Titel: | Schnellfahrten auf der badischen Staatsbahn. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 465 |
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Schnellfahrten auf der badischen
Staatsbahn.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
Schnellfahrten auf der badischen Staatsbahn.
Im Laufe des Monats April d. Js. fand auf der Strecke Offenburg–Freiburg der
badischen Hauptbahn eine grosse Zahl Probefahrten statt, durch welche die
Verwendbarkeit der grossen ⅖ gek. Vierzylinder-Verbundlokomotiven für höchste
Geschwindigkeiten festgestellt und die Leistungsfähigkeit dieser Maschinen ermittelt
werden sollte. Das Ergebnis dieser Fahrten ist nicht nur an und für sich
interessant, sondern verdient noch besondere Beachtung im Anschluss an die
Ausführungen von v. Borries über „Fortschritte im
Lokomotivbau“ (Z. 1903, 24. Jan. S. 116) und über „Bewegungswiderstände
der Eisenbahnfahrzeuge“ (Z. 1904, 28. Mai, S. 810), sowie an den Bericht
über die Dampfschnellfahrten auf der Strecke Berlin–Zossen, welcher
merkwürdigerweise in keiner technischen Zeitschrift, (trotz der Wichtigkeit des
Gegenstandes für die Dampftechnik!), sondern in der „Woche“, (1904, Heft 15)
erschienen ist. Für die liebenswürdigen Mitteilungen über die badischen Versuche
spricht der Verfasser an dieser Stelle der Generaldirektion der badischen
Staatsbahnen seinen Dank aus.
Textabbildung Bd. 319, S. 465
Fig. 1. Probezug zur Abfahrt bereit, Station Offenburg.
Der Probezug, aus vier neuen vierachsigen D–Wagen I. und
II. Kl. zusammengestellt, bei einem durchschnittenen Leergewicht des Wagens von 37
t, wog einschliesslich der (bei halben Vorräten) 113 t schweren Lokomotive (mit
Tender) 251 t, ohne dieselbe 138 t; er ist durch Photographie (Fig. 1) und schematische Zeichnung (Fig. 2) (S. 466) wiedergegeben.
Die zu den Versuchen gewählte Strecke, Offenburg–Freiburg, hat eine Länge von
62,9 km und ist zweigleisig.
Die Linie steigt von 158,9 m über Meer nach einem längeren schwachen Gefäll zuerst
langsam, dann immer stärker gegen Freiburg auf, welches 268,5 m über Meer liegt; die
stärkste Steigung kurz vor Freiburg ist 1 : 171 (5,85 m/km). Zu den Versuchen wurde
ausschliesslich die Richtung aufwärts benutzt, da es sich nicht darum handelte, eine
nichts sagende hohe Zahl von Kilometern in der Stunde zu erreichen, sondern den
Kessel möglichst anzustrengen, zumal da das Geleise der Richtung abwärts für so hohe
Geschwindigkeiten noch nicht geschaffen ist.
Es gelang nun wiederholt ohne Schwierigkeiten, die erwähnte Strecke in 32½ Minuten
zurückzulegen, was einem Durchschnitt von 116 km/St. entspricht, und diese Zahl
ausgenommen bei schwierigen Umständen (Gegenwind z.B.) beizubehalten. Die mittlere
Geschwindigkeit des etwa 57 km weit eingehaltenen Beharrungszustandes betrug 130 km/St., (trotz der
dauernden Steigung!) und es war die geringste Geschwindigkeit dieser Periode auf der
stärksten Steigung 121 km/St., die überhaupt erreichte höchste Geschwindigkeit
auf den kurzen wagerechten Abschnitten durch die Bahnhöfe meistens 140, manchmal
auch 144 km/St.
Das Längs- und Querprofil der Strecke ist nebst zwei Geschwindigkeitskurven (dem Haushälterschen Tachographen entnommen) in Fig. 3 abgebildet, und der Vergleich von Profil und
Kurve zeigt trotz aller Abhängigkeit der Geschwindigkeit von der Steigung, welch
riesige Kräfte die Maschine entwickelt, indem jedes noch so geringe Nachlassen der
Steigung eine empfindliche Erhöhung der Geschwindigkeit sofort hervorruft.
