Titel: | Ein neuer Kurvenschreiber. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 120 |
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Ein neuer Kurvenschreiber.
Ein neuer Kurvenschreiber.
Der nachstehend eingehend beschriebene, von Ingenieur Victor
Lebeau in Lüttich konstruierte neue
Kurvenschreiber bietet ein doppeltes Interesse, einmal ein praktisches durch die
zahlreichen Fälle, in denen er auf technischen Bureaus mit bestem Erfolge Anwendung
finden kann, und anderseits ein wissenschaftliches, indem er einen Beitrag zu den
Lehren der Kinematik bietet.
Mit Hilfe dieses Instrumentes ist es möglich, gewisse Kurven, die man bisher
punktweise konstruieren musste, indem man einzelne Punkte festlegte, welche man dann
mit dem sog. Kurvenlineale verband, als ununterbrochenen Linienzug darzustellen. Wie
wichtig das in vielen Fällen werden kann, dürfte ohne weiteres klar sein, wenn
man an gewisse Aufgaben aus dem Schiffbau, dem Werkzeugmaschinen-. Turbinenbau
usw. denkt.
In die Kinematik aber wird durch diesen Apparat eine Reihe von bisher unbekannten
Bewegungen eingeführt.
Beschreibung des Kurvenschreibers.
Das Instrument ist in Fig. 1 in seiner
normalen Ausführungsform dargestellt. Es setzt sich zusammen aus zwei beweglichen
Winkelmassen und einem festen Lineal. Das erste Winkelmass abc wird durch zwei Stahlröhren gebildet, die durch das Gelenk u derart miteinander verbunden sind, dass zwischen den
beiden Röhren jeder
beliebige Winkel eingestellt werden kann. Die dritte Röhre n dient dazu, dem Ganzen die erforderliche Steifigkeit zu geben. Auf dem
Teil ab gleitet eine Hülse mit Zapfen d.
Textabbildung Bd. 320, S. 121
Textabbildung Bd. 320, S. 121
Fig. 2.
Um diesen schwingt das zweite Winkelmass, das in gleicher
Weise wie das erste aus zwei Stahlröhren de und df besteht, welche jeden beliebigen Winkel miteinander
bilden können. Die dritte Röhre m erfüllt hier den
gleichen Zweck wie die Röhre n beim ersten Winkelmass.
Der Arm df ist in der Hülse l beweglich, die sich selbst wiederum um den festen Punkt o zu drehen vermag. Der Arm de dagegen kann in der Hülse i sich
verschieben oder festgeklemmt werden, die mittels des Zapfens h mit der zweiten Hülse j
verbunden ist; diese letztere kann auf dem Arm bc des
ersten Winkelmasses sich verschieben oder auf ihm festgeklemmt werden. Auf diese
Weise ist die Möglichkeit gegeben, dass de gegenüber
bc jeden beliebigen Winkel annehmen kann, bc wiederum kann an dem festen Lineal k entlang gleiten und wird bei dieser Bewegung durch
die mit Rollen versehenen Führungen p und r in seiner parallelen Lage zu k gesichert. An k ist der Support w der Hülse l befestigt,
der so eingerichtet ist, dass l in verschiedenen
Abständen bc gegen b c
festgestellt werden kann. Das Gelenkstück d hat vier
zylindrische Bohrungen, von denen zwei die Enden der beiden Schenkel fd und d e des zweiten
Winkelmasses aufnehmen. In eine der beiden anderen wird eine Röhre g bezw. g1 gesteckt, auf der eine Reissfeder oder ein
Schreibstift zum Aufzeichnen der Kurven festgeklemmt werden kann.
Natürlich kann dieser Stift auch auf den Schenkeln de
und df selbst angebracht werden. Die Führungen p und f sind an ihrer
unteren mit kleinen Schrauben versehen, mit deren Hilfe es möglich ist, bc auf einer gegebenen geraden Linie yy1 festzulegen. Das
Ganze ist so leicht als möglich und dabei doch hinreichend fest gehalten, kleine
Unterstützungen, verhindern die Durchbiegung der einzelnen Stahlröhren nach
Möglichkeit und die Röllchen an den Führungen p, q und
r sorgen dafür, dass das Arbeiten mit dem Apparat
keinerlei Kraftanstrengung erfordert, wodurch natürlich die Genauigkeit des
Ergebnisses wächst.
