Titel: | Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St. Louis 1904. |
Autor: | M. Buhle, W. Pfitzner |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 529 |
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Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der
Weltausstellung in St. Louis 1904.
Von Professor M. Buhle und Dipl.-Ing. W.
Pfitzner,
Dresden.
(Fortsetzung von S. 517 d. Bd.)
Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf der Weltausstellung in St.
Louis 1904.
Pullman-Wagen.
Mit der grössten Anzahl von Wagen waren die bekannten Pullman-Werke vertreten; zwei Züge von je fünf Wagen waren zur Schau
gebracht, ein „Limited Train“, der unseren Luxuszügen entsprechen würde, und
ein Personenzug gewöhnlicher Zusammensetzung.
Sämtliche Wagen hatten zur Erinnerung an den Ankauf Louisianas historische Namen aus
jener Zeit bekommen. (Bekanntlich erhält überhaupt jeder Pullman-Wagen einen Namen.) So setzten sich die beiden Züge aus folgenden
Wagen zusammen: 1. Gepäck- und Rauchwagen „Jefferson“, 2. Speisewagen
„Monroe“, 3. Schlafwagen „Livingston“, 4. Salonwagen
„Napoleon“, 5. Aussichtswagen „Louisiana“. Der andere Zug
enthielt: 1. Personenwagen „1803“, 2. Chaircar „1903“, 3. Speisewagen
„Centennial“, 4. Auswanderer-Schlafwagen „Mississippi“, 5.
Privatwagen „President“.
Die Bauart der Pullman-Wagen wird in Amerika überall als
sehr kräftig und widerstandsfähig anerkannt. Vor allen Dingen ist, wie schon
erwähnt, auf möglichste Verstärkung der Stirnwände gesehen, um das
Ineinanderschieben der Wagen bei Zusammenstössen zu erschweren. Die unseren
Pufferbohlen entsprechenden Balken sind aus Eisen hergestellt und mit reichlichen
Eckversteifungen und Eisenverbindungen an den nur aus Balkenwerk bestehenden
Hauptlängsträgern des Wagens angeschlossen. Bei den grossen Längen der Wagenkästen
sind einfache I-Träger mit Verspannung wie bei unseren Drehgestellwagen nicht gut
ausführbar; das Tragwerk besteht vielmehr stets in einer fachwerkartigen
Holzkonstruktion, welche die ganze Höhe vom Boden bis zu den Fenstern einnimmt und
die durch einen sehr kräftigen Unterzug aus Rundeisen unter dem Wagen verspannt
wird. Diese Spannvorrichtung, die in Fig. 91 und
92 ebenfalls zu erkennen ist, wird so kräftig
angezogen, dass sich der Wagenkasten meist um mehrere Zentimeter nach oben
durchbiegt, so dass es scheint, als ob die Wagen als flache Bogenträger ausgeführt
wären. Die Fenster können bei dieser Konstruktion natürlich nicht nach unten
heruntergelassen werden; sie lassen sich nur zu einem kleinen Teil öffnen, indem die
untere Hälfte nach oben vor die feste obere Hälfte geschoben wird.
Die Querträger mit den Drehzapfen für die Drehgestelle, früher ebenfalls aus Holzwerk
mit Eisenversteifung bestehend, werden neuerdings bei den Pullman-Wagen durch schwere Stahlgussplatten ersetzt, so dass das
Untergestell seitlich sehr an Steifigkeit gewinnt. Die Ausführung der
Drehgestelle wie die der Räder, der Bremsen usw. weist gegen früher nichts Neues
auf.
Die Fussböden der Pullman-Wagen werden ausser dem
Holzbelag noch mit einer etwa 12 mm dicken Schicht aus Monolith bedeckt, einer
zementartigen Masse, die eine glatte, harte und leicht zu reinigende Oberfläche
gibt. In den Salons usw. sind darüber stets noch Teppiche gelegt; die Fussböden der
Toiletten, Seitengänge usw. haben meist einen etwa 8 mm dicken Belag aus gemustertem
Gummi. Die Wände von Wasch- und Baderäumen sind oft (wie auch neuerdings bei uns)
mit Kacheln belegt.
Warmes und kaltes Wasser wird allen Wascheinrichtungen durch Luftdruck von Behältern
unter den Wagen zugeführt; die Heizung ist bei allen Wagen als selbständige
Warmwasserheizung ausgebildet. Die Beleuchtung geschieht durch Elektrizität und Gas
(Pintsch).
