Titel: | Leichte Dampflokomotiven der Firma A. Borsig, Berlin-Tegel. |
Autor: | M. Buhle |
Fundstelle: | Band 319, Jahrgang 1904, S. 745 |
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Leichte Dampflokomotiven der Firma A. Borsig,
Berlin-Tegel.
Von M. Buhle, Professor in
Dresden.
Leichte Dampflokomotiven der Firma A. Borsig,
Berlin-Tegel.
Ihrem Verwendungszweck entsprechend, kann man die
grosse Zahl der leichten Dampflokomotiven, welche gegenwärtig eine ganz
hervorragende Rolle für das gesamte Verkehrswesen erlangt haben, in folgende vier
Hauptgruppen einteilen:
1. Lokomotiven für Bauunternehmungen und
Transportbahnen,
2. Lokomotiven für Wald-, Forst- und Plantagenbahnen,
3. Lokomotiven für Anschlussbahnen und Rangierzwecke,
4. Lokomotiven für Stadt-, Klein- und Nebenbahnen.
Textabbildung Bd. 319, S. 745
Fig. 1. 2/2-gek. Tender-Lokomotive (500 mm Spur, 5,25 t Dienstgewicht.
Der Verschiedenheit des Zweckes entsprechen auch die Grundsätze, welche die Bauarten
der einzelnen Typen bedingen, wobei vor allem beachtet werden muss, dass die an
diese Gattung von Lokomotiven gestellten Anforderungen andere, teilweise grössere
sind als bei Vollbahnen. Bei den für leichte Lokomotiven in Betracht kommenden
kleineren Betrieben wird im Gegensatz zu dem meist grossen Lokomotivpark von
Vollbahnen selten eine Reservemaschine vorhanden sein, so dass die Lokomotive
tagaus, tagein, zuweilen Tag und Nacht unter schwierigen Verhältnissen
ununterbrochen arbeiten muss und für eine gründliche Reinigung und Reparatur nur
selten Zeit gefunden wird. Den Lokomotiven von Vollbahnen wird stets eine
sorgfältige und fachmännische Wartung zuteil, während dies bei leichten Lokomotiven
selten der Fall sein wird, da oft nur ein intelligenterer Arbeiter mit der Führung
und Wartung der leichten Lokomotive betraut werden kann. Dem Verwendungszweck
entsprechend wird der Betrieb meist ein vorübergehender und provisorischersein
und das Gleis nur mit geringer Sorgfalt verlegt werden können, und hierdurch wird
die leichte Lokomotive ebenfalls oft sehr beansprucht.
Alle diese Punkte sind beim Bau von leichten Lokomotiven zu beachten und haben bei
den Entwürfen zu den Grundsätzen geführt: grösste Einfachheit in der Bauart,
Uebersichtlichkeit in Anordnung des Triebwerkes und der Armaturen, Verwendung nur
besten Materials, grosse Dauerhaftigkeit und kräftige Abmessungen aller der
Abnutzung unterworfenen Teile.
Textabbildung Bd. 319, S. 745
Fig. 2.
Unterscheidet man nach der Bauart und nach dem
Verwendungszweck, d.h. nach Gesichtspunkten, die, obgleich sie sich zum
Teil decken, praktisch gleiche Berechtigung für die Einteilung haben, so ergeben
sich neun Gruppen, nach denen auch im folgenden im Einzelnen die Borsigschen Lokomotivtypen besprochen werden
sollen:
1. Zweiachsige Tenderlokomotiven,
2. dreiachsige Tenderlokomotiven,
3. gelenkige Doppel-Verbundlokomotiven,
4. Kranlokomotiven,
5. Lokomotiven für Bauunternehmungen,
6. Strassenbahnlokomotiven,
7. Lokomotiven für Wald-, Forst- und Plantagenbahnen,
8. Lokomotiven für Anschlussbahnen und Rangierzwecke,
9. Lokomotiven für Stadt-, Klein- und Nebenbahnen.
1. Zweiachsige
Tenderlokomotiven.
Die allgemeine Einrichtung solcher Maschinen geben die Fig.
1 und 2 wieder; diese Lokomotiven eignen
sich für alle Transportzwecke auf beweglichen oder festliegenden Gleisen,
insbesondere für Erdtransporte bei Bauunternehmungen für Industrie-, Werk-, Kohlen-
und Forstbahnen, für Rangierzwecke, sowie in ihren grösseren Ausführungen für
schmalspurige und normalspurige Kleinbahnen. Besonders bei den erstgenannten
Verwendungsarten haben sie vor dem Betrieb mit Pferden den Vorzug eines um etwa 50
v. H. billigeren Betriebes und vor dem elektrischen Betrieb den Vorteil grösserer
Beweglichkeit.
