Titel: | Die Automobiltechnik im Jahre 1904. |
Autor: | W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 489 |
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Die Automobiltechnik im Jahre 1904.
Von Dipl.-Ing. W. Pfitzner, Assistent an der
K. Technischen Hochschule,
Dresden.
(Fortsetzung von S. 455 d. Bd.)
Die Automobiltechnik im Jahre 1904.
Ehe auf die Besprechung der Einzelheiten eingegangen wird, sollen zunächst aus
der grossen Zahl vorhandener Konstruktionen einige Beispiele gewählt werden, die als
Vertreter der genannten Wagengattungen gelten können und an denen die in grossen
Umrissen gegebenen Allgemeinanordnungen zu zeigen sind.
Als Vertreter der Gruppe der Rennwagen führen wir Fig.
7 den „Mercédès-Wagen“ der Daimler-Motoren-Gesellschaft,
Cannstatt vor, der im vorjährigen Gordon Bennet-Rennen in Irland unter der Führung Jenatzys den Sieg über alle konkurrierenden Länder davontrug. Der Wagen,
ursprünglich garnicht zu dem Rennen bestimmt (es sollten dort Wagen mit 90 PS
Motoren laufen, die jedoch bei einem Brande der Daimler
sehen Fabrik zerstört wurden),hat eine vierzylindrige Maschine von nominell 60
PS, die ihm eine Geschwindigkeit bis zu 120 km i. d. Stunde verleiht. Die äussere
Form des Wagens kennzeichnet den Schnellfahrer. Niedrige Lage des Rahmens, weit
vorgebaute Vorderachse, langer Radstand. Die Karosserie, nur aus zwei Sitzen für den
Fahrer und einen Begleiter bestehend, schliesst sich unmittelbar hinter diesen flach
zusammen, abgeschrägt, um der Luft auch hinter dem Wagen noch eine Führung zum guten
Zusammenströmen zu geben. Die Steuersäule ist sehr stark geneigt, der Führer sitzt
beinahe eingezwängt hinter dem Lenkrad. Alle Hebel zur Bedienung, rechts vom Sitz
eine Handbremse und die Zahnräderumschaltung, auf dem Lenkrad die Vorrichtungen zur
Regulierung des Motors, vorn an dem steil aufsteigenden Fussboden die Pedale zu
zwei Vorgelegebremsen und der Kupplung (nur eines ist sichtbar), liegen so, dass der
Fahrer sie bequem bedienen kann, ohne die Lage seines Körpers verändern zu müssen.
Fast die Hälfte des ganzen Platzes auf dem Rahmen nimmt das Motorgehäuse ein, an
dessen Vorderfläche der engmaschige Röhrenkühler zu erkennen ist. Alles deutet auf
Gewichtsersparnis, das Kettenrad ist trotz seiner kaum erkennbar geringen Dicke noch
vielfach ausgebohrt, der Rahmen und die Achsen sind von den leichtesten
Querschnitten ⊏ und ⌶. Alles überflüssige ist fortgelassen, Einsteigetritte,
Kotflügel, Laternen fehlen. An sich sollte man annehmen, dass die ebene Vorderwand
einen grossen Luftwiderstand haben würde, doch ist zu berücksichtigen, dass der
Zwischenraum zwischen den einzelnen wagerecht liegenden Kühlrohren kaum einen
Millimeter dick ist, so dass der Luft, die durch die Rohre strömt, fast der ganze
Querschnitt der Motorhaube zur Verfügung steht. Dann aber saugt der kräftige
Schwungradventilator die Luft sofort aus dem Motorgehäuse ab, so dass tatsächlich
fast kein Widerstand entsteht. Die Luft prallt nirgends an eine ebene Wand innerhalb
des Gehäuses.
Unter günstigen Verhältnissen kann der Wagen auch über 120 km i. d. Stunde
Geschwindigkeit erzielen.
Derselbe Wagen wird von der Fabrik als Tourenwagen hergestellt, Fig. 8 zeigt ihn in diesem Gewande, mit einer
Tonneau-Karosserie für 4–5 Personen. DieMaschineneinrichtung ist dieselbe; man
hat sogar schon gesagt, die Fabrik baue bisher überhaupt keine Rennwagen, ihre
Rennwagen seien nur die normalen Tourenwagen mit aufgesetzter Rennkarosserie. Der
Ausspruch scheint allerdings berechtigt, wenn man die oft verzweifelten
Anstrengungen mancher, namentlich ausländischer Fabriken betrachtet, die sich
abquälen, mit gekünstelten Konstruktionen in den vorgeschriebenen Gewichtsgrenzen zu
bleiben, und die auf diese Weise allerdings besondere Rennwagen herausbringen, die
ihren normalen Fabrikaten kaum ähnlich sehen. Die Daimler sehe Fabrik hat es bisher verstanden, alle Bedingungen mit ihren
normalen Fabrikaten zu erfüllen, gewiss eine ganz hervorragende Leistung.