Der Anstrich aller Pullman-Wagen ist dunkel olivgrün,
mit einfachen gelblichen Streifen abgesetzt.
Ueber die innere Einrichtung der ausgestellten gewöhnlichen Personenwagen
„1803“ und „1903“ ist nichts Besonderes zu bemerken, sie
entsprechen in ihrem Inneren dem der oben genannten Wagen der American Car and Foundry Co. Der
Auswanderer-Schlafwagen, „Tourist sleeper“, auch
„Schlafwagen zweiter Klasse“ genannt, entspricht hinsichtlich der
Einrichtung und Anordnung der Betten der normalen amerikanischen Ausführung, d.h.
alle Betten, je zwei übereinander, sind in zwei Längsreihen im Wagen angeordnet,
unmittelbar an dem in der Mitte des Wagens frei bleibenden Mittelgang, gegen den sie
nur durch Vorhänge abgeschlossen sind. Auf diese Weise lassen sich in einem
derartigen Wagen 32 sehr bequeme, etwa 1 m breite Betten unterbringen. Tagsüber sind
die oberen Betten nach oben geklappt, indem sie gleichzeitig als Behälter für die
Kissen, Decken, Zwischenwände und Vorhänge dienen. Das untere Bett wird aus zwei
gegenüber liegenden Sitzen hergestellt, die ebenso aufgestellt sind wie die Bänke in
Fig. 92. Diese bekannte Einrichtung ist bei den
Schlafwagen zweiter Klasse in einfacherer Ausstattung durchgeführt. Die Sitze der
Bänke sind nur mit Rohrgeflecht überzogen; das Holzwerk ist glatt und ohne die
üblichen Verzierungen gehalten. Ebenso sind die Waschräume an beiden Enden des
Wagens einfach, aber doch reichlich; der Warmwasserheizofen im Waschraum für Frauen
ist mit Vorrichtungen zum Wärmen von Speisen versehen; ferner befindet sich dort
eine Aufwascheinrichtung, in der die Auswanderer ihr mitgebrachtes Geschirr reinigen
können. Die Einführung dieser Wagen, die ebenso bequem und geräumig und bei grosser
Hitze vielleicht noch angenehmer sind als die heissen und dumpfen Schlafwagen erster
Klasse, wird überall sehr anerkannt; die Wagen sind auch meist gut besetzt, da der
Fahrpreiszuschlag gering ist. Die Wagen verkehren auf den langen Linien von Chicago,
St. Louis usw. nach dem Westen.
Die übrigen Wagen der Pullman-Ausstellung waren sämtlich
Luxuswagen. In bezug auf Ausstattung und Eleganz können sie als Muster angesehen
werden; die Durchbildung und Anordnung der Einrichtung erzielte eher den Eindruck
von kleinen Gesellschafts- und Restaurationsräumen, als den des engen und gedrückten
Eisenbahnwagens. Grösser Wert war auf einheitliche Ausstattung der einzelnen Wagen
gelegt; jeder war in einem bestimmten Stil gehalten, so dass die Pullman-Ausstellung fast einer Ausstellung moderner
Zimmereinrichtungen glich. Das grösste Interesse bot natürlich der „Limited
train“, da Züge dieser Art dem grossen Publikum, nicht nur wie die
Privatwagen, einzelnen Leuten zugänglich sind. Allerdings wird für diese Züge ein
besonderer Zuschlag erhoben.
Der erste Wagen dieses Zuges, der Gepäck- und Rauch wagen „Jefferson“ enthält
ausser dem Gepäckraum ein Rauchzimmer mit zwölf Einzelsesseln und einem Sopha in
Lederausstattung; daneben liegt ein Büffet, dann ein Barbierzimmer mit
anschliessendem Baderaum und ein Warteraum für zehn Personen. Ausgeführt ist eine
Anlehnung an den modernen deutschen Stil; alles Holzwerk ist in dunkelbrauner
Färbung gehalten, mit flach geschnitzten einfachen Verzierungen. Die Farbe der
Decken ist mattoliv, ebenso wie die der Vorhänge und Polsterung. Alle
Beleuchtungskörper sind dem Stil genau angepasst, sie sind an den Seiten wänden des
Wagens angebracht; die üblichen Deckenlampen sind vollständig vermieden.
