Titel: | Wechselstrom oder Gleichstrom auf Vorortbahnen. |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 427 |
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Wechselstrom oder Gleichstrom auf
Vorortbahnen.
Wechselstrom oder Gleichstrom auf Vorortbahnen.
In einem längeren Aufsatz legt Paul M. Lincoln in
„Electrical World and
Engineer“ No. 24, Vol. XLII. 12. Dez. 1903, die Vorteile und
Nachteile bei Wechselstrombetrieb auf Vorortbahnen dar und bringt einen
Kostenvoranschlag für ein typisches Beispiel, sowohl für Gleich- als auch für
Wechselstrom durchgerechnet. Die Verhältnisse sind zwar ganz dem amerikanischen
Betrieb angepasst, manches findet sich auch schon in anderen Aufsätzen, trotzdem
dürfte einiges davon auch den deutschen Leser interessieren.
Die allgemein ausgesprochene Ansicht, der elektrische Betrieb von Bahnen sei
besonders eine amerikanische Einrichtung, dürfte bei uns manchen Widerspruch
herausfordern, indem hier gesagt wird, dass er die weiteste Verbreitung in Amerika
gefunden hat und hauptsächlich von amerikanischen Ingenieuren ausgebaut und
entwickelt sei. Während in Amerika jede Stadt über 5000 Einwohner bereits eine
elektrische Bahn habe, seien überall sonst nur ganz grosse Städte mit solcher
versehen.
Speziell aber wird in Amerika nur Gleichstrom zu Bahnzwecken verwandt, und
Drehstrom-Induktionsmotoren sind als völlig ungeeignet erachtet, obwohl man in
Europa bereits Bahnen mit Drehstrom-Induktionsmotoren gebaut hat. Die Gründe sind
folgende:
1. Der Drehstrom-Induktionsmotor arbeitet amgünstigsten nur bei einer Umdrehungszahl, während der
Gleichstromserienmotor unabhängig von der Umdrehungszahl arbeitet und sich daher zu
Bahnzwecken, wo fortwährend die Geschwindigkeit sich ändert, in ganz anderer Weise
eignet. Wendet man Kaskaden-Schaltung an, so erhält man bei gleicher Polzahl der
beiden Motore zwei gleich günstige Geschwindigkeiten, die sich wie 1 : 2 verhalten,
bei verschiedener Polzahl zwar vier solche Punkte, aber dafür nicht die
Gesamtenergie der beiden Motore. Gibt man dem Wagen vier Motore, davon zwei grössere
und zwei kleinere, welch letztere nur zu der Kaskadenschaltung verwendet werden,
sonst leer laufen, so hebt der Verlust durch die Vermehrung des toten Gewichtes den
Gewinn beim Anfahren reichlich auf.
2. Bei Drehstrombetrieb muss man zwei, und wenn man die Schienen nicht als
Rückleitung verwenden will, sogar drei Zuleitungen haben. Die
Isolationsschwierigkeiten sind besonders bei hoher Spannung ganz enorm.
Die Amerikaner suchten daher nach einem brauchbaren Wechselstrommotor und glauben in
der Verwendung des Gleichstromserienmotors für Wechselstrom das einzig mögliche
gefunden zu haben, besonders für Vorortbahnen.
Kann man Einphasen-Wechselstrom anstatt Gleichstrom verwenden, so hat man folgende
Vorteile:
1. Die Spannung der Zuleitung kann beliebig hoch
sein.
2. Die Verluste in den Widerständen fallen weg.
3. Die Unterstationen haben keine rotierenden Umformer, sondern
Transformatoren.
4. Die Unterstationen brauchen daher nicht ständig
beaufsichtigt sein.
5. Die Stromrückleitung wirkt nicht mehr elektrolytisch
zerstörend auf Gas- und Wasserleitungen.
Zur besseren Erklärung sei noch zu den einzelnen Punkten gesagt:
1. Bei Gleichstrom kann man nicht gut über 600 bis 700 Volt Spannung hinausgehen. Da
bei Vorortbahnen der Kraftbedarf ein grosser ist, wird die Streckenausrüstung sehr
verteuert, und da die Streckenausrüstung bis zu 50 v. H. der Gesamtkosten
verschlingt, unter Umständen der Betrieb unrentabel, auch kann der grosse Strom nur
mehr mit Schwierigkeiten während der Fahrt abgenommen werden.
2. Da man bei Wechselstrom beim Anfahren die zu grosse Spannung nicht wie bei
Gleichstrom in Widerständen vernichten muss, so kann man, wenn die Strecke viele
Haltestellen hat, Energie sparen.
3. Rotierende Umformer sind nicht bloss teurer, sondern haben auch einen schlechteren
Wirkungsgrad als Transformatoren.
4. Während rotierende Umformer wie alle Gleichstrommaschinen ständig unter Aufsicht
stehen müssen, arbeiten die Transformatoren ganz ohne Aufsicht und können sogar
durch Fernschalter geschaltet werden.