Die Ausführungsform Fig. 2 ist eigentlich nur eine
Verdopplung des bereits beschriebenen Apparates. Konstruktion und Wirkungsweise sind
im übrigen in beiden Fällen genau gleich; nur ist es möglich, mit dem Instrument
Fig. 2 gleich zwei Aeste einer Kurve zu
zeichnen, während mit einem Kurvenschreiber nach Fig. 1 nur die
Darstellung eines Astes in einem Zuge ausgeführt werden kann.
Wirkungsweise des Apparates.
Klemmt man den Schenkel de (Fig. 1) fest in die
Hülse i und lässt die Hülse j frei über den Schenkel bc gleiten, so kann
man bc an k entlang auf
der Linie yy1 sich
verschieben lassen. Alsdann ergibt sich die Bewegung des Punktes d aus der Grösse seiner Verschiebung auf dem Rohr ba, das gleichzeitig parallel zu sich selbst
fortrückt.
Bei dieser Anordnung ist die Bewegung der Ebene fde die
folgende: Die Gerade de dieser Ebene dreht sich um
einen festen Punkt o, während gleichzeitig ein in
derselben Ebene liegender Punkt eine Gerade durchläuft. Das ist aber eine Bewegung,
der man den Namen einer „allgemeinen Konchoidenbewegung“ geben kann, bei der
als Konstanten die beiden Grössen a und β, d.h. die Senkrechte von o auf yy1 und
die Strecke dh anzusehen sind. Naturgemäss beschreiben
die einzelnen Punkte der Ebene fde Konchoiden
verschiedenster Art, die wieder noch besondere Gestalt annehmen, sobald statt des
allgemeinen Falles, wo α ≷ β ist, Sonderfälle: α = β, α > o und β = o oder β > o und α = o gewählt
werden. Wie denn z.B. für den Fall α = β die sog.
Zissoiden zustande kommen.
Doch wollen wir an dieser Stelle auf diesen für die Praxis weniger wichtigen Gebrauch
des Apparates zur Erzeugung einer Konchoidenbewegung nicht eingehen.
Erheblich wertvoller ist der Fall, wo der Apparat zu einem „Instrument mit
konstanter Projektion“ umgewandelt ist, weil er dann zur Herstellung von
häufiger benutzten Kurven dient.
In diesem Falle gleitet der Schenkel de des Winkelmasses
edf in der Hülse i,
während die Hülse j auf dem Schenkel bc des Winkels abc
festgeklemmt ist. Der ∡ abc möge dabei eine beliebige
Grösse ω, der ∡ fde eine
beliebige Grösse λ haben.
Alsdann ist die Bewegung der Ebene fde die folgende: Die
Gerade fd dieser Ebene dreht sich um den festen Punkt
o, indem sie gleichzeitig über ihn hinweggleitet,
während eine zweite Gerade de der gleichen Ebene ihren
Platz derart verändert, dass die Projektion des Abschnittes dh dieser Geraden auf die Gerade bc eine
konstante Länge b1h = 2 p erhält. Dabei ist die Projektion parallel zu der
festen Richtung ab vorzunehmen und als Abschnitt dh der genannten Geraden de das Stück zwischen dem Punkte d und der
festen Linie bc anzusehen. In diesem Falle sind vier
Konstanten vorhanden und zwar die Winkel ω und λ, der Parameter 2 p und
die Senkrechte α von o auf
bc.
Es sind zwei Hauptfälle zu unterscheiden, je nachdem die Winkel ω und λ gleich oder
ungleich sind, im ersteren Falle hat man es in dem Instrument mit einem
„Parabelschreiber“, im zweiten mit einem „Hyperbelschreiber“ zu
tun.
(Wir tragen an dieser Stelle für die Beschreibung des Apparates noch nach, dass der
Schenkel bc mit Millimeterteilung versehen ist, um
ohne weiteres den Parameter 2 p der Kurve bestimmen zu
können, die man aufzeichnen will.)
Parabelschreiber: ∡ ω = ∡λ.
Der einfachste Fall ist der, wo ∡ ω = ∡ λ = 90°, und α = 0 ist
(Fig.
3), dann ist o der Scheitel und bx die Achse der durch Punkt d beschriebenen Parabel. Behalten wir ∡ ω = ∡
λ = 90° bei, machen aber a nicht gleich Null,
sondern geben ihm eine gewisse Grösse, so bleibt die von d beschriebene Kurve noch immer eine Parabel, nur geht deren Achse nicht
mehr durch den Punkt o, sondern sie liegt parallel zu
bx um \frac{\alpha}{2} von o
entfernt.
