Titel: | Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen Webstuhle. |
Autor: | Siegm. Edelstein |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 492 |
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Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen
Webstuhle.
Von Prof. Siegm. Edelstein.
(Fortsetzung von S. 476 d. Bd.)
Die Kettenschaltgetriebe am mechanischen Webstuhle.
c) Das Wendegetriebe.
Die Notwendigkeit den Kettenbaum beim Schusssuchen oder Schusstrennen
zurückzubewegen, bringt es mit sich, dass man in allen Fällen, in welchen ein
Schaltwerk zum Antriebe benützt wird, eine besondere Anordnung zur Rückbewegung
schaffen muss, da die einfache Klinkenbewegung das Regulatorgetriebe nur in
einer Richtung anzutreiben vermag.
Man wendet zu diesem Zwecke entweder das bereits früher erwähnte und in den
schematischen Skizzen (Fig. 37 und 45) enthaltene Kegelräderwendegetriebe an, dessen
Ausführung die beistehende Fig. 46 zeigt, wobei
Km das vom
Schaltwerke getriebene, Ko und Ku
die beiden auf einer gemeinsamen Hülse auf der Welle w lose sitzenden
Textabbildung Bd. 319, S. 492
Fig. 46.
und je nach der Stellung der Verschubklaue p in Eingriff stehenden Kegelräder vorstellen, und
m eine auf der Schneckenwelle w aufgekeilte, durch den Bolzen b die Drehbewegung abnehmende Scheibe ist, oder es
werden zwei nach entgegengesetzten Richtungen arbeitende Klinken oder
Klinkensysteme Kv
nnd Kr
Fig. 47 und 48
auf ein gemeinsames Schaltrad derart aufgesetzt, dass je nach der Stellung des
Hebels h bezw. der Zugstange t die eine oder die andere Klinkenreihe zum
Eingriffe gelangt. Zu diesem Zwecke t tragen die
Klinken Bohrungen, durch welche die Bolzen bv bezw.
br
hindurchtreten, letztere sind an den Armen A, die
mit dem Hebel h verbunden sind, befestigt, so dass
eine Verstellung dieses Armes den Klinkeneingriff verändert.
Textabbildung Bd. 319, S. 493
Fig. 47.
Textabbildung Bd. 319, S. 493
Fig. 48.
Beide der genannten Wendegetriebe gestatten auch eine Mittelstellung, bei welcher
auch eine Verdrehung des Kettenbaumes von Hand aus behufs seiner genauen
Einstellung ermöglicht ist. Wird statt des Klinkenantriebes mit
Schneckenradanordnung eine einfache Transmission etwa durch Stirn- und
Kegelräder von irgend einer rotierenden Welle angewendet, so ist es zweckmässig,
eine einfache lösbare Kupplung in das Getriebe einzuschalten, um den Kettenbaum
nach Lösung derselben von Hand aus verstellen zu können.
2. Technologische Würdigung des Kettenbaumregulators.
Wenn man daran geht, den Kettenbaumregulator in bezug auf seine Arbeitseigenschaften
zu untersuchen, so zeigt sich sofort ein prinzipieller Unterschied desselben
gegenüber den Bremsen.
Wohl hat er mit diesen das eine gemeinsam, dass auch er als Apparat für den
Kettenablass zu wirken bestimmt ist, allein in der Art seiner Tätigkeit, in seiner
Einwirkung auf den Arbeitsprozess und seinem Einflüsse auf die Gestaltung des
Arbeitsproduktes, besitzt er einen vollständig abweichenden Charakter. Während die
Kettenbaumbremsen der Kettenbaumbewegung nur Widerstand leisten und es sonach dem
andern zugeteilten Schaltgetriebe der Kette überlassen, dieselbe effektiv
vorzuschalten, erteilt der Kettenbaumregulator selbständig dem Kettenbaume die
entsprechende Bewegung, die infolgedessen von ihm direkt abhängig wird, und da das
Ausmaass derselben auf die Beschaffenheit des herzustellenden Gewebes in Hinsicht
auf dessen Schussanlage und Schussdichte von entscheidendem Einflüsse ist, so ergibt
sich die direkte Einwirkung des Kettenbaumregulators auf diese Umstände un
Gegensatze zu dem Verhalten der Bremsen, die in dieser Richtung ohne jede Ingerenz
bleiben. Der künstlich eingeleitete Widerstand, den diese letzteren der
Kettenbewegung entgegensetzen, ruft in der freiliegenden Kette eine entsprechende
Spannung hervor, die unmittelbar von demselben abhängig ist und durch seine
jeweilige Einstellung verändert werden kann; hingegen ist wieder das Getriebe des
Kettenbaumregulators an sich nicht befähigt, die Kettenspannung unmittelbar zu
bestimmen.
