Titel: | Die Drahtseilbahnen. |
Autor: | Stephan |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 469 |
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Die Drahtseilbahnen.
Von Regierungsbaumeister Stephan.
(Fortsetzung von S. 425 d. Bd.)
Die Drahtseilbahnen.
Man unterscheidet zwei verschiedene Systeme im Drahtseilbahnbau; bei dem einen,
dem sogenannten englischen System, das durch Hodgson
1867 eingeführt wurde, läuft ein Seil ohne Ende dauernd um und trägt gleichzeitig
die Fördergefässe. Das andere deutsche, von Freiherr von
Dücker 1861 erfundene System benutzt zum Tragen der Gefässe besondere, fest
nebeneinander verlegte Seile, so dass das umlaufende Zugseil schwächer beansprucht
wird als bei dem ersteren.
Textabbildung Bd. 319, S. 468
Fig. 7. Litzenseil nach und vor dem Gebrauch.
Das englische Seilbahnsystem zeichnet sich durch grosse Einfachheit aus. Als Seile
werden Litzenseile aus Gusstahldraht verwendet, der meist 12000 oder 15000,
bisweilen auch 18000 kg/qcm Zugfestigkeit besitzt. Gewöhnlich sind 6 Litzen aus je 7 Drähten um
eine Hanfseele geschlagen; die Konstruktion ist fast stets der sogenannte Albertschlag, bei dem der Drall der Litzen mit dem der
einzelnen Drähte die gleiche Richtung hat (vergl. Fig.
7). Das Seil erhält auf diese Weise eine glattere Oberfläche, als die
gewöhnlichen Kranseile haben, bei denen der Drall der Litzen in umgekehrter Richtung
als der der Drähte verläuft. Die nachstehende Tabelle enthält die Hauptangaben über
diese Zugseile im Albertschlag.
Litzenseile mit 42 Drähten.
Seildurch-messer d
Drahtstärkeδ
Querschnitt F
Gewicht q
12 mm
1,3 mm
0,56 qcm
0,54 kg/m
13
1,4
0,65
0,62
14
1,5
0,74
0,72
15
1,6
0,84
0,81
16
1,8
1,07
1,03
17
1,9
1,19
1,15
18
2,0
1,32
1,27
19
2,1
1,45
1,40
20
2,2
1,60
1,54
21
2,3
1,74
1,67
22
2,4
1,90
1,83
23
2,5
2,06
1,98
24
2,6
2,23
2,15
25
2,8
2,58
2,48
26
2,9
2,77
2,67
Unter Umständen muss das Seil über verhältnismässig kleine Scheiben stark gebogen
werden. Hierfür sind die Seile aus stärkeren Drähten schon zu steif und man
verwendet in solchen Fällen Seile mit 6 Litzen von je 12 Drähten nach der folgenden
Zusammenstellung:
Litzenseile mit 72 Drähten.
Seildurch-messer d
Drahtstärkeδ
Querschnitt F
Gewicht q
18 mm
1,5 mm
1,27 qcm
1,22 kg/m
19
1,6
1,45
1,38
20
1,65
1,54
1,50
21
1,75
1,73
1,62
22
1,8
1,83
1,75
23
1,9
2,04
1,95
24
2,0
2,26
2,15
25
2,1
2,48
2,40
26
2,2
2,74
2,64
Die einzelnen Seilstücke werden durch Spleissung mit einander verbunden,
wofür etwa 2 bis 3 m erforderlich sind.
Textabbildung Bd. 319, S. 469
Fig. 8. Bremsstation einer Seilbahn englischen Systems.
Textabbildung Bd. 319, S. 469
Fig. 9. Spannstation einer Seilbahn englischen Systems.
Bei richtiger Wahl und guter Unterhaltung Nutzen sich die
Seile nicht sehr ab, es findet vielmehr ein Verdrücken der in der Oberfläche
liegenden Drähte statt. Allerdings längt sich das Seil im Betriebe ziemlich stark,
so dass sein Durchmesser mit der Zeit erheblich kleiner wird, da sich die inneren
Drähte in die Hanfseele hineindrücken. Fig. 7 gibt
davon ein deutliches Bild. Das von der Firma Bullivant
& Co. in London hergestellte Seil war zwei Jahre
hindurch dauernd im Betrieb und hatte in dieser Zeit 165000 t Eisenerz befördert,
seine Bruchfestigkeit, die beim neuen Seil 29,05 t betrug, war dabei auf 27,5 t
heruntergegangen, so dass es sichernoch eine Zeitlang hätte liegen können, bis
die Festigkeitsabnahme etwa 9 bis 10 v. H. betragen hätte.
Textabbildung Bd. 319, S. 469
Fig. 10. Kombinierte Antriebs- und Spannvorrichtung.