Textabbildung Bd. 319, S. 490
Fig. 7. Rennwagen von 60 PS der Daimler-Motoren-Gesellschaft Cannstatt.
Textabbildung Bd. 319, S. 490
Fig. 8. Tourenwagen von 60 PS der Daimler Motoren-Gesellschaft
Cannstatt.
Dass bei diesen ungewöhnlich schnellfahrenden Wagen ganz besonderes Gewicht auf die
sorgfältige Ausbildung des Laufzeugs, der Lenkung und der Bremsen gelegt wird, ist
selbstverständlich. In der Tat sind denn auch die Konstruktionen dieser Fabrik
vorbildlich geworden, sie werden vielfach nachgeahmt, doch muss auch hier betont
werden, dass es nicht allein die Konstruktion an sich ist, die die Güte des
Fabrikates ausmacht, sondern vor allem auch die Güte der Arbeit und die richtige
Wahl und Behandlung des Materials. Das sind aber Erfahrungen, die sich nicht absehen
lassen. Auf gewisse Einzelheiten soll später noch zurückgegriffen werden.
Die zweite Gruppe, Tourenwagen von mittlerer Leistung, ist das Gebiet der meisten
Automobilfabriken. Die Auswahl der Fahrzeuge ist deshalb sehr gross. Als gute
Beispiele für diese Art von Wagen greifen wir die der Adler-Fahrradwerke vorm. Heinrich Kleyer, Frankfurt a. M. heraus, einer
Fabrik, die sich von vornherein nur mit der Erzeugung von leistungsfähigen
Personenfahrzeugen befasst hat, unter Verzicht auf besonders hervorragende
Geschwindigkeiten, aber mit besonderer Rücksicht auf zuverlässige Arbeit und
Betriebsicherheit. Vielleicht konnte man ihren ersten Erzeugnissen nachsagen, dass
sie allzusehr in Anlehnung an die Fahrradtechnik entstanden waren, die Ausbildung
des Rahmens insbesondere, auch der Achsen usw. war durchaus Fahrrad-ähnlich;
trotzdem waren auch diese Fahrzeuge sehr brauchbar, sie zeichneten sich durch
geringes Gewicht aus und fanden schnell eine weite Verbreitung, dank der grossen
Zuverlässigkeit, einer Folge der Präzisionsarbeit der Fabrik.
Die Firma liess es sich jedoch angelegen sein, rastlos an der Ausbildung der
Einzelteile weiterzuarbeiten, sie baut seit einem Jahre die Motoren selbst, und zwar
in vorzüglicher konstruktiver und werkstattmässiger Ausfühführung, sie hat sich die
Fortschritte der Presstechnik in hervorragender Weise zunutze gemacht, vor allem
legt sie Gewicht auch auf die äussere Erscheinung der Wagen und sucht namentlich
eine grosse Bequemlichkeit für die Insassen zu bieten. Breite, bequeme Sitze,
geräumige Wagenkästen, übergreifende, weiche Polsterung sind die Merkmaleder
neuen Fahrzeuge. Es muss auch noch hervorgehoben werden, dass die Adlerwerke wohl die ersten waren, wenigstens in
Deutschland, die den Wagen mit seitlichem Einstieg ausbildeten, der sich immermehr
steigender Beliebtheit erfreut, da er sich vor allem für die geschlossenen
Wagentypen eignet.
Textabbildung Bd. 319, S. 491
Fig. 9. Touremvagen von 24 PS der Adler-Fahrradwerke vorm. Heinr. Kleyer,
Frankfurt a. M.
Textabbildung Bd. 319, S. 491
Fig. 10. Tourenwagen von 24 PS der Adler-Fahrradwerke vorm. Heinr. Kleyer,
Frankfurt a. M.