Der Kettenbaum ist durch den Regulator in jenen Momenten, in welchen die
Schaltbewegung nicht stattfindet, vollkommen festgehalten, er hat daher weder die
Tendenz die Kette weiter vorzubewegen, noch sie zurückzunehmen, wenn man
selbstverständlich von den belanglosen elastischen Deformationen des Triebwerkes
absieht. Das selbsthemmende Sperrwerk wirkt demnach wie eine feste
Aufhängevorrichtung für die Kette und die in derselben zutage tretenden Spannungen
werden sich wohl als Rektionen im Triebwerk fühlbar machen, beeinflusst können sie
aber nur durch andere Organe des Webstuhles werden, etwa durch den
Warenbaumregulator, der durch seineTendenz die Ware aufzuwickeln einen Zug auf
die Kette ausübt, oder in anderen Fällen durch einen Streichbaum, über welchen die
Kette geführt wird, und der durch Federn oder Gewichte in solcher Richtung zu
verschieben gesucht wird, dass er die Kettfäden anspannt.
Fasst man daher die positiven Eigenschaften des Regulators ins Auge, so erkennt man,
dass es sein eigentlicher Zweck ist die Kettenschaltung in solcher Art zu
beeinflussen, dass eine bestimmte Schussdichte erhalten wird, eine Aufgabe, der auch
andere Getriebe des Webstuhles, die Warenbaumregulatoren, dienen.
Es soll an späterer Stelle dieser Zusammenhang des Näheren ausgeführt werden,
immerhin wird man die eigentümliche Stellung des Kettenbaumregulators am besten
würdigen können, wenn man sich vorstellt, dass die Warenaufwicklung etwa in einem
bestimmten Falle durch einen Feder- oder Gewichtszug bewerkstelligt werde. Dieser
Zug der Warenaufwickelung ist es dann, der die Kettenspannung bestimmt, und es
übernimmt solcher Art die Warenaufwickelvorrichtung die Rolle der Kettenbaumbremse
inbezug auf deren Aufgabe-Festsetzung der Kettenspannung –, während der
Kettenbaumregulator deutlich seinen prinzipiellen Charakter zeigt, indem er die
sonst der Warenaufwickelvorrichtung allein zukommende Bestimmung der Schussdichte
erhält.
Wenn solcher Art die Arbeitstätigkeit der Kettenbaumregulatoren dieselben als eine
Type von Kettenablassvorrichtungen charakterisiert, die einen ganz eng begrenzten
Umfang ihrer technologischen Merkmale aufweist, und aus diesem Grunde naturgemäss
ein nur kleines Anwendungsgebiet erwarten lässt, so wird sich andererseits diese
Einschränkung durch die dann speziell hervortretende Nutzbarmachung besonderer
Eigenschaften als eine wertvolle Anpassung an besondere Umstände und Aufgaben
erweisen. Um für diese letzteren die nötige Grundlage zu gewinnen, mögen die
technologischen Eigentümlichkeiten der Kettenbaumregulatoren zusammengefasst werden;
es ergibt sich folgendes:
Der Kettenbaumregulator hat auf die Grösse der Kettenspannung
keinen direkten Einfluss. Der Kettenbaum ist fest,
ohne Spielvermögen, gehalten, wenn nicht die bei Fig. 38 erwähnten Einrichtungen angewendet werden. Die Grosse der
Kettenspannung kann jeden beliebig hohen Betrag
erreichen, eventuell bis zur Bruchfestigkeit der Kette oder des Regulatorgetriebes,
vorausgesetzt, dass nicht andere auf die Kettenspannung einwirkende Getriebe eine
bestimmte Grenze festlegen; der Regulator an sich ist hierfür nicht befähigt. Infolge der starren
Festhaltung des Kettenbaumes ist der Ladenanschlag ein
harter und die Schussanlage kann sehr dicht
erfolgen. Die für ein Bewegungsspiel des Webstuhles gelieferte Schaltlänge der Kette
hängt von der Schalttätigkeit des Regulators ab, wodurch er allein oder im Verein
mit der Warenaufwickelvorrichtung die Schussdichte
bestimmt. Die Einstellfähigkeit dieser
Schussdichte ist von dem Ausmaasse der Abstufung
abhängig, die das Schaltwerk erzielen lässt, und die Gleichmässigkeit der
eingestellten Schussdichte von jener der Regulatorschaltung.