Der Speisewagen „Monroe“ ist in flämischem Stil gehalten. Die braun gebeizte
Eichenholztäfelung zieht sich bis zu den Decken hinauf in den Oberlichtaufbau, der
hier rechteckig gehalten ist und infolge seiner grossen Breite den ganzen Raum
scheinbar sehr vergrössert. Die freien Deckenfelder sind dunkelorange gefärbt. Die
breiten, oben halbelliptisch begrenzten Fenster sind etwas höher als gewöhnlich
gesetzt, so dass zwischen ihrer Unterkante und der anstehenden Tischfläche ein
Streifen bleibt, der zu einer nischenartigen Ausbildung der Wagenwand benutzt worden
ist, wo kleinere Flaschen, Gläser usw. Platz finden können. Die Tische selbst, nach
dem Mittelgang zu etwas abgerundet, sind sämtlich nur für je zwei Reisende
berechnet. Auch hier sind die Beleuchtungskörper besonders ausgebildet; ausser einer
Reihe von flachen Deckenlampen sind an den Seitenwänden zwischen den Fenstern
Laternen angebracht, und über jedem Tisch befindet sich eine Glühlampe an einem aus
der Wand heraustretenden Kandelaber. Alle metallischen Teile sind in mattschwarz
ausgeführt.
Die Einrichtung des Schlafwagens „Livingston“ ist konstruktiv dieselbe wie in
dem oben beschriebenen Schlafwagen; in dem Hauptraum befinden sich zwölf Abteile
(sections) mit je zwei übereinander liegenden Betten; ausserdem sind noch zwei
abgeschlossene kleinere Räume vorhanden, ein „Drawing room“ mit vier Betten
und ein „State room“ mit zwei Betten, die gegen einen besonderen und zwar
verhältnismässig hohen Zuschlag zugänglich sind. Die Wände des Wagens sind mit
eingelegter Holzarbeit bedeckt, die Decken im Grundton mattgrün, die Verzierungen
elfenbeinweiss. Auch die Waschräume und Toiletten sind ausserordentlich luxuriös
ausgestattet. Die elektrische Beleuchtung ist reichlich; ausser den grossen
Beleuchtungskörpern im Mittelgang an der Decke ist über jeder Bank in der
Fensterecke eine Leselampe angebracht, die namentlich beim Schlafengehen recht
angenehm ist, da sie das bei geschlossenen Vorhängen sonst recht dunkle Abteil
erhellt. Diese Lampen sind in die Wagenwand eingelassen und mit Verschlusschieber
versehen, so dass keine hervorspringenden Teile vorhanden sind und die Lampe selbst
gut geschützt ist. Beim Oeffnen des Schiebers wird die Lampe selbsttätig
eingeschaltet.
Der Salonwagen (Parlor car) „Napoleon“ fiel vor allem durch seine reichliche
Beleuchtung auf, die in grossen, besonders entworfenen Beleuchtungskörpern im
Lichtaufbau und in zwei Reihen ähnlich geformter kleinerer Lampen an den
Hauptlängsträgern der Decke besteht. Im Hauptraum befinden sich wie üblich zwei
Reihen von Drehsesseln; ausserdem ist ein kleinerer abgeschlossener Salon vorhanden.
Die Toiletteräume sind mit Kacheln belegt.
In dem Aussichtswagen „Louisiana“ befinden sich ausser dem an die hintere
Plattform grenzenden Salon eine Reihe Abteile, wie in den europäischen Schlafwagen,
mit der gewöhnlichen Schlafeinrichtung und anstossenden Toiletteräumen
(observation-compartment car). Auf die Ausstattung dieser Abteile ist, da sie die
vornehmsten des ganzen Zuges darstellen, ganz besonderer Wert gelegt. Jedes ist in
einem besonderen Farbenton gehalten; es ist nur kostbarstes Holz zur Täfelung
verwendet; jede Platte ist besonders nach Maserung und Färbung ausgesucht. Die
Beleuchtung geschieht durch Wandarme über den Eingangstüren. Der Aussichtssalon ist
ebenfalls mit kostbarer Holzverkleidung ausgestattet, unter der flach ausgebildeten
Decke ist reiches Schnitzwerk angebracht. Die Beleuchtungskörper treten als
blumenähnliche Gebilde aus der Wand heraus. Die 3 m breite und 1,80 m lange
Aussichtsplattform ist zum Teil in den Wagen hineingebaut (vergl. auch Fig. 95); an den freien Seiten ist sie mit einem
verzierten Geländer aus Messing umgeben. An das innere Ende des Salons schliesst
sich ein Raum an, in dem Schreibtisch, Bibliothek und eine Schreibmaschine
aufgestellt ist, die mit Bedienung den Reisenden unentgeltlich zur Verfügung
steht.