5. Die zerstörende Wirkung der Rückleitung ist eine grosse Gefahr bei Gleichstrom,
und ihre Vermeidung ein bedeutender Gewinn.
Diesen Vorteilen stehen folgende Nachteile des Wechselstrombetriebes gegenüber.
1. Schwerere Wagenausrüstung.
2. Schwierigkeit auf bestehende Linien überzugehen.
3. Grössere Verluste in der Schienenrückleitung.
4. Gefährliche Sitemannung in den Feldwindungen.
5. Störung des Teleitemhonbetriebs.
Zu den einzelnen Punkten ist wieder zu bemerken:
1. Ein Wechselstrommotor ist grösser und schwerer als ein Gleichstrommotor von
gleicher Leistung. Dazu kommt wegen der hohen Spannung am Fahrdraht ein
Transformator und eine Vorrichtung, die es gestattet, dem Motor veränderliche
Spannung zuzuführen. Verwendet man hierzu einen Induktionsregulator, so hat man den
Vorteil, den Strom nicht unterbrechen zu müssen, und vermeidet so die Zerstörungen
durch den Unterbrechungsfunken.
2. Vorortbahnen müssen in und sogar durch Orte geführt werden, in denen Stadtbahnen
mit Gleichstrombetrieb vorhanden sind. Die Wagenausrüstung muss daher derartig sein,
dass man auch Gleichstrom verwenden kann, d.h. der Motor muss mit Wechselstrom und
Gleichstrom betrieben werden können, die Transformatoren müssen abschaltbar sein,
der Wagen muss endlich auch Widerstände für den Gleichstrombetrieb haben.
3. Durch Versuche wurde festgestellt, dass für eine bestimmte Ampèrezahl bei 17 bis
25 Perioden, die Leitungsverluste in einer Eisenschiene drei bis fünf Mal grösser
sind als bei Gleichstrom. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass wegen der höheren
Spannung die Stromstärke eine kleinere ist.
4. An den Enden der Felderregung tritt bei Wechselstrom wegen des grossen induktiven
Widerstandes eine viel höhere Spannung auf, als bei Gleichstrom. Es ist daher die
Isolierung viel sorgfältiger auszuführen, zumal schon bei Gleichstrommotoren das
Ausbrennen einerFeldspule eine sehr häufig vorkommende Erscheinung ist. Dabei
ist noch zu berücksichtigen, dass ein Gleichstrommotor mit einer kurzgeschlossenen
Spule zur Not noch betriebsfähig ist, niemals aber ein Wechselstrommotor.
5. Betreffs der Störungen in Telephonen sind zwar noch nicht viel Erfahrungen gemacht
worden, jedenfalls aber lassen sich Vorrichtungen treffen, um zu grosse Schädigungen
hintanzuhalten.
Als Beispiel sei eine Vorortbahn gewählt von ungefähr 100 km Länge mit 30
Haltestellen, einer Geschwindigkeit von 50 km i. d. Stunde. Angenommen wird das
Gewicht des vollständigen Wagens bei Gleichstrom zu 35 t, bei Wechselstrom zu 41,5
t, dabei ist das Gewicht absichtlich für den Wechselstrom etwas zu ungünstig
gewählt. Die Kraftstation liegt in beiden Fällen in der Mitte, längs der Bahn sind
fünf Unterstationen, eine davon in der Zentrale. Betriebsspannung an der
Gleitschiene 550 Volt bei Gleichstrom, am Fahrdraht 3000 Volt bei Wechselstrom. Für
die Hochspannung ist bei Gleichstrombetrieb Drehstrom, bei Wechselstrom
Einphasenstrom gewählt.
Alles übrige ist in der folgenden Gegenüberstellung enthalten:
Kraftbedarf.
Gleichstrom
Wechselstrom
Durchschnittliche Leistung am Wagen bei einer Fahrt
zwischen zwei Haltestellen
67,2 KW
73,9 KW
Gleichzeitig laufende Wagen
8 „
8 „
Mittlere Wagenzahl einer Un- terstation
1,6 „
1,6 „
Durchschnittliche scheinbare Lei-
stung am Wagen
–
129,0 „
Mittlere Ampèrezahl f. d. Wagen
185,3 Amp.
43,0 Amp.
Mittlere Ampèrezahl f. d. Unter- station
279,0 „
68,8 „
Leitungswiderstand zwischen zwei Unterstationen
0,9 Ohm
4,2 Ohm
Leitungsverlust f. d. Unterstation
16,1 KW
3,3 KW
Mittlere Leistung einer Unter- station am Wagen
107,5 „
118,0 „
Mittlere Leistung einer Unter- station an der
Unterstation
123,6 „
121,3 „
Verlust im Regulator und Wagen-
transformator
–
5,0 v.H.
Leitungsverlust
15,5 v.H.