Durch den Umstand, dass der Kettenbaumregulator die Kette zwangläufig und in jedem
beliebig gewünschten Ausmaasse schaltet, gewinnt man die Möglichkeit, bei Anordnung
mehrerer Kettenbäume einzelne derselben wesentlich mehr schalten zu lassen, als die
andern, also auch mehr, als die Grösse der Gewebeablieferung beträgt, und kann auf
diese Weise erreichen, dass der Bedarf für Flor oder Schlingen ohne Schwierigkeit
geliefert wird, wenn eben die Florkette durch den Kettenbaumregulator zur Schaltung
gelangt.
Aus dem Angeführten ergibt sich daher, dass sich das Anwendungsgebiet des Regulators
auf zwei Fälle erstrecken wird, einmal, wenn es sich darum handelt, den Kettenbaum möglichst kräftig
zur Erzielung hoher Schussdichten durch harten Ladenanschlag festzuhalten, wie dies
bei breiten Tuchstühlen, schweren Leinen- und Jutestühlen vorkommt, und im andern
Falle, um Webketten zu schalten, die, ohne grosse Spannung erleiden zu müssen, mit
Sicherheit um beträchtliche und gleich grosse Beträge, Schuss um Schuss, oder in
regelmässigen Zeiträumen, zum Verweben gebracht werden sollen, also vornehmlich
Florketten für Sammt- und Plüschstühle.
Wenn nun auch durch diese Eigenschaften dem Regulator ein spezielles Arbeitsgebiet zugewiesen erscheint, so hat die Praxis doch den
Weg betreten, demselben durch besondere Einrichtung, bezw. Umformung mehr den
Charakter einer allgemeinen Kettenablassvorrichtung zu
erteilen und es nach dieser Richtung hin erreicht, eine Selbstregulierung des
Regulators in der Art zu schaffen, dass er nur dann wirklich Kette abgibt, wenn der Bedarf nach Kette eingetreten ist. Dieses Ergebnis wird durch eine Ausgestaltung in der
Weise erzielt, dass die zwischen dem Kettenbaume und dem Warenbaume liegende freie
Kettenlänge auf das Triebwerk Einfluss nehmen kann; es wird eine Abhängigkeit des
Schaltapparates von dieser freien Kettenlänge in der Art vorgesehen, dass ersteres
nur dann zur Funktionierung gelangt, wenn diese Kettenlänge unter einen gewissen
Betrag sinkt, also ein Bedarf an Kette vorhanden ist, und dass es zu wirken aufhört,
oder seinen Schalthub verringert, wenn genügend viel freiliegende Kette vorhanden
ist.
Die konstruktive Durchführung dieses Gedankens bietet keine besonderen
Schwierigkeiten, sie wurde bereits in der Einleitung skizziert und an gleicher
Stelle wurde auch erwähnt, dass man in der Praxis derartige Kettenbaumregulatoren
als negativ wirkende bezeichnet. Man sieht sie im allgemeinen als eine besondere
Type von solchen Apparaten an, der eine prinzipielle Bedeutung zukomme.
Streng genommen ist eine solche wesentliche Unterscheidung nicht ganz am Platze, denn
nicht der Kettenbaumregulator ist es, der in diesen Fällen eine prinzipielle
Aenderung seines Aufbaues aufweist, sondern es ist vielmehr ein neu hinzukommendes
Webstuhltriebwerk, welches den Regulator in seiner Tätigkeit einschränkt oder
gänzlich hindert, bezw. freigibt, und dieses Triebwerk steht unter dem Einflüsse der
Kette, deren Verhalten dann in weiterer Folge, mittelbar, den Regulator
dirigiert.