Textabbildung Bd. 319, S. 466
Fig. 2. Probezug.
Textabbildung Bd. 319, S. 466
Fig. 3. Offenburg–Freiburg.
Am letzten Tag wohnte auf Einladung der Generaldirektion der badischen Staatsbahn dem
Versuch einegrosse Zahl von hohen technischen Beamten aus verschiedenen
deutschen Eisenbahnbehörden bei. – Der Gang der Maschine war auch bei der höchsten
Geschwindigkeit bewundernswert ruhig, und was für die Bahnerhaltung sehr wichtig
ist, dank dem guten Massenausgleich und dem daherrührenden völligen Mangel an
überschüssigen senkrechten Fliehkräften in den Rädern, ist eine hämmernde
Beanspruchung des Gleises ausgeschlossen.
Folgende Uebersicht enthält die Hauptangaben über die Ergebnisse der
Berlin–Zossener und der badischen versuche, zum Vergleich zusammengestellt:
Titel
Heizfläche
Dienst-gewicht
Zugsgewicht
Gesamt-gewicht
HöchsteGeschwindig-keit
2/4
Heissdampf2/6
(Wittfeld)
(105 + 30) qm 257 „
100 t135 „
120 t
220 t255 „
136 km/St. 137 „
⅖ badisch
210 „
113 „
138 „
251 „
144 „
Die kleine, aber sehr zähe Heissdampflokomotive wiegt also 13 t weniger und hat 76 qm
Heizfläche weniger als die badische Maschine; sie zog 18 t weniger und lief nur 7
km/St.
weniger, für sie ist das ein sehr gutes Ergebnis. Die Wittfeldsche Lokomotive dagegen wiegt 22 t mehr, hat 47 qm Heizfläche mehr
als die badische, sie zog aber 18 t weniger hinter dem Tender und lief 6 km/St. weniger;
für sie ist dies zugunsten der beiden andern ein sehr ungünstiges Ergebnis!
Von Interesse ist es auch, der badischen Maschine die Leistung auf diesen
Schnellfahrten nachzurechnen, und es sollen dazu die Formeln von v. Borries (Z. 1904, 28. Mai, S. 810) benutzt werden.
(Nebenbei bemerkt, muss es in der Gleichung für w2 nicht \frac{0,3}{q} sondern \frac{3}{q} heissen!
1) Mittlere Leistung im Beharrungzustand. Nach Abzug von
Anfahr- und Bremszeit bleiben für letztern rund 25 Minuten, in welchen das
Zugsgewicht von rund 250 t um rund 110 m gehoben wurde. Daher beträgt die Leistung
für die Hebung allein
N'=\frac{250000\mbox{ kg}\,\cdot\,110\mbox{ m}}{25\mbox{ Min. }60\,\cdot\,75}=250\mbox{ PS.}
Ferner aus den Zugwiderständen: Die mittlere Geschwindigkeit für diese 25 Minuten
betrug 130 km/St.
Folglich (L = 113, q = 37
t).
\begin{array}{rcl}\mbox{Lok. }w_1&=&4+0,027\,\cdot\,130+\frac{0,064\,\cdot\,130^2}{113}=17,1\mbox{ kg/t}\\ W_1=113\,\cdot\,17,1=1930\mbox{
kg.}\\ N_1&=&1930\,\cdot\,\frac{130}{270}=930\mbox{ PS.} \end{array}
\begin{array}{rcl}\mbox{Zug }w_2&=&1,5+0,012\,\cdot\,130+\left(\frac{3}{37}+0,2\right)\,\frac{130_3}{1000}=7,8\mbox{ kg/t}\\
W_2&=&1438\,\cdot\,7,8=1080\mbox{ kg.}\\N_2&=&1080\,\cdot\,\frac{130}{270}=520\mbox{ PS.} \end{array}
Gesamtleistung N = N' + N1
+ N2 = 250 + 930 + 520 = 1700 PS.