2,8 „ „
Verlust im rotierenden Umformer
10 „ „
–
Verlust im Transformator der Un- terstation
3,5 „ „
3,5 „ „
Verlust in der Hochspannungs- leitung
2,5 „ „
2,5 „ „
Verlust im Transformator der Zentrale
3,5 „ „
3,5 „ „
Gesamtverlust zwischen Wagen und Kraftstation
39,5 „ „
18,4 „ „
Mittlere Leistung der acht Wagen am Wagen
537 KW
591 KW
Mittlere Leistung der acht Wagen an der
Kraftstation
750 „
700 „
Mittlere scheinbare Leistung der
acht Wagen an der Kraftstation
–
825 KW
Maximal-Belastung einer Unter- station, zwei Wagen
fahren zu gleicher Zeit an
560 „
550 „
In der Unterstation ein rotieren- der Umformer
für
400 „
In der Unterstation ein Transfor-
mator für
–
350 „
Zeitweilige Ueberlastungsfähigkeit (so dass eine
Station für kurze Zeit ausfallen kann)
40 v.H.
50 v.H.
Maximale Leistung der Zentrale
1200 KW
Maximale scheinbare Leistung der
Zentrale
–
1400 KW
mit drei Generatoren für je
400 KW
mit drei Generatoren mit je
–
450 „
Kosten- Voranschlag.
Kosten der elektrischen Ausrüstung.
3 Drehstrom-Generatoren a 400 KW 360 Volt
82800 M.
3 Wechselstrom-Generatoren a 450 KW 3000 Volt
89300 M.
7 Oel-Transformatoren a 150 KW 350–20000 Volt
36900 „
3 Oel-Transformatoren a 400 KW 3000–20000 Volt
31900 „
1 Schaltbrett in der Zentrale
19100 „
1 Schaltbrett in der Zentrale
16100 „
77 km Hochspannungsleitung
183500 „
77 km Hochspannungsleitung
224500 „
Blitzschutz-Vorrichtungen
10600 „
Blitzschutz-Vorrichtungen
8500 „
12 Oel-Transformatoren a 135 KW 20000–360 Volt
60000 „
4 Oel-Transformatoren a 350 KW 20000–3000 Volt
37400 „
5 rotierende Umformer a 400 KW 600 Volt
110000 „
Fern-Schalt-Einrichtung
31900 „
5 Schaltbretter in den Unterstationen
59500 „
5 Schaltbretter in den Unterstationen
31900 „
105 km Ausrüstung mit Stromschiene
670000 „
105 km Ausrüstung mit Oberleitung
241000 „
105 km Schienenstoss-Verbindung
107000 „
105 km Schienenstoss-Verbindung
107000 „
12 Wagen vollständig ausgerüstet
221500 „
12 Wagen vollständig ausgerüstet
432000 „
––––––––––
–––––––––
Gesamtes Anlagekapital:
1560900 M
Gesamtes Anlagekapital:
1271500 M.
Jährliche Betriebskosten.
10 Maschinisten in der Zentrale
38200 M.
10 Maschinisten in der Zentrale
38200 M.
8 Maschinisten für die Unterstationen
30600 „
Kohlen, Wasser, Oel usw. ½ v. H. f. d. KW/St. (4.890.000 KW/St.)
104000 „
Kohlen, Wasser, Oel ½ v. H. f. d. KW/St.
98000 „
Reparaturen und Unterhaltung der Zentrale, 3 v.
H. der Kosten
4100 „
Reparaturen und Unterhaltung der Zentrale, 3 v.
H. der Kosten
4100 „
Reparaturen der Hochspannungsleitung, 5 v. H.
9700 „
Reparaturen der Hochspannungsleitung, 5 v. H.
12600 „
Reparaturen der Stromzuführung, 1 v. H.
7800 „
Reparaturen der Stromzuführung, 4 v. H.
15500 „
Reparaturen der Unterstation, 4 v. H.
9200 „
Reparaturen der Unterstation, 6 v. H.
6100 „
Reparaturen der Wagen, 12 v. H.
32000 „
Reparaturen der Wagen, 10 v. H.
43500 „
––––––––
–––––––
Jährliche Betriebskosten:
235600 M.
Jährliche Betriebskosten:
218000 M.
Da nur die scheinbare Leistung der Zentrale bei Wechselstrom grösser ist als bei
Gleichstrom, so sind wohl die Dynamomaschinen und Transformatoren grösser zu wählen,
nicht aber die Dampfmaschinen und Dampfkessel. Einfacher sind auch die Schaltbretter
in der Zentrale für Wechselstrom, ferner die Unterstationen, besonders aber die
Streckenausrüstung, teuerer sind die Hochspannungsleitung und die Wagenausrüstung.
Bei den jährlichen Betriebskosten werden die Arbeiter in den
Unterstationen erspart, dagegen wird für die Reparaturen und
die Unterhaltung der Unterstationen ein höherer Prozentsatz (6 v. H. gegen 4 v. H.)
eingeführt. Trotz der Mehrausgaben für die Unterhaltung der Hochspannungslinie, der
Streckenausrüstung und der Wagen ergibt sich für die jährlichen Betriebskosten,
ebenso wie für das Anlagekapital, dass sich der Wechselstrombetrieb auf Vorortbahnen
dem Gleichstrombetrieb überlegen zeigt.