Die Vorratsbehälter für das Speisewasser werden zweckmässig unter den Kessel zwischen
die Rahmen gelagert, um den Lokomotiven auch bei schmaler Spurweite und weniger
sorgfältig verlegten Gleisen eine gute Stabilität zu sichern. Das Triebwerk und
gewöhnlich auch die Räder liegen ausserhalb der Rahmen, so dass das ganze Gewerk mit
leichter Mühe jederzeit geprüft und nachgesehen werden kann.
Im Interesse schneller Lieferungen wird von den in den nachstehenden Tabellen als
Normaltypen bezeichneten Lokomotiven stets eine Anzahl fertiger Einzelteile vorrätig
gehalten, so dass in den meisten Fällen die Lieferung der Lokomotiven innerhalb
weniger Monate, diejenige von Ersatzteilen meist sofort erfolgen kann. Natürlich
werden ausserdem auch Lokomotiven jeder gewünschten Bauart und Stärke ausgeführt,
welche dann naturgemäss eine etwas längere Lieferzeit bedingen.
Fig. 3 zeigt ein Schema der Zugleistungen von den in
Tab. 1 aufgeführten Lokomotiven bei verschiedenen Steigungen. Die
Stundengeschwindigkeiten bei diesen Leistungen sind für I = 8 km, für II = 9 km, für
III, IV, V, VI = 10 km, für VII und VIII = 13 km. Die Leistungen sind ermittelt
unter der Annahme, dass das Gleisordnungsmässig verlegt ist, die Wagen ein kleinstes
Reibungsgefälle von 1 : 200 habenDie Reibung
in den Lagern der Wagen ist gerade noch so gross, dass die Wagen auf
Steigungen von 1 : 200 von selbst ins Rollen kommen. Diese Festlegung einer
bestimmten Ziffer für den Reibungswiderstand ist notwendig, da bei den hier
in Betracht kommenden Betrieben häufig sehr primitives Wagenmaterial
Verwendung findet, das, wenn schlecht oder garnicru geschmiert, der
Fortbewegung durch die Lokomotive einen Widerstand entgegensetzen kann, den
zu schätzen man kaum in der Lage ist, so dass man Zugleistungen der
Lokomotiven nur dann, zu garantieren vermag, wenn für den zulässigen
Reibungswiderstand der Wagen eine Grenze gezogen ist, deren Wert in die
Rechnung eingestellt wird. und der Achsdruck der Wagen annähernd
gleich dem der Lokomotiven ist. Die wertvollen Ziffern der Schemata, sowie der
Tabellen sind nicht als in jedem Falle mass-gebend anzusehen; sie sollen vielmehr
nur dazu dienen, einen allgemeinen Voranschlag aufzustellen.
Bekanntlich werden schmalspurige Lokomotiven fastimmer (merkwürdigerweise und im
Gegensatz zu den Vollbahnlokomotiven) nach der Zahl von PS bestellt, wie man das
z.B. auch aus Anzeigen in den Zeitschriften usw. ersehen kann. Auch für diese
geschäftliche Seite der Frage bilden die Zahlen und Schaulinien ein vortreffliches
Hilfsmittel.
Einige weitere zweiachsige Tenderlokomotiven werden später behandelt (s. Abschnitt
5–9).
2. Dreiachsige
Tenderlokomotiven.
Sechsrädrigen, dreifach gekuppelten Lokomotiven bietet sich – wie den zweiachsigen –
ein weites Feld der Verwendung. Vor letzteren haben sie den Vorteil, dass bei
gleichem Oberbau eine wesentlich stärkere Maschine, oder bei gleich kräftiger
Maschine ein leichterer Oberbau gewählt werden kann.
Textabbildung Bd. 319, S. 746
Fig. 3. Schema der Zugleistungen der in Tab. 1 aufgeführten Lokomotiven bei
verschiedenen Steigungen.
Tonnen-Zuggewicht ausser dem
Eigengewicht.
Der durch die dritte Achse sich ergebende grössere Radstand begrenzt andererseits die
zulässigen Krümmungen in der Weise, dass deren Halbmesser für dreiachsige
Lokomotiven – von besonderen Bauarten abgesehen – im allgemeinen grösser sein müssen
als bei zweiachsigen.
Tabelle 1.
Hauptabmessungen einiger meist gebräuchlichen zweiachsigen
Tender-Lokomotiven.
No.