Die Seile werden gewöhnlich so stark angespannt, dass sie auf der freien Strecke mit
zehnfacher Sicherheit arbeiten. Für die Wahl des Durchmessers ist neben den
Festigkeitsbedingungen vor allen Dingen die zugelassene Abnutzung maassgebend, die
wieder von der Grosse und Anzahl der Einzellasten, sowie von der Art der
Unterstützung abhängt. Den meist vorkommenden Verhältnissen entspricht die
Vorschrift, den Querschnitt des Seiles in qmm bei kleinen Nutzlasten bis zu 130 kg
etwa ebenso gross zu wählen als die Nutzlast in kg beträgt, bei grösseren
Einzellasten können schwächere Seile genommen werden, so dass einer Nutzlast von 350
kg ein Seil von 23–24 mm Stärke entspricht. Die genaue Ermittlung der
Seilbeanspruchung folgt weiter unten.
Der Antrieb des Seiles geschieht wenn irgend möglich in der höher gelegenen
Endstation vermittels einer wagerecht gelagerten Seilscheibe, deren Durchmesser
gleich der gewöhnlich 2–2,5 m betragenden Entfernung beider Seiltrumme von einander
ist, während die Umführungsseilscheibe in der anderen Station mit der am bequemsten
durch ein Gewicht betätigten Spannvorrichtung verbunden ist. Man erhält so eine sehr
einfache und übersichtliche Anordnung (Fig. 8 und
9). Am angenehmsten ist es naturgemäss, wenn die
Neigung der Bahntrace eine derartige ist, dass die hinuntergehenden beladenen Wagen
die leeren wieder heraufziehen, wobei dann in der oberen Station zur Regelung der
Geschwindigkeit zwei Bremsvorrichtungen anzubringen sind, von denen die eine zur
Reserve dient.
Die Firma Bullivant & Co. vereinigt Antriebs- und Spannstation durch die in Fig. 10 skizzierte Seilführung, wenn der Antrieb in
der unteren Station erfolgen muss. Die Umführungsscheibe in der oberen Station ist
dann fest gelagert. Gleichzeitig wird durch diese Anordnung noch erreicht, dass die
Spannvorrichtung, die bei den von Bullivant & Co. gebauten Anlagen gewöhnlich mit Hilfe eines
eingeschalteten Flaschenzuges durch eine je nach Bedarf anzuziehende Winde auf die
Spannscheibe einwirkt, unter Aufsicht des Maschinisten steht. Der Nachteil dieser
Anordnung ist, dass die Spannvorrichtung nicht selbsttätig wirkt; das Seil wird
vielmehr nur dann nachgespannt, wenn es sich zu sehr gelängt hat, was nur angängig
ist, solange die Stützenentfernungen nicht gross sind. In grösseren freien
Spannweiten soll je nach der Belastung durch die Wagen regelmässig ein Wechsel des
Durchhanges und folglich der Seillänge eintreten, damit die Beanspruchung des Seiles
dieselbe bleibt
und nicht etwa schwer kontrollierbare Schwankungen in der Beanspruchung
vorkommen.
Textabbildung Bd. 319, S. 470
Fig. 11. Holzstütze für Seilbahnen englischen Systems.
Textabbildung Bd. 319, S. 470
Fig. 12. Roes pendelnde Tragrolle.
Die bei halber Umspannung der Scheibe auf das Seil übertragene Umfangskraft berechnet
sich nach der Gleichung
P=\frac{e^{\mu_0\,\pi}-1}{e^{\mu_0\,\pi}}\,\cdot\,S_{\mbox{max}}
Die Antriebsscheiben werden fast stets mit Hirnleder ausgelegt, für das nach den
allerdings nur an Flachseilen durchgeführten Versuchen von Koettgen bei trockener Scheibe und in gewöhnlicher Weise geschmiertem Seil
der Reibungskoeffizient μ0 = 0,17 zu setzen ist. Man erhält hiermit
Textabbildung Bd. 319, S. 470
Fig. 13. Längsprofil einer Roeschen Seilbahn.
P = 0,415 Smax . 19)
Die Anzahl der Pferdestärken, die hierbei übertragen werden können, ermittelt sich
aus der Gleichung N=\frac{P\,v}{75} worin v die je nach der
Förderleistung zwischen 1,5 bis 4 m/sek. liegende Seilgeschwindigkeit ist, unter
Heranziehung der Gleichungen (3) und (4) zu
N=\frac{5,55\,C}{1000}\,q\,v.