2. Mittlere Leistung auf der Steigung. Die längste
dauernde Steigung befindet sich auf der 14 km langen Strecke Riegel–Denzlingen: der
Höhenunterschied ist rund 55 m. Daher zur Hebung des Zuges bei 125 km/St., d.h. 6,8
Minuten Fahrzeit:
N'=\frac{150000\mbox{ kg}\,\cdot\,55\mbox{ m}}{6,8\mbox{ Min.}\,\cdot\,60\,\cdot\,75}=440\mbox{ PS.}
und aus den Zugwiderständen:
Lok. \begin{array}{rcl}\mbox{Lok. }w_1&=&4+0,027\,\cdot\,125+\frac{0,064\,\cdot\,125^2}{113}=17\mbox{ kg/t}\\ W_1&=&113\,\cdot\,17=1920\mbox{
kg.}\\N_1&=&1920\,\cdot\,\frac{125}{270}=890\mbox{ PS.} \end{array}
Zug w_2=1,5+0,012\,\cdot\,125+\left(\frac{3}{37+0,2}\right)\,\frac{125^2}{1000}=7,4\mbox{ kg/t}
W2 = 138 . 7,4=
1020 kg.
N_2=1020\,\frac{125}{270}=470\mbox{ PS.}
Gesamtleistung N = N' + N1 + N2 = 430 + 890 + 470 =
1800 PS.
3. Höchstleistung auf wagerechter Strecke. V = 140 km/St.
\begin{array}{rcl}\mbox{Lok. }w_1 &=& 1+0,027\,\cdot\,140+\frac{0,064\,\cdot\,140^2}{113}=18,7\mbox{ kg/t}\\ W_1&=&113\,\cdot\,18,7=2110\mbox{
kg.}\\ N_1&=& 240\,\cdot\,\frac{140}{270}=1090\mbox{ PS.}\end{array}
\begin{array}{rcl}\mbox{Zug }w_2&=&d,5+0,012\,\cdot\,140+\left(\frac{3}{37}+0,2\right)\,\frac{140^2}{1000}=8,7\mbox{ kg/t}\\
W_2&=&138\,\cdot\,8,7=1200\mbox{ kg.}\\ N_2=1200\,\cdot\,\frac{140}{270}=620\mbox{ PS.} \end{array}
Gesamtleistung N = N1 + N2 = 1090 + 620 = 1710 PS.
4. Höchstleistung auf der Steigung. Die grösste hier in
Frage kommende Steigung, welche ohne vorherigen besonderen „Anlauf“ durch die
Maschine allein überwunden werden muss (fast ohne Zuhilfenahme der lebendigen Kraft
des Zuges) ist der Schluss der Dauersteigung Riegel–Denzlingen, kurz vor letzterer
Station, und beträgt 1 : 176 (5,67 m/km.). Die maassgebende Geschwindigkeit ist die
Endgeschwindigkeit bei der Abnahme der lebendigen Kraft auf dieser Steigung, nämlich
120 km/st, t der Geschwindigkeitsverlust ist etwa 5 km/st., also die geleistete
Arbeit (Zugsgewicht G in t).
1000 G . L = 3,93 G (1252 – 1202),
woraus die überwundene Höhe
L = 3,93 . 1,2 = = 4,72 m,
und die zugehörige Bahnlänge
s = 4,72 . 176 = 830 m.