In den Fig. 9, 10 und
11 geben wir Abbildungen der neuesten
Erzeugnisse dieser Firma wieder, einen 24 PS Tourenwagen, Ausführung 1904. Es ist
dies das schwerste Fahrzeug, das die Adlerwerke
herstellen, in der Bauart dasselbe wie alle andern Typen, die sich nach der Leistung
von 24, 16, 12 und 8 PS abstufen. Die elegante äussere Erscheinung, Fig. 9, lässt den innern Aufbau schon erraten, der in
den beiden andern Abbildungen näher zu verfolgen ist. Der Wagen gehört dem Antrieb
nach in die Gruppe der Cardan-Wagen. Die guten
Erfahrungen, die die Firma mit diesem Antrieb gemacht hat, haben sie bewogen, ihn
auch bei diesen grösseren Leistungen beizubehalten. Die Ausbildung der Hinterachse
ist verhältnismässig leicht, sie trägt nur in der Mitte das Gehäuse mit den
Kegelrädern und dem Differentialgetriebe, alles andere ist Stahlrohr. Auf eine gute
Abstützung der Achse in Hinsicht auf die Reaktionen des Drehmomentes ist besonders
Rücksicht genommen. Das Wechselgetriebe enthält drei Geschwindigkeitsstufen und
einen Rücklauf, die Verstellung geschieht mit dem Kugel-Handgriff an der
Steuersäule. Bei der grössten Geschwindigkeit ist kein Zahnradpaar im
Wechselgetriebe eingeschaltet, die beiden Wellenenden befinden sich in unmittelbarer
Kupplung, so dass Arbeitsverluste hier nicht eintreten. Alle Wellen sind in
Kugellagern der deutschen Waffen- und Munitionsfabriken
montiert. Die Anordnung von Kühler mit Ventilator, Motor und Reibungsoupplung im
Schwungrad ist die normale; bemerkenswert ist die Anbringung des Ventilators am
Kühler, nicht am Motor, wie man es häufig findet. Man erzielt dadurch eine
einfachere und genauere Montage, Vibrationen des Kühlers relativ zum Motor, die nie
zu vermeiden sind, werden durch die elastische Riementransmission ausgeglichen;
ausserdem hat man die Möglichkeit, eine einfache Riemenspannvorrichtung mit dieser
Aufstellung zu vereinigen.
Textabbildung Bd. 319, S. 492
Fig. 11. Tourenwagen von 24 PS der Adler-Fahrradwerke vorm. Heinr. Kleyer,
Frankfurt a. M.
Der Motor, auf den später noch näher einzugehen sein wird, ist nach allen Richtungen
hin gut durchgearbeitet. Er hat, wenigstens bei den grösseren Ausführungen,
zweierlei Zündung, eine normale Kerzenzündung mit Akkumulatorenbetrieb und
Induktionsspule neben der elektromagnetischen Abreisszündung nach BoschD. p. J.
1903, 318, 635., alle wichtigen
reibenden Teile sind im Kurbelgehäuse mit eingekapselt, so dass der ganze Motor
unempfindlich gegen Staub wird.
Der Fahrzeugrahmen besteht, wie alle besseren Fahrzeuge es jetzt aufweisen, aus ⊏
förmig gepresstem Stahlblech, das infolge dieser Form sich sehr bequem zur
Anbringung aller Verbindungen und Nebenteile eignet und bei kleinstem Gewicht eine
grosse Tragfähigkeit besitzt. Auch die Achsen sind in Rücksicht auf Leichtigkeit
besonders durchgebildet, die Vorderachse besteht nur aus Stahlrohr und gepressten
Stahlrohrformstücken.
Es ist beim Gesamtaufbau Wert darauf gelegt worden, alle Teile, die zur Maschine
gehören, möglichst unmittelbar am Untergestell anzubringen; man hat deshalb
dieHinterwand des Motorgehäuses, an der viele Hilfseinrichtungen, wie
Zentralschmierapparat, Manometer usw. anzubringen sind, fest mit dem Rahmen
vereinigt und betrachtet sie nicht als zur Karosserie gehörig. Ebenso sind die
Werkzeugkästen und die Akkumulatoren unmittelbar am Rahmen befestigtigt, in der
Karosserie ist eigentlich nur der Benzinbehälter unterzubringen, der höher als die
Vergasungsvorrichtung liegen muss, wenn man mit natürlichem Gefälle das Benzin zur
Maschine führen will, was im Interesse der Einfachheit vorzuziehen ist. Für die
Anbringung und Ausbildung der Karosserie ist demnach die grösste Freiheit
gewährleistet, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Die Ausbildung der Bremsen und der Lenkung ist sehr sorgfältig. Jedes der beiden
Hinterräder ist mit einer Innenbremse ausgerüstet, die mittelst des querliegenden,
der Leichtigkeit wegen gelochten Hebels von dem seitlich neben dem Führersitz
stehenden Handhebel aus angezogen werden. Die Anordnung ist der gleichmässigen
Wirkung wegen ganz symmetrisch. Eine Vorgelegebremse sitzt unmittelbar hinter dem
Wechselgetriebe auf der Cardan-Welle, ihre Betätigung
geschieht durch das rechts von der Steuersäule liegende Pedal. Um auf Bergfahrten
vor unbeabsichtigtem Rückfahren sich zu sichern, ist eine Bergstütze vorgesehen, die
mit dem in Fig. 10 in der Mitte sichtbaren
Kugelgriff in Verbindung steht.
Die ganze Anordnung ist im wesentlichen bei allen Tourenwagen wiederzufinden, die
Unterschiede liegen eigentlich nur in der Stärke der Motoren, die meist zwei- oder
vierzylindrig ausgeführt werden, und in der verschiedenen Länge der Wagen. Eine
grössere Einfachheit ist kaum zu erzielen, die Summe der notwendigen Hilfsapparate
und Nebeneinrichtungen bleibt auch beim kleinen Wagen dieselbe, infolgedessen auch
das Gewicht und noch mehr der Preis.
(Fortsetzung folgt.)