Wird noch der für die in Frage kommenden Seile ziemlich genau geltende Zusammenhang
q=\frac{1}{2}\,\pi\,\frac{d^2}{4} eingesetzt, so ergibt sich als grösste, bei halber Umfassung der Scheibe
noch mit Sicherheit zu übertragende Leistung
N\,\sim\,\frac{2,2\,C}{1000}\,d^2\,v . . 20)
Hierin ist d in cm und v in
m/sek.
gegeben. Soll eine grössere Leistung übertragen werden, so wird fast allgemein die
bei Bahnen deutschen Systems gewöhnlich benutzte Anordnung gewählt.
Beim Uebergang über die Scheibe erfährt das Seil eine Biegungsbeanspruchung, die sich
berechnet zu
K_b=\beta\,E\,\frac{\delta}{D} kg/qcm,
worin δ die zwischen 0,1 bis 0,3
cm betragende Drahtstärke, D der Durchmesser der
Seilscheibe in cm, E = 2150000 kg/qcm der
Elastizitätsmodul des Drahtmaterials und β = 0,36 ein
Zahlenfaktor ist, der die Aenderung des Elastizitätsmoduls des Seiles gegenüber dem
des glatten Drahtes berücksichtigt.Vergl.
Hrabák: Die Drahtseile. Stellt man nun als. Bedingung, dass der
Durchmesser der Seilscheibe mindestens gleich dem 100 fachen der Seilstärke sein muss, so
ergiebt sich Kb im
äussersten Falle zu 860 kg/qcm. Damit verringert sich die in der geraden
Strecke als zehnfach angenommene Sicherheit je nach der Festigkeit des
Drahtmaterials
bei
12000
kg/qcm
Bruchfestigkeit
auf
das
5,83
fache,
„
15000
„
„
„
„
6,35
„
„
18000
„
„
„
„
6,77
„
Bei den meisten Ausführungen bleibt man mit der Sicherheit über diesen Grenzwerten.
So läuft beispielsweise ein Seil von 1,4 cm Durchmesser aus ganz zähem
Tiegelgusstahl, das in der geraden Strecke mit 1800 kg/qcm beansprucht werden kann, auf einer
Scheibe von 2,25 m noch mit 7,8 facher Sicherheit.
Auf der Strecke zwischen den Stationen wird das Seil von grossen, fliegend gelagerten
Tragrollen unterstützt (vgl. Fig. 17 der
Fortsetzung), die je nach der Seilstärke 40–60 cm Durchmesser haben und bisweilen
zur Schonung des Seiles mit einer weichen, leicht zn erneuernden Schmiedeiseneinlage
versehen werden.
Die Stützen werden gewöhnlich aus Holz hergestellt ausser in den Tropen, wo hölzerne
Stützen in kurzer Zeit zerstört werden würden. Eine von Bullivant & Co. vielfach benutzte
Stützenform zeigt Fig. 11. Die Entfernung der
Stützen voneinander beträgt gewöhnlich 60 m, doch können je nach den
Terrainverhältnissen dazwischen auch einzelne Spannweiten von 100 m und mehr
vorkommen. Ueber 160 m Spannweite geht man bei einfacher Unterstützungdes die
vollen Wagen tragenden Seiltrums durch eine einzige Rolle äusserst ungern, da dann
der Durchhang des nur verhältnismässig schwach gespannten Seiles unter der Wagenlast
so gross wird, dass die Förderkübel schwer über die Stützrollen hinwegkommen, ohne
dass bei ungünstiger Witterung Rutschen eintritt.
Eine Ausnahme hiervon bildet die Roesche Ausführung des
Ropeways Syndicate in London, das eine noch bei
Neigungen bis 1 : 2 arbeitende Kupplungsvorrichtung benutzt und das Seil bei
weiteren Stützenabständen je nach der grössten vorkommenden Einzellast und dem
Neigungswinkel des leeren Seiles durch 2 bis 4 pendelnd gelagerte Rollen
unterstützt. Der Uebergang des Wagens über die Stützen erfolgt dann, ohne dass eine
nennenswerte Verbiegung des Seiles um die Stützrollen eintritt, wie Fig. 12 zeigt. Die pendelnden Arme sind, um das
Gewicht bei einfacher Herstellung so gering wie möglich zu halten, aus Stahlguss
röhrenförmig ausgeführt. Die Konstruktion der nur teilweise zur Darstellung
gelangten Stütze ist ebenfalls eine eigenartige. Roe
ist es so mit Hilfe des verbesserten Kupplungsapparates gelungen, Spannweiten von
600 m beim englischen Bahnsystem zu überbrücken. Ein besonders interessantes
Beispiel bietet Fig. 13, die das Längsprofil einer
Bahn das Ropeways Syndicate darstellt, welche mit einem
Wageninhalt von 200 kg die allerdings nur kleine Leistung von 5 t/St. besitzt,
jedoch bei einer Länge von 3750 m nur 17 Stützen benötigt. Die beiden grössten
Spannweiten haben je eine Länge von 600 m.
(Fortsetzung folgt.)