Da aber die Geschwindigkeit nicht unter 120 sinkt, sondern diesen Wert (siehe Kurve)
an der betreffenden Stelle etwa eine Minute beibehält, um auf dem anschliessenden
wagerechten Stück sofort wieder auf 135 hinaufzugehen, so ist tatsächlich 120 km/St. in der
Berechnung anzusetzen. Dann ist bei 5,67 m/km. Steigung
w' = 5,67 kg/t,
folglich
W' = 5,67 . 250= 1420 kg,
N'=1420\,\cdot\,\frac{120}{270}=630\mbox{ PS;}
ferner:
\begin{array}{rcl}\mbox{Lok. }w_1&&=4+0,027\,\cdot\,120+\frac{0,064\,\cdot\,120^2}{113}=15,4\mbox{ kg/t}\\ W_1 &=&113\,\cdot\,15,4=1740\mbox{
kg.}\\ N_1&=&1740\,\frac{120}{270}=770\mbox{ PS.} \end{array}
\begin{array}{rcl}\mbox{Zug }w_2&=&1,5+0,012\,\cdot\,120+\left(\frac{3}{57}+0,2\right)\,\frac{120^2}{1000}=6,94\mbox{ kg/t}\\
W_2&=&138\,\cdot\,6,94=960\mbox{ kg,}\\ N_2&=&960\,\cdot\,\frac{120}{270}=420\mbox{ PS.} \end{array}
Gesamtleistung N = N' + N1 + N2 = 630 + 770 + 420 = 1820 PS.
Diese Zahlen beweisen, dass man es hier mit einer äusserst leistungsfähigen,
ausdauernden und zum Schnellfahren vorzüglich geeigneten Lokomotive zu tun hat, welche
ausserdem den Vorteil besitzt, den Oberbau sehr massig zu beanspruchen. Schon bei
den Abnahme-Probefahrten hatte sich gezeigt, dass die Maschine auch ungünstig
zusammengestellte Züge (zwei- und vierachsige Wagen) von 300 t Gewicht hinter dem Tender auf Geschwindigkeiten bis zu 120 km/St. zu bringen
im Stande ist, und dass sie dadurch sogar die 1900 in Paris Thuile sehe Lokomotive (im übrigen ein hässliches Ungeheuer!) weit
übertrifft. Da jene Leistung vielleicht durch das schwache Gefäll unterstützt war,
so möge zur Benutzung der Formel von v. Borries ein aus
D-Wagen bestehender Zug, zum Ausgleich aber völlig
wagerechte Strecke vorausgesetzt werden, was wahrscheinlich dieselbe Leistung
erfordert hätte. Dann ist (siehe 4)
w1 =
15,5 kg/t
W1 =
15,4 . 113= 1740 kg,
N_1=1840\,\frac{120}{270}=770\mbox{ PS.}
w2 =
6,94 „
W2 =
6,94 . 300= 1980 „
N_2=1970\,\frac{120}{270}=880\mbox{ PS.}
folglich N = N1
+ N2 = 770 + 880 = 1650 PS.
Im gewöhnlichen Betrieb, wie im Schnellbahnbetrieb, lassen sich daher mit dieser
Lokomotive bequem Leistungen von 1650 bis 1850 PS, d.h. dauernde Anstrengungen von
7,8 bis 8,7 PS/qm
(auf die Heizfläche von 210 qm bezogen) erzielen. Sobald endlich einmal in
Deutschland, wie in andern Ländern, als höchste Geschwindigkeit etwa 120 bis 130 km/St. zulässig
sind, wird man daher nicht nur auf günstigen Gefällen, sondern auch mit schweren
Zügen auf der wagerechten Strecke und mit leichterem Zügen auf Steigungen ebenso
ausdauernd, als gefahrlos sowohl im Fahrplan, als besonders bei Verspätungen diese
Fähigkeiten ausnutzen können.
Der kommerzielle Wirkungsgrad ist bei der grössten Geschwindigkeit des
„gewöhnlichen“ Betriebes (V = 120)
\eta=\frac{N_2}{N}=\frac{880}{1650}=0,53, des Schnellbahnbetriebes (V = 140)
\eta=\frac{N_2}{N}=\frac{620}{1710}=0,36.
Es ist nun einmal eine Schwäche der Dampflokomotive, bei höheren Geschwindigkeiten
immer unwirtschaftlicher zu werden. Aber was bedeutet dies im Vergleich zur Anlage
von besonderen Zentralen und Oberleitungen?