Aber auch dann, wenn die genannten beiden Winkel irgendwelche unter sich gleiche
Grösse haben, die von 90° abweicht, wird d stets sich
auf einer Parabel bewegen.
Hyperbelschreiber: ω ≶ λ.
Fig. 4
kennzeichnet die Benutzung des Apparates für diesen Fall, wobei wir nur hervorheben,
dass hier der Kurvenschreiber nach Fig. 2 ausgeführt
ist, mit dem es ja möglich ist, die beiden symmetrisch
zur Achse liegenden Aeste der Kurve darzustellen.
Als besonderer Fall ist hier derjenige aufzufassen, bei dem der Winkel λ gleich Null oder 180° ist, bei dem also od und dh in eine Gerade
fallen. Das erreicht man mit dem Apparat auf die folgende Art und Weise:
Man bringt den Schenkel fd an die Stelle dg, so dass der Punkt o
etwa auf o1 zu liegen
kommt, und gibt dem Winkel abc irgend eine beliebige
Grösse. Die Hülse j wird wieder auf dem Schenkel bc befestigt, während ja de in der Hülse i und um den festen Punkt o1 gleitet und d gezwungen ist, sich längs der Linie ab zu bewegen. Auch in diesem Falle dreht sich also eine Gerade de um einen festen Punkt o1 derartig, dass die Strecke dh zwischen einem bestimmten Punkt d und der festen Geraden bc auf diese letztere parallel zu einer gegebenen Richtung ab projiziert wird, wobei die Projektion die Länge 2
p erhält. Der Punkt d
muss dabei eine Hyperbel mit den Asymptoten bc und
„Parallele zu ab“ beschreiben. Damit ist
aber auch ohne weiteres die Benutzung des Apparates für den Fall erläutert, dass man
eine Hyperbel mit den gegebenen Asymptoten tx und ty und dem Scheitel o
konstruieren soll (Fig. 5). Würde man den
∡ abc = 90° machen, so erhielte man eine gleichseitige
Hyperbel. Durch obige Bemerkungen sollen nur Beispiele gegeben werden, wie viele
verschiedene Aufgaben sich mühelos mit dem Instrument lösen lassen.
Ellipsenschreiber.
Die beiden Schenkel df und ef werden entfernt, de in den Hülsen d und i festgeklemmt,
jedoch so, dass sie sich auf ab bezw. bc verschieben lassen. Bei einer derartigen Bewegung
beschreibt alsdann irgend ein Punkt n der Linie hd eine Ellipse mit den Achsen hd = α und dn = β (siehe Fig. 6.)
Aus der eingehenden Theorie, die Professor Neuberg,.
Lüttich, über diesen Apparat veröffentlicht hat, möge im folgenden nur der Abschnitt
über die Verwendung desselben als Parabelschreiber näher gekennzeichnet werden,
indem wir im übrigen unsere Leser auf unsere Quelle verweisen.Memoires de la Société royale des Sciences de
Liège 3. série, t. V. 1904. Auch als Sonderabdruck erschienen in Brüssel bei
Hayez, 1904.
Wie bereits hervorgehoben, arbeitet der Apparat in diesem Falle als „Instrument
mit konstanter Projektion.“
Er verwirklicht die Bewegung einer Ebene p1 auf einer festen Ebene p. Es seien d1e1 (Fig. 7) zwei Gerade, in p1a1 sei ihr Schnittpunkt. Alsdann bewegt sich p1 so, dass d1 sich um einen festen
Punkt o dreht und dass die Projektion des Abschnittes
a1o1 von e1 auf eine feste
Gerade d, parallel zu einer zweiten festen Geraden oy, eine konstante Länge q'o1 = 2 p
hat. Die Konstruktion des Apparates lässt nun eine beliebige Veränderung der
folgenden Grössen zu: ∡ oa1r = λ, ∡ xoy = ω, der Strecke oa = α und der
gekennzeichneten Projektion = 2 p. Dabei ist die
Strecke xo parallel zu der Geraden da durch o gezogen. Wie
oben schon gesagt, erhält man eine Parabel mit Hilfe des Instrumentes, wenn man ∡ ω = ∡ λ macht. Das ist
am einfachsten zu beweisen für den Fall ∡ ω = ∡ λ = \frac{\pi}{2}, α = 0 (Fig.
8). Alsdann ist
a_1\,q^2=\overline{o\,q}\cdot \overline{q\,o_1} oder y2 = 2 px.
