände nicht
dauernd die Herrschaft gewinnen. Denn die Leistung des einzelnen wird fraglos
herabgedrückt, wenn nicht die Güte seiner Arbeit, sondern die Machtstellung des
Verbandes für seine Bezahlung maassgebend ist. Dem strebsamen Manne wird es sehr
erschwert, sich durch Fleiss weiterzubringen, man stösst ihn gewaltsam in die Heerde
zurück. Sind doch Despotie und Demokratie die nächsten Verwandten!
Alle diese Erscheinungen, verbunden mit der Neigung des Amerikaners, die Dinge gehen
und sich selbst gestalten zu lassen, bilden eine Gefahr für das Land und geben den
alten Völkern, insbesondere den Deutschen mit ihrem hochentwickelten
Verantwortlichkeitsgefühl, einige Aussicht auf Erfolg in dem wirtschaftlichen
Ringen. Die amerikanische Gefahr ist vorläufig noch nicht als brennend anzusehen.
Der Eifer der Deutschen, von den Amerikanern zu lernen, wird sicherlich Früchte
tragen und unsere Industrie vor Ueberrumpelung bewahren.
Zum Schluss noch einige Worte über die Ausstellung selbst. Betreffs der Wahl der
Oertlichkeit ist zu sagen, dass St. Louis an sich ein wenig anziehender Platz ist.
Erscheint schon New York dem Europäer ungemütlich und unschön, so wird es darin von
den jüngeren westlichen Städten noch weit übertroffen. Ausserdem ist St. Louis sehr
heiss im Sommer. Für die Stadt selbst ist die Ausstellung von sehr grosser
Bedeutung, sie tut damit gewissermaassen einen Schritt nach dem Osten hin und rückt der alten
Kultur näher.
Fig. 1 gibt einen in Umrisslinien gezeichneten
Uebersichtsplan des Ausstellungsgeländes. Es ist sehr anzuerkennen, dass die
Hauptgebäude, die sich um die Festhalle 2 gruppieren,
nahe bei einander und übersichtlich angeordnet sind. Das deutsche Haus 21 hat einen besonders günstigen Platz nahe dem
Mittelpunkt erhalten, getrennt von denen der übrigen fremden Länder. Die
Hauptgebäude weisen meistens eine etwas überladene Säulenarchitektur auf, dagegen
zeigen manche von den kleinerenGebäuden eine einfache, wirkungsvolle
Bauweise.
Ob die Ausstellung im Ganzen einen Erfolg darstellen wird, ist noch gar nicht zu
beurteilen. Man ist zurzeit noch ziemlich weit von der Fertigstellung entfernt. Auch
die deutsche Abteilung, die verhältnismässig weit vorgeschritten ist, wird kaum bis
zur Eröffnung am 1. Mai fertig sein. Für die Beteiligung amerikanischer Firmen ist
jedenfalls die augenblickliche industrielle Depression von Vorteil, da sie den
Fabrikanten Zeit giebt, eine Vertretung ihrer Erzeugnisse vorzubereiten.
New York, April 1904.