Der Speisewagen des zweiten Pullman-Zuges
„Centennial“, (Café smoking car), entspricht fast genau den bei uns
üblichen Speisewagen; er enthält neben der Küche und dem Anrichteraum zunächst einen
Speiseraum, und daneben eine Rauchabteilung (in Lederausstattung), in der sich auch
ein Schreibtisch befindet. Die Ausbildung der glatt gehaltenen Wände, wie die Form
des Oberlichtaufbaues, ebenso die ungewöhnlich breiten Flächen zwischen den Fenstern
geben dem Innern des Speiseraumes vollständig das Aussehen eines modernen,
anheimelnden kleinen Speisezimmers.
Der Privatwagen „President“ enthält drei kleine Zimmer mit Schlafeinrichtung,
Kleiderschrank und anschliessendem Toiletteraum, einen grösseren Speiseraum und
einen Salon, der auf die als Aussichtsraum ausgebildete hintere Plattform des Wagens
führt. An Nebenräumen sind vorhanden: Baderaum, Küche, Anrichteraum und Dienerraum
mit Schlafeinrichtung. Die Ausstattung der Luxusräume im Stil Louis XIV. ist
natürlich hervorragend prächtig und kostbar.
Ein Privatwagen sei noch besonders vorgeführt, der von der Firma
F. M. Hicks & Co., Chicago III,
ausgestellt war. Von diesem Wagen ist in Fig. 95 ein Grundriss wiedergegeben, aus dem die
Verteilung der einzelnen Räume zu ersehen ist, die ungefähr der des oben genannten
Pullman-Privatwagens entspricht. Die Privaträume
liegen inmitten des Wagens zu beiden Seiten eines Bade- und Toilettenraumes. Der
eine (links) enthält ein nach Art der Pullman-Konstruktion ausgeführtes oberes und unteres Bett; in dem grösseren (rechts)
ist eine grössere normale Bettstelle aufgestellt, ausserdem befinden sich in beiden
Kleiderschränke. Am vorderen Ende des Wagens sind alle Nebenräume untergebracht:
eine Küche, ein kleiner Schlafraum mit Doppelbett und ein Toiletteraum; ebenso
befindet sich vorn der Warmwasserofen und in dem geschlossenen Vestibüle der
Eisschrank. Zwischen diesen beiden Gruppen von kleineren Räumen befindet sich der
Speiseraum, mit ausziehbarem Tisch, grossem Sopha und einigen Schränken, und am
hinteren Ende des Wagens liegt der Salon, der mit der Platform den Aussichtsraum
bildet. Die Platform ist in den Wagen hinein erweitert und mit dem üblichen
Messinggeländer umgeben; in dem Dach ist eine grosse halbkugelige Kuppel für die
Beleuchtungskörper eingebaut. Der Salon ist gegen die Platform durch besonders
grosse Fenster abgeschlossen (Fig. 96). Die
Ausstattung der einzelnen Räume ist ebenso wie bei den Pullman-Wagen sehr luxuriös (siehe auch Fig.
97); die Beleuchtung geschieht ebenfalls durch Elektrizität, im
Bedarfsfälle durch Pintsch-Gas. Der Wagen läuft auf
zwei dreiachsigen Drehgestellen; seine äussere Erscheinung ist die gleiche wie bei
den Pullman-Wagen. Er ist als Direktionswagen für den
eigenen Gebrauch einer Bahn bestimmt.
Textabbildung Bd. 320, S. 531
Fig. 95. Grundriss des „Private car“ von Hicks.
Textabbildung Bd. 320, S. 531
Fig. 96. Aussichtsraum im „Private car“ von Hicks.
Personenwagen mit Seiteneingang der Wabash R. R.