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Pferdestärken
10
20
30
40
50
80
120
150
PS
Spurweite
500
500
600
600
750
900
900
1435
mm
Zylinder-Durchmesser d
115
140
165
185
210
260
300
320
„
Kolbenhub s
200
260
300
300
300
400
400
450
„
Rad-Durchmesser D
500
600
600
600
650
800
800
900
„
Dampfdruck p
15
15
14
12
12
12
12
12
Atm
Heizfläche
(wasser- berührte)
5
8
12
15
19
28
40
50
qm
Rostfläche
0,2
0,25
0,3
0,35
0,4
0,55
0,7
0,9
„
Raum für Wasser
250
350
450
500
750
1200
1500
3000
l
Raum für Brennmaterial
150
200
300
350
450
700
1000
1200
„
Radstand
800
900
1000
1100
1200
1600
1800
2200
mm
Leergewicht (rd.)
3,1
4,4
5,4
6,2
6,9
10,5
13,5
16,5
t
Dienstgewicht (rd.)
4,0
5,5
6,7
7,7
8,8
13,8
18,0
23
„
Kleinster Krümmungs- halbmesser
8
10
12
15
20
40
50
75
m
Grösste Geschwindigkeit
12
15
15
15
20
30
30
35
km/St.
Zugkraft \left(\frac{0,5\,p\,d^2\,s}{D}\right)
396
637
816
1026
1223
2028
2528
3072
kg
Daher eignen sich die dreiachsigen Lokomotiven in ihren kleineren Abmessungen in
erster Linie für Werk- und Transportbahnen mit leichtem Oberbau und nicht zu kleinen
Krümmungen, in ihren grösseren Abmessungen für Kleinbahnen, welche neben dem Güter-
auch dem Personenverkehr dienen und mit Rücksicht auf eine billige Gesamtanlage über
verhältnismässig schwachen Oberbau verfügen.
Textabbildung Bd. 319, S. 747
Fig. 4. 3/3-gek. Tender-Lokomotive (1 m Spur, [15,8 t Dienstgewicht.
Textabbildung Bd. 319, S. 747
Fig. 5.
Textabbildung Bd. 319, S. 747
Fig. 6. Schema der Zugleistungen der in Tab. 2 aufgefürten Lokomotiven bei
verschiedenen Steigungen.
Tonnen-Zuggewicht ausser dem
Eigengewicht.
Fig. 4 und 5 zeigen
die allgemeine Anordnung einer solchen Kleinbahnlokomotive, die sowohl für schmale
wie für normale Spurweite in den verschiedensten Abmessungen von der Firma A. Borsig gebaut wurden. Tab. 2 und Fig. 6 geben über einige Abmessungen und über die
Leistungen Aufschluss.
Die Geschwindigkeiten bei diesen Leistungen sind für die Typen I gleich 9 km/St., für II,
III, IV und V gleich 10 km/St., für VI gleich 13 km/St., und für VII gleich 18 km/St. Die
Leistungen sind unter denselben Annahmen wie bei Fig.
3 ermittelt, nur ist das Mindestreibungsgefälle bei den Typen VI und VII
zu 1 : 250 angenommen.
3. Gelenkige
Doppel-Verband-Lokomotiven.
Wie bei den dem öffentlichen Verkehr dienenden Bahnen, so werden auch bei den Klein-
und Transportbahnen die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Betriebsmittel immer
höhere. Der Erfüllung dieser Ansprüche stellen sich indessen in der Beschaffenheit
des oft mit Rücksicht auf eine billige Bahnanlage verhältnismässig schwachen
Oberbaues häufig erhebliche Schwierigkeiten in den Weg.
Als eine sehr glückliche Lösung dieser Schwierigkeiten kann die durch Fig. 7 und 8
veranschaulichte Bauart bezeichnet werden, welche in neuerer Zeit immer weitere
Anwendung findet. Der Grundgedanke dieser Bauart ist der, dass das Laufwerk in zwei
durch besondere Dampfzylinder angetriebene Gestelle zerlegt ist, welche durch ein um
einen senkrechten Zapfen drehbares Scharnier mit einander verbunden sind, während
der gemeinschaftliche Kessel sowie das Führerhaus und die Wasserkästen mit dem
Hintergestell ein fest verbundenes Ganzes bildend, auf dem Vordergestell mittels
Schleifflächen ruht und diesem damit freie Beweglichkeit in den Kurven
gestattet.
Textabbildung Bd. 319, S. 748
Fig. 9. Schema für die Leistungen der in Tab. 3 aufgeführten Lokomotiven bei
verschiedenen Steigungen.
Tonnen-Zuglast ausser dem
Lokomotivgewicht.
Tabelle 2.
Hauptabmessungen einiger gebräuchlichen dreiachsigen
Tender-Lokomotiven.
No.
I
II
III
IV
V
VI
VII
für Transportzwecke
für Kleinbahnen
Pferdestärken
20
30
40
50
80
125
250
PS.