Was die technologische Bewertung dieser Type des
Kettenbaumregulators anbelangt, so ist unschwer zu erkennen, dass das Ergebnis
seiner Arbeitstätigkeit keinen, die Nachteile seiner Kompliziertheit aufwiegenden
Vorteil mit sich führt. Zunächst ist ersichtlich, dass auch dieser Regulator an sich
nicht in der Lage ist, auf die Kettenspannung unmittelbar eine maassgebende Ingerenz
auszuüben; diese hängt direkt von dem Belastungszuge des schwebenden Streichbaumes
ab, der zur Aufnahme der Schwankungen in der freien Kettenlänge schwingend gelagert
und durch Feder- oder Gewichtszug nach der einen Seite – stuhlauswärts – gedrängt
wird, während ihn die Kette nach der andern Seite – stuhleinwärts – zu verschieben
sucht. Indem er solcher Art seine Lage je nach Maassgabe der freien Kettenlänge
einnimmt, wirkt er dann durch ein entsprechendes Gestänge auf die vorgesehene
Kupplung des Regulatortriebwerkes ein und veranlasst ein Schalten des Getriebes oder
eine Unterbrechung der Tätigkeit desselben, bezw. eine Aenderung der Hubgrösse und
in letzter Folge der Kettenlieferung. Wenn nun die Schaltung innerhalb
entsprechender Grenzen stattfindet,so wird, abgesehen von der durch die
Lagenänderung des Schwingbaumes etwa stattfindenden Aenderung des Kräftespieles an
demselben, die Anspannung der Kette ziemlich konstant bleiben, ein Umstand, der
gewiss vorteilhaft ist, ebenso wie die Tatsache, dass die Kettenspannung auch gegen
eine Ueberschreitung einer einstellbaren Grenze gesichert ist; indessen sind diese
Umstände, wie schon bemerkt, strenge genommen nicht dem Regulator als solchen,
sondern dem Hilfsgetriebe zuzuschreiben.
Auch die Art des Ladenanschlages, der hier nachgiebig, weich, ausfällt, wird nicht
durch die Kettenablassvorrichtung, sondern durch die Einbeziehung des schwebenden
Streichbaumes, hervorgebracht.
Aber nicht nur auf die Grösse der Kettenspannung und die Art des Ladenanschlages,
sondern auch auf die Schussanlage und die Grösse der erzielten Schussdichte bleibt
dieser Regulator ohne Einfluss. Von diesem Gesichtspunkte aus könnte seine Schaltung
eine ganz beliebige sein, doch ist sie immerhin aus andern Gründen an gewisse
Grenzen gebunden, die durch die Schaltgrösse der Warenaufwickelvorrichtung bezw. das
Ausmaass des Abwebens und andererseits durch die Spielweite des schwebenden
Streichbaumes gesteckt sind.
Sie darf zunächst nicht kleiner sein, als die Grösse des vom Warenbaumregulator bei
jeder Schaltung aufgenommenen Kettenbetrages, da sonst eine rasch wachsende und den
weiteren Betrieb ausschliessende Steigerung der Kettenspannung einträte, und selbst
wenn sie diese Grenze erreicht, der Kettenbaumregulator dann nur in ein
kontinuierlich wirkendes, auf die Schaltung des Warenbaumes genau abgepasstes
Ablassgetriebe verwandelt würde. Aber auch nach oben ist die Grenze der Schaltung
eine genau bestimmte, denn es ist einleuchtend, dass der Mehrbetrag, um den die
Kette bei einer effektiven Baumbewegung geschaltet wird, gegenüber der Gewebelänge,
die gleichzeitig zur Aufwicklung gelangt, durch das Ausschwingen des schwebenden
Streichbaumes aufgenommen werden muss, und dass dieses ohne Schlaffwerden der Kette
nur insolange möglich ist, als dieser Betrag innerhalb der Spielweite des genannten
Streichbaumes liegt.
Fasst man daher die Arbeitseigenschaften dieses Regulators zusammen, so zeigt sich,
dass sie im wesentlichen nur negativer Natur sind. Mit
dem positiven Kettenbaumregulator teilt er den Nachteil, dass er auf die
Kettenspannung ohne Einfluss ist, aber während ersterer wenigstens auf die
Schussanlage und Schussdichte bestimmend wirkt, verliert der negative Regulator auch
diese Einflussnahme, seine Tätigkeit sinkt daher auf eine durch andere Getriebe in
ihrem Ausmaasse bedingte zwangläufige Kettenbaumschaltung herab, ohne irgend welche
wesentlichen Vorteile aufzuweisen. Von einem allgemeineren Gesichtspunkte
aufgefasst, stellt er in seinem Gesamtgetriebe nichts anderes als ein
Ablasstriebwerk entsprechend einer Bremse vor, ohne aber deren Einfachheit zu
besitzen. Ersetzt man die, bei der letzteren als mechanische Verbindung zwischen
Seil und Bremsscheibe auftretende Reibung, die sich automatisch und direkt löst und
schliesst, durch das schwerfälligere Getriebe des schwebenden Streichbaumes, der
auch die Abwickelbewegung hemmt und freigibt, und lässt man, statt den Kettenbaum
einfach dem Zuge der Kette folgen zu lassen, für diese Bewegung ein besonderes
Triebwerk in Funktion treten, so hat man den negativen Kettenbaumregulator
geschaffen, eine schwerfällige und teure Anordnung, statt der bedeutend einfacheren
und dabei noch immer vorteilhafteren der Bremse.
(Fortsetzung folgt.)