Abweichend von dem bisher ausschliesslich gebrauchten System der Durchgangswagen hat
man neuerdings auf Vorortstrecken Wagen mit seitlichen Türen eingeführt, ähnlich den
in Europa gebräuchlichen, die ein schnelleres Ein- und Aussteigen gestatten als die
lediglich mit Türen an den Stirnwänden ausgerüsteten Wagen. Der „Shuttle
train Service“ der Wabash Railroad, der, wie
schon auf S. 242 d. B. erwähnt, den Stadtverkehr von dem Hauptbahnhof in St. Louis
nach der Ausstellung vermittelte, geschah durch mit seitlichen Eingängen versehene
Wagen, die von der Bahngesellschaft besonders für diesen Zweck erbaut waren. Sie
sind in den Werken der American Car & Foundry Co.
zu Detroit erbaut worden, und zwar als normale Güterwagen, die nur für die Zeit der
Ausstellung als Personenwagen hergerichtet waren. Aeusserlich hatten sie daher das
plumpe Aussehen der grossen Güterwagen; bei einer Länge von etwa 15 m wiesen sie
einen Querschnitt von 2,6 × 2,6 m auf; an jeder waren nur zwölf kleine Fenster (45 ×
54 cm), sowie vier Türen angebracht, die als Schiebetüren mit einer gemeinsamen
Oeffnungseinrichtung ausgebildet waren, ähnlich der weiter unten beschriebenen der
Chicagoer Vorortwagen. Die Sitze im Innern boten Platz für 92 Personen. Es waren
Bänke von verschiedener Länge in der Querrichtung des Wagens aufgestellt, ausserdem
waren Handriemen zum Festhalten für Stehende reichlich vorgesehen. Die Beleuchtung
geschah durch einfache Oellampen.Weiteres
über die Wagen siehe Railroad Gazette, 1904, S. 365.
Textabbildung Bd. 320, S. 531
Fig. 97. Speiseraum im „Private car“ von Hicks.
Vorortwagen der Illinois Central R. R.
Diese Bahn hat seit 1903 auf ihren stark benutzten Vorortstrecken um Chicago eine
neue Wagenart eingeführt die sie auf der Weltausstellung zur Vorführung brachte,
einen Personenwagen mit seitlichen Eingängen, jedoch ohne innere Abteile. Der Wagen
hat, wie Fig. 98 zeigt, seitlich 12 Türen, ferner
an den Enden die gewöhnlichen Eingänge und Uebergangseinrichtungen zur Verbindung
mit den Nachbarwagen. Durch diese Zerteilung der Seitenwände ist die übliche
Tragkonstruktion natürlich nicht mehr möglich. Es ist deshalb der Unterrahmen als
alleiniger Träger ausgebildet worden; er besteht aus einer Profileisenkonstruktion,
die durch vier Spannvorrichtungen versteift wird.
Textabbildung Bd. 320, S. 532
Fig. 98. Vorortwagen der Illinois Central R. R.
Textabbildung Bd. 320, S. 532
Fig. 99 und 100. Eisenkonstruktion des Wagens Fig. 98.
Die durchaus metallische Ausführung gibt dem Ganzen natürlich
eine grosse (in Amerika sonst vielfach nicht bekannte) Festigkeit und nebenbei auch
Feuersicherheit. Auch der Wagenkasten selbst ist auf ein Eisengerippe aufgebaut,
das, wie Fig.
99 zeigt, an den Wagenenden durch Diagonalen und grosse Eckbleche
versteift ist. Die langen Seitenwände sind der Schiebetüren wegen doppelt ausgeführt
(Fig.
100). Die Wandfüllungen bestehen aus hartem Holz, das ohne Schrauben in
den ∪-Eisen nur durch geringes Ueberkanten des etwas geschlitzten Flansches
festgehalten wird. Als Fussboden ist über dem Unterrahmen zunächst ein
Eisenblechbelag, dann eine 6 mm dicke Asbestschicht und schliesslich eine 18 mm
starke parkettähnliche Holzbelegung ausgeführt. Drehgestelle und
Kupplungseinrichtungen sind die gewöhnlichen. Das Gewicht dieser neuen Wagen ist
nach den Angaben der Bahn um 3–4 t geringer als bei gleich grossen Wagen in
Holzkonstruktion, es beträgt 38,4 t.
Die Verwendung von Schiebetüren an Stelle der in Europa üblichen Schwingtüren
erfolgte aus mehreren Gründen. Einmal war es die grössere Gefahrlosigkeit für die
Reisenden, dann aber vor allem die Möglichkeit, alle Türen einer Wagenseite
gemeinsam öffnen und schliessen zu können, wodurch eine grössere Geschwindigkeit in
der Abfertigung der Züge zweifellos erzielt wird. In allen Vorortwagen in Amerika
ist je ein Schaffner aufgestellt, der nur das Ein- und Aussteigen der Reisenden zu
regeln und für die Schliessung der Türen zu sorgen hat. Bei gewöhnlichen
Durchgangswagen steht er auf der Platform und bedient die beiden hier vorgesehenen
Eingangstüren; in den neuen Wagen der Illinois Central R.