Spurweite
500
600
600
750
750
1000
1435
mm
Zylinder-Durchmesser d
140
160
185
210
260
300
350
„
Kolbenhub s
260
260
300
300
400
450
550
„
Rad-Durchmesser D
600
600
650
650
800
900
1100
„
Dampfdruck p
15
14
12
12
12
12
12
Atm
Heizflache (wasser- berührte)
8
12
15
18
28
41
67
qm
Rostfläche
0,25
0,3
0,35
0,4
0,6
0,8
1,3
„
Raum für Wasser
300
450
500
700
1000
1600
4000
l
Raum für Brennmaterial
200
300
350
450
700
900
1250
„
Radstand
1275
1275
1400
1400
1800
2200
3000
mm
Leergewicht (rd.)
4,8
6,0
6,7
7,6
11,5
15,5
24,5
t
Dienstgewicht (rd.)
6,0
7,4
8,4
9,5
14,5
20,0
32,0
„
Kleinster Krümmungs- halbmesser
20
20
30
30
50
60
200
m
Grösste Geschwindigkeit
15
15
20
20
30
35
45
km/St.
Zugkraft \left(\frac{0,5\,p\,\cdot\,d^2\,\cdot\,s}{D}\right)
637
776
948
1223
2028
2700
3675
kg
Tabelle 3.
Hauptabmessungen einiger gebräuchlichen
Doppel-Verbund-Lokomotiven.
No.
I
II
III
IV
V
Pferdestärken
80
120
180
250
350
PS.
Spurweite
600
600
750
1000
1000
mm
Hochdruck-Zylinder
200
215
250
280
310
„
Niederruck-Zylinder d
290
320
375
420
460
„
Gemeinschaftl. Hub s
260
300
380
500
550
„
Rad-Durhmesser D
600
650
800
1000
1100
„
Dampfdruck p
12
12
12
12
12
Atm.
Heizfläche (wasser-
berührte)
26
36
50
75
85
qm
Rostfläche
0.5
0.7
0.9
1.2
1.4
„
Fester Radstand
800/800
900/900
1050/1050
1500/1500
1800/1600
mm
Gesamt-Radstand
2800
3000
3600
4500
4800
„
Raum für Speisewasser
1800
2000
2400
3200
3500
l
Raum für Brennmaterial
700
800
900
1000
1000
„
Leergewicht (rd.)
11
14
19
26
32
t
Dienstgewicht (rd.)
15
18
25
33
40
„
Zugkraft \left(\frac{0,5\,d^2\,\cdot\,s\,\cdot\,p\,\cdot\,2}{D}\right)
2080
2480
3560
4700
5760
kg
Kleinster Krümmungs- halbmesser
20
25
40
60
75
m
Grösst Geschwindigkeit
20
25
30
35
40
km St.
Der grosse Vorteil dieser Bauart liegt darin, dass man trotz kleiner Kurven und
schwacher Schienen kräftige, schwere Lokomotiven verwenden kann, deren ganzes Gewicht für die Zugkraft nutzbar gemacht wird;
bedeutet doch erfahrungsgemäss jede Tonne nutzlos mitgeschleppten Eigengewichtes
eine bedeutende Einbusse an der Rentabilität einer Bahnanlage.
Ein weiterer Vorteil ist der, dass das Zylinderpaardes vorderen Gestelles mit
dem Abdampf aus dem hinteren Zylinderpaare, also mit Verbundwirkung arbeitet, was auf den Kohlenverbrauch und auf die
Wirtschaftlichkeit des Betriebes von wichtigem Einfluss ist; dazu besitzt diese
Bauart vor ähnlichen Systemen den Vorteil, dass die einzige bewegliche Rohrleitung,
d. i. diejenige nach den vorderen (Niederdruck-) Zylindern, nur von niedrig
gespanntem Dampfe erfüllt ist, also Undichtigkeiten ziemlich ausgeschlossen
sind.
Textabbildung Bd. 319, S. 748
Fig. 8.
Es liegt in der Natur dieser Bauart, dass sie sich weniger für grosse
Geschwindigkeiten als besonders dort eignet, wo es sich darum handelt, auf schwierigem Gelände mit grossen Steigungen und engen
Kurven verhältnismässig grosse Lasten zu befördern.
Textabbildung Bd. 319, S. 749
Fig. 7. 2 × 2/2-gek. Duplex-Verbund-Tender-Lokomotive mit Dampfdrehgestell (1 m
Spur, 25,5 t Dienstgewicht).
Die in Fig. 9 und Tab. 3 angegebenen Leistungen
werden erzielt bei stündlichen Geschwindigkeiten von 10, bezw. 13, 14, 15, 16 km für
die Typen I–V. (Dabeiist das Mindestreibungsgefälle der Wagen zu 1: 200
angenommen.)
(Fortsetzung folgt.)