Ist ∡ ω = ∡ λ = \frac{\pi}{2} aber a ≶ 0 (Fig. 9), so ergibt sich aus den ähnlichen Dreiecken a1q'o1 und oqa1
y . (y – α) = 2 px
\left(y-\frac{\alpha}{2}\right)^2=2\,p\cdot \left(x+\frac{\alpha^2}{8\,p}\right).
oder
Textabbildung Bd. 320, S. 123
Fig. 7.
Textabbildung Bd. 320, S. 123
Fig. 8.
Textabbildung Bd. 320, S. 123
Fig. 9.
Textabbildung Bd. 320, S. 123
Fig. 10.
In diesem Falle beschreibt also a1 eine Parabel mit dem Parameter 2 p und einem Scheitel, dessen Ordinaten =\frac{a^2}{8\,p} und
\frac{\alpha}{2} heissen. Dieser Scheitel ist demnach leicht zu konstruieren: er liegt auf
einer Geraden o'x' || ox,
deren senkrechter Abstand von ox den Wert \frac{\alpha}{2}
hat. Diese Gerade schneide oa in l. Macht man lf = 2 p und zieht o'o senkrecht
of, so muss diese Senkrechte o'x' im Scheitel der Parabel schneiden; denn es ist
\overline{o'\,l}\cdot \overline{l\,f} oder o'\,l\cdot 2\,p-\left(\frac{\alpha}{2}\right)^2; o'\,l-\frac{\alpha^2}{8\,p} absolut genommen.
Sind schliesslich die beiden Winkel ω und λ zwar gleich, aber von 90° verschieden, so ergibt sich
das Bild Fig. 10. Aus den ähnlichen Dreiecken
a1q'o1 und ca1o1 folgt hier
\overline{a_1\,{o_1}^2}=\overline{o_1\,q'}\cdot \overline{o_1\,c}=o_1\,q'\cdot \left(o_1\,q'+\frac{o\,q\cdot a_1\,q'}{a_1\,q}\right)
4\,p^2+(y-a)^2-4\,p\,(y-a)\cdot \mbox{cos}\,\omega=2\,p\,\left(2\,p+\frac{x\,(y-a)}{y}\right)
wenn y und x die schiefwinkligen Koordinaten des Punktes a1 bezogen auf das
Koordinatensystem mit dem Scheitelpunkt o bezeichnen.
Aus dieser Gleichung ergibt sich in einfacher Weise
y2– ay – 4 py cosω = 2 px
oder wenn man α + 4 p . cos ω = β setzt
\left(y-\frac{\beta}{2}\right)^2=2\,p\cdot \left(x+\frac{\beta^2}{8\,p}\right)
d.h. wir haben es mit einer Parabel zu tun, deren Scheitel
bezogen auf das schiefwinklige Koordinatensystem durch o die Lage -\frac{\beta^2}{8\,p}; \frac{\beta}{2} hat. Auch dieser ist nicht schwer zu
konstruieren: macht man ad = 2 p und schlägt mit 2 p um d einen Kreis, so trifft dieser oy in e und es ist oe
= β = α + 4 p . cos
ω, also liegt der Scheitel der Parabel auf einer
Geraden durch l parallel zu ox, wenn ol = le
ist. Zieht man nun ld und macht ∡ dlk = ∡ ω sowie oo' || kl, so ist Δ led
\overset{=}{\infty}
Δ ono', da zwei Winkel in ihnen gleich sind. Somit wird
auch le : ed = on : no'
oder o\,n=\frac{l\,e\cdot n\,o'}{e\,d} d.h. o\,n=\frac{\beta^2}{8\,p}
Es ist also der Punkt o' der gesuchte Scheitelpunkt der
Parabel.
Aus diesen Ausführungen, die, wie bereits bemerkt, nur Beispiele aus der
ausführlichen Theorie Neubergs herausgreifen, dürfte
wohl hervorgehen, dass wir es hier in der Tat mit einem eigenartigen Zeichenapparat
zu tun haben, der wohl geeignet ist, das Interesse der Fachleute, sei es nun in
theoretischer oder in praktischer Beziehung, zu erregen. Dabei glaubt der Erfinder
versichern zu können, dass man es hier keineswegs mit einer abgeschlossenen
Entwicklung zu thun habe, sondern dass mit Hilfe geringfügiger Aenderungen es
gelingen wird, dem Apparate noch eine Reihe bis jetzt unbekannter
Anwendungsmöglichkeiten zu erschliessen.