R. öffnet und schliesst er sämtliche Türen von dem einen Wagenende aus mit
einer Druckluftvorrichtung oder (wenn kein Luftdruck vorhanden ist) mit Handrad und
Spindel. Die Einrichtung ist so getroffen, dass während der Fahrt alle Türen
verriegelt sind. Nach dem Halten des Zuges gibt der Schaffner die Verriegelung an
der des Bahnsteiges frei, und die Reisenden können jede Tür einzeln nach Bedarf
öffnen. Das Schliessen aller offenen Türen geschieht gemeinsam, erst schnell, gegen
Ende der Bewegung langsamer, um Einklemmungen zu vermeiden. Ein elektrischer Wecker
ist angebracht, der beim Schliessen solange ertönt, bis alle Türen wirklich
geschlossen sind. Konstruktiv ist dieser Vorgang sehr einfach verwirklicht. Die
Schiebetüren laufen oben in Rollen; über ihnen liegt in der ganzen Länge des Wagens
eine Zugstange mit Mitnehmernasen, die gegen passende Anschläge an den Türen stossen
und sie in einer Richtung mitnehmen. Die durchgehende Stange verriegelt also die
Türen, indem sie sie in der geschlossenen Stellung festhält. Die Türen werden
freigegeben, indem die Stange zurückgeschoben wird, wobei jedoch die Türen zunächst
geschlossen bleiben. Die Bewegung der Zugstange geschieht unmittelbar durch den
erwähnten Pressluftzylinder (Bremsluft).
Diese Anordnung hat vor der versuchsweise auch ausgeführten mit zwangläufiger
Oeffnung aller Türen den Vorzug, dass nicht unnötig grosse Oeffnungen im Wagen
während der Dauer des Aufenthaltes entstehen, was namentlich im Winter sehr angenehm
ist. Die Dichtung gegen Zugluft in den Gleitfugen der Türen geschieht an der
vorderen Kante durch eine keilartige Ausbildung der Kanten, hinten durch eine
eingelegte dünne Tuchbekleidung, die zugleich das Klappern verhindert.
Die Aufstellung der Sitzbänke ist vollständig abweichend von der bei uns bekannten
Art. Es ist eine Reihe von viersitzigen Doppelbänken quer in den Wagen gestellt, die
an beiden Seiten des Wagens einen Längsgang frei lassen.
Textabbildung Bd. 320, S. 533
Fig. 101. Anordnung der Sitze im Wagen Fig. 98.
Diese Anordnung besitzt den grossen Vorteil, dass die
Verteilung der Reisenden in kürzester Zeit vor sich gehen kann und dass die einmal
sitzenden Personen kaum gestört werden. Das Fehlen jeder hohen Zwischenwand
erleichtert die Uebersicht über den Wagen und das Aufsuchen leerer Plätze. Die
Bänke selbst (Fig. 101) sind nicht gepolstert,
sondern in glattem Mahagoniholz ausgeführt; die einzelnen Sitze sind durch niedrige
Armlehnen abgetrennt, so dass nie, wie vielfach bei uns, ein Zweifel über die
zulässige Personenzahl auf einer Bank entstehen kann. An den Ecken der Rückenlehnen
sind je zwei griffartige Aussparungen angebracht, an denen sich stehende Reisende
festhalten können. Im ganzen sind in jedem Wagen 100 Sitzplätze vorhanden; in den
Gängen können sich ausserdem nach Angabe der Bahn 200 Reisende aufstellen, so dass
das Fassungsvermögen eines Wagens 300 Personen betragen würde.
Als Beleuchtung ist eine Reihe grosser Pintschgaslampen
mitten über den Banklehnen angebracht, die an diesen Stellen 50 cm tiefer als sonst
üblich angebracht werden konnten, da sie ja hier den Köpfen der Reisenden nicht im
Wege sind. Diese Beleuchtung ist für alle auf den Bänken Sitzenden natürlich die
denkbar günstigste.
Die Heizung ist als Dampfheizung nach dem System der Safety
Car Heating & Lighting Co. (deutsches
System) ausgeführt, die Heizrohre liegen unter den Sitzbänken (Fig. 101).
Es muss anerkannt werden, dass diese Wagenform den Anforderungen eines starken
Vorortverkehrs in weitem Masse entspricht; sie erfreut sich beim Publikum einer
grossen Beliebtheit.
(Fortsetzung folgt.)